SO SNER “The Well“ / Courtesy “intimate yell”
Das zweite Stück des zweiten Albums von SO SNER – dem Projekt von Susanna Gartmayer (an der Bassklarinette) und Stefan Schneider (an der Elektronik) – trägt den Titel „Bus Train Bus“ und kann leitmotivisch für den Entstehungsprozess gelesen werden. Die beiden Musiker:innen haben sich für “The Well“ für eine dezentrale Arbeitsweise entschieden, was sowohl auf die Orte der Entstehung bezogen ist als auch auf die Zeitachse; das Album ist im Kontext von Auftritten „in verschiedenen Studios und Räumen aufgenommen“ worden, eine Formulierung, den Linernotes zu dem auf TAL (dem Label von Schneider) erscheinenden Album entnommen, die bereits viel über die Soundästhetik aussagt, die SO SNER suchen und kultivieren.
Auf den zehn Stücken auf „The Well“ verweben Gartmayer und Schneider sehr eigenwillig hypnotische World Music, blauen, verrauchten und tief melancholischen Jazz und experimentelle Frickel-Elektronik zu einem Gesamtnarrativ, das zugleich ethnologisch fremd wie angenehm bekannt und gleichermaßen fließend organisch wie akribisch postproduziert klingt.
In den letzten Jahren wurde viel über kulturelle Aneignung diskutiert, zumeist am Korpus von Artefakten und anhand von Künstlerpersönlichkeiten ohne den Willen oder auch das Talent, sich wirklich auf Soundquellen einzulassen – und deswegen durchaus in seinem kritischen Rezeptionshabitus gerechtfertigt. Hört man SO SNER zu, so erscheint die Diskussion mit einem Male völlig unrelevant, Gartmayer und Schneider gelingt ein wunderbar offener, neugierig-sehnsuchtsvoller Dialog mit anderen Klangkulturen, in dem sich respektvolles zitieren und selbstbewusstes adaptieren harmonisch die Hand reichen.
Courtesy
“intimate yell”
(Against Interpretation)
Najaaraq Vestbirk, besser bekannt unter ihrem Alter Ego Courtesy, hat seit Mitte der 2010er Jahre eine bemerkenswerte Karriere hingelegt, zunächst als Dj, dann als Labelmacherin von KULØR und Against Interpretation, und immer mehr auch als Produzentin und am Gesamtkunstwerk interessierte Künstlerin. Wobei sich ihr Sound über das vergangene Jahrzehnt mehrfach verändert hat: von eher härteren und düsteren Technoentwürfen über stilistisch-aufgebrochene Tracks und Sets hin zu zuletzt sehr Trance- und Poplastigen Dj-Sets und melodramatischen Produktionen. War ihre 2022 veröffentlichte Debüt-Ep „Night Journeys“ noch eher kontemplativ schwebend, so wies die im Frühjahr 2023 erschienene Ep „Violence of the Moodboard“ mit einer Coverversion von Olivers Liebs Hit “Hearts” bereits den Weg hin zum im Herbst 2023 erschienenen Debütalbum „fra eufori“, das sich aus acht Coverversionen von Trance Klassikern zusammensetzt.
Und nun “intimate yell”, das wiederum in ihrem im Berliner Stadtteil Neukölln gelegenen Studio Vestbirk entstanden ist, zugleich privat-künstlerischer Rückzugsort für Recherche, Musikproduktion und getriggert durch die zunehmenden Kunst- und Mode-Ambitionen von Vestbirk regelmäßig auch Örtlichkeit von Community-Happenings wie Lesungen und Ausstellungen. Der kollaborative Charakter ihres Set-Ups prägt auch das neue Album, für das sie mit diversen Musiker:innen und Künstler:innen kollaboriert hat: Klō, Lyanne, Lucia Odoom, Sophie Joe, Aaron Altaras und Geoffrey Mak. Und so beweist Vestbirk mit “intimate yell” einmal mehr, dass man sie nicht auf einen Sound festlegen kann, wobei erstaunlich ist, wie gut sich euphorischer Pop-House, sophisticateter Deep House, melancholischer Techno, und vertrackter IDM nebeneinander machen – bevor uns am Ende „Ways of Raving“ mit träumerischen Ambient und beruhigenden Worten final bettet.