Records of the Week

Spiritualized / Pan American / Beach House


Spiritualized

„Everything Was Beautiful”
Bella Union/PIAS/Rough Trade

Lasst uns über Raumschiffe sprechen, bitte. Wenn auch wenig überraschend. Also nicht die bescheuerten Millionärs- oder besser Milliardärs-Kapseln, mit denen hoffnungslos überreiche Industrielle sich und ihre vermeintlichen Freund:innen zum Spaß und Kick ins All schleudern lassen, sondern über utopische, medikative Settings und Rezepte für konzentriert abschweifende Tagträume. Solche waren für mich Spacemen 3 und Labradford immer – und ein Stückweit auch Beach House, wenn auch vorsichtiger und erdlicher.

Spiritualized aus Rubgy sind angeleitet von Jason Pierce aka J. Spaceman, der einst mit seinem Co-Piloten Peter Kember aka Sonic Boom den Nukleus der legendären Spacemen 3 bildete. Während Kember sich bunten Farben, Loops und Drones zuwendete, lotete Pierce u.a. mit anderen Ex-Spacemen 3 eher die Richtung Gospel, Soul, Blues aus.
Auf seinem neuen Album spielt Pierce 16 verschiedene Instrumente, hat sich überdies mit 30 Mitmusiker:innen in 11 Studios eingemietet. Pierce hat auch schon mal 120 Musiker:innen gastieren lassen, so ist das nicht und bleibt doch ein Einzelgänger. Nach auch krankheitsbedingt reduzierteren Alben wurden Spiritualized zuletzt wieder opulenter (siehe auch meine Kolumne bei „Die Aufhebung“ Teil 6).

„Everything Was Beautiful“ gibt dem Präteritum viel Platz und verweist immer auch auf die eigene Geschichte. Schon das Cover des neunten Albums, welches erneut von Designer Mark Farrow gestaltet wurde, erinnert frappierend an Spiritualizeds Pillen-Verpackung auf dem Drittling und Meilenstein „Ladies and Gentlemen We Are Floating in Space“ von 1997. Dessen tatsächlich für mich außerirdische Selbstmitleid-Ballade „Broken Heart“ findet nun auf eine gewisse Art mit dem bluesigen „I’m Coming Home Again“ eine tröstlich weiterführende Hymen-Antwort. Die Verflechtungen speziell dieser beiden Alben sind mannigfaltig, man höre das Intro zu „Always Together With You“. Insgesamt sind Spiritualized wieder orchestraler, ausufernder, intergalaktischer im Klang, Pierce lässt es bombastisch schillern und Endgültigkeiten anklingen.

Pan American
„The Patience Fader”
(Kranky/Cargo)

Am US-Amerikanischen Gitarristen und Elektroniker Mark Nelson haben mich neben Labradford auch viele seiner instrumentalen Veröffentlichungen solo als Pan American schlichtweg fasziniert weg-gebeamt. Nicht nur das Flächige, das Abgehobene, sondern vor allem eine extraterristrische Erdung namens Dub haben mich auf Alben wie „360 Business/360 Bypass“ (2000) gnadenlos mitgenommen. Seine letzten Arbeiten (u.a. „A Son“ aus 2019) als eher auf die E-Gitarre fokussierte Meditationen sind anders. Vielleicht ist ja Nelson hier einfach vorangekommen und bin ich stehen geblieben. Schön. Gut. Gleichwohl nie mehr so abgefahren und minimalmajestätisch erschienen mir diese Projekte.

„The Patience Fader“ reiht sich da schon auch ein und bildet einen schwebenden Gegenentwurf zu den vollen Alben von Spiritualized oder Beach House. Fragmente wie „Baitshop“ wechseln sich mit verrauschten und synthetisch umrahmten Slide-Melodien in Superzeitlupe wie auf „Swimming In A Western Hotel“. Ry Cooder oder (zeitweise) Rainer Ptacek nicht unähnlich lassen einen Nelsons ambiente Stimmungen in Soundtrack- Gefilde abdriften. Anders als jene ist Nelson eigentlich dem Elektronisch-Experimentellen und der Clubmusik hörbar zugewandt gewesen. Hier nun klingt alles nach dem Albumtitel. Schon schön.

Beach House
„One Twice Melody”
(Bella Union/PIAS/Rough Trade)

Bei Beach House aus Baltimore schließlich prägen Victoria Legrand und Alex Scally das klangliche Raumbild. In der Tradition verträumt-entrückter Star Gazer-Bands, die niemals auf den Boden, sondern in die unbekannte Weite blicken, finden sich Beach House zwischen den ewigen Mazzy Star, Cocteau Twins, die noch teilweise auf die Schuhe glotzten, und den phantastischen King Hannah, die wiederum auch eher in die scheinbar so nahe Ferne imaginieren. Auf den ersten Eindruck fast ein bisschen arg gefällig und eingängig, sollte genauer und öfter hingehört werden. Die gebrochene Grandezza von etwa „Bloom“ (2012) oder „7“ (2018) scheint ein wenig verflogen. Der Titelsong des neuen Albums lässt sich wunderbar an einen der wolkigen Songtracks von Pan American anschließen. „Once Twice Melody“ oder „Superstar“ bleiben schon lässig spacig, fliegen für mich gleichwohl eher in Richtung blubbernder Stereolab als ätherischer This Mortal Coil dieses Mal. Im Grunde geht es hier um vier, erstmals komplett selbst von der Band produzierte EPs mit stattlichen 18 Songs. Einige der Stücke (z.B. „Pink Funeral“, „Illusion of Forever“) könnten beinahe eine/n neuen James Bond begleiten. Dieses Album drängt sich nicht auf, aber Obacht, es wächst, du solltest genau hinhören.

Fazit: Die drei Alben sind zwar keine opaken Raumschiffe (mehr), vielleicht eher Windgleiter im Vergänglichen. Das sichere Schweben macht – mal melancholischer, mal kraftvoller, mal offenhörbarer, mal versteckter – weiterhin Spaß. Ich kann nicht ganz analysieren, ob die Entwicklung an den fremden oder dem eigenen Astronauten, also mir selbst, liegt. Wahrscheinlich an beiden.

 

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