Records of the week

TikTok-freundliches mit Faye Webster & Mannequin Pussy & Yard Act

„Underdressed at the Symphony“ von Faye Webster

Ich hatte hier bei Kaput schon an anderer Stelle geschrieben, dass ich im letzten Jahr gefühlt nur Wilco gehört habe, womit ich jetzt nicht unbedingt darauf verweisen will, dass der überragende Wilco-Gitarrist Nels Cline auf Faye Websters luxuriösem “Underdressed at the Symphony” mitdudeln durfte (auch, wenn mich das sehr glücklich macht), sondern darauf, dass mir Country-Klänge mit einem gewissen Twist – ob das ein Vermischen mit einer Indie-Ästhetik oder, wie im Falle von Webster, mit loungigen/yachtigen R&B-Vibes ist – momentan sehr gefallen. Faye Webster lässt die tiefamerikanische Pedal-Steel-Gitarre in ihrer unaufgeregt coolen Musik jedenfalls ziemlich modern klingen. Dass sich darin auch der Atlanta Rapper Lil Yachty organisch einfügen kann, macht das Ganze nur noch attraktiver.

Faye Webster verzaubert mit einer geradezu stumpfen Einfachheit in ihren Akkordstrukturen sowie der dazugehörigen Fähigkeit, aus diesen Harmonien viel herauszuholen. Refrains sind in ihrer Musik meist knackige, sich endlos wiederholende Slogans und eben deshalb auch so TikTok-freundlich (was ja, liebe Kaput-Leser*innen, nicht direkt was Schlechtes sein muss), während die Bandmusiker beim Aufnehmen wohl im Kreis standen und – das ist deutlich hörbar – gemeinsam Abdriften. Dementsprechend passt der Albumtitel sehr gut: Websters Songs sind “underdressed”, also unaufdringlich und auch deshalb vielleicht so herausstechend, aber auch kleine Symphonien, also sorgfältig aufgeschichtet und schlichtweg wunderschön klingend. “Da möchte ich mich reinlegen”, meinte mein Kaput-Podcastkollege Nikolai Schirrmeister letztens über den Opener “Thinking About You”, der sich auf denkbar höflichste Weise breitmacht.

Schwächere Songs wie “Lifetime” versuchen etwas Ähnliches, verlaufen sich jedoch schneller; sie gleiten sanft und seicht ins Ohr, mehr aber auch nicht. In solchen Momenten passiert dann etwas zu wenig, sodass man sich mehr Songs wie den putzigen, knusprigen Liebes-Bänger “He Loves Me Yeah!” wünscht. Um wahre Liebe geht es hier: “He owes me money, but I let it pass”. Herrlich.

„I Got Heaven“ von Mannequin Pussy

Ein Glück, dass zwischen dem letzten Lockdown und der Veröffentlichung von “I Got Heaven” genügend Zeit vergangen ist, weil nervige Musikjournalist:innen – zu denen ich NATÜRLICH nicht gehöre – gewisse Lyrics sonst direkt mit der Coronazeit in Verbindung gebracht hätten (“Oh, it’s been a while since someone touched me”). Dabei sollte die neue Platte von Mannequin Pussy – es handelt es ich dabei um eine der energischsten und spaßbringendsten, die der amerikanische Punk in letzter Zeit hervorgebracht hat – als eine generelle Ode an das Gefühl der verzweifelten Sehnsucht gelesen werden. “I just wanted to feel human, I was starving for some touch”, singt Frontfrau Marisa Dabice in “Aching”. Oder man nehme die allerletzte, nochmal alles zusammenfassende Zeile des Albums: “I’m asking for time, I’m begging for space“.

Es dauert nur wenige Sekunden, bis Mannequin Pussy ihr Revier markiert haben. Sie sei eine Hündin, die sich selbst Gassi führt, brüllt Dabice im Opener, knurre ständig Fremde an und beiße ihnen ins Knie. Und dann weiter, im großartigen “Loud Bark”: Kein Motherfucker, der mich einsperren wollte, hat mich jemals einfangen können oder auch nur ein Halsband gefunden, das groß genug für mich war. GOD DAMN. Gleichzeitig werden in Songs wie “Nothing Like” die ausgereiften Pop-Sensibilitäten der Band deutlich, auf die sie dann – immer noch auf dem selben Album, das übrigens nur ‘ne halbe Stunde geht! – mit sprintenden Hardcore-Songs reagieren. Als würden sie sagen: “That pop stuff was fun, right? Now take THIS!”. Ein fantastisch geschriebenes, performtes und produziertes Rockalbum. Geht hart, fetzt und kommt gefährlich.

“Where’s My Utopia?” von Yard Act

Ah ja, jetzt ist der Poptimismus also auch im britischen Post-Punk-Revival angekommen. Yard Act, die sich selbst als “post-punk’s latest poster boys” beschreiben, wollen jedenfalls Hits machen, auch wenn das eher untypisch für eine Band ihrer Art ist. Kommerzieller Erfolg ist ihr großes Ziel, woran ja absolut nix verkehrt ist – aber komplett ernst ist das Ganze natürlich trotzdem nicht gemeint: “And if it’s not a hit, we were being ironic”. Frontmann James Smith ist ausgesprochen gut darin, sich selbst zu kritisieren und Hops zu nehmen, beschreibt sich also als problematisch, erzählt von Schuldgefühlen/Verlustängsten (“I was kinda doomed from the start”) und bezieht diese Gedanken auch noch auf sein eigenes Dasein als Vater. Er hatte seinem Sohn eigentlich versprochen, ihm aus jedem Tourstopp ein Souvenir mitzubringen, hat bisher aber noch keins gekauft. Um das Balancieren von Musikkarriere und Familienleben geht es auf “Where’s My Utopia”, dem neuen Album von Yard Act, immer wieder.

Klingt zwischendurch nach: dem synthy Electro-Dub der allerbesten Gorillaz-Songs; dem unrhythmischen Talk-Gesang von Mike Skinner; der raumfüllenden Gitarrenarbeit von Bilderbuch; dem Dance-Punk von LCD Soundsystem. Viel Spaß dabei!

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