Lars Fleischmann über die musikalische Fake News 7 piano sketches

André 3000  „7 piano sketches“

André 3000
„7 piano sketches“
(Epic Records) 

Wenn man wie ich das Glück hat, sein Geld damit zu verdienen, Musiker*innen bei ihrer Arbeit zu verfolgen, dann, so lässt sich bei nahezu allen meinen Kolleg*innen beobachten, stellt sich mit der Zeit eine von zwei Erkenntnissen ein.

Die eine Hälfte der Zunft wähnt sich – dank des Anschauungsunterrichts, den man quasi en passant erhalt hat – bald schon selbst in künstlerischen Gefilden. Als würde Talent und Handwerk durch bloßen Kontakt einsickern und Teil der eigenen DNA werden, raffen sie nicht nur, wie alles funktioniert, sondern denken, es selbst zu beherrschen: „I got the formula …“
Und so wird man  zu DJ-Nächten eingeladen, die vor eigenartigem Selbstbewusstsein nur so triefen. Oder man bekommt – mit  Verweis auf die vielen Stunden, die man gemeinsam in Bars und Konzerthallen verbracht hat – eine Bemusterung zugesteckt; man solle doch kurz feedbacken, wie man dieses Tandem-Projekt finde, das nun wirklich gecheckt hat, wie man die Achtziger („Bestes Jahrzehnt, kann man sagen, was man möchte“) mit modernen Produktionsmitteln verbinden könne. „Retromanie geht ja jedem auf den Zeiger“, aber „wir von Baudrillards Brother“ wollen ganz unzynisch da weitermachen wo DAF einst aufgehört haben.

Die andere Fraktion, die Loser, dort wo ich mich wähne, drohen hingegen von der Demut dem Handwerk und der Kunst gegenüber, erdrosselt zu werden. Sie sind so gelähmt von dem Gedanken, Musik sei ein durch und durch komplexes Fach, das man gar nicht durchdringen kann. Der inhärente Hass auf die eigene Talentlosigkeit ist so ausgewachsen, dass sie gelegentlich dazu neigen, auch den blödesten Kram doch noch etwas abzugewinnen: „Schau mal, der kann halt schon viele Akkorde spielen. Könnt ich ja nicht.“

Mit fortschreitendem Alter gefalle ich mir immer mehr in der Rolle des „Nichtsverstehers“. Letztens erst habe ich behauptet, dass es „zu meiner Zeit“ (zwischen 2010 und 2022) keinen unmusikalischeren DJ in Köln gegeben habe. Understatement ist eine Zierde, Selbstverhöhnung kommt dem aber manchmal auch ganz nahe.
Ich sehe und höre jedenfalls mehrfach die Woche grandiose Musiker*innen ihr Werk tun. Viele davon geradezu übertalentiert. Was ich zudem mitnehme: Zum Talent gehört auch Arbeit in Form von Proben, Üben, Feilen, Ausformulieren – und das während man auch noch ein Leben zu jonglieren hat. Von daher habe ich glücklicherweise nie gedacht, dass ich das auch könnte. Das unterscheidet mich wohl von André 3000 – das und halt alles andere, was aber hier keine Rolle spielen soll.

Dieser André 3000 – wir erinnern uns: kongenialer Partner von Big Boi bei Outkast – hat gerade  „7 piano sketches“ veröffentlicht. Mutmaßlich eine der verblendetsten Veröffentlichung des Jahres. Das Unheil nimmt seinen Lauf mit dem Opener „bluffing in the snow“. Es klimpert sofort bedeutungsschwanger los, so als sei der André einer ganz heißen Sache auf der Spur. Alternierende Akkordanschläge, schnelle Abfolge, man denke an Minimal Music oder an ein 15 Jahre altes Interview mit Strawinsky, das bei Youtube seine Runden machte. Hier sitzt der Maestro an seinem Piano und erklärt, in aller gebotener Kürze, was die Besonderheiten des „Sacre du Printemps“ („Das Frühlingsopfer“) sind.
In völliger Unkenntnis von (oder zumindest Unverständnis für) solcherlei geschichtliche Positionen, ergeben sich bei unserem genialischen Ex-Rapper aus Atlante schnelle Chordprogressions, nach 20 Sekunden löst sich das alles bereits in Wohlgefallen auf, es folgen „irgendwie jazzy“ Tonfolgen mit feiner Klinge gespielt …

Spätestens jetzt ist klar: Die Type hat wirklich nichts verstanden. Hier eine Handvoll Dekorum eingestreut, da der Versuch nochmal einzusteigen – das zieht sich auf fast drei Minuten Länge. Was aber anderen peinlich wäre, wird hier zur Blaupause für all den ganzen anderen Quatsch, der in sechs Stücken auf uns abgeladen wird.

Das alles ist, ohne lange um den heißen Brei reden zu wollen, das Pendant von Kritzeleien, die man während des Telefonierens anfertigt. Kugelschreiberschmierereien ohne Sinn – ihr Zweck ist die Zwecklosigkeit. Niemand, der noch bei Verstand ist, käme auf die Idee, das zur großen Kunst zu deklarieren. André 3000 nimmt dieses pseudo-gescheite Gekrakel nun aber doch zur Hand und sagt: Das muss in eine Galerie, weil es in seiner uneigentlichen, ungeplanten, freien Art sehr genial ist. Das ist es natürlich nicht, auch dann nicht, wenn sein Erzeuger eine der wichtigsten Revolutionäre der Rap-Geschichte war.

Ich höre schon den Einwand, dass diese Strategie auf dem völlig überteuertem Comeback-Album „New Blue Sun“ (da haben Leute tatsächlich 79,- EURO für ausgegeben; davon hätte man sich wahlweise eine Massage mit Happy End; 13 Big Macs oder eine Spende an „Omas gegen Rechts“ gönnen können) aufgegangen sei. Da habe André doch auch nur seine Flöte in den Wind gehalten und losgespielt. Ja, mag stimmen, „New Blue Sun“ besaß diese New Age-Einfachheit, die man Laraaji oder anderen Patschuli-Fürsten zu Recht hoch anrechnet. Aber der gewichtige Unterschied: Flöte kann er nach 20 Jahren Training halt auch wirklich spielen; jedenfalls soweit ich das einschätzen kann. Flötist*innen habe ich traurigerweise kaum in meinem Freundeskreis. Aber Pianist*innen, weswegen es mir leicht fällt zu sagen: „7 piano sketches“ sind keine Sketches, sind nichtmals Experimente, sondern Kräuterquark ohne Kartoffeln – witzloser Klumpatsch.

 

Die Krönung ist indes das kokett-betitelte „hotel lobby pianos“, wo der Name schon mit einem so starken Augenzwinkern daherkommt, das es leicht mit einer Bindehautentzündung verwechselt werden könnte. Jedenfalls: Mit der Geste des großen Verstehers werden „kitschige“ Klaviertöne aus den Tasten gequetscht. Da folgt eine missratene „Take 5“-Interpolation auf ein Richard Clayderman’eskes Intro – ihr versteht? An Hotel-Lobby-Pianos wird ja auch immer nur geklimpert, HaHa, Spitzenwitz!

Den Lektüreschlüssel für diese zehn Jahre alten iPhone-Aufnahmen, die ganz grobschlächtig und ungeschönt rausgehauen wurde, bietet André gleich mit; dann jedenfalls wenn er behauptet, er sei von den großen BeBop-Pianisten McCoy Tyner und Thelonious Monk beeinflusst worden. Bei Instagram schmeißt er dann noch Joni Mitchell in the mix, weil … warum nicht?

Auf gewisse Weise ist André damit ein passender Künstler für eine unpassende Zeit, wo wir täglich – primär in der politischen Sphäre – miterleben müssen, dass nichts mehr eine Bedeutung hat. Was ich heute sage, das kann ich morgen schon wieder leugnen. „7 piano sketches“ sind, so die Arbeitsthese, auch nur alternative Fakten. Die Falschbehauptung: Diese EP hat Substanz und ist künstlerisch wertvoll. Wie bei allen Fake News verfängt sich dies bei allen, die nicht aufpassen und nicht hinterfragen.

 

 

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