Ich, ein Hater?
Neulich in der Kaput Redaktion: Linus Volkmann bezeichnet mich in seiner direkten Art knallhart als Hater. Wie konnte es nur so weit kommen? Nun, der Anlass unseres Disputes war seine positive Positionierung für die Band AnnenMayKantereit.
Zwei Tage später spaziere ich mit dem A&R eines deutschen Indielabels über den Kölner Grüngürtel. Die Rede kommt abermals auf die Band. Er teilt meine Ratlosigkeit darüber, dass alle Grenzen gefallen sind und plötzlich Musik, die ganz offensichtlich mehr mit Klaus Lage oder Heinz Rudolf Kunze als mit Blumfeld oder Tocotronic gemein hat, eine Relevanz für das eigene Milieu zugeschrieben bekommt. Wobei AnnenMayKantereit nur ein Beispiel von vielen ist.
Womit wir bereits mitten drinn in der Diskussion dessen sind, was eine Begrifflichkeit wie Milieu aktuell noch zu bedeuten hat. In den letzten Jahren hat eine nicht mehr negierbare Nivellierung des Wahrnehmungsfilters in den kulturellen Medien stattgefunden. Mit dem finalen Ankommen der Meßbarkeit in der feulletionistischen Kritik kam es zur Verabschiedung von klaren Grenzzuweisungen. Plötzlich ist jedes Thema relevant, wenn es nur genügend Wahrnehmung verspricht. Dass diese Klicks nicht nachhaltig sind, und dass sie zudem – und viel schwerer ins Gewicht fallend – der Verwässerung des eigenen Profils und somit der Leserschaft zuarbeiten, wird jedoch nicht angemessen in Betracht gezogen (oder muss von Redaktionen aufgrund von Einflusslinien innerhalb ihres Verlagshauses hingenommen werden). Auf Basis der hier zugrunde liegenden, banal verkürzten Definition von Popmusik als populäre Musik wird alles zum Thema aufbeschworen, was eine gewisse Anzahl an Leuten zieht. Das mag für große Leitmedien legitim sein, und in der Tat ist es völlig angebracht, wenn ein Medium wie Spiegel Online sich einer Band wie AnnenMayKantereit annimmt, um beim Beispiel zu bleiben, zumal im klaren Bewusstsein für die eigene Rolle und mit entsprechender Distanz und Professionalität.
Wenn sich jedoch Medien, die früher viel stärker um Abgrenzung und eigenständige Profile bemüht waren, nun plötzlich an alles ranschmeißen, was ihnen kurzfristige Leser verspricht, dann wird es heikel. Ich möchte hier nicht der in den 90ern oft kritisierten Rolle der Geschmackspolizei das Wort sprechen, aber ein bisschen mehr Sensibilität für die Verantwortung von Medien bei der Definition eines Haltungs-, Wertes- und Normkontextes sollte doch nach wie vor möglich sein. Nur wenn man mit dieser herangeht, kultiviert man auch ein Milieu, das für die so wichtigen, nachhaltigen Austauschprozesse bereit ist. Denn nein, es ist nicht anachronistisch, noch an Kommunikation zu glaubt, deren Protagonisten mehr teilen als flüchtige Momente und Orte.
Das betrifft mit anderem Zuschnitt auch die Berichterstattung zum Fall Merkel versus Erdoğan versus Böhmermann. Natürlich müssen wir an dieser Stelle nicht darüber diskutieren, dass dies ein Thema war, das uns alle betrifft und dementsprechend auch verhandelt werden muss. Die Schieflage zwischen substantiell erhellenden Beiträgen, die sich mit der Rolle von Satire auseinandersetzten, die Rechtslage darlegten und Einblicke in die Winkelzüge der politischen Diplomatie gaben, und der Unmenge an trivialen Beiträgen, bei denen man sich des Eindrucks nicht erwären konnte, dass hier lediglich auf ein Klichversprechen gesetzt wird (oder im privateren Social Media Kontext den eigenen Eitelkeiten geschuldet agiert wird), sie hätte nicht größer sein können. Ich bin der letzte, der möchte, dass man gewisse Themen nur den großen Medien überlässt, aber wenn man nichts eigenes beizutragen hat, dann ist es selbst im Internet um die Zeilen zu schade.
Aber damit genug es Meckerns für diese Woche, sonst muss ich mir gleich wieder anhören ein Hater zu sein.
Hier ein paar tolle neue Songs, die ich während des Verfassens der Kolumne gehört habe:
- 18+ „Sense“ & „Gliders“ vom Album „Collect“
- Arbeit Schickert Schneider „41°“ vom Album „ASS“
- The Red Krayola with Art & Language „Why We Need Idealistic Children“ vom Album „Baby and Child Care“
- Virginia „Fierce For The Night“ vom Album „Fierce For The Night“
- Kaada/Patton „Dispossession“ vom Album „Bacteria Cult“
- Sunns „Resistance“ vom Album „Hold/Still“
- Imarhan „Addounia Azdjazzaqat“ vom Album „Imarhan“
- Cannibal „Recording of their Set at Kölnischer Kunstverein“