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Jede Woche ein Rant. Heute… Sapiosexualität

Wer in Bezug auf Internet-Humor nicht aufpasst, bleibt irgendwann vielleicht doch bei Willy Nachdenklich, oder Tattoofrei oder – WLAN, bewahre – bei dem moralischen Postkarten-Opa Barbara hängen. Um möglichst vielen dieses Schicksal zu ersparen, haben wir bei kaput keine Mühen gescheut und das Autorinnen-Kollektiv des geilsten Facebook-Portal überzeugt, uns regelmäßig Content zu überweisen. Konkret dreht es sich hierbei um Feelgood-Hass unter dem Banner “Jeden Tag ein Rant”. Bei uns läuft die Nummer allerdings nur einmal die Woche, für mehr sind wir zu alt. Heutiges Thema, dessen Hype uns ganz besonders verhasst ist: Sapiosexuelle.

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„Ich bin sapiosexuell“ hört man nun schon seit etwa sieben Jahren von Personen, die auf Poetry Slams gehen, „Hohe Luft“ lesen und Germanistik studieren. Darüber zu ranten mag vielleicht ein bisschen oll erscheinen, aber gemessen an der nicht abreißenden Frequenz von Leuten, die sich selbst mit dieser Bezeichnung auf kecke Art anpreisen und Medienberichten, die „Sapiosexualität“ immer wieder als neues Phänomen entdecken, durchaus berechtigt.

In den letzten Jahren sprossen so viele Identitätskategorien aus dem Boden, dass man kaum mehr nachzählen kann. Statt mal einen Schritt ins Undefinierbare zu wagen, sich als Individuum unter Individuen zu begreifen und zu versuchen, soziale Kategorien an ihrer Wurzel anzugreifen, schreien regelmäßig Leute auf, weil sie jetzt endlich IHRE Identitätskategorie gefunden zu haben meinen, und somit ENDLICH wissen, wer sie sind. Ob nun pansexuell, flexisexuell oder sapiosexuell – wobei letzteres auch gerne mit einem Augenzwinkern verwendet wird, um sich einfach ein bisschen wichtig zu machen und zu zeigen, wie geil sapio man selbst ist. Bei den meisten Sapiosexuellen ist es wohl eine Mischung aus beidem, die die Selbstbezeichnung hervorbringt, da diese Leute nicht wirklich fähig sind, einen klaren analytischen Gedanken zu fassen.

Das sehen sie selbst anders: „Sapiosexuelle“ fühlen sich einer jungintellektuellen Garde zugehörig, die Street Philosophy auf ARTE schaut und gerne „bei einem Glas Wein über Gott und die Welt philosophiert“.Gerne liken sie auch Seiten wie „I fucking love science“ und „Psychologische Fakten“. Sapiosexualität soll bei Dating-Plattformen, insbesondere bei OKCupid, enorm beliebt sein. Sapiosexuelle wollen andere Sapiosexuelle treffen, damit sie sich gemeinsam so richtig schön in den Himmel der Besserwisserei wichsen können.

Auszug aus einem VICE-Artikel:

„Sapiosexuell bedeutet, dass man auf intelligente Menschen steht und im extremsten Fall geht das Ganze so weit, dass man das Aussehen eines Menschen dabei der Intelligenz unterordnet. Das war zwar bei mir noch nie der Fall und ich würde auch fast meine Hand dafür ins Feuer legen, dass das niemals passieren wird, weil ich niemals einen Mann nur aufgrund seiner Intelligenz geil finden könnte, dessen Erscheinung nicht einmal annähernd meinen Vorlieben entspricht.“

Mal abgesehen von der schmerzenden Dummheit, die aus diesen Zeilen spricht, und die übrigens nichts mit dem IQ zu tun hat: Ja, es ist wirklich ein ziemlich EXTREMER Fall, wenn jemand irgendeine Eigenschaft dem AUSSEHEN, gemeint ist hier wohl eher nicht Stil, sondern die bloße Verteilung von Zellmaterial, überordnet. Heftig. Schonmal dran gedacht, dass es noch mehr Sachen geben könnte als „Aussehen“ und „Intelligenz“?
Was ist mit der Fähigkeit zur Liebe, Zärtlichkeit, Leidenschaft, was ist mit Interessen, Haltung, Nachdenklichkeit, einem Weltbild, Mut, Prinzipien? Was ist, könnte man vielleicht sogar fragen, mit kritischem Intellekt? Das alles interessiert Sapiosexuelle nicht. Es ist ihnen relativ egal, weil sie es ja selbst auch nicht haben. Hauptsache, es ist genug rohe Hirnmasse vorhanden.

Wie die jungle world schon treffend festgestellt hat, entspricht Sapiosexualität nach Horkheimer der „instrumentellen Vernunft“ und Zweckrationalität und steht so jeder gesellschaftlichen Emanzipation im Kern entgegen. Wie ein vor etwa zehn Stunden erschienener ZEIT-ONLINE-Artikel (JT1R bleibt aktuell) außerdem konstatiert, dient die Einteilung in immer kleinere (sexuelle) Identitätskategorien außerdem einfach der kapitalistischen Begehrensökonomie.

Leider sind die meisten ZEIT-Autorinnen nicht so einsichtig. Nina Pauer schrieb vor zwei Monaten:

“Franz Kafka blieb bis zu seinem Tuberkulosetod 1924 unverheiratet. Heute hätte er sich einfach eine Dating-App runterladen müssen, für Intellektuelle, die Gleichgesinnte suchen. Ihr Name: Sapio.“

Es ist nicht ganz klar, ob der dünkelhafte Ton hier ironisch zu verstehen ist (next Rant: „Ironie“) oder ob die Autorin wirklich denkt, dass Kafka so der Typ für eine positivistische Dating-App mit dem Scheiß-Namen Sapio gewesen wäre. Es ist auf jeden Fall Frevel, sowas überhaupt zu schreiben und dafür auch noch Geld einzustreichen.
An alle Sapiosexuellen: Fickt euch bitte selbst, bis es euch nicht mehr gibt.

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