Von Boateng bis Kinderschokolade – Wie klickgeiler Schönwetter-Aktivismus die AfD im Spiel hält
Der Kinderschokolade-Skandal, das Boateng-Desaster … Die Medien berichten sich halb empört, halb geisteskrank in Rage: „Rechte postulieren rechte Parole? Wir müssen noch mehr Sendezeit und Platz für deren ganzen Dreck einräumen – und hat jemand noch Screenshots von rassistischen Kommentaren von irgendwo auf Facebook? Das sind mal News! Das bringt Aufmerksamkeit!“ Linus Volkmann darüber, wie affirmativer Meinungsjournalismus jegliche Aufklärungspflicht ad absurdum führt und letztlich bloß großflächig Rassismen eine üppige Bühne bietet. Wobei das wirkliche Problem durch solche gefühligen Klick-Monster komplett ausgeblendet wird.
Es ist ja auch ein wahres Schreckgespenst: Man kommt nach einem langem Arbeitstag nach Hause. Puh, fertig ist man – und das während die Flüchtlinge die Kohle vorne und hinten reingeschoben bekommen. Aber gut, kann man nichts machen. Amerikas beziehungsweise Erdogans Marionette Merkel will es so. Na, wenigstens ist für heute Feierabend. Doch im Hausflur beim defekten Lift lungert Jerome Boateng rum, aller Wahrscheinlichkeit will er wieder Drogen verticken, kennt man ja, grüßen tut er auch nicht, wenn man ein obszönes Pfeifen und das hinterher geschobene „Brausch‘ was?“ nicht mitzählt. Grauenhafte Nachbarschaft dieser Typ. Letztens kamen sogar Gewehrschüsse aus seiner Wohnung. Während der Mittagsruhe!
Alles Quatsch? Klar, was sonst. Denn gerade zur EM dürfte sich kaum jemand universellerer Beliebtheit erfreuen als ein deutscher Nationalspieler. Und dies sogar bis in die Untiefen der AfD-Followerschaft. Schließlich befeuert den dusseligen Patriotismus nichts so sehr wie Erfolge der eigenen Nationalmannschaft. Wenn man sich Jerome Boateng also nicht als Nachbar vorstellen kann, dann vermutlich vor allem deshalb weil man sich selbst nicht als solvent genug einstuft, in seiner Hood zu leben. Realistisch.
So wundert es kaum, dass Alexander Gauland der stellvertretende Sprecher der AfD nicht mal selbst zu seiner eigenen Provokation stehen will. Der rassistische Anfall eines Rassisten kann dabei viel eher noch zur Selbstpromo genutzt werden, wenn er Parteisprecherin Frauke Petry ermöglicht, glaubwürdig zu Protokoll geben zu können, sie wolle den Spieler mitnichten sofort abschieben (Wohin auch? In seine ursprüngliche Heimat West-Berlin?). Die EM stellt eben ein völkisches Gratis-Buffet dar, darauf würde die AfD nicht ernsthaft spucken – im Gegenteil. Hier kann man sich positiv aufladen, hier kann man Fähnchen schwingend ein bisschen von dem Widerspruch zwischen PEGIDA und zurechnungsfähigem Alltag auflösen. „Schlaaaand!“ als nationaler Gleichmacher. Dennoch will der mediale deutsche Weltgeist der AfD die Boateng-Verfehlung an den überquellenden virtuellen Beschwerdepostkasten pinnen. Als wäre es überdies wirklich eine Meldung, davon zu berichten, dass AfD oder ihr Klientel sich rechtspopulistisch geäußert haben.
Was bleibt, ist die routinierte Märtyrer-Pose der Partei und die aufgeregten Medien, die zu fürchten scheinen, einen klickträchtigen Empörungs-Flashmob zu verpassen, wenn nicht auch sie hier den großen Skandal beschreien würden. Was bleibt ist so aber auch, eine rechtsoffene Partei, deren Bedeutung immer weiter hochgejazzt wird, wenn es Gauland auf die klaffenden Titelseiten der Boulevard-Medien schafft, wenn „der Fall Boateng“ in den heute-Nachrichten auftaucht oder wenn noch jeder dämliche Kommentar in einer Facebook-Diskussion zur Schlagzeile reicht. Dieser Bedeutungs-Boost, auch wenn er sich als noch so empört generiert, bekräftigt den Anspruch einer Partei, diejenigen zu vertreten, die sich in all diesen Medien nicht wiederfinden.
Dabei findet sich allerdings langsam auch kein vernunftbegabter Mensch mehr dort wieder, wenn wirklich jeder AfD-Pups zur rituellen Selbstversicherung benutzt wird. Wir hegen keine Vernichtungsphantasien gegen einen Fußballer? Wir sind Helden! Nicht, dass diese Zeilen dabei jemand falsch versteht, es geht mitnichten darum, Rassismus kleinzureden. Aber dieser ganze hysterische und letztlich komplett wohlgefällige #Aufschrei sollte sich doch besser dort entzünden, wo wirklich (Ver)handlungsbedarf besteht. Alltagsrassismen sind für Betroffene auf dem Wohnungsmarkt zum Beispiel wirklich ein riesiges Problem – dass jemand mit dunkler Hautfarbe oder mit einem Nachnamen wie Fattah dort kaum Chancen besitzt, ist Fakt. Doch um solche internalisierten Rassismen, bei denen man sich auch selbst hinterfragen muss, machen das gerechte Medien-Rudel und seine Abnehmer einen großen Bogen. Zu uneindeutig, zu unangenehm, zu wenig Chancen, sich völlig folgenlos zu profilieren.
So bestimmt dieser Random-Dreck aus den Hinterzimmern von AfD und Freunden weiter die Headlines – digital wie Print. So wird Stammtisch-Rassismus um vermeintlich ‚undeutsche‘ Kindergesichter auf Schokolade zum Top-Thema, während sich die Räumung des Lagers von Idomeni auf die hinteren Ränge der News-Wichtigkeiten verbannt sieht. Empörung selbst scheint längst wichtiger geworden zu sein als ihr jeweiliger Auslöser. Preaching to the converted als latent zynisches Popcorn-Event, das Trottelmaschinen wie die AfD nur weiter populär macht.
Wer so berichtet, der braucht sich am Ende nicht wundern, dass diese selbst inthronisierten, reaktionären Emo-Themen dann letztlich auch Wahlen entscheiden werden. Bloß zu wessen Gunsten?