Roman Lehnhof

“Ku’damm 56” – Toast Hawaii und Frauengold

Rutsch rüber, Beethoven: “Ku’damm 56” ist ein, Achtung, Sittenporträt aus der Zeit der Pop-Frühgeschichte. Wer sich für die hässliche Alltagsbühne interessiert, auf die vor sechzig Jahren plötzlich Rock’n’Roll trat, könnte an der Serie seinen Spaß haben. Wer gebührenfinanziertes Unterhaltungsfernsehen mit Informations- und Bildungsauftrag per se verachtet, muss beim Kunstfilm bleiben.

00001Berlin ist zugekleistert mit Plakaten, sagt eine Freundin, die da wohnt. Hier in Köln hingegen hat man von “Ku’damm 56” irgendwie nichts mitbekommen, es hängt nichts aus, vielleicht guckt man auch einfach nicht mehr hin. Also erfährt man auf Facebook: UFA hat eine Fernsehfilmtrilogie produziert im Auftrag des ZDF, die sich den bleiernen Fünfzigerjahren widmet (wobei ja alle Jahre auf ihre Art bleiern sind). Vielleicht ist es auch eine Mini-Serie, so genau muss man’s nicht aufdröseln. (Hier der Trailer)
“Ku’damm 56” erzählt von einer Zeit und also Welt, in der die Trümmerfrauen noch nicht alles weggeräumt haben, in der die Mauer noch nicht steht, aber schon wieder munter Kriegswaffen exportiert werden. Junge Literatur gilt darin als “Seelen-Onanie”, ein freiberuflicher Musiker als “arbeitsloser Casanova” und so ziemlich jede Singlefrau als seelenloses Heiratsvieh. Die Einrichtung dieser Welt ist also in mancherlei Hinsicht kaum entwürdigender als die heutige, nur die Requisiten sind andere: Man spürt förmlich den borstigen Flor der Cocktailsessel, die kantigen Küchenmöbel und die fünf Lagen Unterwäsche. Beklemmender als das Stützbrett unterm Resopaltisch sind aber Altnazis, Gulag-Heimkehrer und natürlich die grenzenlose Prüderie. Vieles davon zerfällt innerhalb von 275 Minuten in Rock’n’Roll-Krümel, klein wie Münzen in der Jukebox.

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Die überschaubare Ausgangslage
Westberlin 1956. Tanzschulbesitzerin Caterina Schöllack hat drei Töchter, die selbstverständlich alle unter die Haube und dann an den Herd müssen. Die brave Helga ist scheinbar gut untergekommen, wird einen vielversprechenden Juristen heiraten. Krankenschwester Eva umgarnt noch ihren deutlich älteren Vorgesetzten, den Leiter einer Nervenklinik, und zieht dabei alle Register. Nur Monika, das schwarze Schaf, will sich diesem Schicksal nicht beugen.
Monika (“Monekind”) Schöllack ist der Angelpunkt dieser Geschichte. Schöllack, das klingt schon wie Schellack, diese bleischwere Pressmasse aus der ersten Jahrhunderthälfte. Die drei Schöllack-Sisters, denen die “Gnade der späten Geburt” zuteil wurde, tragen diesen Namen genauso mit sich rum wie den ganzen anderen Familienballast der Nazizeit: einen als vermisst geltenden Vater, zwei, wenn nicht vier dunkle Geheimnisse der Mutter und natürlich den kriegsbedingten Frauenüberschuss, der den Konkurrenzdruck noch verschärft. Mitte der Fünfziger gibt es nämlich nichts Wichtigeres als eine gute Partie zu machen, und passenderweise lautet der Schöllack’sche Familienwahlspruch, im Original lateinisch: Es gibt nur einen Weg – nach oben.
Anders als ihre Schwestern will aber Monika gar nicht nach oben, sondern da, wo sie ist, erst mal nur sie selbst sein. Ermöglicht wird ihr das im keimenden Vinylzeitalter durch Pop in Form von Rock’n’Roll, diesen “Irrsinn aus Übersee”, wie die Zeitungen titeln. Frank Apunkt Schneider hat die Rolle dieser frühen Jugendmusik einmal mit einer Plattenmetapher umrissen: “Popkultur war das vielleicht wichtigste Reeducation-Programm, das die Alliierten den Deutschen auflegten. Sie überschrieb die deutsche Kultur und entfremdete die Kids von Scholle und Volksgemeinschaft.” Monika entfremdet dieses Programm vor allem von Zucht und Ordnung und dem damit verbundenen Körperbild.

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Keine Feelgood-Saga
Monika, frisch von der Hauswirtschaftsschule geflogen, muss sich ihre Körperlichkeit nicht erarbeiten, die bringt sie bereits mit (“Leibesertüchtigung: sehr gut”). Was sie sich erkämpfen muss, ist Bewegungsfreiheit. In der Tanzschule “Galant”, wo jeder Kurs auch ein Benimmlehrgang ist, werden die Schritte der “Negermusik” nämlich nicht gelehrt – schon Rumba und Mambo gelten Mama Schöllack als “obszöne Balztänze”. Monika muss sich deshalb nachts die Freiräume schaffen, die man ihr tagsüber zusperrt. Mit viel Körpergefühl spielt diese Rolle Sonja Gerhardt, die selbst versiert ist in Ballett und Jazzdance, was man auch jeder ihrer Posen anmerkt. Das gilt übrigens für viele Darstellerinnen und Darsteller in dieser Serie. Autorin Annette Hess (“Weissensee”) hat für sie keine reine Feelgood-Saga zum Mitwippen aufgeschrieben, sondern beschreibt konzentriert und überzeugend ein sittlich-familiäres Korsett, das in erster Linie die Körper einschnürt. Nur so gelingt es ihr, Jugendkultur als Gegenthese zu plausibilisieren, und das fast ohne Tagespolitik. Dabei steigert sich die Serie von Episode zu Episode. Aber wo ist der Haken?

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Trauma versus Pragmatismus
Zwei Dinge fallen auf: Diese Familiengeschichte, die zentral eine Frauengeschichte ist, braucht mehr Zeit – Erzählzeit und erzählte Zeit. In dreimal anderthalb Stunden müssen nämlich alle Charaktere notwendigerweise etwas überprofiliert werden, damit die Figuren abgrenzbar und also lesbar bleiben, wir sind hier immer noch im Fernsehen. Den gängigen Cheese wird man auch nicht völlig los, natürlich gibt es verträumte Gespräche vor Sternenkulisse und zentral gefilmte Schockmomente mit Blick in die Kamera, die aber irgendwie verpuffen. Naja, eigentlich nur einen, siehe Trailer. Das alles ist verschmerzbar. Eher irritieren ein paar Story-Entscheidungen. Da unternimmt jemand zwei Suizidversuche, um die sich niemand langfristig schert. Da wird eine junge Frau vergewaltigt und schläft ein paar Wochen später unbeschwert mit einem Freund, nicht ohne vorher eine frivole Bemerkung über ihre Erfahrung abzulassen. Wirklich grotesk wird es, wenn sich der Täter – jetzt aber wirklich ein Spoiler – für einen oberflächlichen Messerstich in den Bauch bedankt, seinen Lieblingspulli betrauert und unbekümmert die Szene verlässt, vor lauter Zeugen und ohne irgendein Nachspiel für irgendwen. Ist das noch Überzeichnung oder hat da jemand ins Buch gepfuscht?

Die zaghafte Annäherung jedenfalls, die sich im Folgenden zwischen Vergewaltiger und Vergewaltigter zuträgt und von der ich immer noch nicht weiß, ob sie nicht doch einer historischen Lebensrealität geschuldet ist, lässt sich auch als Pragmatismus kaum erklären. Dieser Irritation stehen aber viele starke Momente gegenüber. Ganz oft fühlt sich “Ku’damm 56” nämlich, Achtung, einfach richtig an. Tanzszenen wirken nicht aufgesetzt, Brüste nicht wie Titten und Rempelsettings wie der überfüllte Rock’n’Roll-Club “Mutter Brause” nicht wie die üblichen Jugendclub-Abziehbilder. Wenn man nämlich vorher zwei Stunden lang ziemlich viele ziemlich steife Menschen in ausladenden Räumlichkeiten gesehen hat, kommen einem die dichtgedrängten Youngster im ersten Augenblick, ja, wie soll man sagen, ziemlich krass vor, fast hyperreal.
Manchmal blitzt auch kurz die Pop-Gegenwart auf, etwa dann, wenn die Tanzschulband endgültig durch eine Jukebox ersetzt wird. “Überall wird nur noch Konserve gespielt”, nörgelt der Bassist dann und klingt dabei wie ein Schallplattenunterhalter 2016, dem der ganze Traktor-Spökes noch immer nicht geheuer ist. Überhaupt sind viele Wortwechsel gelungen, etwa jener, in dem der ehemalige KZ-Arzt beim Abendessen auffällig beiläufig von seinen Menschenversuchen berichtet, und Eva (“Evikind”) Schöllack zunächst schleimt: “Das ist Vergangenheit”. Und der Arzt sagt: “Ja, aber wir haben sie gemacht.” Und Eva entschieden entgegnet: “Ich nicht.”

Erzähl doch mal
Wer also sollte “Ku’damm 56” gucken? Alle natürlich – die Dabeigewesenen erinnern sich an Toast Hawaii und den Stimmungslikör Frauengold. Jene, die sich rein altersmäßig am ehesten in den Figuren wiederfinden, dürften das Anschauungsmaterial aufschlussreich finden, und alle dazwischen haben endlich mal einen guten Grund, bei Oma oder Mutti anzurufen. Diese Rechnung, Fernsehen für alle zu machen, könnte aufgehen: “Ku’damm 56” ist weder anbiedernd harmlos noch anstrengend missionarisch, und macht genau deshalb neugierig. Egal, wieviel man über diese Zeit zu wissen glaubt, irgendwie will man das Gesehene persönlich überprüfen: Erzähl doch mal. Wie war das bei dir? Wie schmeckt denn “Frauengold”? Völlig zurecht spiegelt sich das auch in den Quoten wider. UFA sieht die Trilogie schon in Cannes. Und natürlich muss es eine Fortsetzung geben – was für ein Unglück, würde man die vielen offenen Handlungsstränge nicht auflösen. Die neuen Folgen guck ich dann mit Oma. Hallo Oma, viele Grüße!

“Ku’damm 56” lief im ZDF vom 20. bis 23. März 2016. ZDFneo zeigt am Samstag, den 9. April, noch einmal alle drei Teile hintereinander. Derzeit ist die Serie noch in der Mediathek verfügbar:

Teil 1: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2668068/Ku%2527damm-56-%2528Teil-1%2529

Teil 2: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2668064/Ku%2527damm-56-%2528Teil-2%2529

Teil 3: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2670854/Ku%2527damm-56-%2528Teil-3%2529

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