Kolumne

Was spricht eigentlich überhaupt für Progrock?

Unsere Gastkolumne kommt heute von dem Musiker, Mensch, promovierten Chemiker und Kaffee-Enthusiast Daniel Rapoport. Es geht um das alte Weltenthema Progrock. Aufhänger sei ihm der zweifelhafte Genuss des neuen Albums von Porcupine Tree gewesen, so hört man. Viel Spaß!

Also: Einige meiner besten Freunde sind Progrock, aber. Auf der Habenseite der Progrocker schätze ich einmal die grundsätzliche Haltung, Musik als Kunst und Kunst ernst zu nehmen. Progrocker sind immer ambitionierte Leute. Ich liebe die Ambitionierten, ich mag Leute, die was wollen. Ich bin auch d’accord damit, dass man Musik und Kunst ernst nehmen und sich mühen soll. Nicht nur handwerklich mühen, sondern auch um Innovation, in der Form, im Arrangement, im Klang, in allen musikalischen Belangen. Ernst nehmen also nicht nur als eine Fertigkeit, die man vor allem üben muss, sondern auch als eine Sache, über die man viel und gründlich nachdenken sollte.

Ich hänge da einer (moderaten) Form von Avantgardismus an. Man muss nicht alles erneuern wollen und alle Grenzen sprengen, aber hier einen Schlagbaum öffnen, dort eine Linie anders ziehen, dafür kann ich mich immer begeistern. Es gibt ja diesen ungefähren Divide zwischen denen, die eher reproduzieren und denen, die innovieren. Reproduzierer, dass sind zB. die Blueser, die Rocker, die klassischen Symphonieorchester und Solisten (in der Regel), Schlagersänger, Rapper, Techno-DJs usw. — eigentlich alles, was genregerecht angefertigt wird.

Innovateure hingegen sind die Leute, die das Genre selbst formen oder mal geformt haben oder so entscheidend erweitert haben, dass das Genre ohne sie fast undenkbar ist. Sie haben alle was für sich, ich kann beide wertschätzen und lieben, die Innovateure und die Reproduzierer. Aber, wenn ich ehrlich bin, dann gilt den Innovateuren meine heimliche Liebe. Auch wenn ihre Musik oft nicht ganz so süffig ist, wie die der Reproduzierer. Deswegen müsste Progrock eigentlich genau mein Ding sein. Tja. Müsste, müsste, Fahrradkette.

Progrock jetze: Ich bin da absolut kein Auskenner, ich bin nur in den vielen Jahren meines Musikhörens und -machens immer mal den Ratschlägen meiner progrockigen Kumpelz gefolgt und hab (früher) mal King Crimson, mal Yes, mal (more recently) Tool oder Muse oder Mars Volta durchgehört. Und jetzthin die letzte Porcupine Tree (die auch Anlass für dieses Rambling ist).

Und immer wieder, jedesmal: Seitdem ich weiß, dass es sowas gibt wie Progrock, entsteht mir der Eindruck eines scheiternden Wollens, einer Innovation, die keine ist, aber so gern eine wäre. Eines letztlich langweiligen, überambitionierten, technikverliebten und am Ende unmusikalischen Gezadderes. Und es verwundert mich. Jedes mal aufs Neue. Warum kann mir das nicht gefallen? Wo läuft das immer schief? Was stimmt nicht mit mir? Warum scheint mir das alles so freudlos und bräsig? (Gibt paar Ausnahmen, aber die letzte Porcupine Tree hat eben wieder diese Frage aufgeworfen.)

Das wollte ich immer schonmal rausbringen. Ich könnte auch die Achseln zucken und es links liegen lassen. So wie Schlager oder Elektro und anderes Zeug, das mir eh nicht viel sagt. Denk ich auch selten drüber nach, warum es mir nicht viel sagt (sollte ich vielleicht). Das spezielle Dilemma bei Progrock ist eben, dass ich den grundsätzlichen Anspruch durchaus teile. Ich mag auch generell den Sound von verzerrten Gitarren und ich steh auf Klangexperimente oder rhythmisch Verworrenes.

Ich hab zB jede Menge heiße Liebe zur klassischen Moderne, meine große Komponisten-Helden-Troika heißt Stravinsky, Prokofjev & Schostakowitsch. Ich liebe viele Formen des Jazz und selbst im Pop kann ich die Innovateure oft gut leiden. Ich geh auch sehr gern zu Konzerten von eher outlandishem Zeug wie Melt Banana oder Merzbow und bin amüsiert oder verblüfft oder tief beeindruckt. — Es ist, will ich nur andeuten, nicht das Streben nach Avantgarde oder Innovation, das ich zwar vielleicht dem intellektuellen Anspruch nach lieben würde aber dann aus der Nähe und in Wirklichkeit nicht genießen könne. Doch, kann ich. Es scheint nur eben, dass ausgerechnet Rock sich nicht für diesen Anspruch eignet. (?) Rock mit avantgardistischem Anspruch, das kann eigentlich nur Scheiße werden. That’s the conclusion. But why? Warum geht das mit allen möglichen Genres, aber nicht mit Rock?

Es gibt einige Erklärungen: Zum Einen kann es sein, dass die Hörgewohnheiten nicht mitmachen wollen. Zu tief ist sozusagen das thermodynamische Minimum, das durch die Liturgie des klassischen Rock erzeugt wird. Es gibt ein Optimum, wie Rock strukturiert sein und klingen müsse und das isses eben. Die Frage wäre dann, warum ich diese Regeln so hart verinnerlicht hätte, nicht aber die Regeln für Kammermusik, Pop, Jazz etc?

Eine andere Idee wäre die, dass Rock vor allem LAUTE Musik ist. Das ist meine bevorzugte Theorie. Also die ästhetische Hauptwirkung von Rock kommt einfach daher, dass es eine Art Überwältigungsmusik ist. Rock ist wesentlich dyonysisch, also eine Musik, deren Ziel Rausch, Entgrenzung, Ekstase ist. Und das geht ganz offenbar in der Intention nicht zusammen mit irgendwelchen apollinischen Ansprüchen, wie rhythmischen Finessen, Soundspielereien und wasweissich. Rock muss eben auf die zwölf. Es gibt sicher ein bisschen Leeway in die eine oder andere Richtung, aber am Ende muss es das dyonysische Moment erzeugen, sonst isses halt Rock, der verkorkst ist.

Das Gleiche — an den Rand notiert — gilt für IDM. Techno ist auch so eine wesentlich dyonysische Musik. Diese ganzen Frickler und Modularsynth-Bastler — das ist zwar ganz hübsch und detailverliebt und wenn man ein bisschen Ahnung hat, findet man auch an den interessanten Details Freude — aber letztlich ist das Nerd-Zeug, das den eigentlichen dyonysischen Zweck dieser Musik verfehlt. Ich will den Leuten, die zu Hause mit teuren Kopfhörern oder Studio-Monitoren irgendwelche IDM-Sachen hören absolut nicht ihren Spaß absprechen (wie auch nicht den Progrockern), aber mir scheint das eben alles sehr verkopft, bisschen langweilig und letztlich eben nicht emotional bewegend und schön.

Das mit dem emotional bewegend muss ich aber für mich eh einschränken: Es gibt so gut wie keine elektronische Musik, die mich je wirklich emotional bewegt hätte. Dann schon eher Progrock. Das liegt wahrscheinlich an dieser (esoterischen?) Idee, dass man eben doch hört, wenn einer ein Instrument spielt (und sogar noch singt), weil der Instrumentalist sich sehr viel unmittelbarer und unendlich feiner nuanciert auf seinem Instrument ausdrücken kann und das sich eben auf die Emotionen des Zuhörers überträgt.

Ich will diese Idee aber nicht strapazieren. Vielleicht kenne ich einfach nicht genügend elektronische Musik. Möglicherweise gibt es Zeug da draußen, bei dem ich weinen muss, wie bei einer Mahler-Symphonie. Ist mir halt nur nicht untergekommen. Die interessanteste IDM-Musik, die ich kenne, macht eher Ausflüge in das, was klanglich möglich ist. So wie Maler ohne ‚h‘, also Pinselschwinger, die auf der Suche nach einer Farbe sich begeben, die das menschliche Auge noch nie gesehen hat. Ich meine, das ist ja vielleicht interessant, aber ein grosses Gemälde wird dabei vermutlich nicht entstehen. So ungefähr ist mein Verhältnis dazu.

So stehe ich also mal wieder vor dem Progrock und weiss nicht, warum ich das alles so schade finde. Das geht nun seit bestimmt dreissig Jahren so. Immer wollen die was ganz Grosses, sind technisch unfassbar gut und geben sich alle Mühe der Welt um Kunst zu erzeugen. Nur bei mir kommt immer Wunst an und ich weiss nicht, warum.

Die andere (schlechtere) Erklärung, die ich dazu habe, ist die, dass mir das alles zu ernst ist. Also in der Attitüde der Musiker. Unser Bassist Heino sagt immer, die spielen nicht für die Musik, sondern für die „Musiker-Polizei“ im Publikum. Mag sein.

Man kann jetzt zB. mit Zappa kommen und sagen, WIESO ERNST, hehe, WHATEVAR HAPPENED TO ALL THE FUN IN THE WORLD!!! Aber auch Zappa hat das ja alles ausnotiert und es war ihm letztlich sehr ernst mit seinen Noten. Ich meine, das spürt man schon. Miles Davis hat gesagt „I play it now and I tell you later what it is“ — und Zappa kehrt das genau um: „I tell you what it is now and you play it later“. Soll heissen, er hat das selbe Klangerlebnis herstellen wollen, wie beim Jazz — komplexe, polyphone, polyrhythmische Musik — aber auf genau umgekehrte Art und Weise. Beim Jazz kommt das Meiste aus dem Moment (Jazz = Rhythmus + Improvisation), bei den Progrockern (ich verallgemeinere mal) wird die selbe Sache so einstudiert und ausnotiert, dass sie zu einer präzise wiederholbaren, abrufbaren Sache wird.

Vielleicht ist das mein Problem. Die Emotionalität der Musik soll sozusagen eingefroren und „technisch reproduzierbar“ (hehe) gemacht werden. Sowas funzt bei mir halt nicht. Das wird mir schnell formelhaft und hohl. Musik ist für mich auch immer was unperfektes, spontanes und unmittelbares. Sowas wie ein kleines Zittern in der Intonation oder ein Kiekser in der Trompete oder eine Heiserkeit in der Stimme usw. Natürlich in der Regel vor dem Hintergrund eines guten Vortrags.

Aber das wirklich Perfekte wirkt schnell abgewichst und professionell im schlechten Sinne. Ich hab mal Tower of Power gesehen, das war so ein seltsam kaltes Konzert trotz allem Funk und WHAT IS HIP undsoweiter. Nix für mich. Ich war immer auf der Seite von Parliament… Worauf ich hinaus will: Progrock hat vielleicht auch sowas wie ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil das Ganze übers Ziel hinaus schiesst. So, wie Zappa sozusagen den ultimativen Jazz machen wollte, indem er alles haarklein ausorchestriert hat und eben dadurch den Jazz aus seiner Musik rausgetrieben hat, so treibt Progrock möglicherweise ganz generell den Rock aus seiner Musik. Vielleicht so?

Am Ende ist das alles mal wieder sehr unbefriedigend. Ich mag Progrock eben nicht so richtig und kann nur ungefähr begründen, woran das liegt. Schon allein deshalb werde ich mir diese Scheiß-Porcupine-Platte doch nochmal anhören. Vielleicht verstehe ich ja am Ende doch noch, warum sie so schlecht ist.

Text: Daniel Rapoport

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