“OPEN YOUR MIND AND YOUR TROUSERS TOO”
SCHELM HANS PETER “H.P.” BAXXTER WIRD 60 UND VERÖFFENTLICHT HEUTE MIT SEINER BAND “SCOOTER” EIN NEUES ALBUM, DESSEN COVER EIN WEIBLICHER UNTERLEIB MIT OFFENER HOSE ZIERT. ACCESS ALL AREAS. AS IF ROW ZERO NEVER HAPPENED.
Hans Peter war früher wie viele andere seines Jahrgangs. Damals hießen die meisten Thomas, Christian, Jörg oder Jens und man mochte sie irgendwie. Sie verarschten dich zwar wegen dem Pickel an deinem Kinn, wollten aber abends vielleicht mal mit dir ins Kino. Oder ins Tourneetheater in Leer, weil sie glaubten, das würde dich interessieren. Herbert Herrmann und so. Den kannten sie aus dem TV, weshalb der ihrer Meinung nach gut sein musste, in seinem Beruf. Sonst wäre er ja nicht im Fernsehen. Natürlich ein Missverständnis. Also nicht das mit Herbert Herrmann, sondern das mit dem vorausgesetzen Interesse an Boulevardstücken in der Stadthalle, nur weil man im Schultheater mitmachte.
Die Jungs waren immer gut gelaunt, ein bisschen zu frech aber zuverlässig und im Grunde gutmütig. Ihre Mütter sorgten für alles. Die Söhne trugen schwarze Aktenkoffer zur Schule, in denen waren Brotdosen mit Teewurst-Schnitten drin. Und eine Dose Mezzomix. Ihre Witze waren laut und zotig. Im Vorbeigehen klauten sie den Stift aus deiner Hand. Sie mochten Pullis von Hans Mundhenk und Hosen von Fiorucci.
Die gab’s zu Weihnachten.
Hans Peter, anfangs wie gesagt einer von ihnen, probierte irgendwann neue Klamottenstile aus.
Da war er 16 und ein Träumer, aber seine Träume hatten Hand und Fuß.
Nach den Sommerferien betrat er seine Klasse in Sachen, die er sich aus englischen Musikzeitschriften abgeguckt hatte. Er wollte endlich aussehen wie jemand, den er toll fand.
Wen er toll fand, wechselte zu Beginn seiner Verwandlung oft, aber schließlich hatte er sich auf Dave Gahan eingependelt. Oder, noch gewagter, auf irgendeinen anderen Briten, der Make Up trug und spektakuläre Frisuren. Er war damit etwas spät dran. Rückblickend ist es schwer zu sagen, was er sich so vorstellte, wem er wirklich nacheifern wollte.
Aber anders sein.
Bei was Neuem dabei sein.
Endlich Abgrenzung.
Raus aus Ostfriesland.
Die ganze diffus angedachte Sache durchziehen.
Gegen Wünsche und Pläne war ja nichts zu sagen.
Bald, so vermutete er zuversichtlich, würden ihn die Kleinstadtgirls mit ihren naiven, neugierigen Blicken verschlingen. Er jobbte für die Firma seines Papas und kaufte sich schließlich einen DX7. Er verstand jetzt Musik als seine Zukunft. Gerade auch wegen der Klamotten. Und der Bühne. Und den Mädchen.
Thomas, Christian, Jörg und Jens musste er hinter sich lassen. Sie konnten ihn nicht mehr verstehen. Der Neue an seiner Seite hieß nun Rick. Der kannte sich mit Synthesizern aus.
Mit Mädchen kam Hans Peter eigentlich gut klar. Allerdings mussten sie lustig sein. Und trinkfest. Und sehr hübsch. Und sie durften nicht so viel reden. Seine Begleitung sollte schon was hermachen, aber seinen eigenen Glanz dadurch lediglich ergänzen, nicht überstrahlen. Wozu sonst die ganze Anstrengung jeden Tag vor dem Spiegel, wenn Nicole, Angelika oder Sabine sich nicht auch ein bisschen unterstützende Mühe machten. Ein Attraktivitätsgefälle zwischen ihm und ihnen durfte es nicht geben. Gepflegt mussten sie sein, die Mädchen. Und gut riechen. Auch später noch, in der elterlichen Dachkammer mit der getäfelten Schräge. Er stimmte seine Garderobe vor dem Ausgehen mit der jeweiligen Gefährtin ab. So hatte er alles unter Kontrolle, denn das mit der Kontrolle war ihm schon damals wichtig. Klare Ansagen. Einer musste ja schliesslich die Richtung vorgeben.
Seine Looks verfeinerte er immer mehr. Auch seinen Tanzstil. Im Keller der Eltern wurde geprobt, ordentlich was auf englisch weggetextet und an den Reglern gedreht. Freund Rick und seine Schwester Britt mussten mitmachen.
Nach dem Abi dann ab in die große Stadt. Loslegen. Sich anbieten. Hinein, in die schimmernden Hochhäuser mit den Plattenfirmen drin. Heran an die Bestimmer und Strippenzieher. Es bringen. Sich einen neuen, aufregenden Namen zulegen. Britt hatte allerdings bald keine Lust mehr und stieg aus. Man biss sich zu zweit durch, der Rest ist Geschichte.
Das alles ist lange her.
Und jetzt?
Wo steht Hans Peter jetzt, nach 37 Jahren im Geschäft? Hamburg. Berlin. St. Petersburg. Holland und Skandinavien. Erfolg- die warme Woge aus süßem, bunten Schaum. Man möchte da nicht mehr raus. Es muss immer weitergehen. Das Geld. Das viele Geld. Und all die Menschen. Männer und ganz besonders auch Frauen. Die brodelnde, brüllende Menschenmasse als Kulisse für ihn. Die hat er sich ganz alleine aufgebaut, daran glaubt er fest. Weil er sein Gehirn angewendet und Musiker benutzt hat, die den Weg bis heute mitgehen. Seinen Weg. Dafür hat er ein Händchen und auch für Worte. Die schreit er heraus. Das fällt ihm nicht schwer, weil er sowieso immer laut spricht. Fast kommt es ihm sogar so vor, als könne jeder seine Gedanken durch die hanspetersche Schädeldecke hindurch hören. Sie dröhnen zwischen seinen Ohren, wollen natürlich raus. Eine einzige Druckwelle aus Ideen. Ein humorvolles, ironisches Geschenk für die Menschen da draußen.
So sehen das mittlerweile auch die Leute aus den Feuilletons.
Was kaufen. Ein Haus. Viele Häuser. Und Autos. Und Alte Sachen. So von früher.
Die Frauen für den Hintergrund kommen jetzt aus Amerika und können tanzen, denn das haben sie gelernt. Sie üben in der leeren Halle, lange bevor er dort eintrifft. Später sollen sie hinter oder neben ihm stehen, auf hohen Absätzen hüpfen und noch später mit ihm ausgehen.
Nach der Show gilt Clubpflicht für alle!
Darauf kann Hans Peter bestehen, denn er bezahlt ja dafür.
Auch er sucht, wie jede:r, die Liebe.
Er ist schnell begeistert und setzt das umgekehrt auch bei den Frauen, die er anspricht, voraus. Die bleiben immer gleich alt, während er jedes Jahr Geburtstag haben darf.
Hans Peter hat das verletzliche Herz eines 15 Jährigen aber das mag er nicht so zeigen.
Wenn es wieder mal aus ist, zeigt er Härte. Abhaken. Es muss ja weitergehen. Nächstes Album. Neue Freundin. Antike Bilder für die Eingangshalle der Villa kaufen. Die müssen gerade hängen. Dafür muss jemand sorgen.
Aber zur Zeit ist alles gut. Er ist 60 und seine schöne Verlobte 22. Sie versteht ihn blind. Es soll diesmal für immer sein und Hans Peter will sofort ein Kind. Das hat er der großen Zeitung gesagt. Es wird Zeit. Nachts denkt er nun allerdings oft darüber nach, was er in Zukunft mit all den anderen Optionen nach dem Konzert, im Hotel, anfangen soll. Sausen lassen? Beichten und hoffen? Nur noch so tun als ob, für’s Image?
Trotz seines Alters steht er halt noch voll im Saft … Ihre Vorgängerinnen hatten ja leider auf Dauer kein Verständnis für ihn und seine natürlichen Bedürfnisse. Oder nur bedingt.
„Open your mind and your trousers too“.
AAA, steht auf dem Pass am Hosenbund.
Flacher Bauch in enger Jeans. Der Reißverschluss wurde schon halb geöffnet. Das macht dann auch gleich weniger Arbeit.
Hans Peter hält das neue Album-Cover für eine witzige, lockere Idee. Hahahaha. So Mick Jagger-mässig. Come on, der war ja auch nicht von schlechten Eltern und niemand hat sich je beschwert. Sie wird Augen und Ohren verschließen und an das viele Geld denken, während sie zu Hause auf ihn wartet. Davon ist er jetzt gerade wieder überzeugt und das beruhigt ihn. Ein Stück weit.
Leer in Ostfriesland hat so gar nichts mit dem Berghain seiner Seele zu tun.
Aber es ist immer noch da, in seinem Schädel, in dem sich jetzt gerade wieder ein wahnsinniges Tohuwabohu abspielt. Ständig muss er dagegen ankämpfen. Das ist so anstrengend. Manchmal wird ihm das alles zu viel. Kater Blau, du geile Sau, denkt er nun oft, und: Macht euch doch mal locker, früher haben das doch alle auch nicht so eng gesehen. Das war doch gerade das Versprechen. Damals haben die Frauen auch weniger geredet. Und gedacht.
Hans Peter will behalten, was ihm zusteht. Er hat es sich verdient.
Genau wie Till.
Und all die Anderen.
Er ist ein Mann mit Lockstoff am Körper dran.
Sein Pheromon heißt Hyperhyper.
Und Howmuchisthefish.
Das denkt Hans Peter.
Noch.