Record of the Week

Alvvays “Blue Rev” / Sorry “Anywhere But Here”

Alvvays
“Blue Rev”
(Polyvinyl/Transgressive)

Der ultra-melodiöse, trotzdem aber schmalzfreie Indie-Rock von Alvvays war immer schon, zumindest in ihren besten Songs, übersäht von diesen winzigen Momenten, die einem als Hörer das Gefühl geben, dass kein anderer sie wahrnimmt – so als hätte man gerade eine herausragende Entdeckung gemacht (selbst wenn’s natürlich nicht so ist). Ich denk da beispielsweise an den 2014er Song “Dives”, der zwischendurch ganz unaufdringlich in einen 6/4-Takt wechselt. Oder an “Dreams Tonite” vom zweiten Album “Antisocialites”, in dessen Refrain auf subtile Weise mit der gegebenen Akkordfolge gespielt wird. Sind nur Kleinigkeiten, klar, machen einen guten Indie-Song aber zum fantastischen Indie-Song.

Wichtig anzumerken: Bei Alvvays ging es in erster Linie um Kleinigkeiten im Songwriting und, jedenfalls früher, eher weniger in der Produktion. Die Tatsache, dass auf ihrer dritten LP “Blue Rev” gleich beides – also der Sinn für Details in Songwriting und Produktion – auf ein überwältigendes Level gehoben wird, macht die Platte zu einem kleinen Wunder. “Blue Rev” ist ein Album voll von Klischees, die komplett klischeefrei verwendet werden (der Tonartwechsel am Ende von “Belinda Says” oder die schimmernden 80er-Synths in “Velveteen”); von zitierwürdigen Lyrics (“He’s a very online guy/He types his cool replies/He’s incredibly animal”); von Gesangsmelodien, die so verdammt catchy sind, dass sie einem fast schon bekannt vorkommen. Aber eben auch nur fast.

Bestimmt auch durch die Hilfe des sehr von mir geschätzten Produzenten Shawn Everett (man höre seine ebenso organisch wie modern klingenden Mixe auf Alben wie „Sound & Color“ von Alabama Shakes oder „Golden Hour“ von Kacey Musgraves) ist diese Musik – ihre erste seit 2017 – so großartig geworden. Voller, härter und lauter ist alles im Vergleich zu älteren Veröffentlichungen der Kanadier. Auch wenn die Gitarren manchmal noch in Jangle-Pop-Manier à la Johnny Marr vor sich hindudeln (z.B. in “Pressed”), könnten sie dieses Mal auch von Shoegaze-Legende Kevin Shields beigesteuert worden sein. Denn Alvvays haben mittlerweile festgestellt, dass sich eine E-Gitarre eigentlich noch viel besser anhört, wenn man sie voll aufdreht. Ähnlich so, wie sich eine Stimme eigentlich noch viel besser anhört, wenn man sie voll ausreizt. Sängerin Molly Rankin zieht hier jedenfalls alle Register.

Eine ziemlich stumpfe Beobachtung noch zum Schluss: Meine Lieblingsmomente sind aus irgendeinem Grund die, in denen (quasi) der Bandname gesungen wird. Wie in “Easy On Your Own?”: “‘Cause we’re always/Crawling in monochromatic hallways”. Oder im Refrain von “Bored in Bristol”: “Always waiting”. Keine Ahnung, warum ich das so mag. Ist ja auch egal. Bezauberndes Album.

Sorry
“Anywhere But Here
(Domino)”

Schon in den ersten Zeilen auf “Anywhere But Here”, dem zweiten Studioalbum des britischen Quintetts Sorry, wird die Thematik der Platte auf fast schon unverschämt direkte (und bestimmt auch ironisch gemeinte) Weise klar gemacht: “I Love You/I Wanna Tell You I Love You/Cause I Love You”. Keine besonders originelle Thematik, ist aber nicht schlimm. Liebe ist toll. Vor allem wenn sie durch pulsierende Bässe, Disco-Drums und mit einer so freshen Stimme wie der von Asha Lorenz vermittelt wird. So weit, so gut.

Der dazugehörige Song auf “Anywhere But Here” heißt “Let The Lights On” und ist der beste des Albums, weil er etwas anders gestaltet ist als alle anderen Songs. Und anders gestaltet bedeutet in diesem Fall, dass er noch am ehesten an das schepperndere, groovigere Debütalbum der Band, “925”, erinnert. Damals (genauer: vor zwei Jahren) war die in erster Linie “coole” Musik von Sorry knackiger zurechtgemacht, voller Humor (“I never really thought about you in your underwear, cause I didn’t really care what was under there”) und plötzlicher Brüche – fast so, als hätte sich die Band zuerst live aufgenommen und diese Soundschnipsel im Anschluss digital zusammengeklebt. Klang super.

Wenn überhaupt schließt jetzt nur noch “Let The Lights On” an diese originelle Ästhetik an, während fast der gesamte Rest der neuen Platte einen eher farblosen Eindruck macht. “There it goes/The life I knew so well/The life that split my heart in two”, singt Zweitsänger Louis O’Bryen in “Tell Me”, kann den intendierten Liebeskummer aber nur bedingt rüberbringen. Irgendwas in der musikalischen Gestaltung fehlt. Der Track hat gefühlt sieben verschiedene Parts – alle davon sind clever komponiert und miteinander verflochten –, doch als Sorry auf ihrem Debüt den Klassiker “Mad World” zitierten (zumindest so halb: “I’m feeling kinda crazy, I’m feeling kinda mad/The dreams in which we’re famous are the best I’ve ever had”) und gleichzeitig diverseste Sounds in einen kochenden Mischmasch-Topf warfen, hab ich dabei weitaus mehr gefühlt.

Ähnliches gilt zum Beispiel  auch für “There’s So Many People That Want To Be Loved”: Die in den Lyrics angedeuteten Bilder der Einsamkeit – der eigene Hund als einziger Freund; auf dem Friedhof herumirren wie Astronauten im Weltall; ausgefallene Socken als Schrei nach Aufmerksamkeit – funktionieren super, doch der wärmere Klang von “Anywhere But Here” steht der Band schlichtweg weniger als der postmoderne Ansatz auf “925”. Ich bin eigentlich immer für Veränderung, aber diese Songs nochmal im Gewand des ersten Albums: Das wär was.

 

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