Record of the Week

John Cale “M:FANS / Music For A New Society“

John CaleJohn Cale
M : FANS / Music For A New Society“
(Double Six / Domino)

Die Musik für eine neue Gesellschaft war kaputt.

Geschafft von ihrem Weg und noch lange nicht am Ende des Tunnels, in dessen Licht es sich möglicherweise gut leben ließ, funkte sie John Cale auf störanfälligen Frequenzen in eine Welt, deren König David gerade auf Abwegen war, mal mit Queen, mal mit Brecht, kaum persönlich anwesend, aber doch omnipresent. So klang 1982 fast alles nach seinem Aufbruch. Im Reigen der Träume glamouröser oder schwärmerisch fordender Popmusik kehrte der Thin White Duke, aufgepäppelt von einer Disco-Funk-Diät zurück, ein „Lexicon of Love” unter dem Arm. Anderswo zog burleske Dunkelheit durch den klapprigen Restbestand der Rockmusik. Hier tanzte Ziggy Stardusts Wiedergänger durch die letzte, nun von Fledermäusen bevölkerte Version des “Nightclubbing”. Wo etwas abseits rhythmisierte Elektronik an einer neuen Zukunft bastelte, passierte das ebenfalls im Namen des auf die Erde Gefallenen. Allein Rap und der bitter zarte Singer-Songwriter Folk Pop auf Cherry Red Records suchten keine Verbindung zu ihm.
Aber hier, in der stillsten Ecke eines abenteuerlich belebten Jahres, werkelte auch John Cale an einer Musik, einer Ungehörten in alten Idiomen. Was entstand, klingt auch heute noch fern aller Klassifizierungen, fragmentarisch und doch voller harmonischer Komplexität und, ja, enorm verletzend.

So begann “Music for a new society” mit “Taking your life in your hands”, dem Abschiedsbrief einer suizidalen Mutter an ihre Kinder. Mütter die am Leben verzagten waren uns nicht fremd, als Scheidungen noch skandalös wirkten und weibliche Arbeitstätigkeit stets auf ein vorwurfsvolles “Warum?” traf, in den Arbeiterwohnungen und Kleinbürgerhäusern. Nicht dass Cale in “Taking your life in your hands” von deutschen Nachkriegsrealitäten sang, aber ihre graue Tristesse fungierte als Leinwand dieser seltsam zarten, grausamen Songs. Oder die schneebedeckten Wiesen im Winter. Ich setzte mich eine Zeit lang nur bei ihrem Anblick dieser Platte aus, weiße Flächen, weißes Cover. Bis ich sie irgendwann gar nicht mehr auflegte, es reichte, was ab und an aus der Erinnerung träufelte.

Nun ist das Cover schwarz, das Design blieb, aber der Grund ist asphaltiert, ja mit Schienen versehen. Ein Zug rattert durch die aktualisierte Version von “If you were still around”, der neuen Eröffnung. Im nachtschwarzen Tunnel zieht der Gesang endlosen Hall, durch dichte digitale Sounds, hart deklamierend, statt gebrochen.
Nicht selten hat Cale versucht Verletzlichkeit mit Härte zu kurieren. Der grimmig tobende Rocker voller “Guts”, von Feinden umzingelt vor Angst schreiend, wenn “Magazines of gun” rattern, während der Saboteur die Leitungen kappt. Sein Grimm ließ Cale antizyklisch wirken. Während 1982 Bowie seine Meriten im Schlaf verdiente, wirkten andere Generationskollegen völlig überholt. Lou Reed? – Langweiliger Rocker. Seltsam, dass er sich im selben Credo von der Welt verabschiedete. Die Wahl des neuen Eröffnungsstücks mag ihm gelten. Cale spricht in der Pressemitteilung vom Schmerz, Lou, den Freund (-Feind?), verloren zu haben.
Vielleicht ist das der Grund auf dem wir wandeln: ein Friedhof. Statt des Tickens der Uhr, hören wir in “Taking your life in your hands” nun einen Zimmermann den Sargnagel einschlagen. Vieles was folgt, verlässt den Schwebezustand der ersten Einspielung, seine ätherische Zeitlosigkeit und proklamiert das Leben, Überleben. Fast gleich Tom Waits verkrallt sich die gealterte Stimme in die Existenz und gleich so vielen der Älteren, sucht er in Kaskaden verzerrter Gitarren ein energetisches Statement. “True to myself” funkt er dazwischen. Bald kippen die neuen Versionen mit (ausgerechnet) “Thoughtless kind” in 90er Goth Rock, nichts an sich Schlechtes, aber was bringt es dem Song? Verzerrte Stimme, Hammerbeats, “Santies” wäre Goth anno 1986 in Suicide Nachfolge, eigentlich gut, wenn es nicht das Original gäb, nun in Silikon mumifiziert.

Cale zieht eine Grenze, darüber will er nicht nochmals hinaus. Peinlich berührt denke ich an ein altes Interview mit ihm. Als er nichts zu Nico sagen wollte und ich doofdreißt nachfrage und sich da etwas im Blick offenbart, was mich nichts angeht und was vielleicht den Schmerz von “Music for a new society” begründet. Etwas, das lange schon ein Ende finden will. Nicht der Cale, der schreiend unter das Klavier rutscht, sondern ein gefasster, harter Mann. So erscheint die Nähe zum Original bei “Broken Bird” als farbreduzierte Replikation. Der Preis? – Die “New Society”. Nichts ist neu. “Chinese Envoy” trägt eine vorgestrige Dark-Wave Gitarre, “Changes Made” tanzt im “Zwischenfall” oder “Omen”, “Close Watch” knistert zwischen Clicks and Cuts und Triphop als wäre es 2003. Die Verse seines vielleicht schönsten Stücks verkürzt und geschichtet, etwas genervt vom Inhalt, so scheint es, und ein Art of Noise Frauenstimmen-Sample verkündet, wenn man ganz genau hinhört, höchstwahrscheinlich: “Ich muss das alles nicht noch einmal durchstehen”.

Das neue Stück “Back to the end” erinnert dann an das Album von 1982. Eine Reise in die Vergangenheit, von Protektoren gesichert. Sie behauptet, die Distanz zum verzehrenden Leiden. Mag sein, dass dies die Botschaft von M:Friends ist. Die Geister haben nun ihre Geisterstunde. “Ihr seid vergangen”, sagt die Platte ohne es wirklich zu wollen, Cale weiß ja doch nur zu gut um die Qualität seiner alten Stücke. So bleibt die Grausamkeit unabwendbar, nichts anderes bezeugt Cales Musik in diesem Jahrtausend. “By hook or by crook, I am the captain of this life” schallt es den Tönen hinterher. Ich hoffe, auf einer Reise zum Licht am Ende des Tunnels.
Oliver Tepel

Man braucht nicht allzuviel Fantasie, um zu erahnen, was John Cale dazu bewogen hat, sein 1982 aufgenommenes Album „Music For A New Society“ 33 Jahre später nochmals in neuer Bearbeitung zu veröffentlichen. Die Nachrichten einer durchschnittlichen New York Times Ausgabe liefern genug Anlässe alte (Aufbruch)Sehnüchte aus Tagen der Ronald Reagan Präsidentschaft wieder aufzusuchen. Aber es sind seit jeher nicht nur die Großwetterlagen der Weltpolitik, die sich in John Cales so verletztlicher Musik festgeschreiben, die (vermeindlich) kleineren, persönlichen Geschichten wiegen ebenso schwer, aktuell ganz konkret der Verlust von Lou Reed, seinem im vergangenen Jahr an Krebs verstorbenen, früheren Velvet Underground Mitstreiters.

“M:FANS / Music For A New Society“ spielt raffiniert mit dem Spannungsfeld aus Nostalgie (Material wieder aufsuchen, da es einen an scheinbar bessere Tage erinnert, Tage, an denen die Feindbilder noch reich an Konturen und somit klar zuordenbar waren) und der künstlerischen Ambition, sich und das Material, das man erschaffen hat immer wieder in Frage zu stellen. Was einst die Zukunft symbolisierte, wurde irgendwann vergessen in der Vergangenheit einsortiert. Und was repräsentiert es heute?
Ganz sicher haftet “M:FANS / Music For A New Society“ kein visionärer Blick gen vorne mehr an. Aber ist das schlimm? Man spürt in jedem Song des Albums, wie verletzt der Protagonist ist, oder man sollte besser die Protagonisten sagen, zeichnet Cale hier doch ein Bild, das so viel größer als der Blickwinkel einer einzelnen Person ist. Überhaupt wirkt das Album wegen des mehr erzählerischen als singenden Duktus mehr als ein Theaterstück mit Sounduntermalung als ein narratives Musikalbum. Ein Stück, das uns viel über die Schmerzen und Verluste erzählt, die das Leben mit sich bringt.
Thomas Venker

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