Record of the Week

Gruff Rhys “Babelsberg”

Gruff-Rhys-'Babelsberg'Gruff Rhys
“Babelsberg”
(Rough Trade)

Schon mit seiner ehemaligen Band Super Furry Animals veröffentlichte Gruff Rhys einige der herausragenden Songs der 90er: „Demons“, Ice-Hockey Hair“ und „Northern Lights“ schafften es, über genrehafte Britpop-Muster hinauszuweisen und spinnerte Glam- und Artrock-Anwandlungen in die Musik zu integrieren. In „The Man Don’t Give A Fuck“ sampleten sie sogar Steely Dan, und zwar zu einer Zeit, als an die Rehabilitierung von 70er-Jahre Westcoast- und Yachtrock noch nicht zu denken war. Die Offenheit der Band trug aber auch dazu bei, dass sie niemals als Repräsentationsmodell fest umrissener Coolness funktionierte.

Gesetzt den Fall, dass Coolness heute keine Rolle mehr spielt, weil sie als zentralisierendes, trendsetzendes Narrativ ausgespielt hat, kann Gruff Rhys‘ neues Album auf einer Meta-Ebene natürlich als absolut cool gelten. Rhys greift hier einen Ansatz auf, den man von Lee Hazlewood kennt: vor dem Hintergrund opulenter, faszinierend ambitionierter Orchesterarrangements werden ausgeklügelte Songs intoniert, die sich immer mal wieder als zu komplex hinsichtlich der limitierten Stimme des Sängers erweisen. Aber auch darin liegt ein gewisser Charme, den man früher mal als schönes Scheitern bezeichnet hat. Der Tendenz, die Anatomie und das physisch Gegebene zu durchkreuzen, kommt zudem eine Qualität zu, die sich als Akt der Selbstermächtigung lesen lässt.

Auf Pitchfork wird den hier vorliegenden Songtexten eine gegen das aktuelle Amerika gerichtete Ausrichtung zugewiesen, aber ich bin da nicht so sicher. Es scheint mir nicht so, als würden die Songs spezifische Gegenstände verhandeln. Statt utopische Protestsongs zu schreiben, macht Rhys Andeutungen, die auf spielerische Weise sozial-politische Sachverhalte umkreisen. Gleichwohl lässt sich vor allem das als dramatisierter Marsch umgesetzte „Architecture of Amnesia“ leicht auf die allgegenwärtige politische Praxis beziehen, Angst zu projizieren, um Menschen gegeneinander aufzubringen. Dem Umstand, dass es dabei immer auch um die Konstruktion fixierter Identität geht, begegnet Rhys`Songwriting dadurch, dass die Stücke immer ausreichend beweglich bleiben, um nicht auf eine Lesart festgelegt zu sein.

Dass es in dieser Hinsicht keine Setzung gibt, hat auch mit der flirrenden Codierung der Musik zu tun, die immer wieder den (festen) Boden verlässt, um in sublimere Sphären vorzudringen. „The Club“ und „Oh Dear“ etwa entfalten eine dermaßen mitreißende, dynamisierende Wirkung, dass als Referenz nur die makellosen Arbeiten Scott Walkers mit Wally Stott, Peter Knight und Reg Guest in Frage kommen. Die hier genannten Bezugsmodelle – Hazlewood, Walker – mögen nicht besonders originell sein, aber sie betten dieses Album in einen Kontext ein, der ihm gerecht wird. Und wer schon immer mal von Luftgitarre auf Luft-Dirigierstab umsteigen wollte, ist mit „Babelsberg“ sowieso gut bedient.
Mario Lasar

 

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