Das Leben der Anderen (IV)

Margarete Stokowski, Haiyti, Fortuna Ehrenfeld, NOFX, Wonk Unit

Was die anderen alles so machen. Man kann es schweigend bestaunen, es bei der Polizei anzeigen oder ein paar Worte verlieren. Etwas davon geschehe nun hier. Linus Volkmann führt mal wieder durch das Leben der Anderen.

20171017_145004MARGARETE STOKOWSKI
aus Berlin
Hier ist meine Rolle des aufgekratzten Empfehlungs-Ottos etwas beruhigter. Denn ich muss nicht meine Early Adopterschaft glaubhaft machen, denn schließlich habe ich von der in Polen geborenen Autorin erstmal null mitbekommen.
Würde ich die taz lesen, hätte ich sie schon von ihren dortigen, früheren Kolumnen kennen können. Aber taz lesen? Puh, das wäre ein hoher Preis! So jedenfalls tauchte M. erst letztes Jahr in meinem eingeschränkten Sichtfeld auf. Aus Selbstüberschätzung dachte ich daher zuerst noch: „Ah, die ist bestimmt ein Kind! Sonst hätte ich doch vorher schon was gemerkt.“ Nee, ist sie nicht. Ich habe nur nichts mitgekriegt. Mittlerweile ist nicht nur mir ihr wunderbares Buch „Untenrum frei“ bekannt, regelmäßig verfolge ich ihre Kolumne auf SpiegelOnline. Feminismus ist ein großes aber längst nicht das einzige Thema darin. Es geht deutlich aber undogmatisch darum, wie man den Zumutungen einer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft begegnet. Frauenrollen, Männerrollen, irgendwas dazwischen und was macht eigentlich die InTouch mit einem? Fühlen, Fighten, Falsches erkennen.
Aber apropos undogmatisch: Zum ersten Mal abseits der Textform habe ich Margarete ganz normal auf Pro7 gesehen. Haha, zumindest wurde sie da durch die Show „Applaus oder raus“ von Oliver Polak getrieben. Sie hatte Fieber, trank Gin Tonic und sagte erstmal nicht viel, doch für die Versuchsanordnung war das auch nicht nötig. Denn als Polak hörte, es handle sich um eine Frau mit feministischer Motivation, verhielt er sich wie alle abgehängten Macker: Er wurde unsicher und aggressiv. Der Spuk dieses Gesprächs war schnell vorbei. Polak drückte auf „raus“, oder wie diese preisgekrönte Deppenshow halt funktionierte. Margarete stand auf und ging. Pech gehabt. Also er.

20171017_144943FORTUNA EHRENFELD
aus Köln
Ich pflege dieses Facebook-Album mit meinen ganz persönlichen Empfehlungen hier nun schon etliche Jahre. Es ist für mich längst auch eine Art Archiv geworden. So geschieht es oft, dass Bands ihre zweite, dritte Platte machen oder sonstwie total fame werden und ich weiß: „Hey, die habe ich doch damals schon vorgestellt!“. Besoffen von dieser visionären Kraft gehe ich dann auf den jeweiligen Eintrag zurück und möchte mit meiner Vorausschau angeben, doch meist stelle ich peinlich betreten Folgendes fest: Mein damaliger Text glänzt von kompletter Ahnungslosigkeit über den Künstler / die Künstlerin. Dazu kommen noch paar lächerlich affirmative Adjektive und ein Video-Link. Fertig. Na, kein Wunder, dass ich nie auf die verfluchte Lit.Cologne eingeladen werde.
Sehenden Auges geschieht das hier nun schon wieder. Fortuna Ehrenfeld… Ich habe null Ahnung, wer der Typ hier ist. Ich habe das Infoschreiben verloren und nur eine grobe Ahnung, wer mir die CD einst übersandte (Vermutlich Benjamin Mirtschin oder Rainer G. Ott).
Dennoch ist mir nach mehrmaligem Hören nicht entgangen, was für ein außergewöhnlich schönes Album das ist. Romantischer Songwriter-Punk, wütend und rührend. „Lieber kaputt als einer von euch“. Wer Gisbert zu Knyphausen schätzt (ich nicht), der sollte dieser Empfehlung hier mal nachgehen. Für mich ist es eher eine juvenile Emo-Version von Funny van Dannen (den schätze ich!). Mach mit!
Also wenn Fortuna Ehrenfeld in drei Jahren Rock Am Ring spielt oder den Präsidenten erschießt, kann ich hiermit wieder beweisen: Ich habe es immer gewusst – und trotzdem keine Ahnung!

20171017_145031NOFX
„Die Hepatitiswanne und andere Storys“
aus der Bibliothek
Gern wird ein Buch über seinen ersten Satz definiert. Das scheint dabei eher einem zeitgeistigen Verkürzungs-Fetisch verhaftet zu sein, denn eine vernünftige Art, sich einem komplexen Werk zu nähern. Dennoch haben sicherlich auch Autoren diesen Blick aufs eigene Buch verinnerlicht und versuchen dementsprechend hier besonders erinnerungswürdig abzuliefern.
Doch so gut wie in der NOFX-Biographie – erzählt multiperspektivisch durch die einzelnen Bandmitglieder – ist es wohl selten gelungen. Selten beziehungsweise noch nie. Hier kommt der Beweis und jener erste Satz:
„Das erste Mal, dass ich Pisse trank, war auf einer Feuerleiter mit Blick über Downtown Los Angeles.“
Alles klar. Sie haben meine ungeteilte Aufmerksamkeit! Und dieser Einstieg ist kein Streichholz in der Nacht. Das Buch platzt vor obszöner Interessantheit. Es hat sich offensichtlich zum Ziel gesetzt, die Bandgeschichte nicht nur humorig und kurzweilig zu erzählen sondern sich auch immer wieder selbst mit schmerzhafter Ehrlichkeit zu konfrontieren. Wer auch so schlimme Erlebnisse teilt, die ihn nicht besser aussehen lassen, dem glaubt man einfach.
Das ist die California-Punk-Version von Mötley Crües Klassiker „The Dirt“.
Wünscht euch das NOFX-Ding zu Weihnachten – ihr werdet dem Christkind und diesem Posting hier dankbar sein.

Haiyti
aus Hamburg
Wenn man nicht fast Migräne bekommt vor lauter Autotune, ist es nicht Trap. Haiyti ist die Yung Hurn aus dem Norden, lässig, abwegig, eine Ideenträgerin. Sie singt davon, dass „Banknutten fallen“ … Sprache als durchgeknalltes Paradies, herrlich. Ich finde, es wirkt auch alles so angekratzt bei ihr – und nicht vom Sound her. Also mehr Drama als Ironie. Das tut dem Genre richtig gut.
Ihr Mixtape „Follow mich nicht“ durfte ich Anfang des Jahres bereits für meine Freunde vom Musikexpress besprechen. Aktuell gibt’s aber auch schon wieder Neues von ihr. Produktiv sein!

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WONK UNIT
aus England
Melodic-Core stellt in der Rückschau auf die 90ern das Aschenputtel dar. Denn in der Retrospektive des Musikjahrzehnts wird zuallermeist nur Techno, Grunge, Eurodance, Crossover etc. gesehen. Die parallele Meisterschaft von Lag Wagon, No Use For A Name, Bad Religion natürlich und so weiter werden dem Kanon fahrlässig unterschlagen. Danke für nichts, Musikgeschichtsschreibung. Zuletzt haben sich aber immer wieder Bands auf den Style berufen. Das Wiederaufgreifen von Melodic-Core ist ein echter kleiner Trend gerade – und wer dieses Genre auf dem nächsten Level sehen möchte, der muss sich unbedingt Wonk Unit ziehen. Ein pointierter Abriss aus Melodie, Humor und verrückten Einfällen. Katharina Schmidt hat’s entdeckt. Love it!

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