“Das Königreich ist abgefuckt, aber wir sind eine politisierte Nation” – Wonk Unit im Interview
Wonk Unit aus London machen, touren, spielen. Sie sind safe eine der aktivsten Acts im kontemporären Punkrock-Geschehen, aber dabei auch witzig, überraschend, smart und catchy. Was sie irgendwie noch gar nicht sind allerdings, ist besonders erfolgreich. In Deutschland haben sie aber mittlerweile Label und Booking-Agentur, aber das möge erst der Anfang sein. Findet zumindest unsere Autorin Katharina Schmidt / Kwittiseeds. Sie hat Sänger Alex Brindle Johnson und Keyboarderin Vez für kaput interviewt.
Die Band Wonk Unit habe ich 2017 auf dem Rebellion Festival zum ersten Mal gesehen und war völlig begeistert. Im Line-Up begegnen dort einem ja eher Namen wie Exploited, Addicts, UK Subs, alles irgendwie coole Greise, die ich immer schon mal gesehen haben wollte, aber über diese Entdeckung bin ich bis heute überfroh. 2018 war die Band auf Tour und hatte Leerlauf, mir gelang es, sie nach Frankfurt zu holen zu einem unvergesslichen Gig. Beim gemeinsamen Frühstück und Geschirrspülen in der Bandwohnung erfuhr ich, dass Alex Brindle Johnson, Kopf der Band und selbsternannter „Daddy Wonk“, die Band als Therapie, als Lebensinhalt begreift, die Songtexte sind sein Tagebuch, unverstellt und 1:1. Wer mitliest, erfährt auch von seiner Vergangenheit, in der er sich mit Alkohol und Drogen um ein Haar umgebracht hätte – “Christmas in a crackhouse“. Mittlerweile werden sie von Rookie Records vertreten und sind beim Label Kidnap Music gelandet. Dieses Frühjahr ist ein neues Video erschienen, Alex hat sich bereit erklärt, mir ein Interview zu geben und spricht über Sex und ageism in der Musikindustrie, Brexit und was Corona für Künstler*innen in der UK bedeutet.
Euer neues Video „Summertime“ ist so spektakulär bunt und strahlend. In Tagen von „Social distancing“ ist es eine Art Ersatz für echtes Ausgehen, in Clubs Abhängen mit schwitzenden sexy Leuten auf der Tanzfläche. Worum geht es im Song, und warum spielt Eure Keyboarderin Vezzy die Hauptrolle – während man den Rest der Band im Video kaum sieht?
ALEX BRINDLE JOHNSON Ich wollte einen Song und ein Video, das nicht über Wonk Unit läuft, wo man nie merken würde, dass es von uns stammt. Die Musik-Industrie in UK ist so ageist, ich fragte mich, was wäre, wenn ich eine junge Frau als Fokus im Video hätte, und ob das mehr Aufmerksamkeit ziehen würde vom Mainstream-Radio und den Medien. Die Antwort ist, ja, das Experiment hat funktioniert. Wir werden momentan in Mainstream-Radiosendungen gespielt. Der Titel des Songs und der Refrain war ursprünglich „Sniffer Time“, ein „Sniffer ist eine Art gruseliger Typ, der lüstern auf weibliche Bands schaut, ohne ihr musikalisches Können zu berücksichtigen. Dazu kann natürlich unsere Keyboarderin Vez noch mehr sagen…
VEZ Wir alle lieben Sex, das ist, warum Sex sich verkauft. Sexiness ist etwas, das gefeiert und genossen werden sollte. Die Grenzen verschwimmen in der Musik wenn wir ‘female fronted’ als Genre sehen, und welches Feedback kommt, wenn Frauen in der Szene vorkommen.
Das ist etwas, das wir viel in der Band diskutiert haben, und es kann manchmal wirken, als ob die schiere Präsenz einer Frau in einer Band bewirkt, dass Leute sexualisieren, egal erstmal ob hier Sexiness urspünglich beabsichtigt war oder nicht. “Sniffer Time” war geschrieben als ein augenzwinkernder Kommentar dazu, und das ist eventuell etwas, das alle Frauen in Bands schon zu einem gewissen Grad erfahren haben, und ich hab’ es definitiv selbst erfahren. Es ist wunderbar und toll Herrin deiner eigenen Sexualität zu sein und sie als Kraft einzusetzen, so lange du bestimmen kannst. Ich glaube, darum geht es in “Sniffer Time”. Wir wollten unbedingt etwas, das sexy ist, rausbringen mit einem großen Beat, etwas, das gleichzeitig im Club als auch als Punksong funktioniert. “Sniffer Time” beziehungsweise “Summertime” soll ein sexy Song sein und ebenfalls eine Beobachtung, wie Sexyness in der Musik eingesetzt wird.
Rassismus, Sexismus, ein tödliches Virus, Brexit … wie geht es Dir als Künstler, Musiker, Autor, Skater – bist Du inspiriert von so außerordentlichen Zeiten oder eher gelähmt?
ALEX BRINDLE JOHNSON Wonk Units Fans sind sehr divers, ein bisschen breiter aufgestellt als es in der durchschnittlichen Punkszene der Fall ist. Unsere Fanbase transzendiert die Punkszene und erreicht viel mehr in der Breite. Deswegen und weil wir eine große Plattform haben finde ich, ist es meine Pflicht, den Leuten Dinge mitzugeben und für eine bessere Welt zu kämpfen. Ich halte mich aus der täglichen Politik raus und Politik ist viel eher subtil in unserer Musik drin, aber wenn es um große politische Entscheidungen geht, wird man uns immer an vorderster Front finden, und wir benutzen unsere Reichweite, um für eine bessere, fairere und gerechtere Welt zu kämpfen. Das UK ist abgefuckt aber wir sind eine politisierte Nation. Es gibt viel weniger Untätige oder Leute, denen Politik egal ist. Unglücklicherweise bedeutet es aber, dass wir einen sehr geteilte Nation sind, 50 Prozent fanatisch, 50 Prozent erleuchtet. Ich glaube, wir können froh sein, wenn wir keine zivilen Unruhen im großen Ausmaß erleben werden müssen in den nächsten Jahren.
In Deutschland ist es theoretisch möglich, Geld vom Land zu bekommen wenn Du kreativ arbeitend und soloselbständig bist und jetzt Einkommenseinbußen hast durch das Corona-Virus. Wie ist es in England mit gecancelten Auftritten, bekommt Ihr Ausfallhonorar oder Unterstützung von der Regierung oder ist alles auf Eurer eigenes Risiko?
ALEX BRINDLE JOHNSON Es gibt keine staatliche Hilfe für Künstler*innen. Es gibt keine Unterstützung für Promoter oder Graswurzel-Underground-Musikszene wie es das bei Euch/auf dem Festland gibt. Deshalb haut es uns UK-Musiker*innen so dermaßen um, wie wunderbar wir empfangen und behandelt werden, wenn wir rüberkommen. Die Kunst wird seit Jahrzehnten nicht mehr unterstützt. Möglicherweise ist das der Grund, warum wir so gute Bands hervorbringen, weil Musik machen immer auch finanzielle Aufopferung in sich birgt. Der hungernde Künstler. Das ist in uns drin. Wir würden nie Musik in der Absicht machen, um Geld damit zu verdienen.