Durch das Konkrete zum Konkreten
Hallo liebe Leserinnen und Leser des Kaput-Magazins,
das wird nun vielleicht etwas ungewohnt für Euch. Denn heute geht es hier nicht um Technogedengel, die neuste Veröffentlichung des Labels „Staatsakt“ oder um irgendwas, das man nicht versteht. Sondern um DIE SHITLERS, eine Skatepunk-Band mit deutschen Texten, deren Album „This is Bochum not LA“ am 14.07.2017 erschienen ist. Und um mich geht es irgendwie auch.
Im Folgenden soll nun dargelegt werden, warum DIE SHITLERS eine gute Band sind und warum man sich ihr neues Album anhören und vielleicht sogar kaufen sollte. Um diese Aussagen zu stützen, habe ich mich sogar persönlich mit den Künstlern getroffen und ein paar Fotos gemacht. Mehr ist im Musikjournalismus noch nie möglich gewesen, da braucht man sich auch nichts vorzumachen.
„Wir sind die Shitlers und wir sind behindert und ihr findet das interessant“ (aus: Wir sind die Shitlers)
Zum ersten Mal etwas von den Shitlers mitbekommen habe ich im Jahr 2013 und zwar durch die Antilopen Gang. Beide Gruppen hatten zusammen das Lied „Cordon Sport Massenmord“ von Fler und Bushido vom legendären Sampler „Aggro Ansage Nr. 1“ als Punkversion gecovert und nur drei Durchläufe später hörte ich mich die hassverfüllten Texte über dem fröhlichen Instrumental begeistert mitrappen. Es war so peinlich wie befreiend. Einen Youtube-Klick weiter war ich bei dem Shitlers-Stück „Kein Piercing, kein Tattoo“ gelandet, auf dem Frank Shitler (der aussieht wie ein kompetenter Sparkassen-Kundenberater) singt: „Kein Iro, keine Glatze, kein Piecing, kein Tattoo, weder Nieten, noch Doc Martens, doch zehn Mal mehr Punk als du.“ Endlich sagte es mal jemand! Es musste ja nicht stimmen.
Noch einen Klick später kam dann „Im Punk wird nicht genug gedisst“ aus den Laptopboxen. Im Hintergrund läuft 10:30 Minuten jazziges Gedudel, während die Shitlers aufzählen, welche Punkbands sie alle blöd finden („Eine richtig beschissene Band waren Muff Potter. ‚Intelligenter Deutschpunk‘, wenn ich das schon höre. Da müssen bei Ihnen sofort alle Alarmglocken angehen!“) und was in ihrem privaten Freundeskreis so los ist. Ein, und das meine ich völlig ernst, avantgardistisches Kunstwerk.
Ab diesem Punkt wurde ich hineingesogen ins Shitlers-Universum. Wo NOFX die beste Band der Welt ist, Bochum die beste Stadt, wo man sich schlecht benimmt und trotzdem kein Vollarsch ist. Wo es keine Metaphern in den Texten gibt, man einen seltsamen Fetisch für den deutschen Gangster-Rap hat und der Ausdruck „JAOK“ erfunden wurde. Wo die Botschaft, immer an sich zu glauben und seinen Weg zu gehen wie ein Mantra tausendfach wiederholt wird, bis man nicht mehr weiß, ob es die tiefste Wahrheit oder der allergrößte Quatsch ist. Ich likte ihre Facebookpage und nervte in den folgenden Jahren mein Umfeld mit quasi nichts anderem mehr.
Seitdem hat sich viel verändert und es ist so viel geschehen. Publikumsliebling Phantom hat die Band verlassen, Martin ist vom Schlagzeug an die Gitarre gewechselt, wo er nun seine Tapping-Künste zeigen kann und Tristan ist als neuer Schlagzeuger in die Band gekommen, ein sympathischer, stets kränkelnder Schlacks mit kindlichen Zügen. Zwischenzeitlich gab es noch einen netten zweiten Gitarristen namens Torti und Bassist Frank flog kurz aus der Band. Das war so schrecklich, ich will nicht darüber reden. Denn in der Top-Besetzung Martin (Gitarre, Gesang), Frank (Bass, Gesang) und Tristan (Schlagzeug, Gesang) ist nun bei dem etwas wunderlichen Label „Weltgast“ das dritte Album „This is Bochum not LA“ erschienen und damit doch noch alles zu einem guten Ende gekommen.
„Die AZ-Leute sind langsam und faul, und haben merkwürdige schwarze Brillen auf. Finde ich nicht überzeugend. Und Du hoffentlich auch nicht“ (aus: Nur wegen Shitlers)
Ich treffe die Shitlers an einem Nachmittag im Rahmen einer Minitour auf dem „Festival der Jugend“ der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend im Kölner Jugendpark. Drei Mal „Jugend“ in einem Satz. Naja.
Natürlich regnet es und die altlinken Veranstalter haben den Programmpunkt der Shitlers, die auf einer Bühne, wo grade noch ein Opi Arbeiterlieder singt, Rapvideo vorführen und kritisch kommentieren sollen (vgl. ihre Kolumne beim Splash Mag) schlecht organisiert. Zur Verteidigung muss man sagen, dass sich die Band selber auch um nix gekümmert hat. Die steht nur etwas fertig mit dem mitgebrachten Dosenbier herum und wartet einfach mal so ab. Zur allgemeinen Überraschung wird der improvisierte Auftritt dann zu einem großen Erfolg, denn die jugendlichen Festivalbesucher sind nach zwei Tagen Plenum, Referaten und Arbeitsgruppe so aushungert nach popkulturellem Content, dass die vorgeführten Videos von u.a. Bushido und Kay One allesamt widerspruchslos abgefeiert werden. Endlich mal normale Musik!
Die Rapper hätten alle aus eigener Kraft etwas aus ihren Leben gemacht, ermahnen die drei Musiker die giggelnden Junglinken vor der Bühne. „A rope is hope“, sagt Martin. Daran könne man sich immer selbst aus dem Dreck ziehen. „Oder daran aufhängen“, ergänzt Tristan, die Menge tobt und dann läuft ein Money Boy-Video und alle im Publikum machen Rapperhandbewegungen. Nach diesem schönen Erlebnis geht es ab in den Sonic Ballroom, wo am Abend noch ein Konzert gespielt werden soll. Auf dem Weg zum Auto pinkelt Martin auf den Gehweg.
„Allein die halbe Promo für diese CD wäre besser, als jede Kollaboration aller erdenklichen Rapper. Dazu ne Bonus-DVD mit noch nem Staiger Interview, das wäre richtig cool!“ (aus: CCN 4)
Nach drei Tourtagen mit dem schrecklichen Routing Dresden-Bremen-Leibzig und Köln hält die Band nur noch strenge Selbstdisziplin und ihr eiserner Wille aufrecht. Und natürlich chemische Drogen, die nun beim Ticker bestellt werden. Da ist es verständlich, dass die drei Shitlers den Aufbau der Backline der mitreisenden Österreichischen Band MISSSTAND überlassen und sich erstmal in die Backstage-Betten des Sonic Ballroom legen um dort ein handwarmes Tellergericht zu verspeisen oder direkt wegzupennen. Vielleicht nicht die besten Rahmenbedingungen für das nun folgende Interview, aber am Ende des Tages müssen wir alle abliefern.
Euer neues Album „This is Bochum not LA“ erscheint ja, wie man das von den ganzen Rappern kennt, auch als DELUXE BOX, wo neben der Musik noch Merchandise Artikel mit drin liegen.
Frank: Ja, genau. Weil diese Boxen mehr Umsatz generieren und die Chartplazierungen sich am Umsatz festmachen. Und genau aus diesem Grund machen wir das auch.
Tristan hat mir vorhin verraten, dass bisher 30 Boxen verkauft wurden. Wird das nicht vielleicht ein bisschen eng mit den Charts?
Martin: WAT WILLST DU ÜBERHAUPT? Das Interview ist beendet!
Habt ihr nicht einfach Bock drauf gehabt, so eine Box zu machen?
Frank: Nein, wir wollen einfach in die Charts. Und einen eigenen Wikipedia-Eintrag.
Da muss sich halt jemand mal die Arbeit machen und einen schreiben.
Martin: Die Deutschen sind ein sterbendes Volk. Es gibt kaum noch deutsche Wikipedia-Einträge und es werden auch immer weniger sein.
(Anmerkung: Interessierte Leser können an dieser Stelle nachgoogeln, ob das mit dem Charteinstieg und dem Wiki-Eintrag der Shitlers mittlerweile geklappt hat. Aufregend!)
Das Album wurde produziert von Alex Schwers (Schlagzeuger bei nahezu allen relevanten Deutschpunkbands u.a. SLIME, Veranstalter der Festivals Punk im Pott und Ruhrpott Rodeo, Legende, Ü40). Was gab es da so für Diskussionspunkte bei den Aufnahmen?
Tristan: Es wurde viel darüber diskutiert, wo man als nächstens Essen bestellen könnte, ob jetzt Pizza oder besser Asiate!
Frank: Da wurde nicht diskutiert, der Axel Schwers ist EIN MACHER. Und nachdem er festgestellt hat, das wir das nicht so gut hinkriegen, hat er die meisten Sachen übernommen.
Habe ich das richtig verstanden, dass das Album eigentlich Martin und Alex Schwers alleine eingespielt haben?
Martin: Im Prinzip ist das richtig, bis auf die Hälfte vom Schlagzeug und Franks Gesang.
Tristan: Den Gesang von mir hat der Alex Schwers nämlich auch gemacht.
Ist das nicht so ein bisschen ungewöhnlich?
Tristan: Das Album klingt doch total geil, das Ergebnis zählt. Das Ziel ist das Ziel.
Und dass du, Frank deinen Bass nicht selber bei den Aufnahmen spielst, das ist dir egal?
Frank: Hab ich ja noch nie gemacht. Das war schon immer so. Ich seh da auch keinen Sinn drin, weil der Martin das ja viel besser kann als ich.
Das Album ist ja ein ziemliches Geknüppel und weniger poppig geworden als die beiden Alben davor.
Martin: Wir wollten mehr Skate-Punk machen und Alex Schwers hat geholfen. Die Akkordfolgen die ich mache, die sind ja immer gleich. Ich mach mir jetzt auch nicht die größte Mühe beim Songwriting. Die Shitlers machen was für die Ewigkeit, ohne sich IM GERINGSTEN anzustrengen!
Tristan und Frank, ihr habt dann eure Energie in den „Vater-Sohn-Tag“ gesteckt, eine teilweise erschütternde Kurzfilmserie in 8 Teilen über einen geschiedenen Vater (Frank) und einen Sohn (Tristan) und deren Leiden aneinander. Die Videos sind in den Wochen vor Albumrelease bei Youtube erschienen. Wie kam es dazu?
Tristan: Es war so, dass wir im Cafe Nord in Essen waren und da einen Burger gegessen haben, um das Konzert der Band Captain Planet zu verpassen, die nebenan gespielt haben.
Frank: Captain Risiko!
Tristan: MEIN GOTT, ja.
Frank: Und da haben wir so zwei Typen gesehen. Einen Älteren mit kariertem Hemd und Bauch und einen Jüngeren. Die standen da so wortkarg nebeneinander, haben Rum-Cola getrunken und die Unterhaltung wirkte auf das Wesentlichste beschränkt und sehr gezwungen. Wir sind dann zu dem Schluss gekommen, dass die Vater-Sohn-Tag haben und nun zusammen einen trinken gehen, das aber eigentlich beide gar nicht wirklich wollen. Und so ist die Idee zu der Serie entstanden.
Die Filme sind ja todtraurig.
Tristan: Die Komik entsteht daraus, dass man da eigentlich nicht so gut hingucken kann.
Martin, wie denkst du denn über den „Vater-Sohn-Tag“?
Martin: Ich finde, dass wir in dieser modernen, schnelllebigen Zeit so ein bisschen die Fähigkeit verloren haben, über andere zu lachen. Was man vom „Vater-Sohn-Tag“ lernen kann ist, dass wir wieder einen offeneren Umgang mit dem Amüsement über die Belastungen anderer Menschen entwickeln müssen.
“Ich erfuhr vom Konzert der Toten Hosen in Bochum, kurz vor unserm Gig mit Antilopen. Und weil die denselben Tourmanager haben, bat ich ihn in diesem Rahmen um einen Gästelistenplatz” (aus: +1)
Lasst uns mal über ein paar Texte vom neuen Album sprechen.
Martin: Die Texte sind nen Fotzenmagnet! Und so sind sie auch konzipiert.
(Alle Shitlers lachen beschämt. Ich auch. Die Frage nach der Konzeption der Texte stellt sich dennoch. Die, nennen wir sie, „Shitlersche Methode“ zeichnet sich in erster Linie durch das konsequente Auslassen von Bildsprache und Innerlichkeit aus. Jede beschriebenen Situation und jede Aussage muss nicht interpretiert werden. Sie steht erst einmal 1:1 für was sie steht und kann höchstens davon ausgehend weitergedacht werden. Die Shitlers kommen quasi über das Konkrete zum Konkreten. Das ist mir leider erst nach dem Interview eingefallen.)
Bei dem Lied „CCN 4“ wünscht ihr euch, dass Fler und Bushido gemeinsam einen vierten Teil der Albumreihe „Carlo Coxxx Nutten“ machen. Denkt ihr, dass Fler davon etwas mitbekommt und sich das zu Herzen nimmt?
Frank: Ja. Fler ist ja total aktiv bei Twitter und es wird oft belächelt, dass er auf jeden Kommentar und jede Anfeindung reagiert. Wir haben ihm mal geschrieben, dass wir in Berlin spielen und dass er auf der Gästeliste steht. Da hat er geantwortet: „Danke“. Aber er ist leider nicht gekommen.
Tristan: Wir machen ja Musik, um etwas zu bewegen. Auch wenn Fler das Stück hasst, aber das Album dann wegen uns entsteht, ist es ja das größere Ganze, das zählt.
Frank: Heute bei dem SDAJ-Festival im Jugendpark hat einer gesagt, er will, dass es Weltfrieden gibt. Und wir wollen halt, dass es CCN 4 gibt.
Martin, bei dem Stück „Uwe“, wo es um einen 50jährigen Autonomen geht, der in der Vergangenheit lebt, singst du, dass du nichts gegen „den Markt“ (im volkswirtschaftlichen Sinne) hast. Das hört man im Punk eher selten.
Martin: Ich glaube, Punker wissen gar nicht so richtig, was der Markt ist. Die kennen nur „Kommerz“.
Dass wir heute hier sitzen, ist eigentlich ohne den Markt gar nicht denkbar. Da sollten wir alle mal ein bisschen demütiger drangehen.
Dann gibt es noch das Lied „Weiße Touristen mit Geld“, für mich eines der besten Stücke auf dem Album. Erzähl mal die Geschichte dazu.
Martin: Ich war in Kapstadt in einem Hotel untergebracht, wo der Portier internationale Politik studiert hatte, aber sehr arm war und keinen anderen Job gefunden hat. Der kam aus Zimbabwe und hat mir abends immer erzählt, dass die Juden alle anderen unterdrücken würden und sich Verschwörungen überlegen. Ich war da auf einer Konferenz und dafür werden Leute durch die Welt geflogen, damit sie über irgendwelche Sachen reden können und dieser Typ hatte sich als Arbeitsmigrant zum Studium hochgearbeitet, um mich dann am Ende im Hotel zu bedienen. Und der muss sich dann in irgendwelche autoritären Gedankengänge und Verschwörungstheorien fliehen, um sein Weltbild irgendwie kohärent zu kriegen. Da habe mir gedacht, das ist eigentlich nicht gerecht und dann habe ich mich ein bisschen schlecht gefühlt und den Text geschrieben.
In dem Lied „Politische Musik“ macht ihr ja ganz konkrete Vorschläge zum Beispiel zum Mindestlohn.
Martin: Ich habe mir nie ökonometrisch überlegt, warum 15 Euro ein guter Mindestlohn wäre. Das hab ich nur mal so gesagt.
Frank: Politische Texte sind meistens peinlich, weil die Bands sich in Floskeln verrennen und irgendwas erzählen, von dem sie nichts verstehen. Oder sie machen so was kryptisches wie Turbostaat, wo keiner weiß, worum es geht. Ich finde es aber gut, wenn man sagt, dass man gerne eine Verbesserung eines Zustandes hätte und dass man den so oder so erreichen könnte.
Martin: Wenn die Band Fahnenflucht singt, dass die Rentner und Arbeitslosen sich zusammenschließen und dann der Aufstand beginnen wird, ist das ja komplett irreführend. Das ist willkürliches Gebrabbel von Leuten, die keine Ahnung haben und einfach cool sein wollen.
Zum Abschluss die Frage: Ist es schön ein Shitlers zu sein?
Frank: Ich weiß es nicht genau, wie ich das finde. Es ist ja so, dass wenn man säuft und Drogen nimmt, auch mal unvernünftige Entscheidungen trifft. Und vielleicht wurde auf dieser Tour eine Grenze überschritten, die dann nicht mehr schön ist. Durch Shitlers kommt man häufig in Extremsituationen. Sowohl extreme Euphorie, als auch extreme Belastung. Man macht Dinge und kommt an Orte. Es ist schon schön. Aber auch nicht immer.
“Und zwischen ‘Over the Top’ und Tristans dummem Gerede kam sie auf dich zu und blickte dir in’s Gesicht Und mit zittriger Stimme sagte sie dir: ‘Bochum darf sich niemals verändern'” (aus: Liebeslied)
Stunden später beginnt endlich das Konzert der Shitlers. Martins Gitarre ist verschwunden und muss gesucht werden. Ich entdecke sie in einer Gigbag, die mitten im Publikum an der Wand lehnt. Direkt zum Auftakt bekommt Frank dann von einer Frau aus dem Publikum eine Flasche über den Kopf gezogen. Er lacht den vermeintlichen PRANK tapfer weg, doch kurz darauf schlägt die Frau einem Glatzkopf im Publikum ebenfalls einen mit der Flasche rüber und eine wilde Rauferei entsteht, bis beide Parteien getrennt werden können. Die Shitlers spielen hart, schnell und laut, das Konzert ist sehr gut und wird immer wieder durch die „Trinkpause“ unterbrochen, in der Martin sein Telefon ans Mikro hält und damit die Lambada-Melodie abspielt. Das finden alle Anwesenden eine lustige Idee.
Die Aftershow-Party fällt für mich aus, den ich breche überraschend in mich zusammen und muss ganz schnell gehen. Dabei glaube ich an mich selbst und gehe meinen Weg, wie es die Shitlers mich vor Jahren gelehrt haben. Und irgendwann bin ich tatsächlich wieder zu Hause.