Welche Bands Punk kaputt gemacht haben. Teil 1: Antilopen-Gang
„Punk‘s not dead!“ Dieses sich selbst versichernde Mantra begleitet die dazugehörige Stilrichtung seit den frühesten Jahren der Siebziger. Warum eigentlich? Mittlerweile müsste doch klar sein, dass man den ganzen Quatsch eh nie mehr loswird. Kleinbürgerliche Bewahrermentalität. Schuld an der Misere will natürlich keiner sein. Vom Hundehalter-Straßenpunk über den bierigen Hosen-Fan, der bei der Polizei arbeitet, bis hin zum Turbostaat-Hipster … alle denken, an mir hat’s nicht gelegen. Von wegen! Linus Volkmann stellt Verantwortliche vor, die Punk zu dem untoten Zombie gemacht haben, der er heute ist. To be continued.
Die Antilopen Gang
Dass diese drei Schrottvögel plötzlich auch in Punkkreisen gefeiert werden, besitzt etwas vom szene-eigenen FIFA-Skandal. Schließlich bedient die Gruppe um das seltsam riesige Kind Koljah das Genre HipHop. Ich meine … HipHop? Geht’s noch? Klar, man möchte dem ungelenken Trio zugutehalten, dass jener bei ihnen stets klingt, als wollten sie durch technische Defizite die ganze Musikrichtung ins Lächerliche ziehen – aber dennoch reden wir hier immer noch von HipHop. Dafür verrottet Punk ja wohl nicht bei lebendigem Leib, dass jetzt wieder Sprechgesang durchgewunken wird. So ging es ‘33 (Hitler) und ’93 (Crossover) doch schon mal los! Und jetzt nimmt die Antilopen Gang ehrlichen Punkbands auch noch die Plattenverträge weg. So erschien ihr Album „Aversion“ auf dem Tote-Hosen-Label JKP. Wie viele Oi-Punk-Meisterwerke hätte man dort stattdessen veröffentlichen können? Bei den Recherchen zu dieser hochdotierten Kolumne gelang es mir überdies, mich der konspirativen Clique der Band zu nähern. Verkabelt und zu allem entschlossen besuchte ich die Geburtstagsfeier von Panik Panzer. Jener gilt als der Brutale in der Band, sein Bruder Danger Dan soll der Schöne sein (Vergleiche „Die Fliege“ letztes Drittel) und Koljah ist der, der allen die Steuer macht. Panik Panzer feierte dabei in Köln in einer Bar mit dem Namen „Arty Farty“. Das ist so wenig Punk, das ist ja noch nicht mal HipHop. Später sonderte er in großen Mengen Stuhl auf der Damen-Toilette ab, schreiend rannten Partygäste aus dem Raum. Panzer störte das wenig, er sippte 1 Bier und dachte über neue Rhymes und Tunes nach. Rhymes und Tunes, die den Zusammenhalt der Szene erschüttern werden, wenn nicht hart gegen sie vorgegangen wird!
„Nein nein nein Du altes Schwein / Ich will nicht mehr dein Sklave sein.
Weg mit dem fick-fack Rotzverein / die produzieren doch nur Schleim.
Keiner achtet mehr darauf, dass man das als Punk verkauft / Scheiß auf HipHop und die Bande, Punkrock ist hier Herr im Lande.“
The Buttocks „Nein Nein Nein“, 1980
Pogoradio
Okay, noch Platz für 1 Anekdote in Punk? Sehr schön. Dann sei erzählt von einem räudigen Turm an einer Ausfallstraße der Mist-Stadt Köln, dort lebte einmal ein ziemlich kahles Rapunzel. Sein Name: Rüdi. Da sein Haar nicht mal auf die eigene Fensterbank reichte, konnte kein Prinz je den Aufstieg in den 28. Stock des Herkules-Hochhauses auf sich nehmen – und so saß jener Rüdi da oben mehr oder weniger fest. Eins von vielen Schicksalen der Welt, das einem egal sein könnte, doch Rüdi hat es sich zur Aufgabe gemacht, Zeit seines Lebens jeden Montag eine Stunde Pogoradio im Bermudafunk zu senden. Das heißt, wir sind seit zwei Jahrzehnten umgegeben von seinen Radiowellen. Kein Wunder, dass man immer Kopfschmerzen hat (Vergleiche Chemtrails). Es bedurfte langer Vorbereitungen im Untergrund, aber vor wenigen Wochen konnte ich mich als V-Mann in seine Sendung bringen. Rüdi hielt mich für einen abgehalfterten DIY-Labelmacher, also falls er sich überhaupt Gedanken gemacht hatte. Pogoradio ist nicht gerade für eine harte Tür bei Gästen bekannt… Dann ging es los. Dem Radio-Jockey scheint vor allem wichtig, dass bei ihm nicht dieser defekte Hunde-Mainstream (Broilers, Beatsteaks, Marathonmann) läuft. Dies klingt auf dem Papier ja noch okay, doch sein Gegenentwurf ist in echt extrem irritierend: Es werden ausschließlich Vollgestörte im Demo-Stadium ins Programm genommen. Grundvoraussetzung: Kein Mensch soll von der jeweiligen Gruppe schon mal gehört haben und die Namen müssen so was sein wie Sturzgeburt 04, Die ausgebombten Windelscheiden, Kot-ManuFUCKtur Aschersleben. Kein Song, der hier läuft, darf überdies länger als eine halbe Minute sein. Klar, irgendwie ist das schon Punk, aber vor allem ist der Host der Sendung über die Jahre wahnsinnig geworden. Hier sind die Krankenkasse und der Staat gefragt. Zusammen mit mir in der Sendung war übrigens noch ein gewisser Martin Seeliger besser bekannt als Martin Shitler beziehungsweise: Gute Güte, was für ein Monster! Mehrfach hielt er sich das Mikro an den After und furzte über den Äther. Und das waren noch seine besseren Wortbeiträge. Ob danach das Mikrofon gewaschen wurde… man möchte es bezweifeln. Hier zumindest scheint Punk wieder ganz bei sich angekommen.
Diese Kolumne erscheint in einer anderen Version auch in der Printausgabe des Plastic Bomb #94.