Zum Ende von NOFX – Der extrem gute Konzertbericht
Die Melodic-Core-Band NOFX hat schon längst ihren Ikonenstatus im globalen Punkrock-Kanon sicher. Dennoch brachten Fat Mike und seine Leute immer wieder ihre dringliche, pointierte bis abseitige Interpretation des Genres auf die Bühnen der Welt. Damit ist nun Schluss. NOFX sind raus. Unsere ebenfalls dringlichen, pointierten bis abseitigen Edelfedern Ferdinand Führer und Roland Van Oystern haben sie auf der Abschiedsrunde begleitet und eines der allerletzten NOFX-Konzerte besucht.
„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ Dieses Motto unserer Väter und Vorväter haben wir noch nie beherzigt. Außer jetzt, zum ersten Mal. Denn leider sind letzte Woche unsere Väter verstorben, und um ihnen die letzte Ehre zu erweisen, probieren wir ihr Motto halt mal aus. Es soll ihnen den Weg in die kalte Jenseitswelt ebnen und den Groll auf ihre Söhne mindern (im Sinne von verringern).
Seit 1983 gibt es die Band NOFX und heute Abend ist das letzte Konzert in Augsburg. Wegen dem Motto unserer Väter schreiben wir den Konzertbericht vor dem Konzert. Wir müssen den schreiben, um gratis aufs Konzert kommen zu können. Eigentlich ist es aber gar nicht richtig gratis, denn der Bericht ist unsere Bezahlung. Voll schlimm, dass man überhaupt irgendwas bezahlen muss. Es geht auch anders, wie gestern zum Beispiel, da waren wir bei einem Freund zum Essen eingeladen und haben danach die Filme „Ghostbusters: Afterlife“ (gut) und „Ghostbusters: Frozen Empire“ (schlecht) vorgespielt bekommen und mussten überhaupt nichts dafür bezahlen. Keinen Cent. Der Eintritt vom NOFX-Konzert kostet 93 Euro. Von diesem Betrag waren wir entsetzt, denn unsere Väter haben uns überhaupt nichts hinterlassen. Unser Entsetzen hat sich noch gesteigert, als wir erfuhren, dass sechs Vorbands spielen. Wer soll die alle anschauen? Da geht selbst der härteste Konzertberichterstatter in die Knie.
Das Konzertgelände ist riesengroß. Es ist ein Open Air, Beginn 14:30, Ende 23:15 (15 Minuten Kulanz, danach kommen die Bullen). Es gibt Essensstände und Getränkestände. Leider reicht unser selber gespartes Geld nur für ein Fanta.
„Ey, Leute!“, sagt ein cool aussehender Mittvierziger. „Ich hab den ganzen Rucksack voll Bier! Den hab ich über den Zaun geschmissen und danach abgeholt. Ihr dürft euch eines teilen. Den Rest brauche ich selber. Drei sind beim Wurf über den Zaun kaputtgegangen.“
Er greift in die Scherben und reicht uns eine leicht blutige Flasche Bier.
„Ich bin der Christoph“, sagt er. „Ihr könnt bei mir mitkommen, ich zeig euch alles.“
Wir kommen mit.
„Habt ihr 93 Euro bezahlt? Wo habt ihr die Kohle her, ihr Luschen?“
Wir erläutern Christoph unsere Lebensumstände. Er hat sich auch Gratis-Eintritt geschnorrt – aber richtig, ohne einen Bericht schreiben zu müssen. Der hat bessere Kontakte.
„Ihr braucht auch bessere Kontakte. Vielleicht kann ich was für euch machen. Wahrscheinlich nicht. Aber mal schauen.“
Christoph kramt einen Zettel mit dem Line-up aus der Tasche.
„Die erste Band spielt schon, DFL heißt die. DFL, was soll das eigentlich heißen? Vielleicht DIE FURZLAPPEN, haha! Zweite Band THE LAST GANG. Wäre als Actionfilm wahrscheinlich geiler. So richtig mit Schusswaffen und Verfolgungsjagden auf der Bühne. Aber die erste Band schaut man sich nie an, und die zweite auch nicht, damit ihr’s gleich wisst.“
Gratis-Eintritt, Supermarktbier, integerer Verhaltenskodex – Christoph verfügt noch über das alte Wissen. Gut, dass wir den jetzt kennen.
Drei Stunden später. Wir sitzen mit Christoph in irgendeiner Garage rum.
„Mein Kumpel kommt gleich, der hat geilstes Haze am Start. Da zieht’s euch die Wurst vom Brötchen, ihr Zipfelklatscher.“
Wir erzählen Christoph, dass wir mit einem NOFX-Konzertbericht unsere Väter ehren wollen.
„Richtig nice von euch. Familienehre geht mir über alles. Aber sagt mal, müsstet ihr dann jetzt nicht auf dem Konzert sein? Na, macht nichts, wir gehen gleich wieder. Wir ziehen nur noch schnell jeder zehn Köpfe durch die Bong, gleich wenn mein Kumpel da war.“
Als wir zurück kommen, spielen NOFX schon.
„Haltet mal meinen Rucksack!“, ruft Christoph, und stürzt sich in den Circle Pit.
Vom vielen Bongrauchen ist uns hundeelend. Wir halten uns an Christophs Rucksack fest. 1994 erschien „Punk in Drublic“. Am Wurststand fällt einem alten Skate-Punk die Wurst in den Dreck. Zum Glück haben wir den Bericht schon geschrieben, denken wir. Langsam wird es richtig kalt im Freien. Von der Bühne aus beleidigt der NOFX-Sänger einen Minderjährigen, der mit seinen Eltern da ist. Gott sei Dank hat es nicht uns erwischt. Irgendwann kommt Christoph zurück. „Das ist noch richtig geiler Punkrock“, sagt er. „Ich verpiss mich! So hat alles seinen vorbestimmten Anfang und sein vorbestimmtes Ende, Alpha und Omega.“ Die Band (NOFX) ist auch bald zu Ende. Die sehen wir jetzt nie wieder. Und mit jedem Jahr, das verstreicht, mehren sich die Dinge, die wir nie wieder erleben werden.
Schade, aber auch egal. Wie letzten Endes alles.
Text: Roland van Oyster und Ferdinand Führer