Musik Installationen Nürnberg: „Wir wollen möglichst unterschiedliche Welten in den einzelnen Arbeiten realisieren“

Die künstlerische Leitung der Musik Installationen Nürnberg 2025: Marie-Therese Bruglacher, Bastian Zimmermann und Laure M. Hiendl (v.l.n.r.) (Foto: Mathilde Agius)
Unter der künstlerischen Leitung von Kuratorin Marie-Therese Bruglacher, Komponist Laure M. Hiendl sowie Verleger, Kurator und Dramaturg Bastian Zimmermann findet vom 23. Mai bis zum 1. Juni 2025 zum zweiten Mal das transdisziplinäre Festival Musik Installationen Nürnberg statt – ein Festival für Musik als performative Raumkunst.
Marie-Therese, Laure, Bastian – zu Beginn interessiert mich: Was zeichnet für euch jeweils eine gute Musikinstallation aus?
Marie-Therese Bruglacher: Das Ineinandergreifen verschiedener künstlerischer Disziplinen in einer räumlichen Anordnung. Das hört sich sperriger an als es ist. (lacht)
Tanz beispielsweise ist immer auch räumlich, genauso wie Musik. Körper, Bewegung und Scores vermitteln Zeitlichkeit. Ein Raum wird dann zeitlich, wenn sich dort etwas ereignet, damit entsteht eine Situation. Wir laden die Künstler*innen in ihrer jeweiligen Praxis zwischen Musik, Performance oder Bewegung sehr konkret mit diesen Komponenten – Raum und Zeit – zu arbeiten und damit ortsspezifische und temporäre Situationen für das Publikum zu schaffen.

Die britische Gruppe Bastard Assignments, die im ehem. Kaufhof ihre Longduration – Arbeit HOUSE entwickeln wird. (Foto: Bastard Assignments)
Könnt ihr das auch anhand einer bestimmten Künstler:in oder konkreten künstlerischen Position beispielhaft erläutern?
Bastian Zimmermann: Die britische Gruppe Bastard Assignments entwickelt zum Beispiel mit dem Künstler Rudyard Schmidt eine Musikinstallation für den leerstehenden Kaufhof inmitten der Innenstadt Nürnbergs. Die Arbeit nennt sich HOUSE und sie installieren mit einer Vielzahl von Möbel und anderen Interieur eine Wohnung, ohne Wände, alle Räume offen zueinander, mit funktionierender Küche und Bad – und das ganze wie eine Insel, um die man in der riesigen Verkaufsfläche laufen kann. Die vier Mitglieder der “Bastards” beleben diesen Raum schließlich, 8 Stunden am Tag, als eine Art sozial-musikalisches Universum, das sich mittels Kostümen und Ausstattung durch die Jahrzehnte beamt. Die Zuschauer*innen können sich dem hingeben und darin verlieren – Antidramaturgie pur!
Laure, Bastian – ihr habt das Festival gegründet und 2022 erstmals gemeinsam umgesetzt. Was hat euch dazu bewegt, das Kernteam um Marie-Therese zu erweitern?
Laure M. Hiendl: Schon bei der ersten Ausgabe haben wir uns gesagt, eigentlich muss das kuratorische Team größer werden. Aber bei einer Gründung und dem engen, bis zuletzt auch nie wirklich sicheren Zeitplan ist das schwierig umzusetzen. Dieses Mal sind wir ein zweites Mal projektgefördert, zum Glück mit etwas mehr Zeit, und da lernte ich Marese während meines Aufenthalts in der Villa Massimo in Rom kennen. Ihre Arbeit mit Disappearing Berlin schlägt genau in unsere Richtung: Ortspezifisch, performativ und – was toll zu entdecken war – immer auch sehr musikalisch gedacht!
Nürnberg ist vermutlich nicht die erste Stadt, an die man denkt, wenn es um Musikinstallationen geht. Wie kam es dazu, dass ein so spannend kuratiertes, transdisziplinäres Festival gerade hier verortet ist?
Marie-Therese Bruglacher: Musikinstallationen sind Räume, die sich öffnen und schließen. Damit sind physische und soziale Räume gemeint. Grundsätzlich ist jede Stadt ein Palimpsest aus Räumen. Nürnberg hat durch seine Geschichte aus ideologischer Überschreibung durch die Nationalsozialisten, durch die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und dann durch den Dialog aus Ikonoklasmus und praktischer Nutzung des architektonischen Erbes einen ganz eigenen Weg in der Handhabung von Räumen entwickelt. Das ist ein Aspekt, der es für uns spannend macht, hier zu arbeiten.
Bastian Zimmermann: Und die Stadt Nürnberg hat recht viel Leerstand plus eine sehr aktive Szene von Menschen, die mit diesen Leerständen etwas macht – Umnutzungen zu Atelierräumen, Werkstätten, und eben auch Spielstätten. Unsere Geschäftsführerin Wally Geyermann ist dort eine treibende Kraft und unser Team baut sich stark aus Menschen dieser Szene zusammen.

Lulu Obermayer: „Agoraphobia“, Steierischer Herbst 2023, Eröffnung Schloßberg, Graz (Foto: Johanna Lamprecht)
Ich habe das Programm bereits lobend erwähnt. Die Liste der beteiligten Künstler:innen macht neugierig: Moor Mother, Caroline Beach, Anke Eckardt, Beat Furrer & Isabel Lewis, Moriah Evans, Amir Shpilman, Solistenensemble Kaleidoskop & Maya Dunietz, Lulu Obermayer, Bastard Assignments.Inwieweit denkt und diskutiert ihr diese Positionen auch über ihre je eigene Arbeit hinaus im Dialog miteinander?
Marie-Therese Bruglacher: Musik Installationen ist ein transdisziplinäres Festival. Auch wir als Leitungsteam kommen aus unterschiedlichen Bereichen. Bastian und Laure mehr aus der Musik, ich aus Performance und Tanz. Wir haben je Positionen vorgeschlagen und das Programm zu dritt entwickelt. Die Entwicklung an sich war damit schon ein Dialog zwischen verschiedenen Ansätzen der performativen Künste – Musik und Performance bzw. Bewegung. Wie erzählen wir ein Festival an verschiedenen Orten über die Elemente Musik, Raum und Körper? Wir haben dann versucht, ein möglichst diverses Programm zu stricken, das die aktuellen künstlerischen Ansätze aus diesen Bereichen integriert und ebenso unterschiedliche Zugänge für das Publikum schafft.
Und beeinflusst dieser interne Dialog auch eure Auswahl? Habt ihr Künstler:innen von eurer Longlist ausgeschlossen, weil sie im Kontext des Gesamtprogramms nicht stimmig wirkten?
Marie-Therese Bruglacher: Sehr. Wir haben viel über die Künstler*inenn gesprochen und diskutiert. Grundsätzlich waren diese Gespräche aber auch sehr von einem gegenseitigen Vertrauen in unsere jeweilige kuratorische Arbeit geprägt.
Laure M. Hiendl: Ein Grund für dieses Festival ist ja auch, dass wir damals dachten, es gibt in all den darstellenden Sparten immer wieder Künstler:innen, die an dem Format Musikinstallation arbeiten. Die wollen wir in diesem Festival zusammenbringen, eben spartenübergreifend – oft kennen sich die Künstler:innen untereinander nicht. Manchmal ist es aber auch toll kuratorisch eine Ahnung zu haben, dass das Format der Musikinstallation für diese oder jene Künstler:in vielleicht jetzt genau das spannende Tableaux ist. Das findet man dann zusammen raus.
Bastian Zimmermann: Die Frage nach Stimmigkeit ist für mich nicht so stark, da wir eigentlich möglichst unterschiedliche Welten in den einzelnen Arbeiten realisieren wollen. Das Festival hat ja bewusst auch kein Motto oder Ähnliches.
Stichwort Dialog: Wie wichtig ist euch das begleitende Diskursprogramm?
Bastian Zimmermann: Eine Musikinstallation ist ein besonderes Format, sie ist direkt und unmittelbar erlebbar, weil sie über Räume funktioniert und kaum über Sprache, aber Musik und Körper. Trotz allem oder gerade deswegen ist es auch gut, über das Erlebte zu sprechen und nachzudenken. Was wir mit unseren “Diskursstündchen” versuchen, ist, einen Dialog über das Erlebte zu initiieren. Diese Stündchen werden von cleveren Theoretiker*innen gehostet. Es geht dabei aber weniger um einen Vortrag, sondern um den Dialog miteinander. Und am Freitag, den 30. Mai, veranstalten wir eine Konferenz “Musik Machen Ausstellen”, da treffen sich dann die Diskursprofis und betreiben Begriffsarbeit.

Moriah Evans: “REPOSE”, Fotodokumentation der Tanzserie Strandsessions, New York. 2021 (Foto: Maria Baranova)
Ich zitiere aus eurem Programmtext: „Musikinstallationen sind musikalisch-performative Situationen, die eine Landschaft aus sich öffnenden und schließenden, konstanten und temporären Räumen an verschiedenen Orten der Stadt bilden.“
Was muss ein Ort mitbringen, um eure Aufmerksamkeit zu wecken?
Marie-Therese Bruglacher: Das ist ganz unterschiedlich. Natürlich gab es Orte, die uns durch architektonische Besonderheiten oder komplexe ehemalige Nutzungen interessiert haben. Leider hat hier vieles auch nicht geklappt – es wäre toll gewesen, im leerstehenden Trakt der ehemaligen JVA zu arbeiten oder die Rotunde des alten BMW Autohauses in Schweinau zu bespielen. Neben den räumlichen Qualitäten war uns aber mindestens so wichtig, Räume zu teilen, also mit Partner*innen in Nürnberg zu arbeiten. So findet die Musikinstallation von Moor Mother beispielsweise im Kunstverein Nürnberg statt, Caroline Beach in der Akademiegalerie und das Diskursprogramm im Festivalzentrum, einer alten Bäckerei in der Nähe des Hauptmarkts.
Sind grundsätzlich alle Orte nutzbar oder gibt es auch try-and-error-Momente, in denen ihr – gemeinsam mit den Künstler:innen – entscheidet, einen Ort wieder fallen zu lassen, weil sich bestimmte Ideen dort nicht umsetzen lassen?
Marie-Therese Bruglacher: Die Arbeit mit den Künstler*innen an den Orten ist sehr dialoggeprägt. Damit will ich sagen, wir versuchen aus dem Ort herauszuarbeiten und nicht dem Ort etwas überzustülpen. Damit ist es bisher nicht passiert, dass wir einen Ort wieder fallen gelassen haben, sondern eher, dass gewisse Traum-Orte nicht geklappt haben.
Vielleicht ein guter Moment, um über eure Zusammenarbeit zu sprechen: Wie funktioniert eure Dreierkonstellation im künstlerischen Alltag? Teilt ihr euch die Künstler:innen untereinander auf?
Marie-Therese Bruglacher: Genau, wie vorhin schon erwähnt, bringen wir einzelne Projekte in das Programm, die wir dann dramaturgisch begleiten. Wir Drei stehen in einem Dauerdialog (so viele Dialoge… lacht) über die Gesamtdramaturgie und künstlerisch-kuratorische Kommunikation des Festivals.
Ein weiterer Satz aus eurem Infotext ist mir besonders im Kopf geblieben:
„Musik Installationen denken nicht werk- oder konzertorientiert, sondern kommunikativ und performativ: Musik und Performance sind hier soziale Praktiken, die verschiedene Beziehungsmöglichkeiten zwischen den Teilnehmenden, Teilhabenden sowie ihrer Umgebung und der Öffentlichkeit aufzeigen und befragen.“
Das ist aus kuratorischer Perspektive gut nachvollziehbar – aber wie gut ist dieser hohe Anspruch tatsächlich im künstlerischen Arbeitsprozess umsetzbar? Müssen die Künstler:innen dafür nicht mehrfach vor Ort sein und sehr ortsspezifisch arbeiten? Ist das der Fall?
Marie-Therese Bruglacher: Ich glaube, hier muss man zwischen dem künstlerischen Arbeitsprozess und dem tatsächlichen Erleben der Musikinstallation aus Sicht des Publikums unterscheiden. Wie schon gesagt, geht es uns darum, ortsspezifisch neue Situationen zu entwickeln. So gut wie alle Künstler*innen haben über die letzten Monate Site Visits gemacht oder Testläuft durchgeführt, um in ihrer Arbeit auf den ortsbedingten Kontext eingehen zu können, um dann temporär auf den bestehenden Raum aufzubauen. Die Arbeit der Künstler*innen ist damit sehr raumspezifisch, aber eben auch temporär gedacht, sie arbeiten nicht mit lokalen Communities oder an der Etablierung eines dauerhaften sozialen Raums.
Das Soziale sehen wir im Format der Musikinstallation selbst. Im temporären Zusammenbringen von Menschen an einem Ort; das Erlebbarmachen des Orts und seiner Umgebung durch die künstlerische Auseinandersetzung. Eine Musikinstallation soll ein Ort sein, der das Publikum einlädt, es ist kein passiver Raum. Dieser kommunikative und performative Aspekt der Musikinstallation ist stark in die Rezeption des Publikums eingebunden und hat mit Dauer und Präsenz zu tun.
Was passiert, wenn sich Körper über eine gewisse Dauer zusammen in einem Raum aufhalten? Welche Beziehungen entstehen zwischen uns und zur Umgebung? Welche Auswirkung haben dabei räumliche, klangliche und performative Elemente?
Im Unterschied zu vielen anderen Klangkunstfestivals setzt ihr nicht auf Gleichzeitigkeit, sondern gebt über zwei Festivalwochen hinweg jeder Arbeit einen eigenen Zeitslot. Das ermöglicht eine konzentrierte Wahrnehmung – erfordert aber auch ein sehr engagiertes Publikum.
Mit Blick auf eure Erfahrungen aus dem Jahr 2022: Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen der singulären Installationswahrnehmung und der Gesamtfestivalerfahrung?
Bastian Zimmermann: Eine spannende Beobachtung, weil wir tatsächlich 2022 in dem kürzeren Zeitraum von vier Tagen vielmehr auf Gleichzeitigkeit gesetzt haben – mehrere Räume haben auf in der Stadt und im Unterschied zu Klanginstallationsfestivals werden diese Räume eben von Performer:innen gehalten. Das ist dann schon sehr faszinierend. Nachteil ist aber, dass die Gäste des Festivals zu viel hin- und herswitchen, da wollten wir diesmal einen klareren Zeitplan vorschlagen, damit auch wirklich die Zeit bleibt, sich stundenlang in einer einzelnen Musikinstallation zu verlieren.
Zum Schluss würde mich noch interessieren, ob die drei Jahre zwischen der ersten Festivaledition 2022 und der nun anstehenden zweiten, auf den generellen Festivalrhythmus schließen lassen. Findet Musik Installationen Nürnberg 2028 zum dritten Mal statt?
Laure M. Hiendl: Hätten wir das Festival 2024 schon machen wollen, hätten wir drei Wochen nach der ersten Ausgabe 2022 den ersten Förderantrag stellen müssen. So schnell sind wir dann doch nicht (lacht). Für das dritte Mal arbeiten wir jetzt an einer Verstetigung und hoffen dabei sehr auf die Stadt Nürnberg. Dann würden wir die Musik Installationen Nürnberg tatsächlich als Biennale weiterführen wollen — also 2027!
Musik Installationen Nürnberg
Vom 23. Mai bis 1. Juni 2025 finden an verschiedenen Orten in Nürnberg insgesamt neun musikalische Installationen statt – in Kooperation mit zahlreichen städtischen Institutionen.