Acting in Concert: Gender & Genre Bending im [….] raum in Witten

“Musik, die die Brüche, Leerstellen und Transformationen für Sehnsüchte und Neues aufzeigt”

der raum in witten

Der [….] raum, Witten

Mitten in Witten, am Rande des Ruhrpotts, befindet sich ein bemerkenswerter Ort: Der [….] raum hat Seltenheitswert in der Region und erst recht in dieser Stadt. Vor drei Jahren als Co-Working-Space gegründet, transformierte er sich zu einem Spot mit Hybrid-Identität: Heute ist der [….] raum Café, sozialer Treffpunkt, Gelegenheits-Arbeitsplatz für Freischaffende und Veranstaltungslocation zugleich.

Als Veranstaltungslocation fiel der Ort im bahnhofsnahen Wiesenviertel in letzter Zeit durch ein ambitioniertes Programm auf: „Was macht Musik queer? Und was macht queere Musik? Mit dir, mit mir, als Wir?“, fragte das Festival „Acting in Concert“ vergangenen Juni ein ganzes Wochenende lang. Queere Artists wie der Noise-Rapper Abdu Ali, Vika Kirchenbauer alias COOL FOR YOU vom Creamcake-Kollektiv und der nicht-binäre Produzent* Rui Ho aus China/Berlin ließen geschlechtliche, aber auch kulturelle Identitäten in ihren Live-Shows und DJ-Sets zerfließen. Spätestens als Kilbourne, die sich mit Trans- und Frauenfeindlichkeit in der Clubkultur auseinander setzt, nach einer Reihe Hardstyle-Tracks auf überzeugendste Weise Reggae droppte, war der Glitch vollzogen, der das ganze Festival durchzuckelte. Dazu gab es diskursive Flankierung, von queer-feministischer Theorie aus der Uni (Maria do Mar Castro Varela überlegte, wie Musik Räume des Non-Normativen eröffnen kann) bis zur Lecture Performance von Janine Jembere, die Sound als Mittel von Empowerment begreift; außerdem Workshops, Diskussionen und das queer-feministische Speed Dating, das die Begegnung mit Aktivist*innen aus dem Ruhrgebiet ermöglichte.

Wie die zentrale Location der [….] raum, stellt auch ein Festival dieser thematischen wie musikalischen Ausrichtung eine Besonderheit entlang Ruhr und Emscher dar. Wie kam es überhaupt dazu?

Alexander Brede, einer der Macher des [….] raum, ließ sich von Stellan Veloce, der dort einst mit einer Band zu Gast war, zur Idee eines Festivals mit queer-feministischen und dekolonialen Inhalten motivieren. Wobei Alex zunächst skeptisch war: „Im ersten Moment dachte ich: ´In gar keinem Fall tue ich mir den Druck an, so etwas in Witten zu organisieren. Da kommt niemand´. Aber das änderte sich bald, da mit der Zeit Gender-Themen für mich wichtiger wurden und sich auch mein Musikgeschmack veränderte – die Creamcake- und Boohoo-Parties in Berlin berührten mich extrem. Plötzlich war da eine Musik, die meine Gegenwart spiegelt und einen Schritt darüber hinaus in eine andere, offenere Gegenwart geht. Eine Musik, die auch die Brüche, Leerstellen und Transformationen für Sehnsüchte und Neues aufzeigt, die ich in der ganzen Musik, die so gehört wurde, kaum fand.“ Einige der Genre- und Gender-verwischenden Musiker*innen, die Alex faszinieren, lud er alsbald nach Witten ein – und so entstand „Acting in Concert“ in Kooperation mit Stellan Veloce, Neo Hülcker und Antonia Rohwetter.

Mit seinen 103.000 Einwohnern gehört Witten zur zweiten Riege hinter den großen Pott-Städten der Achse Duisburg-Essen-Bochum-Dortmund. Das Ruhrgebiet wird, ungeachtet seiner hohen Bevölkerungsdichte, gerne mal als provinziell beschrieben, doch was ist dann Witten? Die Provinz der Provinz? Welchen Platz hat, welchen Raum braucht hier progressive Popkultur? „Ich bin hier aufgewachsen und erlebe das gesamte Ruhrgebiet als ähnlich provinziell“, erzählt Alex Brede. „Dem haftet oft etwas Nostalgisches an, und die Umgebung hier in Witten zeigt auch wirklich nicht an jeder Ecke Perspektiven auf. Die Musik, die Hoffnungen und neuen Räume, die für mich darin stecken, finden hier nicht statt und deshalb glaube ich, dass der Pott diese Inhalte braucht.“ Er nennt die vor kurzem wieder aktivierte Eve Bar am Schauspielhaus Bochum, die sich inhaltlich ähnlich ausrichtet, und stellt zugleich fest, dass sich die Ruhrtriennale zwar einmal im Jahr zur Ritournelle-Party die Stars der queeren Musikszene einlädt, „sonst aber fast nur weiße Cis-Männer mit Dreitagebart und schwarzen Klamotten im Line-Up hat und denkt, das Thema wäre damit durch.“

Ist es nämlich nicht, findet Alex, und macht weiter mit „Acting in Concert“. Dem Festival im Juni folgt nun eine Konzertreihe, die am 3.11. startet und dabei gleichzeitig das dreijährige Bestehen des [….] raum feiert. Zu Gast ist zum einen Lyra, die vor vier Jahren von Pennsylvania nach Berlin gezogen ist. Ihre Performances sind vom Wechselspiel zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit gezeichnet und damit direkt von ihrem Leben beeinflusst. Die Bühne und das „echte Leben“ lassen sich für Lyra Pramuk ohnehin nicht trennen: „Die Performance ist eine Übertreibung des Lebens.“ Spartanische Beats, geschichtete Stimmfragmente, eine sakrale Atmosphäre und sehr persönliche wie politische Inhalte machen Lyras Musik aus. Feminismus muss ihrer Ansicht nach auch Raum für nicht-binäre und genderqueere Menschen haben. Lyra tritt für eine Kultur des Zuhörens und der Empathie ein; dafür, dass andere Lebensweisen jenseits der Hetero-Normativität sichtbar sein sollen.

Die Wienerin Fauna dockt musikalisch wie inhaltlich an Lyra an. Seit elf Jahren ist sie Teil des female:pressure-Kollektivs und Resident der Wiener Veranstaltungsreihe „Bliss“, die Clubmusik mit politischen Inhalten zusammendenkt. Widerstand und Dissonanz paaren sich im Sound von Fauna mit Intimität und Verletzlichkeit. Trancige Synths flimmern über schweren Kickdrums und ihre Stimme tweakt Fauna gerne hin zu einer cyborgartigen Geschlechtslosigkeit.

Auch Witten ist beim ersten Teil der „Acting in Concert“-Reihe musikalisch vertreten: C2, ein HipHop-Trio direkt aus der Wiesenstraße, besteht aus der (Sprech-)Sängerin Änna, Rapper Jacke und Producer Halfdone. QueenO und Trinity (BlondieV) schließlich gehören zum Wittener FAM-Kollektiv, das an postpatriarchalen Partyformaten und dem goldenen Matriarchat arbeitet und die Feierlichkeiten mit HipHop und Pop, Hatespeech und Softness abrundet.

Dem Konzertabend sollen 2018 weitere folgen. Darüberhinaus ist Alex Brede auf der Suche nach Gleichgesinnten und Mitstreiter*innen im Ruhrgebiet. „Ich habe den Eindruck, dass es hier viele Leute gibt, die an unterschiedlichen Orten, ähnlich allein und prekär an ähnlichen Dingen arbeiten.“ Das soll sich ändern, kollektiver geschehen. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass nicht nur ich mich nach einer anderen Gegenwart hier sehne. Ich glaube, dass Musik großen Einfluss auf die Gesellschaften hat, wo sie stattfindet. Wenn wir Konzertabende organisieren oder versuchen, Clubabende neu zu erfinden, dann können wir viele Menschen erreichen, die affirmativ Vorschläge machen, wie es auch sein könnte.“

Alexander Brede hat eine Playlist für die ersten drei Stunden am Nachmittag erstellt, in der noch keine Live-Acts, dafür aber Cremant und Kuchen locken: 

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