Tim Isfort: „Wir in Moers sind seit fünf Jahrzehnten gewohnt, gegen Kürzungen zu kämpfen. “

Tim Isfort (Photo: Kristina Zalesskaya)
Vom 6. bis 9. Juni findet das 54. moers festival statt. Der künstlerische Leiter des moers festivals, Tim Isfort, war im Vorfeld so nett, ein paar kapute Frage zu beantworten.
Tim, was verbindest du konkret mit eurem Motto „Jazzfestival für Musik, Miteinander, Freysinn und Klangfriede“ in diesen sozial-politisch sehr aufgeladenen Tagen?
Tim Isfort: Seit der Corona-Pandemie geben wir dem moers festival jährlich wechselnde Subtitel, die sich auf die aktuelle gesellschaftspolitische Lage beziehen. Die sich zuspitzende Situation in der Welt mit einem unübersehbaren, internationalen Ruck nach Rechts, Kriegen, Klima- und sonstigen Krisen sowie immer lauter werdenden, irrlichternden Gestalten hat uns dieses Jahr zum Festivalmotto „Stille“ geführt. Durch den Untertitel wird hoffentlich deutlich, dass die Menschheit nur im Miteinander, Dialog und Frieden überhaupt eine Chance hat. Moers will dieser Utopie zumindest für vier Tage eine Bühne sein.
Im letzten Jahr habt ihr den Länderschwerpunkt auf Japan gelegt, in diesem Jahr blickt ihr gen China. Was hat euch dazu verleitet?
Das moers festival ist schon seit den 70er-Jahren neben dem eigentlichen Schwerpunkt auf Jazz – oder damals Freejazz – offen gewesen für Musik aus anderen Kulturen und Genres. Zur japanischen Szene gab es seit den Anfängen des Festivals immer wieder enge Kontakte. Im Vergleich dazu war China eher unterrepräsentiert. Insofern ist dies jetzt ein erster, zaghafter Versuch, ein Gefühl für dieses riesige Land zu bekommen.

BROeZZFRAU (Photo: Dennis Hoeren)
Kannst du uns ein bisschen zu den Gastkünstler:innen aus China erzählen? Was macht sie jeweils für dich so spannend?
Passend zum Festivalmotto gibt es in der modernen chinesischen Musik seit den 1970er-Jahren, eine interessante Bewegung, die Stille weniger als Gegenpol zum Lärm als vielmehr im Austarieren einer harmonischen Mitte verhandelt. Dabei können wir nur ein paar Schlaglichter auf einzelne Regionen werfen, in denen es improvisierte oder experimentelle Musik gibt, wie zum Beispiel Beijing, wo interessante Künstler*innen wie Sun Yizhou, Zhou Wenbo und Tan Shuoxin arbeiten. Aber auch Instrumentalisten wie Li Daiguo oder Lao Dan aus der südwestchinesischen Region Sezuan, die auf eher traditionellen chinesischen Instrumenten improvisieren, sind sicherlich interessant. Besonders freue ich mich auch auf Mamer, einen etablierten Musiker, der aus dem uigurischen autonomen Gebiet Xinjiang zu uns nach Moers kommt.
Gibt es einen weiteren Strang im Programm, den du besonders hervorheben möchtest?
Da gibt es eigentlich Vieles, das ich jetzt gerne nennen würde. Wichtig ist uns aber schon der jährlich wechselnde Blick in die Musikszene eines Landes des afrikanischen Kontinents, der dieses Mal Künstler*innen aus der quirligen Szene Ruandas in den Fokus rückt.
Ich könnte jetzt aber auch über spannende Komponistinnen wie Maya Dunietz, Ellen Arkbro, Angelica Sanchez oder Kalia Vandever sprechen. Eigentlich das gesamte Unimoersum! 🙂

YPY (Photo: Dennis Hoeren)
Koshiro Hino, der im letzten Jahr gleich mit drei verschiedenen Sets Teil des moers festivals war, ist auch in diesem Jahr wieder vertreten. Was macht ihn für dich so besonders?
Er ist ein Meister der Suspense in der Musik, die er mit rhythmischen Verschachtelungen und -– jedenfalls für unsere Ohren – atypischen Instrumentierungen schafft. Beeindruckt hat mich auch, dass er in seinem Umgang mit elektroakustischen und traditionellen Instrumenten ein absoluter Virtuose ist. Seine elektronische Musik klingt unglaublich homogen und ist trotz ihrer rhythmischen Komplexität sogar tanzbar.
Begibt man sich als Festivalmacher eigentlich ab und an auf die historische Reise ins Archiv eines so lange laufenden Festivals wie Moers, um Anregungen aus den nun auch schon 53 Editionen zuvor zu holen?
Natürlich! Und obwohl ich persönlich seit Anfang der 80er-Jahre das Festival besucht habe, merke ich jetzt, dass mir seitdem (und davor sowieso) ganz Vieles nicht bewusst war oder ich es vielleicht einfach verpasst habe. Und so bringt jede Beschäftigung mit dem Archiv wieder neue Perspektiven auf Protagonist*innen, die manchmal Jahrzehnte nicht mehr in Moers waren. So Wadada Leo Smith, der dieses Jahr – nach 1979 – seinen vierten Auftritt beim moers festival spielt.

Gwyn Wurst (Photo Dennis Hoeren)
In der bundesdeutschen Kulturpolitik geht es zuletzt hoch her. Bis auf Hamburg spürt der Kulturbetrieb eigentlich überall die Kürzungen – und so wie es aussieht, wird sich das in nächster Zeit leider erst einmal nicht ändern. Wie verhält es sich beim moers festival? Wie abhängig seid ihr von Förderungen?
Da könnte ich dir jetzt unser 9-Punkte-Manifest vorlesen, das im Grunde die Singularität und Förderwürdigkeit von Festivals und kulturellen Institutionen skandiert. Wir merken alle, dass der Wind sich dreht. Deswegen ist es umso wichtiger, dass alle Akteur*innen in der Kultur und der Kulturpolitik unmissverständlich klar machen, welche enorm wichtige Aufgabe wir alle im großen Bereich der Bildung übernehmen. Am Beispiel dessen, was die Trump-Administration in kürzester Zeit zerstört hat, muss doch jedem Deppen hier klar werden, was zu verschwinden droht, wenn die falschen Entscheidungen getroffen werden – es dürfte schwer werden, sowas wieder aufzubauen. Aber wir in Moers sind seit fünf Jahrzehnten gewohnt, gegen Kürzungen zu kämpfen.

Eslon Hindundu, Oumwe Unity (Photo: Kurt Rade)
Und weiter gefragt: Wie finanziert sich so ein umfangreiches Festivalprogramm wie das des moers festivals?
Es geht ja in Moers nicht nur um den Umfang, sondern die Möglichkeit, das Unerhörte entdecken und extrem verschiedene Impulse aus den unklassifizierbarsten Genres erleben zu können. Dies wird ermöglicht durch Finanzierungen des Bundes, des Landes NRW und natürlich der Stadt Moers, die stolz auf ihr Festival ist.
Darüber hinaus ermöglichen weitere Fördergeber*innen, wie zum Beispiel die Kunststiftung NRW, oder Medienpartner*innen spezielle Themenschwerpunkte, zum Beispiel die oben erwähnten Länderschwerpunkte, den Blick auf den afrikanischen Kontinent oder ganz wichtig: Projekte für Kinder und Jugendliche. Dazu kommen eine über Jahrzehnte gewachsene treue Fangemeinde sowie regionale Sponsor*innen, die das Festival in seiner Einzigartigkeit wertschätzen.

Arto Lindsay (Photo: Dennis Hoeren)
Zum Schluss würde mich noch interessieren, welche drei Künstler:innen du gerne zusammenbringen würdest, wenn Geld und Verfügbarkeit keine Rolle spielen. Gibt es eine Traumkonstellation?
Hm, damit würde ich jetzt verraten, was für astronomische Summen inzwischen einige von den hoch geschätzten Künstler*innen aufrufen. Aber Spaß beiseite… Zum diesjährigen Thema „Stille“ hätte sicherlich Arvo Pärt mit einer Auftragskomposition hervorragend gepasst, aber keine Chance – so etwas braucht viel mehr Vorlauf. Die Synthesizer-Pionierin Éliane Radigue hätten wir 2020/21 gerne eingeladen, jetzt reist sie leider nicht mehr. Und Nummer Drei sind die vielen spannenden Held*innen aus der Welt der Improvisierten Freiheit, die, während sie lebten, den Weg für diese reiche Musik geebnet haben. Besser also, ihr kommt ab jetzt Pfingsten immer nach Moers.
54. moers festival | 06.–09.06.2025
https://www.moers-festival.de/