Crushed Trap und die Ästhetik des neuen Undergrounds

Bitrcushed, hexed, destroyed

1 – Bitrcushed, hexed, destroyed

Vor etwa zwei Jahren stolperte ich auf einem Streifzug durch die Welt des Underground Rap auf Youtube über das seltsame Album „𝖉𝖗𝖎𝖝𝖝𝖊𝖉 𝖔𝖚𝖙 𝖒𝖔𝖚𝖓𝖙𝖆𝖎𝖓𝖘“ des Künstlers Mokshadripp, der sonst nur als Mitglied der Crew Drixxo Lords in Erscheinung getreten ist, von der sich ebenfalls nur ein knapp halbstündiges Album auf Youtube findet.


Das Albumcover zeigt ein etwas amateurhaft gezeichnetes Manga-Mädchen in Schuluniform, das mit einem Glitzerfilter überzogen ist, der das Bild in einen schillernden pinken Nebel hüllt. Die (mit klickbaren Timecues versehene Tracklist )in der Beschreibung des Videos scheint selbst Teil der visuellen Seite des Kunstwerks zu sein. Der Track „★★★𝐼✪𝒻𝑒𝑒𝓁✭𝓁𝒾𝓀𝑒✫𝒶✴𝓈𝓊𝓅𝑒𝓇𝓈𝓉𝒶𝓇✮✮✮ ♛ 【𝒾ᑎ𝐭ŕⓞ ♢☯】“ klingt nach einer Trance Hymne aus den 90ern, die von Kindern auf Spielzeugsynthesizern nachgespielt wird.

Der zweite Track „▓░ ☻𝙘 𝙤 𝙢 𝙞 𝙣 ‘ ☼ 𝙤 𝙪 𝙩 ♣ 𝙙 𝙧 𝙞 𝙭 𝙭 𝙤 c 𝕯𝕰𝕾𝕿𝕽𝕺𝖄𝕰𝕯“ ist eine Mischung aus Cloud- und Emo-Rap, eingeleitet von melancholischen Grunge-Akkorden auf der Gitarre, die dann unter Synthieflächen, kratzigen Hi-Hats und hohlen Subbässen verschwinden. Musikalisch kann man das Album irgendwo zwischen Cloud-Rap und Hyperpop verorten. Man hört die mechanischen 808 Hi-Hats und Kicks, nachlässig gerappte Vocal-Passagen – aber auch hyperaktive, gepitchte Stimmen und appregierte Synthesizer, die der Musik etwas grelles und cartoon- oder videospielhaftes verleihen. Das eigentlich faszinierende an diesem Album findet sich weniger in den Bestandteilen der einzelnen Tracks, als in der Textur des ganzen Albums: Der ohnehin schon verwaschene und blecherne Klang ist überzogen mit dem digitalen Rauschen eines Soundeffekts, der als Bitcrusher bekannt ist.

Dieses digitale Rauschen war vor einigen Jahren noch das Anzeichen von Mp3-Dateien mit sehr niedriger Bitrate. Heute, da Streaming die normale Art der Distribution von Musik im Internet geworden ist und entsprechend die Qualität der dabei versendeten Datenpakete normiert wurde, stößt man nur noch selten auf dieses Phänomen. In den Nullerjahren jedoch begegnete man ihm regelmäßig, da Musik vor allem auf Blogs und Tauschbörsen illegal verbreitet wurde. Schon an der Größe der Dateien konnte man damals ablesen, ob die Musik gute oder schlechte Qualität haben würde. Ein Album, das nur etwa 50 Mb umfasste, war wahrscheinlich in 128 Kb/s hochgeladen worden. Diese Bitrate bildet in etwa die Wahrnehmungsschwelle ab, ab der man deutlich hört, dass die Quelldatei komprimiert ist. Der Sound ist flach, es fehlt der Musik an Tiefe und Textur, aber es treten noch keine deutlichen Störungen auf. Diese beginnen ab 92 Kb/s – vor allem die Becken des Schlagzeugs und die höheren Klangregister fangen an zu verzerren und künstlich zu klingen. Schraubt man die Bitrate weiter herunter, verschwindet stufenweise der ganze Track hinter ächzenden Störgeräuschen und digitalem Rauschen, das im Extremfall an die Einwahlgeräusche alter Modems erinnert und ein Anzeichen für fehlende Informationsdichte ist, die es dem Computer erschwert, den Song in allen seinen Facetten wiederzugeben.

Bitcrusher ist ein Effekt, der diese digitale Verzerrung als Stilmittel einsetzbar macht. Normalerweise wird er in der Popmusik nur sehr sparsam verwendet – oft in Intros oder Outros –, um Instrumenten eine besondere Lo-Fi Textur zu verleihen, die dann in Kontrast zum satten Sound des eigentlichen Tracks gesetzt werden kann (ein gutes Beispiel ist das Intro des The Mars Volta Songs „Ilyena“).

Darüber hinaus wird das digitale Rauschen aber bis heute in der Streaming-dominierten Musiklandschaft vermieden. Es ist das Anzeichen dafür, dass etwas schief gelaufen ist, der Internetempfang hakt, Dateien im Zuge der Übertragung korrumpiert oder zerstört wurden. Damit steht es in scharfem Kontrast zum Rauschen einer Vinylplatte, die schon seit langem ein willkommenes und oft künstlich erzeugtes Feature ist, das für analoge Wärme und angenehme Retrostimmung sorgt.

„Drixxed out Mountains“ war nur das erste einer ganzen Reihe von Alben beziehungsweise Projekten, auf die ich stieß, die systematisch von Bitcrush-Effekten und anderen digitalen Störphänomenen Gebrauch machten. Das Album „Aethernet“ von Fax Gang könnte ebenfalls als Hyperpop Album bezeichnet werden. Gedämpfter Autotune-Gesang wird hier über superkomplexe Synthesizer und Drum-Arrangements, die an alte Videospiele erinnern, gelagert und mit Bitcrusher zu einer einzigen, dichten Klangtextur verschmolzen. Die Faszination an dieser Musik geht nicht zuletzt davon aus, dass der Bitcrusher einiges von der Komplexität der Musik verdeckt und man sie beim Hören mental gewissermaßen im Kopf Ergänzen muss, ihre Facetten sich wie die Elemente einer komplizierten Maschine aus einem glühenden Klangnebel hervorheben.

Es klingt wie Musik, an die man sich undeutlich erinnert und die aus Versatzstücken anderer, bekannterer Tracks zusammengeträumt ist. Und in gewisser Weise trifft das ja auch zu, denn Bitcrush bedeutet ja, dass der Computer, der die Datei ausliest, diese aus der ungenügenden Information, die ihm zur Verfügung steht, zu einem kohärenten Ganzen zusammensetzen muss – wir wohnen beim Hören also der prekären Erinnerungsleistung des Computers bei.

„Lon35Starr“ von Hi-C ist deutlicher an Trap angelehnt, der Sound ist nicht ganz so undeutlich – statt einer Klangtextur, die vollkommen im Rauschen versinkt, herrscht eine typische Trap Drum Machine vor, die jedoch gezielt übersteuert ist und bei jedem Anschlag der Kick Drum die Gesamtheit des Soundspektrums für einen Moment verschwimmen lässt. Die Synthesizer bilden dahinter eine Art von Ambient-Klanglandschaft, die sich nur sehr lose zum rhythmischen Gerüst der Tracks verhält. Die Vocal-Spur ist mit Hall und Echo Effekten versehen und schwebt unsicher und disponiert zwischen Drum Machine und Soundeffekten im Hintergrund.

Diese und viele weitere Alben und Playlists sind auf dem Kanal Dismiss Yourself zu finden, der sich seit seiner Gründung 2017 nach und nach zu einer zentralen Plattform entwickelt hat, auf der ein neuer Internet-Undergorund Gestalt annimmt, der sich gerade durch das Experimentieren mit den Möglichkeiten solcher digitaler Soundeffekte auszeichnet.
Gegründet wurde der Kanal von einem Teenager, der in einem Interview mit der Plattform Bandcamp berichtet, bei der Auswahl der Musik für seinen Kanal rein intuitiv vorgegangen zu sein. Trotzdem ist die ästhetische Kohärenz der dort versammelten Musik erstaunlich. Abgesehen von aktuellen Projekten wie Mokshadripp, Hi-C, Fax Gang, Reptilian Club Boyz, Black Kray und vielen anderen, findet sich auch älteres Material – japanischer Ambient und Drum´n´Bass, Videospiel Soundtracks und Alben von SpaceGhostPurrp oder Viper, die schon in den Nullerjahren – parallel zum gerade dominanten Mainstream des Trap und HipHop – einen eigenen Lo-Fi Underground-Sound kultivierten. Mit erstaunlicher sicherer Auffassungsgabe wurden diese Projekte von Dismiss Yourself in die Ahnengalerie des von ihm propagierten, neuen Sounds aufgenommen.

Vielen dieser Alben ist gemein, dass die Tracks, obwohl klar voneinander unterschieden, trotzdem zu einer Art von Kontinuum verschmelzen. Das digitale Rauschen, Autotune, Hall und Echo erzeugen einen fortlaufenden, rhythmischen und flirrenden Klangraum, in dem man sich als Hörer verlieren kann. Crushed Trap, auch Sigilkore oder Hex genannt, eignet sich für diese Art des Hörens besonders gut und so finden sich auf Youtube diverse Compilations, die Tracks dieser Art zu einer Soundkulisse verschmelzen, in der oft die Individualität der einzelnen Interpreten sich in einer allgemeinen Klanglandschaft auflöst, von der man sich im Hintergrund berieseln lassen kann. Offenbar haben wir also einen Moment erreicht, in dem Bitcrush nicht mehr nur als störend wahrgenommen wird, sondern – ähnlich wie das Knistern einer Platte – zu einem erwünschten und angenehmen Sound-Feature geworden ist.

Der auf Youtube aktive Musikjournalist 108Mics spricht in diesem Kontext von einer neuen Form des Shoegaze oder Dreampop. Wurden in diesen älteren Genres Pop- und Rocksongs mit Schichten aus Hall verfremdet und bekamen auf diese Weise eine besonders verträumte und entrückte Stimmung, sind es heute digitale Störgeräusche, die eine ähnliche Wirkung erzielen. Aber dem digitalen Rauschen wohnt nie ganz dieselbeArt von Gemütlichkeit inne wie dem analogen Knistern. Hat der hypnotische Hall eines Reverb-Pedals den älteren Genres eine gewisse Wärme verliehen, klingt Crushed Trap kalt und kristallin, sediert und nervös zugleich – und nicht selten auch vage unheimlich und verstörend. Dazu passt, dass das Genre in der Zeit der Corona Lockdowns den Höhepunkt seiner Popularität erreichte. Es ist eine Musik, die zu einer Welt passt, in der man alleine, in einem dunklen Zimmer, vor dem Glimmen des Bildschirm sitzt und sich – womöglich unter Einfluss von Gras oder Opiaten – durch die digitalen Weiten des Internets treiben lässt.

2 – Poor Images, poor Sounds

Zu etwa derselben Zeit, als ich Mokshadrip entdeckte, tauchte in meinem Feed auf Instagram vermehrt ein Meme auf, das aus der Perspektive eines Fischaugenobjektivs das Innere eines Autos und einen Mann am Steuer zeigt, der die Hand zu einem lässigen Victory-Gruß hebt. Das Caption am unteren Bildrand lautet: „Understandable, have a great day“.
Wie so oft bei Memes, die Produkte einer langanhaltenden Sedimentierung von Ironieschichten und Insider-Gags darstellen, verstand ich zunächst nicht, worum es geht, aber mir fiel gleich die besondere Hässlichkeit des Bildes auf, das bereits an sich eine niedrige Auflösung aufweist – dazu ist es mit einem altertümlichen Photoshop-Filter überzogen, der den Konturen im Bild eine Art weißer Aura verleiht.
Solche Memes, die sich durch eine Überlagerung extrem unansehnlicher Filter, hochgedrehter Kontraste und übertriebener Konturen aus der Masse der Bilder auf der Timeline abhoben, tauchen in der Folge immer öfters auf und bekamen in der Meme-o-Sphäre den Namen „Deep Fried Memes“ verpasst.

Die Besonderheit dieser eingedeutscht fritierten Memes ist es, dass sie ihr Ausgangsmaterial durch eine vielfache Überlagerung von visuellen Effekten und die Steigerung von Kontrast und Farbsättigung vollkommen entfremden. Das Dazed Magazine führt  in einem aufschlussreichen Artikel die Popularität dieser Memes auf die zunehmende algorithmische Normierung und Zensur von Social Media Plattformen zurück. Deep Fried Memes, die vielfach mit verzerrenden Effekten überlagert sind, aber dennoch den Inhalt des Bildes erkennbar machen, erlauben es etwa, anstößige und politisch unkorrekte Witze zu verbreiten, ohne, dass die Algorithmen anschlagen.

Darüber hinaus kann man ganz allgemein beobachten, dass Memes in den letzten Jahren statt technisch versierter zu werden, eigentlich immer kruder und hässlicher werden. Der Überbegriff dafür lautet „Dank Memes“ – Memes, die auf einfachste Weise durch das copy-pasten einzelner vorgefundener Bildelemente erstellt werden. Die Weigerung der Meme-Trendsetter, sich visuell an die glatte und genormte User-Oberflächen der Social Media Plattformen anzupassen, scheint eine Art von Trotzgeste zu sein: „Ja, wir sind vollkommen von Euren Plattformen abhängig, aber wir schaffen uns unsere eigenen visuellen Codes, die möglichst vollständig von Euren abweichen.“

Hier lässt sich eine Parallele zu Crushed Trap und angrenzenden Mikrogenres wie Surge oder Tread feststellen, die von Dismiss Yourself popularisiert wurden. Die Parallele zwischen dem „crushen“ von Sounddateien und dem „fritieren“ von Bildern – in beiden Fällen durch Aufschichtung greller digitaler Effekte, die das Ausgangsmaterial vollkommen entstellen – ist naheliegend. Auch die Covergestaltung der meisten Alben in dieser Musiksphäre weist eine erstaunliche Nachlässigkeit auf. Zumeist zeigen die Cover Anime Figuren, die wirken, als seien sie alten Myspace-Seiten und Fan-Foren entnommen worden. Offensichtlich sind das die Bestandteile eines neuen visuellen Codes, der aus dem Abfall der Netzkultur der letzten zwei Jahrzehnte schöpft und der von einer neuen Generation von Digital Natives für ihre Zwecke aufgewertet und recycelt wird.

Hito Steyrl beschrieb in ihrem einflussreichen Artikel „In Defense of the poor Image“ ( https://www.e-flux.com/journal/10/61362/in-defense-of-the-poor-image) schon 2009 die Besonderheiten, die qualitativ minderwertige Bilder aus medientheoretischer Sicht haben – sie tragen die Spur ihrer digitalen „Geschichte“ mit sich. Endlos de- und re-komprimierte Dateien, die irgendwann nur noch einen Schatten ihrer ursprünglichen Auflösung bewahren, machen die Prekarität des digitalen Bildes deutlich, zeigen aber auch, dass es nicht immateriell ist, wie es zunächst den Anschein hat, sondern, dass auch digital kodierte Information eine Form von Materialität besitzt und Abnutzung aufweisen kann.

Einer der populärsten Uploads von Dismiss Yourself ist das Album „DEATHMETAL“ von Panchiko. Das Album wurde 2016 von einem User des berüchtigten Forums 4Chan in einem Second Hand Store als CD entdeckt und kursierte seitdem im Internet, bis sich einige Fans dahinterklemmten und die britischen Musiker ausfindig machten, die das Album 2001 aufgenommen haben. Dismiss Yourself führt das Album bezeichnender Weise in zwei Versionen auf seinem Kanal: Die Remastered Version, sowie die [Outdated Bitrot] Version, die die Songs in Bitcrush-Rauschen taucht und das Cover als leicht verwackeltes Foto in seiner originalen Gestalt als Fundstück bei Oxfam zeigt. Kommentare unter dem Video dieser Version sagen: „There’s something so melancholic about this. It’s like watching a beautiful creature slowly rot to obscurity“ oder „I swear the rot version adds so much to the songs. The beautiful last gasps of a group struggling not to be forgotten amidst an uncaring world and aging hardware“.

Eben diese Abnutzung des digitalen Datenmaterials, das bei den qualitativ minderwertigen Mp3s in der Nullerjahren noch wahrnehmbar war, wird von der heutigen, zunehmend glatten und normierten Oberfläche des Internets immer weiter verleugnet und ausgemerzt. Mit der Normalisierung von Breitbandanschlüssen und der Möglichkeit auch riesige Datenmengen schnell und verlustfrei zu übertragen, hat das absichtliche Zerstören von Audio- oder Bilddateien im Internet eine neue Bedeutung gewonnen. Wo hohe Qualität normal und einfach zu erzeugen ist, kann man mit bestimmten Formen von Bearbeitung eine fiktive „Mediengeschichte“ hinzufügen. Die Popularität von Panachikos „DEATHMETAL“ in der regulären und der Bitcrush-Version und auch die Projektionen und Fantasien der Fans, zeigen, dass es ein Bedürfnis danach gibt, dass Musik auch in der heutigen zeitlosen digitalen Umgebung noch „altern“ und ihre Geschichte mit sich tragen kann.

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!