“Das ist auch eine Gefahr für die Demokratie” – Die Braut haut ins Auge im Gespräch
Die Akteurinnen von Die Braut haut ins Auge sind nach dem Ende der Band im Jahre 2000 nachhaltig in den hiesigen alternativen Popbetrieb diffundiert. Speziell Peta Devlin und Bernadette La Hengst kennt man über Solo-Platten und andere Bandkonstellation. Doch Die Braut haut ins Auge glomm dahinter stets als Schutzpatronin. 2024, in einem Jahr voll greller Hamburger Schule Reminiszenzen, wurde sie nun selbst wieder aufgegriffen. Marc Wilde traf die Band bei ihrem Konzert in Düsseldorf.
Die Braut haut ins Auge steht heute nach 30 Jahren erstmals wieder auf der Bühne. Was war der Impuls für diese Neubelebung?
Bernadette La Hengst: Der Anlass war sicherlich unsere „Hits“-Platte, die wir in diesem Jahr veröffentlicht haben. Eigentlich wollte ich schon vor zehn Jahren noch einmal etwas von uns rausbringen, weil es ja die Alben nicht mehr gab. CDs, Vinyl, das wurde von unserer alten Plattenfirma alles komplett eingestampft, einfach weil die Lagerungskosten teurer waren als die Vernichtungskosten. Und das war so bitter, dass es das ganze Material nicht mehr gab.
Peta Devlin: Wir waren so ein bisschen das Phantom der Hamburger Schule. Viele haben ihre Alben nochmal wiederveröffentlicht, bei L’Age D’Or, Tapete und weiteren Plattenfirmen. Bei uns gab es niemanden, der zuständig war.
BLH: Und dann war das ja auch immer mit viel Aufwand verbunden. Dreimal habe ich Anlauf genommen und das Projekt dann doch wieder auf Eis gelegt. Aber dieses Jahr wusste ich, dass dieser NDR-Dokumentationsfilm über die Hamburger Schule rauskommen würde. Und dann habe ich mir gedacht, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen. Jetzt muss es diese Alben wieder geben. Also habe ich Peta, Karen und Barbara kontaktiert, sie gefragt und alle fanden die Idee gut.
Das hat dann dazu geführt, dass euer Katalog nun komplett digital zur Verfügung steht und auf den bekannten Plattformen gestreamt werden kann, richtig?
BLH: Genau, und dann hat Trikont, meine Plattenfirma, gesagt, nur digital, das wäre doch ein bisschen schade. Lasst uns doch noch was auf Vinyl rausbringen. Und so kam es dann zu „Hits“. Das war auch ziemlich viel Arbeit, das alles zusammenzusuchen. Wir haben eine große Kiste aufgemacht mit vielen Erinnerungen. Hunderte von Fotos und alte VHS-Videokassetten wurden digitalisiert. Das war eine ganz schöne Geschichtsaufarbeitung, mit vielen Emotionen verbunden. Erst dann kam der Anruf von Miguel, dem Leiter vom Lieblingsplatte Festival, ob wir wieder auftreten wollten.
Peta: Und dann hat Bernadette mich gefragt, ob ich Lust dazu hätte. Und ich habe ja gesagt. Wobei, erst einmal habe ich gefragt, wie viel Geld gibt es? (Lacht). Nein, nicht wirklich …
BLH: Am liebsten hätte ich ja die ganze Band noch einmal zusammengestellt. Bei den anderen ist es aber leider so, dass die keine Musik mehr machen. Und deswegen sind heute zwei ganz tolle junge Gastmusikerinnen mit dabei.
Wie ist denn der Kontakt zustande gekommen?
Peta: Also Katha ist studierte Jazzschlagzeugerin und hat zuletzt viel mit Finna, einer sehr tollen Rap-Künstler*in und Musik Produzent*in aus Hamburg, zusammengearbeitet. Wir haben sie über mehrere Verbindungen gefunden, und sie ist sofort voller Begeisterung eingestiegen. War auch total super. Und Sophie, die jetzt Keyboard bei uns spielt, war eine Studentin von mir. Ich war einige Jahre Dozentin für Performance und Tontechnik bei der BIMM in Hamburg und Sophie war in meiner Performance-Klasse. Sie war damals eine von diesen ganz interessanten Studentinnen, die eher etwas zurückhaltend waren, aber wenn Sophie was gemacht hat, hat es dir die Socken ausgezogen.
Also quasi ein generationenübergreifendes Team …
BLH: Total. Das Interessante bei Katha, der Schlagzeugerin, ist auch, dass sie mir von ihrer Mentorin empfohlen wurde. Das war Andrea Rothaug aus Hamburg, die früher auch mit uns auf Tour gewesen ist, als Tourmanagerin, Merchandiserin und so weiter. Inzwischen arbeitet sie für Rock City, ein Verein für Musiker*innen in Hamburg und macht unter anderem auch Coaching. Also die Kontakte haben sich viel auch über unsere Netzwerke ergeben …
Zwischenspiel: Wir befinden uns hinter der Bühne vom Zakk, Bernadette und Peta sitzen mit dem Rücken zu den Schminkspiegeln. Im Hintergrund kümmert sich Katha um ihr Bühnenoutfit, als plötzlich eine weitere Person den Raum betritt.
… ja, guck mal, da kommt die Karen. Wir machen gerade ein Interview. Aber komm rein.
Karen Dennig: Ich störe nicht?
Peta: Nein. Wie könntest du stören? Du gehörst ja genauso dazu.
Karen: Es ist so schön, euch zu sehen. Ich bin ganz aufgeregt.
BLH: Karen ist die eigentliche Keyboarderin von Die Braut haut ins Auge.
Peta: Die ganzen tollen Keyboardparts, die wir heute hören, die sind alle von Karen.
Karen: Heute habe ich im Auto, als wir hergefahren sind, ganz viel Die Braut gehört. Und dann dachte ich, ha, war ja nicht so schlecht eigentlich. Und dann nochmals so: oh, guck, wow, echt?
BLH: … „habe ich das gespielt“ (lacht)?
Karen: Genau, das habe ich mich gefragt. Wobei, dann ist mir das alles auch wieder eingefallen … Wir waren schon verdammt gut.
BLH: Und Karen hat auch ihre alte Korg-Orgel mitgebracht und für heute der Sophie zur Verfügung gestellt. Also das ist der Original-Brautsound, den du heute Abend zu hören bekommst.
Ich freue mich darauf, würde aber jetzt gerne noch eine Frage zu dieser Vernichtungsaktion stellen. Wie muss ich mir das vorstellen, kriegt man dann einen Brief, in dem steht: Ihr könnt das Material bis zum Soundsovielten abholen, sonst kommt es in die Müllpresse?
BLH: Nee, überhaupt nicht. Das war ja das Ding. Bei unserer ersten Platte war das auch so. Das Computersystem – das gab es damals ja alles nicht so lange – hat wohl gemeldet: hier, die letzten drei Monate, Die Braut nur 50 CDs verkauft – vernichten! Und dann haben die uns noch nicht einmal gefragt.
Karen: Das war echt scheiße. Dabei hatten wir denen vorher extra noch gesagt, Leute, wenn ihr das macht, gebt uns Bescheid, dann kaufen wir sie euch ab.
BLH: Wir hatten es sogar im Vertrag stehen, ab dem zweiten Album. Sie haben es trotzdem nicht gemacht.
Das Festival, für das ihr euch noch einmal zusammengefunden habt, heißt Lieblingsplatte. Und ihr werdet gleich euer zweites Album „Was nehm’ ich mit (wenn es Krieg gibt)?“ komplett durchspielen. Warum habt ihr euch genau diese Platte ausgesucht?
BLH: Wir haben lange überlegt.
Peta: Du wolltest eigentlich die dritte, oder?
BLH: Ja, ich wollte „Pop ist tot“. Weil Miguel sich das auch gewünscht hatte, muss man auch dazu sagen.
Peta: Für mich war es ganz klar, dass ich dieses Album spielen wollte. Das ist für mich am meisten so eine Band-Platte. Also bei der ersten war alles noch so frisch. Und die dritte fand ich ein wenig überproduziert, die wollte irgendwo hin. Aber bei „Was nehm ich mit“ war es so der Moment in unserer gemeinsamen Zeit, wo es einfach Gitarre, Bass, Keyboard, Schlagzeug und Gesänge gab, und mit diesen Mitteln haben wir alles gesagt. Daher konnte ich es mir auch mit diesem Album am ehesten vorstellen, das wiederzubeleben.
Karen: Heute beim Hören habe ich das tatsächlich auch gedacht … und ich erinnere mich, wir haben damals Greil Marcus gelesen „Mystery Train“ und so diese ganzen Sachen. Und The Band, Bob Dylan … I’m so sorry, Peta!
BLH: Du musst wissen, es gab einen großen Streit in der Band. Die Bob Dylan-Front verlief genau hier, zwischen Peta und unserem damaligen Mischer auf der einen Seite und Karen und mir auf der anderen.
Jetzt musstet ihr euch all die Songs nach langer Zeit wieder draufschaffen. Ist euch das schwergefallen, sich wieder reinzufinden?
BLH: Im Proberaum war es ganz gut. Ob ich mich nachher noch an die Texte erinnern kann? Wir werden es sehen.
Peta: Was ich tatsächlich gemerkt habe, ist, dass es doch so etwas wie Muscle Memory gibt. Man kennt die Töne, man spielt sie, aber es passt noch nicht ganz zusammen. Und dann spielst du es ein weiteres Mal und merkst, da ist irgendwo etwas ganz in der hintersten Ecke des Gehirns, das will nur rausgeholt werden und nach vorne.
Einen Song würde ich gerne rausgreifen: „Was nehm ich mit (wenn es Krieg gibt)?“ Bernadette, das ist ja nicht nur der Titeltrack, du hast den Song auch für dein aktuelles Album („Visionäre Leere“) erneut aufgenommen. Was hat dich dazu geführt – hatte es mit der Aktualität der Kriegs-Thematik zu tun?
BLH: Nein, ich habe den vor allem deshalb wieder hervorgeholt, weil ich ein Theaterstück gemacht habe: „Mutter**land“. Und das handelt von den Lebensstationen meiner Mutter, die auch ein Kriegskind war, wie so viele Eltern unserer Generation. Sie ist dazu noch geflohen, als Sechsjährige, mit ihrer Familie aus Schlesien. Und ich habe schon gemerkt, viele Jahre nachdem ich das Lied geschrieben habe, dass es eigentlich auch ein bisschen die Geschichte meiner Eltern ist. Und als 2015 Hunderttausende von syrischen Geflüchteten nach Deutschland gekommen sind, kamen diese persönlichen Geschichten auch wieder bei mir hoch. Insofern hatte dieses Lied auf einmal eine ganz andere Bedeutung. Es ist ja auch ein aus einer persönlichen Perspektive geschriebenes Stück, das nicht an einen bestimmten Krieg gebunden ist. Es geht eher um eine universelle Fluchtgeschichte, die dann natürlich jetzt durch die Kriege, die immer näher gerückt sind, nochmal eine andere Relevanz bekommen hat. Und auch deswegen wollte ich es nochmal aufnehmen.
Peta, du bist auch sehr umtriebig und in zahlreichen Projekten aktiv. Du hast vorhin gesagt, dass du auch als Dozentin gearbeitet hast. Nach der Zeit mit der Braut warst du auch in anderen Bands aktiv, Cow zum Beispiel. Und du hast mit Bela B. zusammengearbeitet, das ist jetzt aber auch schon wieder zehn Jahre her. Was sind deine letzten Projekte, womit bist du aktuell beschäftigt?
Peta: Ich habe gerade dieses Jahr ein paar sehr schöne Projekte gemacht. Mit Erobique und Jacques Palminger habe ich an den „Songs for Joy“ gearbeitet. Die Idee des Projekts ist es, Songs zu schreiben anhand von eingeschickten Texten und sie dann mit Gästen aufzuführen. Ganze drei Wochen lang haben wir geprobt und aufgenommen, in einer Kirche auf der Veddel. Und im Anschluss gab es dann zwei große Gala-Abende im Schauspielhaus Hamburg. Dazu muss man sagen, dass es am Anfang keinen einzigen Song gab. Und nach den drei Wochen standen wir plötzlich mit 40 Leuten auf der Bühne. Das war irre. Und so schön. Das bringen wir auch als Platte raus – gerade habe ich das Master zugeschickt bekommen, das ich aufgenommen und produziert habe. Ja, was noch? Viel Hörspielmusik. Ich bin jetzt gerade als Monitormischerin auf Tour mit den Goldenen Zitronen. Bernadette und ich machen auch wieder Theatermusik zusammen. Also, das ist sehr vielfältig, ich bin quasi überall zu Gange.
Wie steht ihr denn jetzt zu dieser Reunion für das heutige Konzert. Bleibt das eine einmalige Angelegenheit oder wollt ihr das weiter fortzusetzen?
BLH: Ich darf was verraten: Wir spielen noch zwei Konzerte: am 5. April in Berlin, im Bi Nuu, und am 6. April in Hamburg im Knust. Und dann, glaube ich, reicht’s auch. Außer jemand bezahlt wahnsinnig viel Geld …
In dem Fall würdet ihr dann vielleicht auch noch neue Songs schreiben, also wenn jemand wahnsinnig viel Geld bietet?
Peta: Nee, das nicht.
BLH: Aber beim Theaterstück „Die Freiheit einer Frau“, da standen Peta und ich auch wir wieder zusammen auf der Bühne. Und die Songs, die in dem Rahmen entstanden sind, die sind auch ein bisschen brautig. Wer sich das noch angucken will, im hessischen Staatstheater Wiesbaden spielen wir Ende Januar. Und dann noch mal im März und im Mai.
Wollen wir jetzt noch ein bisschen über die Hamburger Schule sprechen?
Peta: Sicher, war ja klar, dass diese Frage noch kommen würde.
BLH: Ich glaube, ich muss mich jetzt umziehen …
Wie könnte ich das aussparen – in diesem Jahr? Die NDR-Doku wurde vorhin ja schon erwähnt. Natascha Geier, die Regisseurin, hat dabei einen bewusst feministischen Blick gewählt. Und als eine der wenigen Frauenbands im Umfeld der Hamburger Schule habt ihr in dem Film eine besondere Rolle gespielt – im Unterschied zu anderen, die sich beklagt haben, zu wenig oder gar nicht vorgekommen zu sein. Daraufhin entzündete sich eine erregte Debatte in den Sozialen Medien, und es gab ein breites Medienecho, mit dem so nicht zu rechnen war. Christian Ihle hat die Statements der Protagonist*innen umfassend dokumentiert, unter dem sehr schönen Titel „Diskursrockdiskurs“. Und dann wurde das Ganze auch noch als Hörspiel vertont, von Olli Schulz und Jan Böhmermann. Wie habt ihr diese Aufregung erlebt. Irritiert oder belustigt, oder vielleicht auch traurig, weil das teilweise in eine unschöne Richtung ging?
Peta: Also, ich fand es eher lustig.
BLH: Ja, stimmt. Und ehrlich gesagt, letztlich hatte die Aufmerksamkeit ja auch etwas Positives. Und selbst die, die sich beschwert hatten, vor allem Bernd Begemann, haben am Ende davon profitiert. Er hat dann ja auch ganz viele Interviews bekommen, in denen er die Geschichte noch einmal anders, aus seiner Sicht erzählen konnte. Das fand ich auch in Ordnung, weil er hat wirklich gefehlt. Das Einzige, was mich gestört hat, ist, dass er die Regisseurin so angegangen ist, auf so eine männliche Art, und die so niedergemacht hat – das geht gar nicht. Das habe ich ihm auch gesagt. Ansonsten, klar, wären wir da nicht vorgekommen, ich wäre auch sauer gewesen. Aber ich hätte wahrscheinlich nicht so um mich geschlagen.
Wenn man an die Publicity denkt, man könnte ja fast meinen, dass es inszeniert gewesen ist.
Peta: Das dachte ich auch. Ganz schön clever: Jetzt reden alle über ihn und seine Platte kommt raus …
Um noch einmal auf die feministische Perspektive der Doku zu sprechen zu kommen, wie schätzt ihr das ein: Glaubt ihr, dass sich im Vergleich zur heutigen Situation einiges verbessert hat in punkto Repräsentation von Frauen in der Musik. Anders gefragt: Wäre es für euch in der heutigen Zeit vielleicht leichter gewesen, sich als Frauenband angemessen Gehör zu verschaffen?
BLH: Ich weiß nicht, der Unterschied ist, glaube ich, eher, dass es in letzter Zeit für alle Bands schwerer geworden ist, sich zu etablieren. Man kann von der Musik ja nicht mehr leben heute. Alle sagen immer, naja, dann lebt man halt von den Konzerten. Aber das stimmt ja so auch nicht. Dafür muss man auch einen Namen haben und einen Bekanntheitsgrad, damit die Leute überhaupt zu den Konzerten kommen. Also als Musiker*in oder, noch schwieriger, als ganze Band zu überleben, das geht fast gar nicht. Da brauchst du in jedem Fall eine Förderung. Dafür gibt es eigentlich nur Initiative Musik. Und die können ja auch nicht alle fördern. Und jetzt werden die Förderungen gerade auch noch gekürzt.
Bist du denn der Ansicht, dass die Situation für Frauen heute noch genauso schlecht ist wie damals, sich also in der Hinsicht in den letzten 30 Jahren nichts getan hat?
BLH: Da hat sich schon was verändert. Aber es ist leider immer noch nicht genug für eine ausreichende Sichtbarkeit, auf Festivals zum Beispiel. Es sind prozentual immer noch viel zu wenig Frauen. Wir netzwerken da aber viel, und ich versuche das Thema auch in meiner Arbeit voranzubringen. Ich achte zum Beispiel immer darauf, dass ich mit Musikerinnen spiele. Das macht mir halt auch Spaß. Und in meiner Sendung bei Radio Eins, die ich seit vier Jahren habe, da ist es für mich auch ganz selbstverständlich, dass mindestens 50% meiner Songs von Frauen oder von Songschreiberinnen sind. Peta arbeitet seit mehreren Jahren im Frauenmusikzentrum.
Peta: Ja, genau, in Hamburg ist das. Das hat sich auch gerade in den letzten zwei, drei Jahren sehr entwickelt, hin zu einem Netzwerk für Flinta- und Frauenprojekte. Wir organisieren viele Workshops und Veranstaltungen, Jam-Sessions für Flinta-Personen und auch DJ-Spaces zum Bespiel. Und da sind wir sehr umtriebig, gerade auch, weil wir, wie viele in der freien Szene, mehr Geld benötigen. Das passiert aber nur, wenn du dich wirklich sichtbar und relevant machst.
Karen: Ich glaube, dass Selbstverständnis und Vernetzung wirklich wichtig sind. Ich nehme das nur von außen wahr, weil ich ja schon länger nicht mehr als Musikerin aktiv bin. Aber da hat sich sicherlich eine Menge getan, auch wenn ich mir so anschaue, was ich bei euch mitbekomme. Dennoch ist es aber auch weiterhin so, dass es leider immer noch zu wenig Frauenbesetzungen in den entscheidenden Positionen gibt. Und das gilt ja nicht nur für die Musik. Ich habe das in meinem Berufsleben auch so erfahren, bis heute.
Bernadette, du hast eben gesagt, dass es im Musikbusiness nicht nur für Frauen schwierig ist, sondern dass es sich eher um ein übergreifendes Problem handelt. Die Frage ist also, wie man es mit Kunst und Musik – ich sage jetzt mal, jenseits des Mainstreams – überhaupt noch schaffen kann, über die Runden zu kommen? Förderungen hast du genannt, aber Subventionen, zum Beispiel in der Theaterlandschaft, werden ja auch in verschiedener Hinsicht kritisch diskutiert. Welche Lösungen fallen dir noch ein, wie die Situation für Musiker*innen verbessert werden könnte?
BLH: Ich bin schon der Ansicht, dass man die Musikförderung ausbauen sollte. Das war in den Neunzigern ja noch total verpönt, sich vom Staat unterstützen zu lassen. Systemkritik und staatliche Förderung, das ging nicht zusammen. Dass VW ihre Busse zur Verfügung gestellt hat und man dann das Logo spazieren fuhr, damit hatten viele ein Problem. Aber es ist ja keine Wirtschaftsförderung, wenn Musiker*innen finanziell unterstützt werden, um eine Platte aufzunehmen.
Das Mehr an Geld ist das eine – hast du Ideen, wie Förderungen wirksam und fair umgesetzt werden können? Siehst du hier Verbesserungsmöglichkeiten?
BLH: Es geht ja immer darum, das ganze Fundament zu unterstützen. Man muss auch die Clubs mit einbeziehen, damit sie den Künstler*innen eine angemessene Gage bezahlen können. Man muss die Labels unterstützen, das ganze System, das ist das Einzige, was hilft. Und wenn das in Frage gestellt wird, wie gerade in Berlin, wo der Senat plant, den Kulturetat um 12 Prozent zu senken, dann ist das der falsche Weg. Wenn argumentiert wird, die Wirtschaft muss das machen oder die Leute müssen sich einfach selber darum kümmern, dann halte ich das auch für eine Gefahr für die Demokratie. Weil Kunst und Vielfalt, auch in der Musikszene, und Diversität, überhaupt das ganze Konstrukt wird damit ja in Frage gestellt.
In UK gibt es anscheinend seit Kurzem ein neues Gesetz, das auf dem Prinzip solidarischer Umverteilung basiert. Dabei soll ein gewisser Prozentsatz aus Ticketverkäufen für Großveranstaltungen kleinen Clubs, Künstler*innen und Promoter*innen der Grassroots-Szene zugute kommen. Das klingt ja erstmal ganz vernünftig, oder?
Peta: Dass das in Großbritannien stattfindet, wo ja sonst so schlechte Bedingungen herrschen, das überrascht wirklich. Aber, ja, wenn das stimmt, ist das eine schöne Nachricht, das hört sich wirklich gut an.
Eine abschließende Frage habe ich noch zum Thema des heutigen Abends: „Lieblingsplatte“. Welches Album hat euch in diesem Jahr besonders beeindruckt?
BLH: „Im anderem Licht“, von Barbara Morgenstern.
Peta: Hmm, ich muss nachdenken. Oh Gott, on the spot … mir fällt gerade nichts ein …
Macht nichts, wir können ja auch nach vorne schauen: Auf welches Konzert oder auf welche Neuerscheinung freut ihr euch im nächsten Jahr am meisten?
Peta: Natürlich unsere „Songs for Joy“-Platte. Ich weiß, dass sie sehr schön wird. Da freue ich mich schon drauf.
Karen: Und ich bin sehr gespannt auf das Konzert von Oddisee im April in Hamburg, im Mojo Club. Das ist ein sudanesisch-amerikanischer Rapper, den ich supercool finde. Der schreibt auch sehr engagierte Texte und hat eine sensationell gigantische Band dabei. Da freue ich mich echt drauf, jetzt schon.
Und ich kann es kaum erwarten, euch gleich live zu sehen. Das letzte Mal ist für mich 30 Jahre her, das war 1994, auf dem Rheinkultur-Festival in Bonn.
BLH: Ah, daran, kann ich mich auch noch erinnern. Das war ein großes Festival. Es könnte sogar sein, dass das Foto, was auf dem Plattencover ist, das im Bus, nach dem Konzert entstanden ist.
– Marc Wilde im Gespräch mit Bernadette La Hengst, Peta Devlin und Karen Dennig im Zakk in Düsseldorf, 17.12.2024.