Endstation Woke: Lektionen aus der islamischen Revolution im Iran
Der Slogan (respektive Kampfbegriff) „Woke“ schart unterschiedliche linke Ideologien um sich. Seit dem Hamas-Massaker des siebten Oktobers scheint das Konstrukt der „Achtsamkeit“ aber in sich zusammengefallen. Verhandelt wird dieser Downfall aktuell in den Diskussionen um das Buch „After Woke“ von Jens Balzer. Auch die Berliner Autorin und gebürtige Iranerin Maral Salmassi beschäftigt das Thema. In diesem Beitrag zieht sie eine ernüchternde Bilanz des „Woke“-Phänomens.
Der gegenwärtige Hass gegen den Westen und Israel, der sich in unserer Kulturlandschaft, an Universitäten und auf den Straßen unter dem Schlachtruf „Free Palestine“ entlädt, erinnert Menschen wie mich stark an die islamische Revolution im Iran.
Ich habe hautnah erlebt, wie die desaströse Allianz von Marxisten und Islamisten ab 1979 Irans dunkelste Epoche einläutete und den Nahen Osten in endlose Kriege und Chaos stürzte. Drei Jahrzehnte vor der islamischen Revolution und der Machtübernahme propagierte Khomeini, als Erster im Iran, den westlichen Mythos der jüdischen Weltherrschaft und nutzte den Judenhass geschickt zu seinem Aufstieg. Er bezeichnete den Schah als „verkappten Juden“ und Hund Israels. Von da an wurde der Judenhass zu einem Kernbestandteil des iranischen Islamismus, der als Waffe gegen die iranische Monarchie und ihre westlichen Verbündeten eingesetzt wurde. Khomeini, genoss bis zum Sturz des Schahs die Bewunderung westlicher linker Intellektueller wie Jean-Paul Sartre und Michel Foucault. Foucault reiste sogar zwischen 1977 und 1978 mehrmals nach Teheran, um für die italienische Zeitung „Corriere della Sera“ vor Ort zu berichten. Er bezeichnete den Islamismus als „Politische Spiritualität“ und ignorierte Khomeinis Demagogie und totalitären Charakter. Wie andere westliche linke Intellektuelle verharmloste Foucault die Gefahr eines islamischen Staates, der insbesondere die Rechte von Frauen, Homosexuellen und religiösen und ethnischen Minderheiten bedrohte.
Diese Geschichte wiederholt sich im heutigen Schulterschluss zwischen Linken und Islamisten auf den Straßen von Berlin, London, Paris oder New York. Khomeinis Anhänger folgten damals der Vision eines antiimperialistischen islamischen Staates, während die kommunistischen Studenten und Intellektuellen von einem Iran nach dem Vorbild Stalins und Lenins träumten. Die Islamisten gewannen und richteten nach der Machtübernahme Tausende kommunistischer Mitstreiter hin. Heute hören wir dieselben antiimperialistischen und antikapitalistischen Parolen, die 1979 bei der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran skandiert wurden, als 52 amerikanische Diplomaten 444 Tage als Geiseln gehalten wurden.
Die heutigen Woken Revolutionäre glauben, „erwacht“ und „erleuchtet“ zu sein. Genau wie damals im Iran sanktionieren sie Andersdenkende und brüllen ihren Hass gegen den Westen, Juden und Kapitalisten in Hörsälen, Theatern und auf Konzertbühnen.
Als kulturelle Mutation bedient sich die Woke-Kultur aus einem Potpourri antiquierter Gesinnungen. Dazu gehören die Postmoderne der Generation von Michel Foucault und Herbert Marcuse, Jacques Derridas esoterischer Dekonstruktivismus sowie Frantz Fanons pathetische Fantasien über die reinigende Kraft der Gewalt.
Diese neuen Freiheitskämpfer wollen die Welt vom Neo-Kolonialismus und Neo-Imperialismus befreien, erwähnen dabei jedoch weder den Imperialismus von Iran, China und Russland noch den islamischen Kolonialismus. Bislang haben sie einzig eine Polarisierung erreicht, die auf ein Jahrzehnt subversiver Untergrabung der Meinungsfreiheit zurückzuführen ist. Immer neue Opferhierarchien und Sprachtabus haben den gesunden, debattierenden Widerspruch durch Hass ersetzt.
Ihre Welt ist banal in Opfer und Täter aufgeteilt: Dunkelhäutige Menschen und Muslime gelten als Opfer, die Weißen, einschließlich der Juden, als Täter. Die Geschichte Europas und ihre philosophischen, intellektuellen sowie wissenschaftlichen Errungenschaften werden moralisierend verteufelt. Diese Animosität hat auch eine Renaissance des Antisemitismus und des Marxismus befeuert, der als aggressiver und larmoyant inszenierter Kulturkampf an Universitäten wie Harvard und Columbia sowie an deutschen Einrichtungen wie der TU Berlin zu beobachten ist. Diese Entwicklung wird durch eine fahrlässige Politik, die nur zögerlich Reformen in Bildung und Kultur einleitet, um jüdische Mitbürger vor zunehmender islamistischer und linksextremer Gewalt zu schützen, begünstigt. Zwar hat es in Deutschland immer Antisemitismus gegeben, doch auch die Einwanderungspolitik muss hinterfragt werden, wenn der Ruf nach der Auslöschung Israels ein kulturelles Phänomen unter bestimmten migrantischen Gruppen darstellt.
Seit einiger Zeit bestimmt eine radikale Minderheit mit totalitärem Anspruch die Debatte. Sie normalisieren Pathologie und pathologisieren die Norm. Diese narzisstische Tendenz, bei der die Gruppenidentität über individueller Empathie steht, ist ein deutliches Warnsignal und sollte sehr ernst genommen werden.
Die Gender-Theoretikerin und Hohepriesterin der Woke-Bewegung, Judith Butler, ist eine hervorragende Fallstudie. In ihrem letzten Vortrag im Centre Pompidou bezeichnete sie den von der Hamas verübten Genozid und die Massenvergewaltigungen – bei denen 1200 Juden ums Leben kamen – als „bewaffneten Widerstand“. Im September 2023 behauptete sie in einem von der University of Florida organisierten Panel über Gender Studies, dass eine Welt, in der „Männer Männer und Frauen Frauen sind“, eine repressive, von Hass getriebene „Fantasie“ sei, die zu „Faschismus“ führe. In Butlers „Treibhaus der Opferhierarchien“, in dem Geschlechterrollen gleichbedeutend mit „Faschismus“ sind, verlieren Worte schnell ihre Bedeutung und verkommen zu halb garem Geschwätz und Apologien für die Hamas – eine faschistisch-islamistische Terrororganisation, verantwortlich für das schlimmste Pogrom seit dem Zweiten Weltkrieg. Bei einem Vortrag an der UC Berkeley erklärte sie sogar: „Es sei essenziell, Hamas und Hezbollah als soziale Bewegungen zu verstehen, die fortschrittlich sind, die zur Linken gehören, die Teil einer globalen Linken sind.“
Obwohl Butler sich als Feministin versteht, hat sie sich nie zu den entsetzlichen Menschenrechtsverletzungen gegen afghanische Frauen durch die Taliban geäußert. Auch die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ der iranischen Frauen, die sich mutig gegen das brutale Mullah-Patriarchat auflehnen, hat sie nie erwähnt oder unterstützt. Wichtige feministische Themen wie religiöse Geschlechtertrennung, weibliche Genitalverstümmelung oder Kinderheirat meidet sie wie der Teufel das Weihwasser. Butler als Feministin ernst zu nehmen, ist so realistisch wie Saudi-Arabien als Vorsitzender des UN-Frauenrechtsrats. Sie ist eine zynische Verkörperung internalisierter Misogynie und pflegt dabei geschickt einen Personenkult um sich selbst.
Die kollektive kognitive Dissonanz der Woke-Ideologen ist das Ergebnis eines selbst auferlegten Mandats, das eine ideologische Reinheit verlangt, obwohl dafür das Patriarchat, die Frauenfeindlichkeit und die Homophobie in den Kulturen, die als unterdrückt gelten, ausgeblendet werden muss.
Solche moralischen und logischen Irrtümer sind auf verinnerlichte Schuld- und Schamgefühle zurückzuführen, durch die sich Woke gezwungen sehen, zum Beispiel Islamisten zu unterstützen, um sich von ihrem vermeintlichen Privileg zu befreien. Als Queere würden sie paradoxerweise vom nächsten Hochhaus geworfen werden, sollten sie es wagen, einen Fuß in Gebiete wie Gaza oder das Westjordanland zu setzen.
Diese Dynamik lässt sich nur als sadomasochistisch bezeichnen und ist ein starker psychologischer Mechanismus, der es diesen Aktivisten erlaubt, ihre inneren Konflikte und Narrative, unter Wahrung der ideologischen Reinheit, zu kontrollieren.
Die Geschichte Europas zeigt, dass wir gesellschaftlichen Fortschritt nur durch Forschung und einen graduellen, evidenzbasierten Ansatz erreichen können. Der Tribalismus der Woke Kultur steht im starken Kontrast zu der humanistischen Philosophie, die der westlichen Demokratie zugrunde liegt. Redefreiheit, Meritokratie und Inklusivität sind demokratische Grundprinzipien und bestätigen, dass wir eine Identität nur durch die Anerkennung der gegenseitigen Andersheit anstreben können.
Die Demokratie als Errungenschaft der Zivilisation ist jedoch sehr zerbrechlich, oder wie Werner Herzog, es ausdrückte: “Zivilisation ist eine dünne Eisschicht auf einem tiefen Ozean aus Chaos und Dunkelheit.”
In den 1980er Jahren habe ich miterlebt, wie Millionen Frauen im Iran über Nacht ihre hart erkämpften Rechte verloren und zu Menschen zweiter Klasse degradiert wurden. Unsere Schulbücher verwandelten sich in Propagandabroschüren des islamischen Regimes, voll mit Liedern und Parolen der islamischen Revolution. Anstatt die großen persischen Dichter wie Rumi, Hafez oder Ferdowsi zu lesen, sangen wir „Khomeini, Khomeini, du bist das Licht Gottes“, und aus unseren Geschichtsbüchern wurde die alte persische Geschichte ausradiert.
Nach unserer Flucht 1986 fand ich in Deutschland und zwischendurch auch in Frankreich ein neues Zuhause. Während meiner unzähligen Reisen habe ich die verschiedenen Formen und Interpretationen von Demokratie erlebt. Doch nirgends habe ich die Demokratie so präzise und konsequent umgesetzt gesehen wie in Deutschland. Hier erlebte ich, wie tief demokratische Werte im alltäglichen Leben und im politischen System verankert sind. Die Offenheit, der Respekt vor unterschiedlichen Meinungen und die beständige Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte bieten jeder einzelnen Sicherheit und Freiheit – so auch mir. Als ich mit meiner Familie als Flüchtlingskind in Deutschland ankam, wurden wir in Ehingen Donau, einem kleinen Örtchen im Süden Deutschlands, von der Familie Hirth aufgenommen. Wir wohnten im zweiten Stock ihres Hauses, und Frau Hirth, eine gläubige Christin, kümmerte sich mit herzlicher Hingabe um uns. Sie begleitete meine Eltern zu den Ämtern, half ihnen bei der Suche nach Sprachkursen und unterstützte uns Kinder bei den Hausaufgaben. Die Herkunft oder Religion meiner Familie spielten weder für die Familie Hirth noch für die deutschen Behörden eine Rolle. Wir hatten dieselben Rechte und Möglichkeiten wie jeder Deutsche, der hier geboren war. Ob es uns in einem woke-regierten Deutschland genauso ergangen wäre, halte ich für unwahrscheinlich.
Nach vielen Jahren im Exil und durch meine Lebensumstände habe ich eine ausgeprägte Intuition entwickelt, die mir erlaubt, die leisesten Anzeichen von Manipulation, insbesondere religiös oder ideologisch motiviertem Totalitarismus, zu erkennen. Dieser Weg war nicht einfach und geprägt von persönlichen Schicksalsschlägen, die ich nur durch ständiges Hinterfragen meiner eigenen Glaubenssätze und Entscheidungen überwinden konnte. Dabei haben mich einige europäische Denker äußerst geprägt. Dazu gehört auch der britische Autor und Religionskritiker Christopher Hitchens. Hitchens scheute sich nicht, übermäßig empfindliche Menschen zu brüskieren, und inspirierte die schwachen Stimmen in Ländern wie Iran, Pakistan, Irland und den Vereinigten Staaten, religiöse Unterdrückung zu kritisieren. Er zeigte seine tiefe Verachtung gegenüber Totalitarismus durch regelmäßige und scharfsinnige Kritik an der islamischen Regierung im Iran.
Ich halte mich an seinen Appell: „Hüte dich vor dem Irrationalen, so verführerisch es auch sein mag. Meide das “Transzendente” und alle, die dich auffordern, dich unterzuordnen oder zu verleugnen. Habe keine Angst, für arrogant oder egoistisch gehalten zu werden. Stelle dir alle Experten als Säugetiere vor. Sei niemals ein Zuschauer von Ungerechtigkeit oder Dummheit. Suche den Streit und die Auseinandersetzung, um ihrer selbst willen; das Grab wird viel Zeit für das Schweigen bieten. Misstraue deinen eigenen Motiven und allen Ausreden. Lebe nicht mehr für andere, als du von anderen erwarten würdest, für dich zu leben.“
Text: Maral Salmassi