Interview mit Sophie Emilie Beha zum zweitägigen Festival – 6.3. & 7.3.2023, Köln, Stadtgarten

Houbara – Resonanzen Iran: “Musik fernab von gängigen Klischees”

Shabnam Parvares (Photo: Liudmila Jeremies)

Am 6. und 7. März findet im Kölner Stadtgarten das zweitägige “Houbara – Resonanzen Iran”-Festival statt, zusammengestellt von der aktuellen NICA Residenz-Künstler:in Sophie Emilie Beha.

Im Austausch mit Thomas Venker gibt Sophie Emilie Beha Einblicke in den kuratorischen Prozess hinter dem Festival sowie ihre weitere journalistische Arbeit. 

Sophie Emilie Beha (Photo: Judith Wiesrecker)


Sophie, du gehörst zur aktuellen Generation an NICA Künstler:innen. Welche Erwartungen hattest du im Vorfeld an das Künstler:innen-Förderprogramm?

Sophie Emilie Beha: Ich hatte im Vorfeld keine besonderen Erwartungen. Ich habe mich einfach sehr gefreut, dass ich Teil von NICA sein kann.

Und wie sind deine konkreten Erfahrungen bislang?

Ich habe bereits zwei NICA live Konzerte im Jaki kuratiert. Das erste hat sich dem Thema Zwischenräume gewidmet, das ich in letzter Zeit immer wieder behandle. Das Konzert hat zum einen Mikrotöne beleuchtet mit Philipp Gerschlauer und seinem Trio MIKROJAZZ und zum anderen Multiphonics – in einer Komposition von Giorgio Netti für Saxofon solo, das Salim Javaid gespielt hat. Es ging also letztlich auch um den Zwischenraum zwischen Jazz und Neuer Musik.
Für das zweite Konzert habe ich die Londoner Schlagzeugerin Romarna Campbell mit ihrem Trio eingeladen. Sie hat eine ganz klare Haltung in ihrer Musik: feministisch, antirassistisch, politisch. Das mag ich. Im zweiten Set kam dann die Kölner Saxofonistin Kira Linn hinzu, die beiden hatten sich letztes Jahr bei einem Projekt in Köln kennengelernt und super verstanden. Dieser Begegnung wollte ich Raum geben.
Insgesamt ist das Wirken bei NICA natürlich ein Prozess: Ich bin ja als erste und daher einzige Kuratorin bei NICA, deshalb ist diese Situation nicht nur für mich neu. Gemeinsam mit NICA lote ich aus, was Möglichkeiten sind und wie sie sich umsetzen lassen.

Du hast hast an der Technischen Universität Dortmund Musikjournalismus studiert. Hast du Role Models, die dafür den Ausschlag gegeben haben? Was reizt dich am Musikjournalismus?

Ich hatte keine Vorbilder, die den Ausschlag dafür gegeben haben. Der Ausschlag war ein Date mit einem Typen, in den ich mindestens drei Jahre lang unsterblich verknallt war. Endlich waren wir Eis essen und ich habe gemerkt, dass mein Schwärmen wohl vorüber ist. Er war ein Jahr älter als ich, hatte schon sein Abitur und sprach über mögliche Studiengänge. Irgendwo fiel auf einmal das Wort „Musikjournalismus“. Da machte es in mir Klick und ich dachte: Okay, DAS muss ich mir merken! Ich dachte sofort, dass Musikjournalismus gut zu mir passt: Denn da vereinen sich meine Liebe zur Musik und meine Liebe zu Menschen.
Am Musikjournalismus reizt mich die Vielseitigkeit, dass man sich immer wieder neuen Themen, Menschen, Projekten widmen kann und die Musik mir trotzdem immer wieder ein unergründbares Rätsel bleibt. Und, dass ich die Musik in Verbindung setzen kann mit zum Beispiel gesellschaftspolitischen Themen wie Feminismus, Klimawandel, Anti-Rassismus oder Dekolonialismus.

Im NICA Programm bist du die erste Programmgestalterin. Im März kuratierst du nun als mit „Houbara – Resonanzen Iran“ gleich ein zweitägiges Festival. Wie kam es zur Idee zum Festival?

Als ich mit Konnie Vossebein, der Leiterin des Stadtgarten, im Auto zu einem Festival nach Holland fuhr, meinte sie: Im Frühling ist noch etwas Platz im Stadtgarten-Programm. Magst du etwas kuratieren? Und dann bin ich einfach von mir selbst ausgegangen, was treibt mich gerade im Moment um? Das war die Revolution in Iran.

Wie bist du an die Programmgestaltung rangegangen?

Ich wollte auf jeden Fall ein Programm gestalten, das zeigt, es gibt nicht „die iranische Musik“. Ich wollte Musik fernab von gängigen Klischees zeigen. Innerhalb des Programms gibt es mehrere Verbindungslinien und rote Fäden, die sich durch die jeweiligen Konzertabende und das Festival ziehen. Einer von ihnen ist die persische Lyrik, die ein extrem wichtiger Bestandteil iranischer Kulturen ist und auch im Alltag eine große Rolle spielt.

Roshanak Rafani (Copyright: Artist)

Gehört die Iranische Musik zu deinem generellen Portfolio? Oder ist die spezielle Klangfarbe des Festivals das Ergebnis eines aktuellen Rechercheprozesses?

Ich beschäftige mich schon länger mit außereuropäischen Musiktraditionen und kenne daher auch einige iranische Musiker*innen. Für das Festival habe ich aber auf jeden Fall dezidiert mir neues Wissen angeeignet und bin tiefer in die iranischen Musiktraditionen eingetaucht.

Wenn ich es richtig weiß, dann leben bis auf eine Künstlerin derzeit alle auftretenden Künstler:innen im Ausland und nicht im Iran. Liegt das daran, dass (fast) alle spannenden Musiker:innen mittlerweile ausgewandert sind? Oder ist es vielmehr ein Zeichen dafür, wie schwer es derzeit ist, Künstler:innen aus dem Iran einzuladen?

Es ist beides. Die Möglichkeiten in Iran für Musiker*innen sind bekanntlich stark eingeschränkt, insbesondere für Frauen, die nicht öffentlich singen dürfen – zumindest nicht solo oder vor Männern. Das gilt als zu erotisch. Dazu kommt diese Regierung. Es ist mehr als verständlich, wenn man in so einem Land nicht leben will, vielleicht sogar noch weniger, wenn man sich kreativ ausdrücken möchte – und das eben nicht frei tun kann. Und zum anderen ist es momentan sehr schwierig, Menschen aus Iran nach Deutschland zu holen. Das geht nur mit gültigem Visum, das gerade nicht mehr ausgestellt wird. Und wenn die Veranstaltung hier dezidiert politisch ist, dann droht den Iraner*innen Schlimmes, wenn sie wieder zurück in ihr Land kommen.

Wie hat an sich den Status Quo der Iranischen Musikszene vorzustellen? Was ist vor Ort möglich? Welche Limitierungen gibt es? Wie gehen die unterschiedlichen Szenen damit um?

In den 70ern gab es eine sehr lebendige Musikszene in Iran, die aber mit der Revolution vor 43 Jahren schlagartig verschwand. In der Anfangszeit war Musik komplett verboten, sie wurde auch nicht im Fernsehen oder Radio gespielt. Nur religiöse Musik und Revolutionslieder waren erlaubt. Da gingen viele Künstler*innen ins Exil. Natürlich haben die Menschen sich trotzdem Musik besorgt und illegal gehört. Der Druck auf die Regierung wurde immer größer und im Jahr 2000 bekam dann die zehnköpfige Band Aryan als erste offiziell eine Genehmigung. Aber auch heute hat man es als Musiker*in grundsätzlich schwer: Konzerte, Alben – das Kulturministerium prüft alle Textzeilen und vieles wird zensiert.
Was auch skurril ist: Seit der Revolution werden im iranischen Fernsehen keine Musikinstrumente gezeigt, denn die Musiker*innen sind versteckt, man hört nur ihren Gesang.
Und als Frau darf man, wie schon gesagt, ohnehin nur vor Frauen auftreten. Weiblicher Sologesang darf auch auf CDs nicht verkauft werden. Kaum eine iranische Sängerin kann von ihrer Musik leben – viele singen nur privat oder geben Unterricht und arbeiten an Musikschulen.

Ich sprach es an, die meisten Musiker:innen aus dem Lineup leben im Ausland. Wie vernetzt hat man sich die Iranische Exil-Community vorzustellen?
Die Community im Exil ist riesig und gut vernetzt. Allein etwa 20.000 Iraner*innen leben in und um Köln. Es gibt großartige Organisationen, wie zum Beispiel die Iranian Female Composers Association (IFCA), die sich weltweit für iranische Komponistinnen einsetzt. In Köln gibt es zum Beispiel ein iranisches Filmfestival oder so tolle Vereine wie DIWAN oder Timcheh.

Wie politisch sind die auftretenden Musiker:innen als Künstlerische Persönlichkeiten und in ihrer Musik?

Allein ein Konzert in diesem Kontext zu geben, kann ja eine politische Haltung zum Ausdruck bringen. Ich finde, das ist ohnehin schwer zu trennen. Wenn ich in meinem Alltag Feministin oder Antifaschistin bin, bin ich das dann nicht auch immer ein Stück auf der Bühne? Man spaltet ja nicht einen Teil von sich ab, wenn man sich auf ein Podest stellt. Es wird auf jeden Fall Musiker*innen geben, die ein politisches Statement setzen werden beim Festival, andere werden einfach Musik machen – und da gibt es ganz viel zu entdecken in den Klangfarben und zwischen den Tönen.

Das Festival ist nach dem iranischen, endemischen Zugvogel,„Houbara“ benannt. In den Linernotes wird ausgeführt, dass sich der Titel „auf „Die Konferenz der Vögel” (منطق الطیر) von Fariduddin Attar“ bezieht, „eine große mystische Dichtung, die zu den bedeutendsten Werken der persischen Literatur zählt. Sie beschreibt die Wallfahrt von Tausenden von Vögeln der Welt, die auf der Suche nach einem idealen König sind. Am Ende bleiben dreißig Vögel übrig – und erkennen, dass sie selbst der gesuchte König sind.“
Die Quintessenz davon ist ja, dass Künstler:innen oft – aus welchen Gründen auch immer: Unsicherheit, Bescheidenheit, der Umgang der Gesellschaft mit ihnen… – ihr eigenes Talent nicht selbstbewusst wahrgenommen bekommen. Wie kann das anders werden?

Ich glaube, in dieser Erzählung stecken viele verschiedene Quintessenzen, Bedeutungen und Wahrheiten, die wir sowohl auf die Gesellschaft als auch auf die Musik anwenden können.

Rouzbeh Motia (Copyright: Artist)

Zum Programm gibt neben den Konzerten am Dienstag, den 7.3., auch einen Vortrag von Yalda Yazdani zum Thema „Female Singers in Post-Revolutionary Iran“. Ich zitiere auch hier kurz von der Website: „Nach der Revolution von 1979 änderte sich die Stellung der Frauen in der iranischen Gesellschaft drastisch. Gemäß der islamischen Regierung ist es Frauen verboten, als Solistinnen im öffentlichen Raum zu singen, und die Beteiligung von Frauen an Musik wurde stärker eingeschränkt. In ihrem Vortrag gibt Yalda Yazdani, die Kuratorin des Projekts “Female Voice of Iran”, einen einzigartigen Einblick in das reiche und aktive Schaffen von Sängerinnen im heutigen Iran.“
Empfindest du als Kuratorin es als geradezu zwingend, dass man einen derart politisch aufgeladenen Festival auch eine Diskursebene hinzufügt?

Es war mir ein großes Anliegen, das Festival nicht von Vornherein politisch aufzuladen. Natürlich – es findet statt, weil in Iran gerade eine Revolution passiert und es ist ja auch ein politisches Statement, dass auf dem Festival fast nur Frauen auftreten. Und wie gesagt, wenn die Musiker*innen politisch sein wollen, können sie das sehr gerne tun. Mit Yalda Yazdanis Talk wollte ich vielmehr, auch denen eine Plattform geben, die eben nicht da sein können – iranische Sängerinnen aus ganz unterschiedlichen Regionen und Kulturen. Darüber hinaus eine Diskursebene anzubieten macht für mich – gerade in diesem Kontext – absolut Sinn, gleichzeitig wollte ich keine Podiumsdiskussion über die aktuelle Lage veranstalten. Den politischen Diskurs abzubilden und zu führen können andere besser – Houbara soll mit Absicht ein Raum für die Musik sein.

Das Ziel von “Houbara – Resonanzen Iran” ist es, einen Ort des Austausches und der gemeinsamen Erfahrungen zwischen iranischen Musikern und dem Kölner Publikum zu schaffen. Was wär dein Idealfazit nach den zwei Tagen?

Wenn genau das gelingt und möglichst viele Menschen daran Teil haben. Wenn ganz unterschiedliche Menschen im Publikum sind, die verschiedene Musik hören und sich davon berühren lassen.

Auf der Stadtgarten Webseite gibt es sehr ausführliche Texte zu den auftretenden Musiker:innen und Ensembles, die muss ich hier an dieser Stelle nicht groß paraphrasieren, stattdessen würde ich mich über je einen Link zu den auftretenden Künstler:innen freuen, der deinen kuratorischen Auswahlprozess repräsentiert.

Reza Askari & Tanasgol Sabbagh

 


Parvaresh / Noori / Zahedi
https://www.youtube.com/watch?v=4IhF4117DJ8&t=1182s&ab_channel=KlangteppichBerlin

 


Rojin Sharafi

 

Cymin Samawatie Trio
(Die Musiker*innen spielen in dieser Besetzung zum ersten Mal)

 

Pouya Ehsaie & Tara Fatehi

 

Padideh Naderi & Rouzbeh Motia
(Die Musiker*innen spielen in dieser Besetzung zum ersten Mal)

 

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