Jens.Uwe Beyer „Studiert habe ich auch tatsächlich absolut gar nicht“

Jens-Uwe Beyer (Foto: Hannes Aurand)
Jens-Uwe Beyer ist Fehmaraner und Künstler, Musiker und leidenschaftlicher Koch, Galerist und Betreiber von Labels und Off-Locations und mittlerweile seit über 25 in Köln. Seine Galerie, JUBG, stellt musizierende bildende Künstler:innen aus sowie Musiker:innen, die bildende Kunst machen. Damit führt sie fort, was sein bekanntestes Plattenlabel, Magazine, begonnen hat. Sowohl JUBG als auch Magazine betreibt er mit zwei (jeweils anderen) Kollegen, aber Musik macht er meist alleine, lange unter dem Pseudonym PopNoName. Zu seinen anderen Projekten gehören das Label PNN (das er zusammen mit seiner Frau Gesine Schönrock betreibt), die Band Cologne Tape und Dutzende Kollaborationen, beispielsweise Hasan Poppu.
Hanna Bächer und Jens-Uwe Beyer treffen sich spontan von jetzt auf gleich an einem Freitagnachmittag hinter den verspiegelten Scheiben seiner Galerie.
Ich finde es interessant, für NOIES mit dir zu sprechen, denn was du machst, also deine Musik, deine Plattenlabel, vor allem Magazine und deine Galerie, JUBG, das ist ein bisschen eine andere Welt, als die der Künstler:innen, die in NOIES oft portraitiert werden. Da gibt es wenig Überschneidungen, also zum Beispiel mit der Szene aus Musiker:innen, die an der KHM studiert haben.
Jens-Uwe Beyer: Studiert habe ich auch tatsächlich absolut gar nicht [lacht].
Dabei wünsche ich mir mehr Überschneidungen, ihr teilt ja viele Ideen. Nach diesen ganzen Jahren, die du hier bist, magst du Köln immer noch? Ich sollte korrekterweise vielleicht dazu sagen, dass ich dich kenne, seit du 1999 mit dem Wohnmobil mit Sebastian Weisner in Köln angekommen bist. War das damals die richtige Entscheidung, hier hin zu kommen?
Ja, auf jeden Fall. Köln liegt mir schon am Herzen. Also auch, weil ich ja fast nur hier gewohnt habe! Ich bin ja von Fehmarn nach Kiel gezogen und dann direkt nach Köln. Hier ist einfach eine tolle Stimmung. Ich glaube, das ist der Rhein, der Rhein ist wichtig. Und musikalisch ist es nach wie vor wertvoll, was hier entsteht.
Ich finde, man muss eigentlich gar nicht sagen “nach wie vor“. Natürlich ist die Vergangenheit wichtig, aber als Kölner:in ist man, glaube ich, immer viel zu schnell dabei, zu sagen, “Also früher, da war hier dieses und jenes“. Aber das gesammelte Früher gibt es ja mittlerweile auch im Internet. Ich meine das im Sinne von, das gibt es überall, also ist es mittlerweile vielleicht egal. Aber natürlich kann man hier gut lang laufen und auf Gebäude zeigen und sagen, “Damals“. Mit dem “Kompakt 500“ Plakat hinter dir fällt mir gerade auch sowas ein: dass wir vor 25 Jahren zusammen im “L“ saßen, ich glaube, es war ein Abend von “Selten gehörte Musik“, den Frank Dommert mit Freunden gemacht hat. Du warst gerade neu hier und meintest, du bist nach Köln gezogen wegen Mike Ink [also Wolfgang Voigt]. Erinnerst du dich daran?
[lacht] Ja, und das sage ich auch immer noch! Das ist lustig, das stimmt. Und dann ist heute die Kompaktsause [zeigt auf das Plakat] und ich habe gerade mit Wolfgang Voigt total viel Kontakt, weil wir in zwei Wochen eine Ausstellung mit ihm machen. Da dachte ich auch kurz zwischendurch, das ist echt abgefahren, dass einfach der Grund, warum ich hierher gekommen bin – und das ist schon unter anderem Wolfgang Voigt gewesen, tatsächlich dieses Gas Projekt – dass ich jetzt mit ihm zusammenarbeite. Das ist auch durch die Galerie passiert. Ich stand früher auch total auf Sonic Youth und jetzt bin ich mit Kim Gordon per Du, weil sie bei uns ausgestellt hat. Das ist schon toll.
Hast du, bevor du die Galerie aufgemacht hast, irgendwann gedacht, du würdest gern im Kunstbereich arbeiten?
Wir haben ja auch mit unserem Label, Magazine, schon immer Kunst-Editionen gemacht, also die Vorliebe war immer schon da. Unter anderem 2019 das “Yellow Book“ mit Malereien von Albert Oehlen und Musik von mir, in Kooperation mit der Gagosian Gallery. Als ich dann 2020 die letzte PopNoName Platte fertig hatte und eigentlich auf Tour gehen wollte, kam Corona und ich musste überlegen, “Was macht man jetzt, was macht man stattdessen?“ Und dann standen die Sterne sehr günstig und ich habe gemeinsam mit Albert und Alexander Warhus die Galerie hier in Köln gegründet. Das ist ein sehr schönes Kapitel in meinem Leben.
Irgendwann habe ich mal so einen Artikel gelesen, über eine Langzeitstudie mit Menschen, die immer auf Sicherheit bedacht sind und deswegen lieber nichts probieren, von dem sie nicht absolut sicher sind, dass es funktionieren wird. Deren Lebenswege haben sie verglichen mit denen von Leuten, die alles erst mal versuchen, auch wenn sie damit scheitern könnten. Das Ergebnis war, dass diejenigen mehr erreicht haben, die auch mal etwas blind versuchen, als die, die immer auf Nummer sicher gehen. Da musste ich an dich denken.
Man muss das Scheitern einfach auch als Schritt sehen. Das kann ich total unterschreiben, so bin ich ja auch drauf. So werde ich auch in Zukunft alles angehen. Hier sieht man ja, dass es auch manchmal klappt. Aber das Sympathische oder das Schöne an der Geschichte mit der Galerie war, dass sie 2020 ja irgendwie aus der Not geboren wurde und der erste Gedanke einfach umgesetzt wurde. Also kurz ausgedacht, mit wem geschnackt, Räume gesucht, zack. Und auf einmal hatte man eine Galerie, Albert, Alexander und ich. Deswegen sollte das Mut machen, genau solche Schritte zu wagen

JUBG: Alexander Warhus/Jens-Uwe Beyer/Albert Oehlen. Foto: Alexander Warhus
Ich habe auch immer gedacht, dass ein Kunststudium einem das vielleicht eher abtrainiert, diesen Mut.
Also in gewisser Art und Weise, ja. Ich glaube, dadurch, dass ich Musiker bin, habe ich prinzipiell schon mal ein Gefühl für Qualität. Ob das jetzt visuell ist oder Musik oder Literatur. Oder Kochen! [lacht] Das ist egal. Und klar, wenn sich zum Beispiel irgendwas in der Kunstgeschichte wiederholt, das weiß ich dann manchmal nicht. Und viele andere Dinge, wie gewisse Nischen oder Moden oder sowas. Das kann ich vielleicht nicht so gut auseinanderhalten, wie Leute, die das studiert haben. Aber ansonsten ist es, glaube ich, eher förderlich, sowas nicht zu wissen, weil man da recht unschuldig herangeht.
Weil man auch nicht alles, was einem begegnet, erst mal mit so einem Katalog an Sachen abgleicht? Also man vielleicht auch frischer begeistert ist, wenn etwas gut ist, weil einen die genauen Bezüge nicht so interessieren?
Genau. Natürlich wurde ich dann aber durch die Idee, eine Galerie zu machen, völlig ins kalte Wasser geschmissen. Oder habe ich mich selbst ins kalte Wasser begeben, weil alles so neu war. Mittlerweile kann ich schon sehr viel mehr unterscheiden. Aber das Grundsätzliche ist, glaube ich, dass man Qualität erkennt oder erkennen kann. Und das ist ja mit Musik auch so. Es gibt gute Musik und es gibt schlechte Musik. Dazwischen gibt es eigentlich nichts.
Hattest du schon als Teenager Bands?
Ja, seitdem ich 14 bin, allerdings am Anfang wirklich “Fehmarn-Sound“, da hörte man den Bauernhof noch richtig gut raus. Und nachher in Kiel die große Band mit Sebastian, “Jay and the Perfect Body“. Da haben wir ja kurz gezeigt, was eine Großstadt sein sollte, in einer kleinen Stadt. Dann sind wir nach Köln gegangen, also in die große weite Welt [lacht] und es gab verschiedene Bands. Aber eigentlich habe ich hauptsächlich selbst und alleine Musik gemacht, weil ich das ungern habe, wenn mir einer reinredet. Das habe ich nach wie vor. Deswegen Bands nur mit sowieso Gleichgesinnten, oder in anderen Bewusstseinszuständen.
Also mit Leuten, mit denen direkt alles klar ist.
Ich mag es auch nicht, wenn der Moment des Musizierens gestört wird. Wenn dann auf einmal ein Konzept reinkommt. Das finde ich alles schwierig.
Schreibst du heute Konzepte?
Konzepte für mich selber gar nicht. Aber wenn ich mit Filmemacher:innen oder bildenden Künstler:innen zusammenarbeite, dann brauchen die schon manchmal ein Konzept, um überhaupt kreativ werden zu können. Ich gehe an meine Arbeit eigentlich immer eher intuitiv ran und gucke erst danach, was es geworden ist.
Aber vielleicht können Konzepte auch dabei helfen, nicht nur an der Oberfläche zu bleiben, sondern sich noch mehr herauszufordern?
Es ist mit Sicherheit auch schlau, Konzepte zu haben. Viele Freunde, die Musiker sind, haben Konzepte und die funktionieren. Oder auch nicht. Aber dann weiß man vielleicht warum.
Du bist mehr so ein Typ, “Das Leben wird nach vorne gelebt und im Rückblick verstanden“.
Richtig. Deswegen bin ich ja Musiker geworden, oder? Deswegen bin ich ja jetzt auch Galerist.
Als du nach Köln gekommen bist, da gab es deinen Musiker-Alias PopNoName erstmal noch nicht, oder?
Ja, das kam viel später. Erstmal habe ich eine Filmmusik gemacht, für einen achteinhalbstündigen Film, “Fallen“ [von Joachim Zander, mit Michael Heydebreck]. Die Handlung ist schwer zu umschreiben, aber die Musik, die musste gemacht werden. Diese Filmmusik war wahrscheinlich mein Studium…
Das hat sicher ein Jahr gedauert?
[lacht] Vier Jahre! Das ist auch mal rausgekommen, als Blu Ray, bei grawböckler von raumfuerprojektion. Aber das ist eher wie so ein Lehrstück, das versteckt man lieber in der Garage. Dass ich auf einmal Ambient Musik gemacht habe, ist daraus entstanden. Und PopNoName war dann sozusagen wieder ein Weg da raus. Raus aus dieser ernsten, tiefen, schwebenden Musik. Das war dann die Pop-Idee, was ich dann ja auch immer weitergemacht habe.
Und das erste PopNoName-Release, das war auf einer “Pop Ambient“ Compilation von Kompakt?
Ja genau. Das erste ist auf Kompakt, dann ging es weiter auf Firm, 2005 oder so. Auf Firm, dann Italic und immer mal wieder Kompakt. Und dann habe ich mit Daniel Ansorge und John Harten Magazine gegründet, was auch dazu geführt hat, dass ich wieder unter eigenem Namen Musik gemacht habe.
Ich finde, es gibt eine klare Parallele zwischen dem Label, Magazine, und der Galerie, JUBG. John hat ja auch einen Teil der Kunstbuch-Reihe “Public Folder“ auf Magazine veröffentlicht, ihr hattet Beiträge von Wolfgang Voigt oder Maria Wildeis, aber auch Matthias Schaufler und Marcel Odenbach, die alle irgendwie in der Musik- und der Kunstwelt aktiv sind. Trefft ihr die Entscheidungen bei Magazine gemeinsam?
Also musikalisch mit Sicherheit. Das liegt auch an Barnt – wir teilen eine genaue musikalische Vorstellung. Das Visuelle kommt voll und ganz von John, also bis heute.
Da sagt ihr nur, “Ja, schön“.
Da sagen wir nur “Ja und Amen“.

MAGAZINE: John Harten/Jens-Uwe Beyer/Daniel Ansorge
Seit wann gibt es Magazine jetzt?
2010.
Krass. Habt ihr schon mal so was gemacht wie, “Uns gibt es jetzt soundso viele Jahre“?
Nee. Man muss ja auch dazu sagen, dass wir pro Jahr ein oder zwei Releases machen, wir sind ja nicht auf Masse aus.
In dieser ganzen Zeit, gab es auch mal Momente, wo du dachtest, so funktioniert das alles nicht?
Immer mal wieder. Man musste ja schon die ganze Zeit, auch bis heute, quasi von der Hand in den Mund leben. Weil entweder kann ich einfach überhaupt nicht mit Geld umgehen, da liegt es wahrscheinlich ein bisschen dran [lacht]. Aber es liegt auch daran, dass man nie irgendwie was gemacht hat, wo man richtig viel Geld mit verdienen konnte.
Oder die Sachen werden einfach zu schlecht bezahlt.
Zu schlecht bezahlt ist auf dem freien Markt natürlich schwierig. Also, das, was ich mir ausgedacht habe, hat immer gerade dazu gereicht, zu überleben. So würde ich es sagen.
Und dann bist du auch noch jemand, der das Geld gerne wieder in seine Projekte steckt, weil du die nur richtig gut machen willst. Du willst ja keine Sachen machen, die nicht die beste Version von dem sind, was sie sein könnten.
Also meine Mutter hat mir früher immer gesagt, mach doch mal einen einzigen Hit, dann hast du ausgesorgt und dann kannst du wieder das machen, was du eigentlich sein willst [lacht].
Ich glaube, dafür müsste man aber auch in dieser Welt sein, umgeben von den Leuten, die Hits veröffentlichen, Presseleuten, Labels bis hast du nicht gesehen. Es gibt so viel schlechte Musik, die viel gespielt wird, einfach weil die Industrie um die Musiker:innen stimmt.
Und es ist auch eine Mentalitätsfrage. Manche Leute leben halt auch einfach ein ganz anderes Leben. Ich hatte mal spontan einen richtig berühmten Vokalisten auf einem Track, den habe ich dann aber nie veröffentlicht, weil die Mentalität von ihm und seinen Fans so eine andere ist. Nicht weil die Musik schlecht war, die Mentalität passte einfach nicht. Einen anderen Track, mit Grime-MCs, die später sehr bekannt geworden sind, habe ich lustigerweise verloren. Das war noch in der Zeit, als mal so Festplatten weg waren.
Du sagst, du arbeitest gerne alleine, aber du hast ja dann wieder angefangen, mit mehreren Leuten Musik zu machen.
Ja, zuerst mit John und Ansorge mit Magazine, was entspannt war, weil das dann halt einfach so Sessions waren, die man mitgeschnitten hat, um danach irgendwelche Tracks draus zu machen. Und dann habe ich ja mit Jaki Liebezeit Musik gemacht.
Mit Jakis Drums off Chaos.
Genau. Auch, weil ich gerne Jaki Liebezeit kennenlernen wollte. Ich bin einfach zu ihm im Stollwerck ins Studio gegangen. Er hat nur gesagt, “Ja, dann setz dich mal hin und nimm eine Trommel“. Und dann habe ich ein bisschen getrommelt. Das haben wir dann bald wöchentlich gemacht und irgendwann habe ich meinen Computer mitgenommen, um diese Sounds zu machen. Und dann haben wir eine Platte aufgenommen und auf Magazine veröffentlicht. Das war auch echt, glaube ich, eine richtig gute Platte.
Ja, das fand ich auch! Und dann gab es Cologne Tape.
Cologne Tape ist einfach aus der Situation entstanden, dass ich nur noch Musiker kennengelernt habe, die alle für sich alleine Musik gemacht haben. The Field, Ada, John Stanier, Matt Karmil zum Beispiel, alle in ihren Kämmerchen. Und da dachte ich, es wäre doch cool, wenn sich alle mal zusammen in einen Raum setzen und wir mal gucken, was dabei rauskommt. Da war dann das Verblüffende, dass es tatsächlich irgendwie klang wie Musik, die es vor 50 Jahren hier auch schon gab. Das ist schon abgefahren, weil wir hatten nicht vor, sowas zu machen. Du hast mich am Anfang nach Köln gefragt, ich glaube, es gibt schon einen Sound, der hier in der Luft hängt. Das hat wirklich was mit dem Rhein zu tun. Ich glaube, wenn man sich in Berlin getroffen hätte, wäre ganz andere Musik rausgekommen. Oder in London, oder Moskau, oder in Batumi.
Es ist auch sehr kommunikativ hier, dadurch, dass die Stadt so eng ist. Man muss sich nicht verabreden, man geht einfach nur vor die Tür.
Das erste Treffen war auch so. Ich hatte mich eigentlich nur mit Axel [Willner, The Field] verabreden wollen zum Jammen. Und dann haben wir Ada auf dem Parkplatz getroffen bei Kompakt. Da kam zufällig Jörg Burger vorbei und dann waren wir schon zu viert. Und dann kam natürlich John und Ansorge mit. Das erste Mal im Studio waren wir dann bei Philipp Janzen.

Alexander
Hat Jaki dich damals nach dem Mülheimer Hafen gefragt, wo du vor allem arbeitest?
Der fand den Hafen ganz wichtig, der hat ja auch bei uns in der Halle gespielt, unserem damaligen Veranstaltungsort im Mülheimer Hafen. Es gab auch eine Verbindung zu Rainer Linke und Jürgen Stollhans, einem bildenden Künstler, der im Hafen arbeitet. Die waren Buddies, die haben, glaube ich, ab und zu mal zusammen gekifft. Jaki meinte immer, dass es wunderschön sei, weil es solche Orte eigentlich gar nicht mehr gibt in Köln.
Diesen Ort habt ihr ja auch erschaffen. Also, auch, wenn ich als Kölnerin schon Mitte der 90er Leute kannte, die da gewohnt und gearbeitet haben, haben du und Sebastian Weisner, mit dem du damals im Wohnwagen aus Kiel rüber bist und ein paar andere, den Hafen zu dem gemacht, was er später war.
Also ich würde sagen, gar nicht bewusst gemacht. Er ist ja entstanden
Vielleicht ist das, was ihr gemacht habt, ihn entstehen zu lassen und auch die miteinzubeziehen, die von woanders gekommen waren? Also, anstatt zu versuchen, der Sache mit irgendeinem Konzept etwas überzustülpen. Andere Leute hätten wahrscheinlich vorne ein Schild hingemacht, “Der Kunsthafen“ oder was auch immer, um Förderung zu beantragen und Artikel drüber schreiben zu lassen. Für den Hafen ganz wichtig ist übrigens auch deine Partnerin und Mutter deiner Töchter, Gesine Schönrock, mit der du ja viel zusammen arbeitest und noch ein weiteres Label betreibst, PNN.
PNN ist allerdings auch wieder aus der Not entstanden, weil ich hatte zu der Zeit, 2013, ein fertiges Album, was keiner haben wollte. Für die einen war es zu poppig, für die anderen war es zu gewagt. Und dann dachte ich, muss ich halt selbst ein Label machen. Gesine fand die Musik gut, was ein Vorteil ist [lacht]. Und als wir dann das Label hatten, mit meiner Platte, ging es los, dass Leute uns angeschrieben haben und man eigentlich aus dem Vollen fischen konnte. Weil sich in genau dieser Popidee, die ich da präsentiert habe, viele Leute wiedergefunden haben. Da ist dann total viel passiert. Wir releasen jetzt eine neue Platte von myr., für die habe ich auch das Cover gemacht und in diesem Jahr noch eine Platte von øsko.
Was ist mit Schalen, dem Label von dir und Barnt, also Daniel Ansorge?
Das war ein kurzer Ausreißer von Magazine, weil wir mehr Richtung Dancefloor wollten. Da kam auch Corona dazwischen, da ist das ausgelaufen, weil keiner mehr tanzen ging, irgendwie. Und jetzt sehen wir gerade nicht den Grund, es neu aufzuziehen, weil man die Sachen genauso gut über Magazine machen kann.
Magazine hat ja diesen Fokus auf Editionen, Boxen, Sonderausgaben, Booklets, Haptik usw. Mit PNN machst du aber zum Teil nur digitale Release. Ist es für dich gleichermaßen befriedigend, wenn Sachen nur online erscheinen?
Ja. Ganz klar. Weil mittlerweile… [Merlin Carpenter, ein Londoner Künstler, in dessen aktueller Ausstellung “POLITE“ wir gerade sitzen, klopft an die Galerietür und wir unterbrechen das Gespräch ganz analog, ohne jemals den Rest dieser Antwort zu erörtern.]
Die Galerie hat sich in Köln zu einem echten Treffpunkt entwickelt, auch für Menschen, die mehr mit Musik, als mit Kunst zu tun haben.
Ja, mit der Galerie veröffentlichen wir ja auch Musik. Editionen, auf Vinyl, die jeweils nur zehn Mal gemacht werden. Und jeweils fünf APs, Künstlerexemplare. Der Vorteil ist, dass man etwas aufnimmt, dokumentarisch etwas festhält, oder auch komponiert, und das für den Kunstmarkt anbietet. Das war ja sozusagen auch der Wunsch, dass man die Kunstwelt und die Musikwelt verbindet. Das war der Plan und so ist es auch passiert. Was wir mit Magazine schon so ähnlich gemacht haben, mit den Editionen, wurde quasi professionalisiert mit der Galerie. Die Editionen haben auch eine kleine Sammlerschaft, es gibt ein paar Leute, die haben jetzt alle.
Was kosten die?
Das geht bei 350€ los. Manchmal ist es dann auch kein Vinyl, sondern ein Poster, eine Zeichnung oder ein Print.
Plattensammler können ja super konservativ sein, so kurz hinter Modelleisenbahn. Sind das Kunstsammler auch?
Ich glaube, weniger. Was wir in der Galerie geschafft haben, ist, für gerade diese Leute, die zwischen den Stühlen, zwischen der Kunstwelt und der Musikwelt sitzen, für die eine Plattform zu schaffen. Und es kommen immer mehr Leute, die beides machen, also je mehr man im Thema ist. Oder die kommen selbst auf einen zu.
Für Musiker:innen bringt die Kunstwelt ja vielleicht eine gewisse Freiheit, also wie man an Werke herangeht. Und andersherum ist die Musikwelt vielleicht freier, weil sie viel demokratischer ist und weniger von Geld bestimmt.
Das war bei unserem Sun Ra Projekt tatsächlich ganz interessant, wo alle fiktive Sun Ra Cover gemacht haben. Da waren ja gestandene Künstler dabei. Manche haben einfach ein Cover gemacht und gesagt, “Das kannst du für 500€ oder 5000€ verkaufen, weil es ja ein Cover ist“. Und andere Leute haben gesagt, “Warte mal, wenn ich das Maß nehme von so einem Cover und das zurückrechne, dann muss ich auf jeden Fall 30.000 € nehmen“. Deswegen hatte man ganz unterschiedliche Preise.
Es ist noch nicht lange her, dass ich überhaupt das erste Mal verstanden habe, wie Preise in der Kunstwelt entstehen.
Auf jeden Fall ist es total abgefahren. Eine Zeichnung kostet nur die Hälfte von einer Malerei, warum auch immer. Und dann hat jede Künstler:in so einen Faktor. Aber dieser Faktor wird frei vergeben.
Du hast hier ja auch eine Ausstellung gemacht, waren deine Sachen teuer?
Naja, ich habe sehr große Sachen gemacht… Andererseits habe ich jetzt gesehen, obwohl die Preise so sind, kann man nicht wirklich davon reich werden. Es hat also irgendwie auch seine Berechtigung.
Wenn man 10.000 € nimmt und dann verkaufst du zwei im Jahr, dann ist das trotzdem nicht viel Geld.
Genau. Die Limitierung ist aber natürlich auch total geil. Das machen jetzt auch andere Galerien, mit den Vinyl-Editionen. Ich finde es cool, weil es eine Antwort ist auf diese Beliebigkeit. Man kann theoretisch alles streamen, man kann MP3s ohne Ende verkaufen. Aber wir hatten bei Magazine schon angefangen, zu limitieren. Das erste Mal, als wir ein Tape herausgebracht haben, haben wir die Downloads begrenzt auf 100 Stück. Das konnte man nur 100 mal downloaden und dann haben wir es rausgenommen. Es bekommt einen anderen Wert dadurch, dass es endlich ist. Zehn Stück ist interessanter, als wenn man jetzt eine Platte macht, die man 500 mal oder 1000 Mal produziert. Dann hast du irgendwann einen ganzen Keller voll stehen, weil man verkauft nicht mehr so viele Platten. Aber sobald man sagt, man verkauft nur noch zehn, wollen alle eine haben und nehmen halt ein bisschen mehr Geld in die Hand.

Foto: Hanna Bächer (Merlin Carpenter/Jens-Uwe Beyer/ Alexander Warhus)
Bei Plattensammlern ist ja der Secondhandmarkt total stark. Da gibt es Platten, die gewaschen im Wiederverkauf 500 € kosten, die jemand für 1€ auf dem Flohmarkt gefunden hat. Da haben die Künstler:innen dann nichts mehr von.
Deswegen fand ich diesen NFT-Gedanken total geil. Weil dann die Macher:innen, der Ursprung, im Secondary Market und allem was danach passiert, immer berücksichtigt werden. Also wenn ich jetzt zum Beispiel eine Platte für 50€ verkaufe als NFT und dann schaukelt sich das hoch und auf einmal wird es für eine Million verkauft, dann verdiene ich immer noch mit.
Die Blockchain, die fehlt auf Discogs.
Aber im Kunstmarkt ja weitestgehend auch.
Gibt es manchmal Leute, die ihr gerne ausstellen würdet und die absagen?
Einmal kam es nicht zu einer Ausstellung mit Moki Cherry, weil wir zu kommerziell seien. Es ist manchmal verrückt, für die ganzen Sammler sind wir keine kommerzielle Galerie und für die ganzen anderen sind wir zu kommerziell, weil unsere Ausstellungen verkäuflich sind. Unser Konzept öffnet uns allerdings viele Türen, das ist ja anders, als das anderer Galerien. Genau wie bei meinen Musiklabels. Normalerweise hat man ja ein Roaster aus Künstler:innen, die sind unter Vertrag bei dir. Und das mache ich anders. Wenn etwas gut ist, bringe ich es raus, ich nehme die nicht unter Vertrag. Genauso mit der Galerie. Das führt dazu, dass ganz viele namhafte Künstler, die bei einer anderen Galerie sind, wie zum Beispiel Merlin Carpenter, der da gerade wiederkommt, oder Dennis Tyfus, die können dadurch hier trotzdem etwas machen. Etwas freies, was sie sonst in ihrer Galerie vielleicht nicht machen würden.
Ich mache Merlin mal die Tür auf. Wir haben ja heute noch etwas vor! Danke, Jens-Uwe, für das Gespräch.
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