Giegling – Interview mit Jan Barich (aka Map.ache) und Elvira Gumnista (aka Elli)

Giegling: „Frei, zeitlos, leicht und schön“

New York, LA, Tokyo – Giegling sind überall


Am 25./26. Juni gastiert das Giegling-Kollektiv, das einst von Bauhaus-Studierenden in Weimar gegründet wurde, mit neun Künstler:innen zum insgesamt vierten Mal in Köln – wobei sich die Party diesmal gleich über zwei Locations erstreckt; los geht es am Samstag in Odonien, bevor am Sonntag erstmals das neue Südbrücken-Venue bespielt wird.

Kaput hat im Vorfeld mit Jan Barich (aka Map.ache) und Elvira Gumnista (aka Elli) gesprochen.


Elli, Jan, ihr gehört nicht zur Gründer:innen-Generation von Giegling. Wie seid ihr dazugestoßen? Was bedeutet das Kollektiv für Euch?

Elli: Ich habe Giegling über eine Freundin kennengelernt, die mich auf ein Festival auf einer kleinen dänischen Insel mitgenommen hat, das muss so circa 2010 gewesen sein. Damals hatte ich noch kaum etwas mit Techno/Electro zu tun. Bereits die Fahrt dahin fühlte sich geheimnisvoll an, man musste mit einem kleinen Boot auf die Insel übersetzen. Es war, als ob man durch ein Zeitloch schlüpfte – alles da fühlte sich frei, zeitlos, leicht und schön an.

Jan: An das Erlebnis kann ich mich auch sehr gut erinnern, ich hab das genauso empfunden. Wobei mein Zugang ein anderer war: ich bin damals mit Alex Neuschulz (Sevensol) zum Auflegen hingefahren als Manamana. Zu der Zeit habe ich noch als Booker im Kulturzentrum Conne Island in Leipzig gearbeitet; das ist der Ort, wo ich politisch und kulturell aufgewachsen bin. 
Alex, Dennis Knoof (aka Bender) und ich haben 2007 das Kann Label gegründet, das war die Zeit der Post-2000er-Underground-Techno-Labels wie Giegling, Smallville und eben Kann. Wir alle kamen aus unterschiedlichen Ecken Deutschlands, haben aber mit dem gleichen Ansatz Musik produziert und Parties veranstaltet. Dustin und Konstantin von Giegling kamen dann nach Leipzig, um uns zu treffen, da wir schon eine Platte draußen hatten, sie aber noch nicht. Sie wollten Tipps.
Ein wichtiger gemeinsamer Nenner, man könnte auch Vorbild sagen, waren für uns alle zb Dial, die diesen DIY-Gedanken, den ich mehr aus dem Indiekontext kannte zum ersten Mal für mich sichtbar in die Technowelt reingetragen haben.

Wenn du eben erwähnst, dass es Kann vor Giegling gab: wie kam es, dass du quasi rüber gemacht hast, beziehungsweise Giegling zu deinem Hauptlabel wurde?

Jan: Giegling war immer schon an Zusammenarbeit und Kollaborationen unter Freunden interessiert. Ich bezeichne mich immer als von Giegling adoptiert. Für mich war es sehr befreiend, im Gegensatz zu der Doppelrolle bei KANN ausschliesslich als Künstler bei einem Label zu sein und mir nicht all die Gedanken machen zu müssen wie sonst: Was wird das für eine Platte? Wie vertreibt man die? Mir gefiel, wie intensiv Giegling als Kurator mit mir als Musiker umging.

Du hast es angesprochen: Giegling steht für DIY im besten Sinne: ihr agiert als diskursives Kollektiv, veröffentlicht größtenteils nur auf Eurem eigenen Imprint (oder wie in deinem Fall, Jan, mit Kann Records auf einem anderen selbstbetriebenen Label), gestaltet das Artwork selbst und vertreibt die Platten via die eigene Website. Man könnte da neben Dial, beispielsweise auch an das Sun Ra Kollektiv denken, das auch bekannt dafür war, alle Fäden von der Musikproduktion bis zum Verkauf selbst organisiert zu handhaben – ihr verkauft ja auch Eure Tickets und Platten direkt über die Giegling Website.
War das ein Vorbild beziehungsweise gibt es andere Kollektive aus der Kunst- und Musikgeschichte, die ihr nennen wollt?

Jan: Zu DIY-Strukturen hatte ich schon immer einen affirmativen Zugang, das hat bei mir mit meiner musikalischen Sozialisation mit Punk, Hardcore, Emo angefangen. Der Ansatz war für mich auch nie an ein Musikgenre gekoppelt, sondern auf alles, was man so macht übertragbar. Es geht darum, wie man Dinge zusammen selber erschafft und damit so gut es geht unabhängig bleibt. 
Dial war da sehr wichtig für mich, sie haben auch musikalisch neben Warp und Ninja Tune ein wichtiges Feld für mich und andere, die auch aus der Gitarrenecke kamen, aufgemacht.

Elli: Ich habe früher eher mit Bands zu tun gehabt. Mit Labels hatte ich – mit Ausnahme von Smallville – nicht so wirklich Kontakt. Für mich fühlt sich Giegling wie eine Band an, wir alle spielen quasi unser Instrument, tragen etwas bei. Es gibt nicht den einen, der alles macht, sondern alle müssen da sein, damit das Gesamtbild entsteht.

In der Tat war das ja so in den klassischen Punk-/Hardcore-Strukturen der 80er und 90er Jahre: die einen machten Musik, die anderen verlegten Fanzines, veranstalteten Konzerte oder gründeten Labels. Es gab nicht dieses hierarchische Gefühl, dass das eine wichtiger als das andere ist. Deswegen ja auch die Idee, dass alle gleich honoriert werden sollten.

Elli: Deswegen fühle ich mich auch so wohl. Alles ist organisch. Am Anfang habe ich aber immer nach der Struktur gesucht. Mittlerweile weiß ich zu schätzen, wie besonders es ist, dass es eben niemand gibt, der die Ansagen macht, wer was zu tun hat.


Wie hat man sich den diskursiven Entscheidungsprozess im Hause Giegling vorzustellen?

Elli: Natürlich gibt es auch mal Auseinandersetzungen – es muss ja auch nicht immer harmonisch verlaufen –, aber selbst dann führt der Weg immer zur Party; die Party weicht alles auf und heilt die Wunden.

Jan: Das würde ich total unterschreiben. Wobei es bei mir so ist, dass ich aus einem Plenum-Kontext komme. Im Conne Island habe ich freiwillig 20 Jahre lang jeden Montag Abend um 18 Uhr Plenum gehabt. Da habe ich die Vorzüge des miteinander zu reden gelernt, des sich Austauschens – aber auch zu merken, wie anstrengend es ist, immer alles aus unterschiedlichen Blickwinkel auseinander zu nehmen und zu diskutieren. Für einen konkreten Kulturbetrieb wie einem Club macht das total Sinn und war für das Ergebnis immer sehr wichtig.
Giegling ist da für mich eine Art Gegenmodell. Es wird nicht alles ausdiskutiert bis ins Kleinste. Da geht es mehr um das blinde Vertrauen auf die Kraft jedes Einzelnem samt der Eigenverantwortung für das was alle geben können und wollen. Wir alle konzentrieren uns auf das, was wir am besten können und worauf wir am meisten Lust haben. Giegling ist ein Experiment, wie Sachen automatisch auch im Kollektiv funktionieren können auf der Basis gemeinsam das Beste herauszuholen. So entsteht aus den einzelnen Bausteinen die gemeinsame Dynamik.

Für die Parties klingt das sehr nachvollziehbar und funktionierend. Aber wie sieht es beim Label aus?

Elli: Bei der Musik wird der Kanal enger. Da sind es immer zwei, drei, die den Weg bestimmen. Wenn die nicht weiter kommen, werden die anderen nach ihrer Meinung gefragt. Damit sind alle total zufrieden. Es gibt wirklich viele Sachen, mit denen ich nichts zu tun haben will, ich bin insofern sehr dankbar, wenn ich ohne schlechtestes Gewissen da nichts beitragen muss.

Jan: Das beißt sich ja nicht. Das bestätigt nur, dass es einen Teil der Gruppe gibt, der sehr gut darin ist, Musik zu kuratieren. Aus der Musikperspektive kann ich sagen, dass die Art und Weise, wie detailliert sich bei Giegling mit mir und der Musik auseinandergesetzt wird, ein weiterer Grund ist, warum ich so dankbar bin Teil davon sein zu können.

Elli: Selbst nach zwölf Jahren, die ich nun bei Giegling dabei bin, gelingt es dem Label so noch immer mich zu überraschen.

Hat sich Euer Verhältnis zueinander und die Wahrnehmung und Bedeutung des Kollektivs während der Pandemie in den letzten zwei Jahren verändert?

Jan: Offen gestanden: ich bin am liebsten im Studio. Musikalisch bin ich insofern fast dankbar für diese Zeit. Ich habe zusammen mit Konsti mein „Corona-Album“ „What Does that Mean“ entwickelt. Für mich gab es deswegen keine Lücke – außer dass es keine Parties gab. 
Als wir dann letzten Sommer zur ersten Party wieder zusammen kamen, dachte ich schon: „wow, geil.“ Als es wieder da war, merkte ich sofort, wie wichtig die Momente und Orte sind, wo man wieder beisammen sein kann.


Ich frag das natürlich auch, da ihr als Kollektiv andere Priorität setzt: statt singulärer Auftritte längere Aufenthalte, intensiver Austausch mit den Protagonist:innen vor Ort und auch fairere Gagenverteilmodelle.

Zuletzt seid ihr im Januar in Mexiko unterwegs gewesen, wo ihr über einen Monat mit lokalen Künstler:innen zusammengelebt und den kulturellen Austausch gesucht und neue Räume entwickelt und bespielt habt. Wie wichtig und wie nachhaltig sind solche gemeinsamen Reisen?

Jan: Ich kenne das Gefühl alleine irgendwo auf Veranstaltungen zu reisen auf denen man erstmal niemand gut kennt. Mit Giegling unterwegs zu sein und gemeinsam zu reisen ist genau das Gegenteil. Es fühlt sich natürlich an.
Für Giegling macht es immer am meisten Sinn einen gesamten Tag oder Abend gestalten zu können. Beim Konzept geht es schon darum, trotz der Unterschiedlichkeiten im Sound für einen gemeinsamen Vibe zu sorgen. Somit ist es auch wichtig dass sich die Leute die sich um die Veranstaltungen kümmern auch ein gutes Gespür dafür haben bei der Auswahl von lokalen KünstlerInnen oder externeren Gästen zu schauen, dass sie gut in das Giegling Setting passen. So schafft man es egal wo man ist auf der Welt, auch mit den Leuten vor Ort etwas einzigartiges zu schaffen.

Elli: Man fühlt sich nicht als Gast. Man verbindet sich mit dem Ort und den Leuten. Wir geben weniger eine Party für andere, sondern wir feiern mit anderen zusammen.

Jan: Uns geht es auch darum, nicht nur für eine Party wohin zu reisen, sondern auch Ausstellungen und Konzerte zu organisieren. So schaffen wir es, Giegling mit all seinen Facetten an die verschiedensten Orte zu bringen. Egal in welche Ecke der Welt man kommt, so gelingt es uns, die Leute mitzunehmen. Es macht Spass das ständig zu intensivieren.

Elli: Uns ist es wichtig, dass sich das ständig weiterentwickelt und es nicht nur eine Party ist, sondern dass es auch mal tagsüber stattfindet, dass es auch Konzerte und Ausstellungen sein können, so dass eben auch unterschiedlichste Menschen kommen können. Fast alle aus meiner Familie und meinem Freundeskreis haben schon mit Giegling zu tun gehabt, obwohl mehr als 50% mit Elektronischer Musik nichts zu tun haben. Das finde ich toll: unterschiedliche Menschen können Giegling erleben ohne dass sie auf einen Rave gehen müssen.

Jan: Der Gedanke war schon vor Corona wichtig. Wenn möglich organisieren wir auch Ausstellungen; wo wir länger bleiben können, nehmen wir die Möglichkeit auch wahr. So können sehr besondere Momente und Verbindungen entstehen— im Unterschied zum kurz kommen und gleich wieder fahren.

Ihr habt es angesprochen: Zentral für Giegling sind die gemeinsamen Reisen und Auftritte, bei denen deutlich wird, dass es dem Kollektiv um mehr als Musik geht und Kunst und Architektur (im Sinne von Raumgestaltung – ihr arrangiert die Auftrittsorte ja intensiv um) ebenso von großer Bedeutung sind.

Elli: Das Kollektiv hat sich in Weimar während des Studiums an der Bauhaus Universität gefunden. Da findest du all diese Aspekte: Architektur, Kunst, Musik. Das hat sich für das Label super gut zusammen gefügt.
Für mich ist es irgendwie wichtig, den Raum, in dem die Party stattfindet vorher schon einmal gesehen und im besten Fall mit Giegling eingerichtet zu haben. So, wie wir uns dann halt wohlfühlen und wie wir unsere Gäste empfangen möchten.
Außerdem ist das Auflegen oder Live spielen ja auch immer mega aufregend. Wenn aber alles um dich herum sich gut anfühlt, ist die Aufregung gleich angenehmer. Und es sind dann auch viele vom Kollektiv vertreten in der Show.
Ganz ehrlich: es fällt mir schwer, ohne all das zu spielen. Aber vielleicht übertreibe ich.

Jan: Das finde ich nicht. Es gibt Leute im Kollektiv, denen Aspekte wie Licht und Gestaltung genauso wichtig sind wie die Musik – und sie sind so wichtig wie die Leute, die auflegen oder live spielen. Ich schätze diese Konsequenz bei jeder Veranstaltung: egal wieviel Aufwand es bedeutet, wieviel schlaflose Nächte vorher, das muss umgesetzt werden – da müssen die Starter und Kabel für die Neonröhren eben noch mit nach New York genommen werden. Sonst braucht man da gar nicht anfangen.

Elli: Du musst dir vorstellen, wir sind alle zusammen und machen alles zusammen. Da müssen dann noch Blumen und Vasen besorgt werden… es ist nicht so, dass der DJ irgendwann kommt, alle sind da die ganze Zeit mit am Start.

Wo gerade die Bauhaus Universität angesprochen wurde, ich muss an das Black Mountain College denken, auch so eine Utopie des (fast) unhierarchischen Miteinanders, wo man gemeinsam auf dem Campus lebte und so ein über die Grenzen einzelner Disziplinen gehendes Studieren miteinander kultivierte.
Von da kommend: Ist es so, dass man sich über die Jahre sich auch in die anderen Bereiche reinfuchst und auch mal das Licht mitgestaltet als DJ, oder gar (temporär) die Bereiche wechselt?

Elli: Das habe ich schon immer bei Giegling so empfunden. Wie gesagt, ich habe am Anfang nach der Struktur gesucht: wer macht hier was? Eben macht jemand noch das Licht, aber im nächsten Moment bereitet sie ihr Set vor…
Ich finde, dass es diese Grenzen nie gab. Die Leute bleiben bei dem hängen, was sie interessiert.

Jan: Das ist diesem einzigartigen Automatismus geschuldet: es passiert, was gerade ansteht. Ich sehe das wie Elli, aber natürlich gibt es einige die denken sich wie überall am meisten rein, das wird dann auch nicht groß hinterfragt, denn sie haben sich eben eine Woche damit beschäftigt, wie man etwas am besten umsetzen kann. Was ich mit Automatismus meine: die Aufgabe der anderen ist es dann, das zu supporten. Insofern findet natürlich eine Vermengung der Arbeitsbereiche statt, man greift mit ein und beeinflusst diese dann auch.

Elli: Ich bin als Fan bei Giegling reingerutsch – und bin nun Dj. Da kann man sehen, wie sich Dinge entwickeln.

Jan: Ein wichtiger Gedanke von Giegling ist es, die Leute Sachen in sich sehen zu lassen, die sie selbst vielleicht aus was für Gründen auch immer manchmal nicht wahrnehmen.
Ich spiel beispielsweise mit Giegling immer live, heisst immer nur die eigene Musik. Eigentlich wollte ich das nie wirklich machen, da es mir anfangs immer viel zu aufregend und anstregend war, man macht sich nackig und hat Angst dass das eigene nicht richtig ankommt bei den Leuten. Giegling hat es geschafft mich vom Gegenteil zu überzeugen. Dass ist das, was nur ich so machen kann und dadurch auch am exklusivsten ist. Recht hatten sie. Wie bei Elli: „Du bist ein super DJ, du musst auflegen!“

Diese großen Kollektiv-Events, von denen es in diesem Jahr weitere in Belgien, Portugal und Südamerika geben wird, sind geprägt von Eurem gemeinschaftlichen Unterfangen eine alternative Form von (Club)kultur zu transportieren. Eine die, ich zitiere Konstantin, „nicht profitorientiert“ ist, sondern bei der es um „größtmögliche Freiheit“ geht. Ihr verzichtet dabei ganz bewusst auf jegliche Form von staatlicher Unterstützung, um die eigene Unabhängigkeit nicht ad absurdum zu führen. Wie wichtig ist diese explizit politische Komponente für Euer Selbstverständnis als Mitglieder:innen des Giegling-Kollektivs.

Jan: Für mich ist es in dem Sinne wichtig, als dass dieser Weg für mich bisher immer zum bestmöglichem Ergebnis geführt hat. Mit der größtmöglichen Unabhängigkeit, dem DIY-Gedanken und das alles was passiert aus den eigenen Händen kommt, schafft man es eben besser der Vorstellung von einer gemeinsamen guten Zeit gerecht zu werden.
Und auch wenn es woanders oft auch toll ist, habe ich immer den Vergleich, wie es ist, wenn ich woanders allein gebucht bin.

Elli: Wie gesagt: ich will immer Sachen begreifen. Das war mein Thema am Anfang. Wo sind hier die Strukturen? Wenn ich diese besser erfasse, kann ich mich auch besser anpassen. Aber die gab es eben nicht, also musste ich zusehen, das zu finden, was ich kann. Das war ein Prozess. Ich wollte erklärt bekommen, wer hier was macht und was genau abgeht. Aber seit ungefähr sechs Jahren habe ich mich entspannt und genieß es, das es ist, wie es ist, dass es eben keine Struktur gibt und ich meinen eigenen Weg im Kollektiv finden musste.

Im Hinblick auf die politischen und sozialen Veränderungen der letzten Jahre, die sich auch im Deutschen Osten und speziell in Sachsen manifestieren, wird Clubkultur als Ort für Offenheit und Freiheit torpediert. Vereinzelt hört man von Angriffe auf Club-Besucher:innen oder ganze Locations.
Wie wichtig ist Euer direktes Umfeld in Weimar, Leipzig und Umgebung für Euch in 2022 als Ostdeutsches Kollektiv (wenn man das trotz Gründungsmitgliedern aus Hannover oder Mitglieder:innen aus Hamburg so nennen kann) – persönlich gefragt und auf das Kollektiv bezogen? Auch um den Familienaspekt, der vorhin angeklungen ist aufzugreifen, was man ja auch aus dem Ostkontext kennt, beispielsweise von Nachtdigital und Freude am Tanzen.

Jan: Familie ja, aber wir sind kein Ostdeutsches Kollektiv. Ich sehe es mehr als eine universelle Familie, wo Herkunft erstmal keine Rolle spielt. Klar hat man sich in speziellen Kontexten kennengelernt die viel mit Leipzig und Weimar zu tun hatten und bei denen es dankbare Vorraussetzungen gab. Da meine ich die damals noch nicht so festen Strukturen, und Möglichkeiten räumliche und kulturelle Orte zu besetzen um so eine Familie entstehen zu lassen.
Ich glaube aber die Mischung ist entscheidend, dass es nicht nur Ossis waren, sondern auch Wessis, die im Osten studiert haben und einen Laden eines altes Elektrofachgeschäft namens Giegling gefunden haben, um da Parties stattfinden zu lassen, wie man sie in Hannover wahrscheinlich zu der Zeit nicht mehr machen konnte.
Aber den konkreten Bezug zu Ostdeutschland gibt es nicht, auch wenn es Parallelen zu anderen Kollektiven gibt.
Ich wusste zum Beispiel nie, wer gerade wo wohnt und wer woher kommt. Und das fand ich auch immer toll. Darum geht es ja auch: es ist scheißegal, es sollte keine Rolle spielen. Leute mit den unterschiedlichsten Sozialisationsgeschichten haben sich im Kollektiv zusammengefunden. Und jetzt versucht man genau das auch zu übertragen, sich eben egal wo man hinkommt auf der Welt, mit anderen zu verbinden und gemeinsam Sachen zu initiieren.

Elli: Egal wo wir waren, habe ich mich Zuhause gefühlt – das hat mit unsrem Kollektiv zu tun, aber auch mit denen, die uns eingeladen haben.

Habt ihr das Gefühl, dass sich Giegling positiv auf Eure anderen Aktivitäten auswirkt? Als Inspiration?

Elli: Ja. Man nimmt etwas mit, das sich auf dich als Mensch auswirkt, du trägst das weiter.

Jan: Mir hat Giegling beigebracht, wie man es schaffen kann, es sich gut zu machen. Also auf ganz banaler Ebene. Mit wem möchte man Zeit verbringen und wie gestaltet man Orte, Situationen und Momente für sich und andere die man mag. So ein Leben ist nicht lang. Das klingt natürlich zunächst auch privilegiert und impliziert bei mir auch immer den Wunsch dass alle Menschen dazu die Möglichkeit bekommen müssen.
Aber trotzdem sollte man die Möglichkeiten, die man hat nutzen, sich und anderen das Leben so schön zu machen wie es geht und die Zeit nicht zu verschwenden.

Elli: Ich habe in Hamburg auch ein anderes Leben und einen anderen Job. Giegling bringt Balance in mein Leben. Aus den Erlebnissen kann ich sehr viel schöpfen.

Jan: Das stimmt. Es gibt durch Giegling immer etwas, auf das man sich freut. Wenn man dann in seine andere Bubble zurückgeht, nimmt man viel mit.

Elli: Das geht anderen Leuten auch so. Man begegnet immer vielen Menschen mit leuchtenden Augen.

Jan, deine nächste Map.ache EP, die für den Sommer angekündigt ist, trägt den Titel „So oder so“ – kann man spontan an die eben zu Ende gegangene, gleichnamige Ausstellung von Marcel Odenbach im Düsseldorfer K21 denken. Stand Marcel da Pate? Und dürfen wir wissen, um was es bei dieser Zen-artigen Abwegung geht?

Jan: Das ist Zufall mit dem Ausstellungstitel. 
Ich bin addicted mit Widersprüchen. Ich bin der Überzeugung, der Welt würde es besser gehen, wenn den Menschen mehr beigebracht würde, wie sie mit Widersprüchen besser umgehen können. Ich meine damit nicht postmodern dass es keinen Wahrheit gibt. Im Gegenteil: wenn man sich die Komplexität des Menschseins und des Zusammenlebens bewusst macht, wird die Sicht auf die Welt auch klarer und verständlicher. Ich fände Dialektik als Schulfach zb eine gute Idee. Nicht alles ist schwarz oder weiß.

In Köln gehören neben den klassischen Giegling Künstler:innen noch Lawrence und Isolee zum Lineup, nach welchen Kriterien werden solche Einladungen ausgesprochen?

Elli: Isolee ist aus Hamburg. Man trifft sich auf der Straße und unterhält sich, da fühlt sich die ausgesprochene Einladvung sofort natürlich an.

Jan: Die Gründer von Giegling als auch wir bei Kann waren große Dial Fans. Es fühlt sich schön an, dass das jetzt verschmilzt.

Elli, Jan, danke für Eure Zeit.

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Giegling, Köln, Odonien / Südgarten/Südbrücke, 25./26.6.,
Lineup: Leafar legov, Lawrence, Isolee, Dustin, Elli, Vlada Adi(tbc), Celice(tbc), Edward, Map.ache, Konstantin

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