In Quarantäne mit: Der andere Buchladen

“Wenn ich morgens wach werde, denke ich kurz, ich hatte einen Science-Fiction-Traum”

Friederike Dobisch(links) und Ute Henkel vom Der andere Buchladen

Es ist der 17. März, das, was ich einige Tage zuvor in Barcelona erlebt habe, ist nun auch in Köln angekommen. Dat kölsche Jeföhl, der Chitchat auf den Straßen, verschluckt. In den Rhein gespuckt.

Der Stapel der ungelesenen Bücher ist unbeträchtlich und das was noch da ist, stimmungsbedingt nicht reizvoll. Also schreibe ich der Buchhandlung meiner Wahl, “Der andere Buchladen”, eine E-Mail und bestelle einige Titel von meiner Wunschliste. Trotz Schließung habe ich Glück. Die Bücher werden bei einem anderen Lieblingsdealer, Presse Günter, binnen 24 Stunden abgelegt.

Drei Wochen später klopfe ich an die Tür des “Der andere Buchladen”, vor mir waren bereits zwei Kundinnen dort, die mit gefüllten Händen fortgehen. Die großen Bogenfenster, die einen Einblick in den Buchladen geben, sind mit weißen A4-Papier behangen, auf denen “Wir liefern”, “Bestellungen sind möglich & nötig” und “Den Lieferweg besprechen wir gern individuell mit ihnen” steht. Es ist 15 Uhr, die reduzierten Öffnungszeiten sind soeben beendet. Drinnen begrüßen mich winkend Friederike Dobisch und Ute Henkel, etwas unbeholfen durch den großen Abstand, den wir zueinander halten, lächeln wir uns an und wissen nicht recht, wie wir uns bewegen sollen. Anmut und Stärke wird von ihnen ausgestrahlt. Dobisch im schwarzen Pullover, aus dem rote Ärmel herausschauen, die dunklen Ränder ihrer Brille bestärken den wachen Blick. Henkel mit farben- und musterfroher Kopfbekleidung und gestreiften Oberteil, ihre azurblauen Socken dazu, ja, hach, der eingestandene Fangirl-Moment beflügelt und bestätigt. Henkel bleibt am Computer am Tresen. Dobisch entschuldigt sich für das Chaos im Laden und schlägt den großen Holzmassivtisch vor, wir sitzen gegenüber, Bücherstapel zwischen uns.

Auf die Frage, wie es ihr gehe, seufzt Dobisch erstmal: “Wenn ich morgens wach werde, denke ich kurz, ich hatte einen Science-Fiction-Traum und jetzt ist wieder alles normal. So ist es aber nicht. Wenn ich im Laden bin, vergesse ich aber tatsächlich mal die Situation. Weil ich hier eine Form des alltäglichen Lebens habe, indem ich mich mit Büchern beschäftige. Sobald ich rauskomme, vorm Rewe stehe, die Schlange sehe, dann wird mir das alles wieder bewusst.”

“Der andere Buchladen”, in den 60ern aus dem linken Spektrum als Kollektiv “Das politische Buch” entstanden, mittlerweile eine GmbH, positioniert sich bereits mit dem Namen programmatisch, hier finden sich sehr politische und kleine Verlage. Die Grenzen seien zwar mittlerweile aufgeweicht, doch der Duktus sei geblieben, auch wenn Dobisch heute einen anderen Namen wählen würde. “Auf der anderen Seite ist es aber auch immer ein Gesprächsthema, häufig kommen wir dadurch mit unserer Kundschaft ins Gespräch, der Name macht sie neugierig.”, bemerkt Henkel.

Drei Wochen intensive Coronakrise und die Normalität ist Vergangenheit, auch wenn Dobisch und Henkel noch immer fast täglich im Laden stehen (den Samstag haben sie mittlerweile geschlossen), ist die Gegenwart voller Veränderungen und Beeinträchtigungen: “Unser Arbeitsalltag ist ein ganz anderer, unsere Kund:innen dürfen nicht mehr in den Laden. Wir können aber die Bücher bei Presse Günther in der Merowingerstraße zur Abholung abgeben. Seit wir einen Abstandsstreifen mit den geforderten Sicherheitsvorkehrungen improvisiert haben, nutzen wir unsere wunderbare Fensterbank und haben darauf eine Buchabgabekiste gestellt. Die Bücher geben wir mit Rechnung raus und vertrauen darauf, dass diese auch beglichen wird. Es ist zwar nicht mehr so, dass die Kund:innen im Laden stehen, stöbern und wir uns austauschen, doch der tägliche Kundenkontakt ist nach wie vor da.”
Und dieser beruht nicht ausschließlich auf Bestellungen, die per E-Mail aufgegeben und ausgeführt werden. Dadurch dass die meisten Menschen plötzlich mehr Zeit haben, nimmt die Hektik und Schnelligkeit in ihren Leben etwas ab – die Nachfrage nach Beratung ist dementsprechend groß und ihr wird auch nachgekommen,  nur eben im digitalen Raum und nicht im realen Laden. Als Gründe für die gesteigerte Beratungsnachfrage führt Dobisch die ausgefallene Leipziger Buchmesse an sowie die Tatsache, dass aktuell so gut wie keine Rezensionen erscheinen würden, und das wo doch “Bücher zur Zeit das einzige Kulturgut – neben Filmen und Musik im Stream – seien, welche zugänglich und haptisch greifbar” sind.

Ein wichtiger Punkt. Für mich sind Bücher auch nicht nur Kulturgut, sondern eine Möglichkeit, der Isolation mit all den Wahnsinn an Gefühlen für einige Zeit zu entkommen. Wenn der Schädel vor Nachrichten brummt, ist Streaming zusätzlich einfach nur anstrengend. Bücher hingegen geben die notwendige Stille.
Und genauso fühlt es sich in dem Ladenlokal an: besänftigend. Dieses kitschig romantisierte Gefühl, welches Bücher, Buchläden, Buchhandel transportieren, nehmen Dobisch und Henkel mir mit einem kleinen Augenroller aber wieder: “Wir sehen uns als eine Mischung aus Kulturvermittlung, als Dienstleistung und eben als Handel.”  In dem Moment steht passend eine Kundin an der Tür und klopft. Henkel macht eine Ausnahme und gibt die bestellten Bücher auch nach 15 Uhr heraus und betont auf dem Rückweg: “Wir machen das schon alles aus Leidenschaft, aber wir sind eben auch Händlerinnen, die Geld verdienen müssen und wirtschaftlich arbeiten.”
Dobisch bestärkt Henkels Aussage: “Das ist oft merkbar in den Bewerbungen, die den Beruf ergreifen wollen, weil sie gerne lesen, da möchte ich manchmal reflexhaft antworten “Ja, rechnest du denn auch gerne?”. Wir üben einen kaufmännischen Beruf aus, das darf man nicht vergessen. Zwar mit sehr viel inhaltlichen Input, wir kriegen aus allen Sparten etwas mit und der Beruf gibt mir sehr viel.”

Dobisch ist bereits seit 2003 bei “Der andere Buchladen”, Henkel erst seit 2016. Sie, die zuletzt vor allem im Kundenservice und in der Verwaltung tätig war und dort “mit Großkunden zu tun hatte”,  konnte es sich lange nicht vorstellen, “wieder in einer normalen Buchhandlung zu stehen. Jetzt finde ich es schön. Wir arbeiten beide irgendwo verschieden und ergänzen uns dadurch aber total.”
Dobisch ergänzt die Ausführungen ihrer Kollegin: “Ohne Leidenschaft könnte man so ein kleines Unternehmen in diesen Zeiten nicht machen. Da steckt natürlich auch viel Engagement mit drin.”

Eigentlich zu viert im Team mussten sie die zwei anderen, die auf Stundenbasis arbeiten, trotz des fortlaufenden Geschäft, in die Kurzarbeit schicken: “Der Umsatz ist zwar im kleinen, stationären Buchhandel gestiegen, so dass wir weiterhin an sechs Tagen Bücher geliefert bekommen. Trotzdem spüren wir, dass wir eben ein kleines Unternehmen sind und nicht die Rücklagen wie die Großen haben.”
Nur noch zu zweit und mit der Verlagerung von Aufgaben lernen sich Dobisch und Henkel in gewisser Weise neu kennen. Für Dobisch sind “E-Mails beantworten!” eine besondere Hürde, “vor allem am Anfang. Ich erinnere mich noch, am ersten Tag, der 16. März, da habe ich sechs Stunden lang nichts anderes gemacht, als Mails zu beantworten.” Mittlerweile haben Dobisch und Henkel eine gut funktionierende Struktur erarbeitet: Henkel kümmert sich morgens um den Wareneingang, während Dobisch die Mails bearbeitet. Was für Dobisch “auch schon viel besser klappt”, Henkel nickt zustimmend. Nach der ersten Tageshälfte übernimmt Henkel die Mails und Dobisch beispielsweise die Schaufenstergestaltung, denn die “sind gerade quasi unser Laden”.

Während unseres Gesprächs entdeckt Dobisch ein Buch im Regal, welches sie den ganzen Morgen suchte und erfreut sich an dem Fund. Mein Blick fällt gleich auf fünf Wannen voller Bücher – die Bestellung von nur einem Tag. Henkel macht weiterhin Ausnahmen und gibt immer wieder Bestellungen an klopfende Kund:innen heraus.
Dobisch sieht den Laden als Veedelsbuchhandlung “mit TH-Anschluss” und betont, dass das “früher mal umgekehrt war.” Die Unterstützung, die sie vom Veedel erfahren, empfindet sie als epochal: “In der Nachbarschaft spüren wir ganz große Solidarität, viele kaufen für größere Summen Gutscheine, um sie im Laufe des Jahres einzulösen.” Ebenso sehe es mit der Zusammenarbeit mit großen Verlagen aus, “die sehr kulant sind und die Zahlungsziele nach hinten verlagert haben, das ist für uns sehr hilfreich.” Und auch für das Krisenmanagement der Regierung gibt es positive Worte: “Es gibt die Möglichkeit, Anträge für Unterstützung zu stellen und ich kenne einige, die bereits Zusagen erhalten haben. Das finde ich im Gesamten schon toll zu erleben.” Henkel führt den positiven Reigen fort: “Wir als Buchhandel sind aktuell stark in der Presse vertreten und das war lange nicht so.”

Ob die Krise im Ganzen als Chance für den Buchmarkt zu bezeichnen wäre, darauf möchte sich Dobisch dennoch nicht festlegen: “Vielleicht, wenn die Menschen, die jetzt zu uns kommen, nachdem Amazon Bücher als zweitklassig deklariert hat – vor allem die Neukund:innen -, auch bleiben.”
Bleiben zu können, weiter möchten weder Dobisch noch Henkel aktuell nachdenken müssen. Henkel zitiert an dieser Stelle die Bundeskanzlerin Angela Merkel: “Wir fahren auf Sicht”.

Ich verlasse die Buchhandlung, die Sonne blinzelt mich an. Ich habe eine Bestellung mitgenommen, “Diese Freuden” von Colette. Während ich an Opium und körperliche Ekstase denke, stolpere ich über die Schlange bei Presse Günter und bin wieder in der Science-Fiction-Realität angekommen.

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