Jayda G – Interview

Jayda G: Mehr als nur ein Image

Jayda G veröffentlicht dieser Tage ihr Debütalbum “Significant Changes” auf Ninja Tune, dem Label, auf dem unter anderen Peggy Gou und auch Helena Hauff Zuhause sind. Sie lebt seit 2016 in Berlin, geboren und aufgewachsen ist sie in einer Kleinstadt in der Nähe von Vancouver, Kanada. Seit 2015 erschienen mehrere EPs, zumeist gemeinsam mit DJ Fett Burger (den man von seinen Sex Tags Mania Veröffentlichungen kennen könnte) auf dem Freakout-Cult Label, welches die beiden bis 2018 gemeinsam betrieben haben.

Ihr Boiler Room Set beim Dekmantel Festival 2017 in Amsterdam hat einen regelrechten Hype um Jayda G ausgelöst. Und das, obwohl sie nicht mit besonders großartigen digging skillz aufgewartet hat, sondern sich lieber auf Klassiker von TLC, Debra Laws, Baby-O, Ain’t Nothin’ But A Party und ähnliche youtube-Klick-Hits verließ. Wie auch schon bei ihrem ersten Boiler-Room-Set 2016 lehnte sie sich auch beim Mixing nicht besonders weit aus dem Fenster und spielte an diesem Sommertag 2017 relativ konform einen Crowdpleaser nach dem anderen.
Was also hat Jayda G, was sie so interessant macht?
Und geht es bei Jayda G überhaupt noch um die Musik oder steht ihr Image im Vordergrund?

“Ich konzentriere mich auf meinen künstlerischen Output”

Ich treffe die Künstlerin hinter diesen Fragen im Berliner Büro von Ninja Tune, um herauszufinden, was hinter dem Hype und dem Album “Significant Changes” steckt. Jayda G ist vom ersten Moment an bezaubernd, lächelt viel und ist kein bisschen überheblich. Man muss sie sofort mögen. Sie verkörpert etwas bodenständiges und hat gleichzeitig das Leuchten eines wahren Popsternchens. Sie wirkt angepasst, geradlinig und reflektiert – was sich unter anderem daran zeigt, wie gut vorbereitet sie auf ihren Promotag ist, und wie schwer sie sich aus der Reserve locken lässt.

Als erstes möchte ich von Jayda wissen, warum sie so schwer zu einem Fotoshootings zu überreden ist und lieber nur mit ihren eigenen Bildern arbeitet. Die Antwort fällt ihr nicht besonders schwer. Sie fängt an davon zu erzählen, wie satt sie es hat auf ihr Äußeres reduziert zu werden. Wenn man ein Interview inklusive Fotoshooting gibt, dann schauen eben alle auf die Fotos. Und sie will nicht über ihr Aussehen definiert werden. Sie hat nur das Nötigste auf Instagram und reduziert sich bei diesem Album auf eine einzige Promo-Foto-Serie. Sie wolle nämlich speziell bei ihrem ersten Album, nicht nur für ihr Image wahrgenommen werden, sondern für ihre Musik:

“Ich gehe mit meiner Außendarstellung sehr bewusst um. Ich mag es nicht, viele Selfies zu schießen. Mir ist aufgefallen, dass viele weibliche DJs das anders handhaben. Sie wollen damit eigentlich ihre Karriere unterstützen, doch letztenendes wird das Image dann wichtiger als die Musik. Ich konzentriere mich auf meinen künstlerischen Output; damit möchte ich Aufmerksamkeit erregen. Das interessiert mich mehr.”

Bei meiner nächsten Frage, ob das Clubpublikum die Musik anders wahrnehme, weil sie eine Frau sei, verweist Jayda G auf die Lyrics von “Move to the Front” – bei diesem Track ruft sie dazu auf, nach vorne zu kommen und zu tanzen. Damit sind im Text vor allem die Frauen gemeint, denn sie mag weibliche Energie auf der Tanzfläche. Gleichzeitig spricht sie von der Bedeutung, weiblich, poc und DJ zu sein:

“Wenn man in den 1990ern aufgewachsen ist, dann hat man nicht so viele Künstler_innen gesehen, die so aussahen wie ich – schwarz oder mixed. Deswegen ist es von größerer Bedeutung und ich bin mir dessen bewusst. Als weiblicher, schwarzer DJ fängt man irgendwann an zu verstehen, dass es viel zählt, jemanden zu sehen, der einem gleicht – man sieht sich plötzlich selbst auflegen, das schenkt Vertrauen. Wenn junge Mädchen zu mir kommen und sagen, dass ich ihnen das Vertrauen in sich selbst gebe, das ist für mich das Größte.”

Umso stärker betont Jayda G deswegen auch ihre Rolle als potente Künstlerin. Die Frage, ob sie ihre Musik selbst produziert, beantwortet sie lautstark mit:

“Klar produziere ich alles selbst, das ist mir wichtig. Tatsächlich wissen das gar nicht alle, dass ich selbst produziere; für die bin ich nur ein DJ. Das zeigt mal wieder, wie schnell man von Menschen abgestempelt wird. Das wird sich, denke ich, ändern wenn das Album rauskommt.”

Wir grinsen, denn wir sind beide ein bisschen dankbar, dass wir uns den restlichen Frau-sein-Menstruation-Boys-Girls-Image-Talk sparen können und unterhalten uns viel lieber über sie: als Mensch, als Produzentin, als DJ und natürlich über ihr Debütalbum.

Was ist der Trick?

“Significant Changes” ist ein Album im eigentlichen Sinne, kein Best-of der letzten Monate, keine Aneinanderreihung von Tracks, die alle clubkompatibel sind.
Man findet zwar Clubtracks, aber es ist mehr ein “Listening-Album”, so Jayda.
Eine signifikante Geschichte ergibt sich zwar nicht, doch dafür gibt es auf der A- und B-Seite der Platte eine einfache Dramaturgie. Dadurch laden sich die Tracks gegenseitig auf und die unterschiedlichen Genres, die Jayda kombiniert, werden noch deutlicher. Auffällig ist die Kompatibilität der Tracks, sie passen in viele Situationen und das Album deckt ein breites Spektrum ab. So kombiniert sie Chicago House, Disco, Soul und Trap. Wäre man böse, könnte man auch sagen, es sei für jeden was dabei. Jayda lag der Albumcharakter jedenfalls sehr am Herzen.
Im Grunde, sagt sie, sei ihr alles wichtig. Sie beschreibt sich selbst als Perfektionistin – und beginnt sofort zu lachen und erzählt von einem Talk in der Panorama Bar im Dezember 2018 mit DJ Fett Burger und von der immer wiederkehrenden Frage was der Trick wäre, richtig gute Musik zu produzieren: “Fett Burger und ich antworten auf diese Frage schlicht: Es gibt keine Tricks. Du musst hören, du musst arbeiten, du musst fertig werden!”

Und deswegen verbringt sie sehr viel Zeit im Studio – und geht eben nicht feiern und sich abschießen wie jeder andere in Berlin. Jayda G ist unglaublich geradlinig, nimmt ihre Musik ernst und geht gerne zu ihrer Familie in den Westen Berlins oder in die Natur, weil es da so schön ruhig ist. Das würde sie von vielen anderen Musiker_innen, die sie kennt unterscheiden: “Ich werde oft gefragt, wo ich in Berlin ausgehe. Doch ich gehe nie aus. Ausgehen ist mein Job! Wenn ich mal einen Tag frei habe, dann ist das doch das letzte, was ich machen möchte. Ich chille stattdessen, gehe in ein Café, treffe Freunde. Ich bin nach Berlin gekommen um näher an meiner Familie sein zu können, um ein besseres Touring zu ermöglichen. Ich bin nicht hergekommen, um DJ zu werden – das unterscheidet mich von vielen.”

Fröhlich, fast strahlend

Jayda G ist sie selbst. Sie mag es unabhängig zu sein. So kam es, dass sie 2018 ihr eigenes Label JMG Recordings gegründet hat – “hier kann ich einfach rausbringen, was ich möchte und wie ich möchte. Das gefällt mir.”
Als das Angebot von Ninja Tune kam, zögerte sie deswegen erstmal. Dass sie sich letztlich dafür entschied, lag daran, dass sie das Album unter ihren Bedingungen umsetzen konnte – einzig Jayda G bestimmte über Sound, Kollaborationen und natürlich auch über den Abgabetermin. Sie ließ bei der Unterschrift das Label wissen, dass niemand auf die Idee kommen solle, sie anzurufen, sie würde sich schon selbst melden, wenn das Album fertig sei.

Jayda G arbeitete für “Significant Changes” ausschließlich mit Menschen zusammen, die sie sehr gut kennt und versteht, wie beispielsweise Ilari Larjosto, ihren Mixing & Mastering Engineer aus Helsinki. Diese Verbundenheit fällt auf: Als ich die Platte zum ersten Mal hörte, fiel mir nicht nur die bemerkenswerte Neuinterpretation von klassischem Chicago House auf, sondern auch der Stil wie die Tracks gemischt und gemastert sind. Trotz der Klangqualität ihres Masteringstudios Haista II in Helsinki hat das Album eine eigenwillige 90er-Klangästhetik, vor allem die Tracks “Renewal (Hyla Mix)” und “Missy Knows What’s Up” – als ich das erwähne, lacht sie wieder mal und sagt, “ja genau, das wollte ich erreichen.”
Bei den Tracks “Unifying the Center (Abstract)” und “Renewal (Hyla Mix)” spürt man auch den Einfluss von R’n‘B und Hip Hop aus den 90er Jahren, TLC oder Aaliyah stehen als Referenzen ganz vorne. Bei “Stanley’s Get Down (No Parking on the DF)” und “Move to the Front (Disco Mix)” tritt wiederum ein diskoider Soul-Funk in den Vordergrund, ein Sound, den man auch aus ihren DJ-Sets kennt. Im Vergleich zu dem dunklen, sehr energetischen Deep House, der in letzter Zeit ein Comeback feiert, wirkt Jaydas Album sehr fröhlich, fast strahlend.

Die Party-Kultur kann schnell nichtssagend sein

In ihrer Produktion bedient sich Jayda vieler Soundquellen: digital, analog (gerne mit Geräten aus dem Hause Roland) und auch Klänge aus ihrer Umgebung, zum Beispiel Field-Recordings von Walen. Auf diese stieß sie während ihrer Arbeit am Album, da sie zeitgleich ihren Master in “Umwelt und Ressourcen Management” absolvierte. Überraschend betont Jayda, dass die Entscheidung Walgesänge in ihren Tracks zu benutzen erstmal keinen politischen Hintergrund habe: “Ich arbeite nicht besonders politisch. Die Party-Kultur kann schnell nichtssagend sein und alles scheint von geringer Bedeutung, im Gegensatz dazu wirkt es vielleicht politisch.”

So ganz glauben mag ich ihr das aber nicht. So hört man zudem auf dem Stück „Missy Knows What’s Up“ die Stimme von Misty MacDuffee, einer Biologin der Raincoast Conservation Foundation – ein direkter Verweis auf einen kanadischen Gerichtsfall zum Walschutz. Und überhaupt: geht es in ihrer Abschlussarbeit doch um die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf Schwertwale in der Salish Sea.
“Ich vermisse meine Wissenschafts-Community, sie ist das genaue Gegenteil der DJ-Community”, gesteht Jayda G. “Aber ich versuche das auf mein DJ-Leben zu übertragen. Ein Beispiel: Als ich letztes Jahr im November/Dezember in Neuseeland auf Tour war, habe die Promoter gefragt, ob wir Wandern gehen könnten für ein paar Tage. Die waren baff und meinten, dass noch kein DJ vorher danach gefragt hätte. Ich meinte nur: Neuseeland ist doch für seine Natur bekannt, ich möchte raus.”

Auf meine abschließende, nachbohrende Frage, ob für sie der Club ein Ort sei, um politische Inhalte zu verhandeln, betont Jayda G, dass es ihr als Künstlerin sehr wichtig sei, in der Musik die Dinge anzusprechen, die sie beschäftigen: “Ich denke, man versucht über etwas zu reden, das einen interessiert.” Neben der Ausbeutung der Ozeane sei dies die Umwelttoxikologie durch den Menschen, Fragen der Gleichberechtigung, des Aufbrechens von Hierarchien und des Andersseins– und eben auch die Selbstbehauptung als Künstlerin, mehr sein zu dürfen als nur ein schönes Image.

Aber was ist “mehr als ein Image”?
Jayda G versucht in jedem Satz “sie selbst zu sein” – und sich abzugrenzen: Von den Image-Ideen und Klischees über DJs, die zu viel Party machen, von der Szene, die nicht aussagekräftig genug ist, und von den weiblichen DJs, die zu viele Fotos online stellen. Dabei wissen wir seit Underground Resistance, dass die Szene auch politisch sein kann, seit Beau Wanzer, dass Molekular Biologie und Musik zusammengehen, und seit Helena Hauff, dass man kein social media braucht, um erfolgreich zu sein.
Aber wenn man in den 1990ern aufgewachsen ist und keine Vorbilder hatte, wenn es niemand gab, der so aussah wie man selbst, schwarz oder mixed und dazu vor allem weiblich, mit wem oder was soll man sich dann identifizieren außer der eigenen Rolle als Vorbild für die nächste Generation?

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