“Früher war man um 5 Uhr noch wach, jetzt ist man schon wieder wach.”
Einen radikaleren Bruch in der Biografie als jenen vom DJ und Musiker hin zum Winzer kann man sich kaum vorstellen. Marcin Oz hat ihn 2014 vollzogen und dabei den Bass bei Whitest Boy Alive beziehungsweise die Plattenspieler als DJ Highfish hinter sich gelassen, um auf Sizilien den Neuanfang zu wagen. Gemeinsam mit den lokalen Landwirten Sergio und Marco Mazzara bewirtschaftet er in Bio sieben Hektar Land mit 26.000 Weinreben und somit eine Weinkellerei mit dem Potential von 50.000 Flaschen jährlich.
Kaput traf ihn zum Gespräch über seinen radikalen Lebenswechsel, das neue Arbeiterleben auf Sizilien und “Halleluja”.
Marcin, lass uns am besten ganz am Anfang beginnen: Wie kam es, dass du nach Sizilien gezogen bist, und geschah das damals bereits mit der Intention, Winzer zu werden?
Erlend, der Sänger von Whitest Boy Alive, hat 2008 diesen Ort für sich entdeckt. Seine Mum und er hatten dort Freunde gefunden und sind regelmäßig hingeflogen und erzählten viel davon, wie schön es dort sei. Was ich nicht nachvollziehen konnte: Für mich war Sizilien die Insel, auf die man hinfährt, wenn man alt ist. Es interessierte mich nicht.
Irgendwann hatte er dann die Idee, ein Haus dort zu kaufen. Das fand ich heftig, weil ich noch weniger verstehen konnte, warum gerade hier. Als er dann die Schlüssel final hatte, beschloss ich, ihn zu besuchen. Das war am 10. März 2012 und es tobte der schwerste Sturm über Sizilien seit fünfzehn Jahren. Ich dachte: Ah, so ist das hier also im März. Dabei war alles dicht: die Schulen geschlossen und keiner traute sich aus dem Haus. Nachdem der Sturm sich dann verzogen hatte, hat es mir wahnsinnig gut gefallen.
Damals existierte die Band noch?
Ja, das war noch die Zeit von Whitest Boy Alive. Wir spielten zusammen und betrieben auch noch unser Label Bubbles – wobei es das auch jetzt noch gibt, zuletzt erschien da ja Erlends Soloalbum. Also besuchte ich Erlend dort immer eine Woche pro Monat zum Arbeiten, im Sommer auch mal drei Wochen am Stück. Nach einem halben Jahr begann ich, nach einer Ferienwochnung zu suchen, in der Altstadt von Siracusa.
Wie kam es dann zur Entwicklung zum Winzer?
Das passierte über gemeinsame Freunde von Erlend und mir. Diese betreiben mit ansteckender Begeisterung eine große Bio-Zitronen-Farm mit den besten und schönsten Zitronen, die es gibt. Wenn man das sieht, glaubt man sofort, dass Landwirtschaft das Ultimative ist. Wir wollten unbedingt etwas zusammen machen und so überlegten wir, wie das möglich sein könnte. Es gab da seit ungefähr fünfzehn Jahren dieses Weingut im Familienbesitz, um das sich aus Zeit- und Energiegründen niemand intensiv kümmern konnte. Es war bis dato nur eine Art Hobby des Vaters gewesen. Am Anfang hatten sie einfach die Weintrauben verkauft – bis der Preis am Boden war. Dann begannen sie, Wein daraus zu machen und verkauften diesen an die Großwinzer, die ihn wiederum unter ihrem Namen weiterverkauften. Und als der Preis dafür auch am Boden war, beschlossen sie, ihren eigenen Wein in 1-Liter-Plastikflaschen für den lokalen Markt als Tafelwein abzufüllen. Das ist in Italien so üblich.
Das klingt jetzt so trivial, aber Weinmachen muss man ja auch können.
Das stimmt. Der Wein, den sie damals produziert haben, beziehungsweise den ein Winzer in ihrem Auftrag hergestellt hat, war bereits exzellent, nur eben dass er in Plastikflaschen daherkam: man nennt das “Vino sfuso”, also “loser Wein”. Wir sind ein Biobetrieb, und der Wein hat auf dem sfuso-Markt keine Überlebenschance, die Herstellung ist zu teuer. Die Leute, die Wein in Plastikflaschen kaufen, die schauen nur auf den Preis, und Bio interessiert sie kein Stück.
Und dann kamst du ins Spiel und hast zunächst einmal was geändert?
Mir war wichtig, den Wein von A bis Z selber zu machen. Die Kultivierung im Feld vom Rebschnitt bis zur Ernte, die Vinifizierung, die Lagerung bis zur Abfüllung: „Alles unter einem Dach“. Ich habe also zunächst einmal mit unserem Agronomen und Önologen das Feld auf das Niveau zu bringen versucht, das wir gerne hätten und einen Weinkeller gebaut mit gekühlten Edelstahltanks, Presse, Pumpen, Abbeermaschine und allem, was man für die Vinifizierung braucht. Zusammen mit meinen Jungs und dem Oenologen haben wir dann eine Linie für unseren Betrieb entwickelt und beschlossen mit frischen, jungen Weinen rauszukommen. Also ohne Ausbau in Holz oder Barrique. Unser erster Wein, der “Halleluja”, reift 6 Monate in der Flasche, bevor er im September released wird. Das ist früh für einen sizilianischen Syrah, aber ich stehe auf Frucht und Frische junger Weine. Der Grillo und Nero d’Avola kommen jetzt im Mai.
War der Umstieg vom Leben als Musiker in Berlin hin zum Weinanbauer in Syrakus denn sehr schwer für dich?
Was sich nicht verändert hat, ist, dass man um 5 Uhr morgens wach ist – früher war man noch wach, jetzt ist man schon wach. Man geht hier extrem früh aufs Feld, vor allem im Sommer, da es ab 11 Uhr nicht mehr auszuhalten ist. Ansonsten ist alles anders. Irgendwann ist es bei jedem an der Zeit, etwas Neues zu machen – und bei mir war es soweit. Ich war fertig mit dem Musikbusiness!
Du meinst, dass du alles rausgeholt hattest aus dem Leben als Musiker?
Ich glaube schon. Ich wollte etwas ganz Anderes machen. Wollte von Berlin weg. In Berlin habe ich die beste Zeit erlebt, es konnte nur schlechter werden. Sizilien war ein Abenteuer, das ich mir nicht entgehen lassen wollte. Mal ehrlich: Landwirtschaft in Sizilien und dann auch noch Wein, der Kulturpflanze mit höchsten Anforderungen – das klingt zu verlockend, um es nicht zu wagen.
Wie finden die anderen Jungs in der Band das denn, was du hier machst?
Die finden das alle gut. Ich bekomme überhaupt nur positives Feedback von allen Leuten um mich rum. Erlend ist ein wichtiger Supporter und hilft mit, wo er kann.
Ihr wart ja mit Whitest Boy Alive nie eine dieser Streberbands, die berechnend agiert und den Markt stetig befriedigt haben. Bei euch erschien immer nur dann etwas, wenn es sich wirklich richtig angefühlt hat. Die Musik musste immer euren Ansprüchen gerecht werden.
Der Hauptgrund, warum wir uns entschlossen haben, nicht mehr weiterzuspielen, war, dass wir alles gesagt haben, was wir zu sagen hatten. Es ist nichts neues, nichts wichtiges mehr entstanden. Uns war klar, dass man an diesem Punkt eine Pause einlegen musste.
Legst du auf Sizilien manchmal auf? Wissen die Leute, dass du ein guter DJ bist?
Nein, ich halte mich versteckt. Ich habe zwar meine Platten da, aber es hat sich bisher noch nicht ergeben. Ich mache mit Erlend manchmal in seinem Studio Musik, und jetzt kommen auch bald Maschat und Daniel, der Drummer und der Keyboarder von Whitest Boy Alive zu Besuch, da werden wir zusammen jammen.
Aber ab und an Auflegen, eine Party veranstalten, das reizt dich nicht?
Das ist in Syrakus gar nicht so einfach. Es ist keine Partystadt. Hier kann man sehr gut den Sommer verbringen: tolles Wetter, super Leute, man kann schwimmen, wandern und wahnsinnig gut Essen. Zum Tanzen muss ich nach Catania oder gleich nach Berlin.
Du hast ja auch die Entwicklung in der elektronischen Musik mit verfolgen können, diese unglaubliche Explosion der DJ-Gagen, die es in den letzten fünf Jahren gegeben hat. Kommt dir da ab und an der Gedanke, ob du nicht doch noch mal ein kleines Comeback starten sollst?
Ich kann leider nichts machen, hinter dem ich nicht 100% dahinter stehe. Für mich war das Auflegen und das Nachtleben – so wie es sich entwickelt hat – einfach durch. Ich freue mich aber, dass weiterhin gute Musik erscheint und dass die meisten meiner Freunde weiterhin aktiv sind.
Sprichst du denn mittlerweile gut sizilianisch?
Die Arbeiter im Feld sprechen untereinander Sizilianisch. Ich kann es gut verstehen, aber das Sprechen fällt mir noch schwer. Das ist eine eigene Sprache. Mein Sizilianisch trägt zur allgemeinen Belustigung bei.
Ging es denn schnell, dass du von der lokalen Bevölkerung ernst genommen wurdest?
Die ökonomische Situation hier ist kompliziert: Es gibt wenig Arbeit, vieles ist ziemlich kaputt, und die Leute können mit den Geldern der EU nicht umgehen, die sind ein bisschen unfähig in der Hinsicht. Insofern fragen sie sich natürlich, was einer wie ich hier will, schließlich ist Deutschland für sie das gelobte Land, wo es Arbeit gibt, wo auch viele Sizialianer zum Arbeiten waren. Wenn also jemand aus Deutschland nach Sizilien zieht, ein Projekt startet, dann ist er entweder verrückt oder sehr intelligent. Wahrscheinlich eher verrückt. Ich habe ihren Respekt, werde von einigen, die sich meinen Namen nicht merken können “Il Tedesco” (“der Deutsche”) genannt.
Hast du selbst denn im Verlauf Zweifel bekommen?
Ich habe es geschafft, die Zweifel zu bekämpfen. Um zu verstehen, ob es eine gute Idee war, werde ich noch ein paar Jahre brauchen. Die erste Zeit war ein echter Kampf.
Das klingt alles so, als ob das Leben auf Sizilien für dich sehr von der Arbeit definiert wird. Vom immer guten Wetter und dem Laissez Faire-Lebensstil bekommst du wenig mit, nehme ich an.
In einem kleinen Betrieb wie dem unserem, lebt man wie in einem Hamsterrad. Man fängt im Januar auf dem Feld an, im März kommen die Weine der letzten Ernte in die Flaschen, den Sommer über Arbeit an den Reben, Behandlungen im richtigen Moment, dann kommt die Ernte im September, Vinifizierung, die Arbeit im Keller, gleichzeitig kommt der Wein auf den Markt und muss verkauft werden. Es hört nie auf. Lediglich im Juli passiert weniger, ab August bereitet man schon sich auf die nächste Lese vor.
Der Wein, den du aktuell in Berlin dabei hast, ist das bereits der erste Wein, den du verantwortet hast?
Nein, der kommt erst im Lauf von 2016 auf den Markt. Das hier ist der beste Wein, den wir im Keller haben. Ich habe mit meinem Oenologen an dem Wein gearbeitet, habe ihn abgefüllt. Es ist unser erster Wein als Vini Campisi.
Marcin, lass uns kurz über die ökonomische Seite sprechen. Du hast vorhin erwähnt, dass ein guter Jahrgang bei euch ca 50.000 Flaschen ergeben kann. Das klingt für mich erst mal nach einer Menge, die einen funktionierenden Betrieb ermöglichen sollte.
Selbst wenn wir alle Flaschen gut verkauften – was schwierig ist am Anfang -,dann kann ich davon noch nicht leben! Das liegt an den hohen Anfangsinvestitionen im Keller und im Feld, die müssen erst einmal amortisiert werden. Wie überall in der Landwirtschaft gibt es ein hohes Risiko, denn man ist von den Launen der Natur abhängig. Sehr viel hängt vom Jahrgang ab, und wie er verläuft. Es kann immer was schiefgehen, beim Keltern, beim Lagern, ein Schädlingsbefall im Feld kann einem kräftig den Spaß verderben und schwupps ist das Geld weg, das man verdient hat.
Ich habe wie immer ohne Businessplan angefangen mit der Devise erst mal machen, das Geld kommt schon irgendwann. Hätte ich mir Alles ausrechnen lassen, wäre das Ergebnis abschreckend gewesen. Man darf beim Traum- Erfüllen nicht zu sehr auf die Zahlen schauen.
Wieviele Leute sind denn in den Prozess involviert?
Wir sind zu dritt bei Vini Campisi. Marco und Sergio haben das Feld eingebracht, ich kümmere mich um den Rest. Unser Oenologe, Michele Bean, und der Agronom sind externe Berater. Paolo im Büro und Dario im Weinkeller.
Hinzu kommt der Pool an Arbeitern, die für die Feldarbeiten dazukommen: Beim Reebschnitt sind wir vier Leute, bei der Ernte waren wir 16, fest arbeiten drei bis vier Mann auf dem Feld.
Da du gleich als Teilhaber eingestiegen bist, heißt das, dass du dich langfristig für das Leben als Weinbauer entschieden.
Ich schätze, ich muss einige Jahre durchhalten, bevor ich weiß, ob das zukunftsfähig ist.
Nun, so ganz verschieden vom Leben als Musiker ist dein neues Leben auf Sizilien ja nicht, wie du schon angedeutet hast.
Ich sehe viele Parallelen zur Musikwelt und meiner Zeit mit der Band. Ein Album ist ja auch ein langjähriger Prozess von zwei, drei Jahren. Bei unserem letzten Album, das wir am Ende nicht produziert haben, waren es sogar sieben Jahre. Beim Wein vergehen mindestens 1,5 Jahre während denen man ein bisschen im Dunkeln arbeitet, ohne zu wissen, was am Ende rauskommt. Eine Ewigkeit, in der in jedem Moment etwas schiefgehen kann.
Und auch die Prozesse im Studio, wenn die Songs fertig sind, also das Abmischen, das Mastern, sind jenen beim Wein ähnlich: Man braucht eine Flasche, ein Etikett und einen Karton – eben Cover und Artwork. Und dann kommt der Wein auf den Markt, und man bekommt erstmals Feedback und ein Gefühl dafür, ob er den Leuten gefällt, ob er etwas für die Nische ist oder für alle. Das erinnert mich sehr an die Gefühle, die in mir aufkamen, wenn wir ein Album veröffentlichten. Es gibt natürlich einen Vorteil: Keiner kann sich deinen Wein für umsonst downloaden.
Wer hat denn das Design der Flasche gemacht?
Willem Strattman von StudioAnti, ein sehr begabter Berliner Designer und guter Freund von mir. Ich habe ihn eine Woche nach Syrakus eingeladen und einer Gehirnwäsche unterzogen.
Für den Titel deines Debüt-Weins hast du dich ja bei Leonard Cohen bedient: “Halleluja”.
Alle Weine, die wir machen, werden musikalische Namen bekommen. Für 2016 stehen zwei neue Weine an: “The Cure” und “Red Red Wine”.
Lass uns nochmals über den Vertrieb sprechen. Da hat man also das ganze Jahr geschuftet und diese stark körperliche Arbeit absolviert – und dann geht es nochmals ganz anders von vorne los. Gehört der Vertrieb auch zu deinen Aufgaben innerhalb eures Betriebs? Und wie gehst du ran? Aktuell bist du ja in deiner alten Heimat Berlin unterwegs, wo du viele Leute kennst. Aber das gleiche steht dann ja auch in Italien und überall sonst an.
Ja, der Verkauf ist eine eigene Welt für sich. Ich bin gerade dabei meine ersten Erfahrungen mit Direktvertrieb zu machen, allerdings bin ich im Moment mit nur einem Wein unterwegs, dem Syrah 2013 (“Halleluja”), der seit September 2015 trinkfertig ist.
2016 kommen zwei neue Etiketten dazu: ein 100% Nero d’Avola (“Red Red Wine”) und ein Grillo (“The Cure”), beide Jahrgang 2015 und seit April trinkfertig.
Der Verkauf macht weniger Spaß, wobei es toll ist, hier in Berlin mit Gastronomen-Freunden Wein zu trinken. Ich kenne viele Leute von früher und die, die keine Musik machen, haben Bars oder Restaurants. Aber ja, wenn ich alle privaten Kontakte ausgeschöpft habe, muss ein professioneller Vertrieb her.
Auch das klingt nach dem klassischen Weg, wie wir ihn aus der Musikgeschichte kennen. Die Detroiter haben ja ihre Platten auch zunächst bei Hardwax direkt verkauft, woraufhin sich der EFA Vertrieb damals ihrer angenommen hat.
Wie geht man denn an die Preispolitik heran? Ich nehme an, du findest den Wein super…
Es ist schwierig. Der Wein kostet bei uns in Syrakus 8 €. Wenn uns in Berlin jemand 100 Flaschen abnimmt, dann bekommt er sie inklusive Mehrwertsteuer für einen Preis unter 10 €. Generell ist das echte Pfennigfuchserei. Man hat seinen Preis ab Keller, zu dem dann Transport und Auslieferungskosten hinzukommen. Dann gibt es den Zwischenhändler, der 100 % drauf schlägt, das Restaurant schließlich haut nochmals 300 bis 500 % drauf. Da spielt es eine große Rolle, wo man preislich anfängt, damit der Endkundenpreis noch in Ordnung geht. Ein paar Cent Unterschied am Anfang machen viel im Restaurant aus.
Wenn dieser Preiskette folgend euer Wein dann für 30€ oder mehr im Restaurant auf der Karte steht, wirft das die Frage auf, ob er zu dem Preis mithalten kann.
Ja, das kann er. Unser Anbaugebiet heißt nicht ohne Grund Buonivini, von dort kommen seit jeher gute Weine, und mit Michele Bean als Oenologen bin ich beruhigt mithalten zu können.
Eins ist mir klar geworden jetzt wo ich weiß was es kostet guten Wein zu produzieren:
Die 5 €-Weine im Supermarkt können nicht gut sein!
Wieviele schiefgehende Ernten kannst du dir denn leisten? Wie lange reicht dein Atem? Das Leben auf Sizilien ist ja wenigstens günstig.
Wir haben mit einem guten Jahrgang 2015 angefangen. Man sagt, dass die geraden Jahrgänge besser ausfallen, jetzt hoffen wir also auf ein super 2016. Das Leben ist so günstig wie in Berlin. Die Mieten sind billig, die Lebensmittel auch, zumal ich viele Farmer kenne, die tolle Lebensmittel produzieren, weshalb ich für mein Gemüse nicht bezahlen muss. Ich führe ein bescheidenes Leben und gebe kaum Geld aus. Das Auto ist verhältnismäßig teuer, und ich brauche eine Stunde bis zum Feld.
Was morgens um 5 Uhr sehr hart ist.
Ja, das macht wach! Man ist ständig unterwegs mit dem Auto, verbraucht also viel Benzin. Auch die Versicherung ist teuer, für mein kleines Auto zahl ich fast 1000 €/Jahr. Aber auf deine Frage zurück kommend: Klar bin ich unter Druck.
Bin aber positiv eingestellt – immerhin ist es schon über ein Jahr lang gut gegangen.
Vermisst du denn das Musikmachen?
Auf jeden Fall. Was ich aber nicht vermisse, ist es im Studio unter Druck ein Album aufnehmen zu müssen. Das Livespielen, das fehlt mir. Leider habe ich keine Zeit dazu.
Marcin, als letzte Frage: Hättest du vorher gewusst, wie hart die Anfangsphase wird, hättest du dich trotzdem zu dem Schritt entschlossen?
Die Frage habe ich mir noch nicht gestellt. Sie überrascht mich. Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Es könnte sein, dass ich überwältigt gewesen wäre, aber ich würde es trotzdem wieder machen – bis jetzt war doch alles super.
Stell mir die Frage aber noch mal in sechs Monaten, denn jetzt muss ich mich den kommerziellen Aspekten stellen und die Leute für unseren Wein begeistern.
Generell muss ich sagen, dass von allen Sachen, die ich je gemacht habe, der Wein die ist, die am meisten von mir kommt. Die Band war das Produkt von vier Köpfen, Label zusammen mit Erlend. Als DJ war ich allein unterwegs, aber auch viel mit Diringer. Das kann man aber nicht mit dem Schweiß und der körperlichen Arbeit und den vielen schlaflosen Nächten vergleichen, die ich in den Wein bislang gesteckt habe. Es war schon viel Stress, aber es fühlt sich so gut an. Von allen Sachen, die ich je gemacht habe kann ich den Wein am besten verkaufen. Es ist wirklich mein Baby.
Sechs Monate später.
Marcin, wie fällt heute deine Antwort aus: Würdest du wieder alles so machen?
Ja, ich würde wieder diese Herausforderung annehmen und mein Bestes geben.
Du kannst ja mittlerweile einen großen Vertriebserfolg vermelden: Du hast eure Weine auf drei Jahre hin bei Viani Food untergebracht. Erzähl doch mal kurz wie das gekommen ist und was das für eure Arbeit bedeutet.
Das Zeit Magazin hat im Dezember 2015 ein Mini-Feature über “Halleluja” veröffentlicht. Die Ausgabe fiel irgendwie Remo Viani, einem Importeur für Italienische Feinkost, in die Hände und er wunderte sich, wieso ein Wein aus Sizilien “Halleluja” und nicht “Don Alfonso” heißt. Über Facebook kontaktierte er mich und fragte, ob er uns besuchen könne. Ich empfing ihn ein paar Tage später mit Schwertfisch zum Lunch bei Sergio zu Hause und wir lernten uns kennen und mögen. Wir probierten damals die Weine noch aus der Plastikflasche, und er nahm Fassproben mit nach Göttingen.
Ein Paar Tage später hat er uns die Zusammenarbeit vorgeschlagen und angekündigt bei der Abfüllung dabei zu sein zu wollen. Diese wurde mehr zu einer Party mit Freunden, Musik und Essen. Viani ist jetzt unser exklusiver Importeur und Vertrieb für Deutschland und unsere Weine sind über Viani zu beziehen.
Eine weitere Neuerung ist, dass ihr nun auch Olivenöl im Angebot habt. Wie kam es dazu?
Die circa 200 Olivenbäume dienen den Zitronenfeldern von Sergio und Marco als Windschutz. 2015 haben wir die Oliven geerntet und zur Mühle gebracht, dabei kam eine kleine Produktion sehr leckeren Öls heraus, erst dann haben wir uns entschieden es ins Sortiment aufzunehmen. Im Moment kämpfe ich noch mit der Bürokratie, denn der Umgang mit Öl ist wegen der Skandale der letzten Jahre sehr streng geregelt und wir sind Weinproduzenten und erst neu im Ölbusiness. Für die Lagerung und Abfüllung werden spezielle Genehmigungen gebraucht. Ich hoffe, alles bald beisammen zu haben.
Weinproduktion für Neulinge in 18 Schritten:
- Rebschnitt: Im Januar werden die Reben auf kurze Zapfen zurück geschnitten.
- Bodenarbeiten: Unkraut wird unter den Reben mit dem Traktor (aber auch manuell mit der Hacke) entfernt.
- Pheromone gegen den Traubenwickler werden ausgebracht.
- Im März brechen die Knospen auf, und die Vegetation geht los.
- Gegen Ende April werden alle unerwünschten Wildtriebe manuell ausgebrochen.
- Im Mai werden die ersten Behandlungen mit Schwefel gegen Mehltau durchgeführt.
- Monitoring-Phase: Schädlingsbekämpfung, Unterbinden von Pilzerkrankungen.
- Arbeitsphase an der Laubwand: Wachsen und im Spalier in Ordnung halten.
- Im Mai und Juni kommt die Mehltauperiode. Diese dauert bis August, wenn die Trauben die Farbe wechseln.
- Behandlung mit Netzschwefel.
- Beginn der Insektenprobleme: Allerdings kann man im Bioweinbau nicht viel machen, Insektizide sind verboten.Wenn man Glück hat, kommt die Hitzewelle und tötet die Insekten ab.
- Anfang September wird der Reifegrad geprüft und die Zuckerwerte gemessen: Beim richtigen Zuckerwert und PH und Säurewert wird schnell geerntet.
- Und dann wird der Wein gemacht. Auf Sizilien herrscht ein heißes Klima, im September hat es immer noch 35 bis 40 Grad. Wir ernten sehr früh am Morgen und bringen die Trauben sofort zum Kühlen in die Kühlzelle im Weinkeller, damit die Fermentierung langsam losgeht.
- Nach 3-4 Tagen in der Kühlzelle wird entbeert, gepresst und schließlich zur Mieschung in den Tank geschickt, wo die Trauben mit der Schale mit dem Most Kontakt haben und dort 12 Tage gären.
- In dem Moment, in dem der Zucker von Hefen vollständig zu Alkohol umgewandelt wurde, wird gepresst. Danach wird der Wein erst mal für lange Zeit in Ruhe gelassen. Das ist die schöne Zeit: Man wartet darauf, dass der Wein gut wird. Ab und zu werden Abstiche gemacht, bei denen der Wein von den Feststoffen, die am Tankboden dekantieren, getrennt wird.
- Am 11. November steht das Weinfest an. An diesem Tag wird der junge Wein zum ersten Mal mit Freunden getrunken.
- Gegen Weihnachten haben unsere Weine die Sekundärfermentation hinter sich, die Umwandlung von Apfelsäure in Milchsäure. Das ist der erste wichtige Schritt auf dem Weg zum ausgewogenen Wein.
- Wenn alles gut gelaufen ist und der Wein keine Fehler oder Defekte aufweist , kann man überlegen, was man mit ihm macht: gleich in die Flasche abfüllen? Oder noch im Holz reifen lassen? Oder im Zementtank? Oder im Barrique? Oder im Edelstahltank? Die Lagerung und Reifung wirkt sich stark auf den Geschmack aus, jeder Winzer hat sein eigenes Geheimrezept. Die Weißweine kommen meist frisch im Frühjahr nach der Weinlese auf den Markt, die roten meist mit Verzögerung von Monaten bis hin zu mehreren Jahren, abhängig von Sorte, Ausbau und Reifung.