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„Ankommen ist nichts, was man alleine für sich schaffen kann“ – Nichtseattle im Interview

Die Gitarristin und Sängerin Katharina Kollmann hat Anfang April die dritte Platte unter dem Namen Nichtseattle veröffentlicht. Sie heißt „Haus“, ist wieder ganz wundervoll geworden und schließt an die Vorgängerin „Kommunistenlibido“ von 2022 an.

Benjamin Moldenhauer traf die Musikerin in Berlin.

Nichtseattle / Foto: Noel Richter

“Haus” schlägt in vielen aber nicht allen Punkten eine Brücke zu dem Nichtseattle-Album davor. Geblieben sind die Texte, die assoziativ um Beziehungen, Sehnsüchte, Verluste und Ortsbeschreibungen kreisen. „Kommunistenlibido“, der Vorgänger, war auch eine herzaufreißende Trennungsplatte. Nichts wird in diesen Liedern hörbar zurückgehalten, und die Offenheit der Texte zieht einem 2022 wie 2024 immer wieder freundlich, aber bestimmt den Stecker. „Haus“ klingt dann aber doch anders. Neu zum Beispiel ist, dass Nichtseattle ihre Texte jetzt nicht mehr im spröden LoFi-Sound einrahmen, sondern von einem Soloprojekt zu einer Band geworden sind.

Als Treffpunkt hat Katharina Kollmann die Kulturmarkthalle in der Hanns-Eisler-Straße ausgewählt, in der sie einen Nachbarschaftschor leitet. Es geht in den Stücken von Nichtseattle um Menschen, die sich miteinander verbinden wollen. Oder auch erst einmal nur mit sich selbst. Und dabei manchmal mit Karacho scheitern. Rezepte, wie das gehen könnte, gibt es auf „Haus“ dann aber keine und auch keine angenehme Melancholie, die das Scheitern irgendwie angenehm klingen lässt. Stattdessen aber etwas viel Schöneres, weil Eigensinnigeres und auch, naja, Wahreres: so eine Art sozialistisch informierten Sozialrealismus, der, wenn er von Beziehungen handelt, die Umstände, in denen Menschen sich finden und einander verlieren, Beziehungen entstehen und sich entfalten müssen, immer mitlaufen lässt.

Ich würd gerne anfangen mit der Musik, noch nicht mit den Texten. Man hört schon eine starke Kontinuität zu den Sachen davor. Aber auf „Haus“ gibt es zum ersten Mal so einen fetten Bandsound. Bei den Songs sind viele Passagen, die auch auf „Kommunistenlibido“ hätten sein können – einfach Stimme und Gitarre. Aber dann auch wieder Schlagzeug, E-Gitarre, Bläser und dann wird es an ein paar Stellen ja auch geradewegs hymnisch. War das für dich so der nächste Schritt, eine bewusste Entscheidung, oder hat sich das irgendwie organisch ergeben?

KATHARINA KOLLMANN Ein Hauptgrund ist einfach der, dass ich, als ich angefangen hatte, „Kommunistenlibido“ aufzunehmen, einfach noch keine richtige Band hatte. Da habe ich alles alleine aufgenommen. Aber in der Phantasie hatte ich die ganzen Linien schon immer auch mitgehört. Die hab ich dann ja teilweise selbst hergestellt, mit Loops und so. Inzwischen habe ich ja eine richtige Band. Ich mag gerne starke Dynamiken, von ganz leise bis für meine Verhältnisse geradezu opulent… also, opulent, naja….

Ich fand’s schon opulent beim Hören. Das hatte ich mir auch aufgeschrieben, das Wort.

Jetzt ist das eben möglich gewesen. Es gab zum ersten Mal die Möglichkeit, in ein Studio zu gehen, es war alles ein bisschen einfacher, die Leute waren da, und man konnte viel mehr machen.

Hättest du dir das für „Kommunistenlibido“ auch schon vorstellen können, oder war das damals genau das Richtige, so reduziert?

Ich will meine Lieder gern recht schnell rausbringen und nicht warten auf die perfekten Umstände. Aus verschiedenen Gründen hab ich damals nur ganz wenig einspielen lassen können, hab aber u.a. durch mehrstimmiges Gitarrenspiel und mehrstimmigen Gesang schon auch viel an der Musik gestaltet, und ich fand die auch gut so. Der Sound von „Kommunistenlibido“ ist ein Ausdruck davon, wie es zu der Zeit eben einfach war. Ich finde aber auch, dass der gut zu den Texten passt. So generell hab ich das Gefühl, meine Musik geht von einer Einsamkeit in Richtung einer stärkeren Verbundenheit.

Im Verlauf der drei Platten, in den Texten oder in der Musik?

Beides, ich sehe da eine ähnliche Entwicklung.

Als Hörer verbinde ich mich mit einer Band nochmal anders als nur mit einer Gitarre und einer Stimme, hab ich gemerkt.

Inwiefern? Weil man sich da selbst noch mal anders einfügen kann?

Ja. Bei einer Band gibt es halt verschiedene Sender. Das klingt anders, oder vielleicht auf eine andere Weise nah als das, was einem nur einer allein erzählt. Aber weiter. Das neue Album hat etwas Konzeptionelles, durch dieses Haus-Thema. Hinter jedem Song steht eine Ortsangabe, im weitesten Sinne. Und dann ist es noch ein Doppelalbum, also auch etwas Großes. Was spielt das Haus als Bild für dich für eine Rolle?

Mir war aufgefallen, dass Häuser und Räume in fast jedem der Lieder vorkommen. Da geht es eigentlich immer um so eine Sehnsucht, irgendwo anzukommen. Das scheitert natürlich oft. Das „Haus“ ist weniger ein konkreter Ort, sondern die Frage nach einer Lebensform, eine Antwort auf die Frage „Wie kann ich bleiben?“ Es gibt Versuche, es anders zu machen, und dieses Versuchen ist sehr anstrengend. Gerade als Frau ist das schwierig und schmerzhaft, wenn man vielleicht gar keine guten Vorbilder hat. Außerdem habe ich in meinen Zwanzigern sehr viel Kafka gelesen und besonders oft Das Schloss. Ich glaube, das Haus verhält sich auch ein bisschen wie Kafkas Schloss, man kommt nicht rein. In „Fleißig“ geht es darum, dass das lyrische Ich versucht, eine Art Glück zu finden, im Ankommen. Aber es reicht nicht, egal, was es tut. Die Lösung in dem Stück ist einfach das Aufgeben, also einfach da sein, wo man ist, und sich mit anderen trotzdem verbinden. Das ist jetzt auch keine richtige Auflösung…

Aber doch die Erkenntnis, dass man mit Anstrengung nicht wirklich weiterkommt…

Ankommen ist jedenfalls nichts, was man alleine für sich schaffen kann.

„Kommunistenlibido“ handelte in meinen Ohren von Beziehungen, die nicht so geworden sind, wie man sich das gedacht oder gewünscht hat, so Rückblicke. Auf „Haus“ geht es viel um neue Anläufe, oder? Um Dinge, die neu beginnen. Oder auch gleich wieder aufhören, wie im ersten Stück auf dem Album, „Beluga (Eigentumswohnung)“. Da trifft das lyrische Ich sich mit einem Mann, der sehr „stolz Bücher von Frauen“ liest und ununterbrochen entspannt grinst, da ist der Anfang dann auch gleich wieder zu Ende.

Es gibt schon wieder beides. „Schikane“ zum Beispiel ist ja voll das Liebeskummerlied.

Ja. Ist eigentlich auf beiden Alben beides drin. Dann stimmt die These nicht. Aber kannst du sagen, warum dieses Verbundensein in deiner Kunst so eine große Rolle spielt?

Naja, mir geht es überhaupt um Beziehungen. Ich glaube, da ist einfach ein riesengroßer, existenzieller Liebeskummer, den ich immer schon mit mir rumschleppe. Gar nicht auf eine einzelne Person bezogen, es geht über romantische Beziehungen hinaus, es war immer schon und immer wieder da, ein schmerzhaftes Getrenntheitsgefühl. Ich weiß selbst nicht genau, ist es einfach tief im Menschsein verankert oder hat es psychoanalytisch biografische Gründe oder gesellschaftliche… In dem Lied „Krümel“ steckt das sehr stark für mich drin, die Szene, in der eine mit jemanden zusammensitzt und Kuchen isst. Es passiert überhaupt nichts Dramatisches, aber sie fühlt die Trennung und den Abschied in jeder alltäglichen Geste, ganz katastrophisch, weil ein ganzer Kosmos von Verlassenheit mit angerührt wird. Aber ich kann meine Texte jetzt auch nicht so gut erklären.

Das muss man ja auch nicht.

Liederschreiben und Musikmachen sind jedenfalls die Momente, in denen sich das Getrenntsein auflöst.

Im Singen und im Schreiben ist ein Verbundenheitsgefühl da?

Merkwürdigerweise ja, extrem sogar.

Beim Hören deiner Lieder auch. Wenn das Stück vorbei ist, ist das leider wieder weg.

So geht’s mir beim Schreiben auch.

Vielleicht war es früher auch einfach klarer, wie man sich zu verbinden hat. Man lernt sich kennen, dann zieht man zusammen und bekommt Kinder, und dann kommt die Scheidung oder eben nicht. Das ist heute komplizierter. Und es ist ja auch schön, dass es jetzt so offen ist. Diese Offenheit, die das jetzt hat, das ist auch immer ein Thema in deinen Songs.

Es ist jetzt ja auch so offen, weil es früher so schrecklich war. Gerade für Frauen. Deswegen ist mir auch das „Frau sein“-Stück so wichtig. Was ich an Lebensmodellen von Frauen mitbekommen habe, auch im Osten… Meine Mutter war ja noch nicht einmal einfach Hausfrau. Aber diese Beziehungsformen meiner Eltern- und Großelterngeneration waren überhaupt nicht so, wie ich das gerne hätte. Und ich weigere mich bis heute, in sowas reinzugeraten. Aber dann wird es halt schwierig. Wie gestaltet man ein Leben dann so fast ohne Rezept?

Man muss mehr klären. Früher musste man wenig klären, aber hatte irgendwann den Salat…

Manchmal war es bei manchen vielleicht auch ganz schön.

Es war nicht alles schlecht.

Man kann nicht verallgemeinern.

Vielleicht sind es einfach unterschiedliche Sorten von Problemen. Früher „Es ist zu eng“, heute gibt es zu viele Ausgänge.

Keiner bleibt.

Keiner bleibt, genau. Was ja komisch ist, weil es wollen ja trotzdem viele eine Verbindung haben, die trägt, und das auch mal für längere Zeit, wenn schon nicht für immer. Aber wenn man es dann hat, ist es auch wieder nicht gut. Sind das für dich eigentlich Liebeslieder auf dem Album?

„Liebeslied“ wär mir zu eng. Das sind eher so psychoanalytische Verhandlungen. Nicht explizit und auch nicht in der Sprache der Psychoanalyse. Aber schon eine psychologische Auseinandersetzung. Es geht eben nicht nur um romantische Beziehungen. Es geht um Sachen, die tiefer und älter sind, und die ich teilweise gar nicht so kognitiv erklären kann.

Das spielt ja sonst nur selten eine Rolle in Liebesliedern: das, was man so alles mitbringt. Ist dann ja auch nicht so romantisch.

Vielleicht sind es moderne Liebeslieder. Alles ist inzwischen ein bisschen aufgeklärter.

In der Analyse soll man ja immer schön frei assoziieren, und du schreibt sehr assoziative Texte. Wer liegt denn da auch der Couch? Die Menschen, über die du singst, oder die Hörerinnen und Hörer? 

Das lyrische Ich.

Kannst du mit dem Satz noch was anfangen, dass das Private politische ist?

Die Songs gehen immer erstmal von was ganz Subjektivem aus. Ich schreib inzwischen mit sehr viel Selbstbewusstsein und mit wenig Angst, einfach, weil ich weiß, dass das nicht nur meine Themen sind. Aber manchmal muss das Politische ja auch so von außen aufgedrückt werden, damit es irgendwie Relevanz hat. Aber doch, ja, das Private ist insofern auch politisch, weil das ich nenn’s jetzt mal Glück als persönliches Lebensprojekt, das ganz individuelle Superleben, auch ein neoliberales Projekt ist, ein Konsumargument und ein Statussymbol. Eine Illusion, wie ich glaube. So sehr es auch gut und richtig ist, nach dem richtigen Leben im Falschen zu suchen – was soll man auch sonst machen? –, ist es eben auch ne totale Überforderung jedes Einzelnen, und darum endet die Haussuche auf dem Album auch mit „Fleißig“ und dem Aufgeben.

Du singst über Beziehungen auf eine Weise, die ich von männlichen Autoren eigentlich kaum kenne. Bei Liebesliedern von Männern steht meist das Subjekt im Mittelpunkt. In deinen Texten dagegen sitzen alle Menschen, um die es geht, im selben Boot. Das hat auch was Erleichterndes, ansonsten herrscht ja klassischerweise auch eine große Beziehungslosigkeit in Liebesliedertexten. Kannst du damit was anfangen, oder schreib ich das jetzt blöd fest?

Vielleicht ist es ein bisschen weniger objektifizierend. Es gibt aber auch in Texten von Frauen Dinge, die immer wieder auftauchen, in Liebesliedern, die auf eine spezifische Weise flach sind. Wo es zum Beispiel nur darum geht, Würde zu wahren nach einer Trennung – these boots are made for walking. Ich kann das gut verstehen, aber ich hab auch immer wieder großen Spaß daran, Lieder zu schreiben, in denen ich nicht sauber und hübsch aus der Sache rauskomme und leide wie ein Mann in einem Liebeslied. Das hat sich schon auch befreiend angefühlt, und es hat auch was Emanzipatorisches.

Weil man den Schein von Souveränität aufgibt?

Ja, weil man sich schwach zeigt und verletzt.

Entstehen beim Schreiben eigentlich Texte, die du der Welt nicht vorsingen willst?

Eigentlich nicht. Höchstens manchmal, wenn ich denke, das ist jetzt noch nicht genug geöffnet, wenn der Text unglaubwürdig oder versucht wirkt.

Ich war bei dem Tocotronic-Konzert im Bremer Schlachthof, bei dem du im Vorprogramm gespielt hast. Und mein Eindruck von den altgewordenen Tocotronic- Fans war, dass zwei Drittel zugehört haben und ein Drittel eher unangenehm berührt war.

Ich hatte das Gefühl, die warten einfach auf den Hauptact.

„Unangenehm berührt“ ist vielleicht ein bisschen stark formuliert. Das war für das eine Drittel jedenfalls nicht die Form von Musik als Träger von Gefühlen, die sie haben wollen. Obwohl Tocotronic ja auch sehr offen sind.

Die Songs von Tocotronic sind schon bedeckter. Früher vielleicht, ja.

Bekommst du ablehnende Reaktionen auf deine Musik?

Schon, ja. Ich krieg das hin und wieder mit, dass Leute das Gefühl haben, dass sie die Musik einfach runterzieht. Da sprechen wir dann halt nicht die gleiche Sprache. Andere finden das gerade wieder gut. Es gibt glaube ich viele Hörer, die wollen, dass es auch einfach mal gut ist und Feierabend. Und dann gibt es noch einen anderen Typus, für den Offenheit etwas Gefährdendes hat.

Ich möchte zum Schluss noch mal zurück an den Anfang. Die erste Platte, „Wendekid“, wirkte noch sehr skizzenhaft. Und „Haus“ klingt jetzt total rund, als hättest du eine Art endgültige Form für deine Kunst gefunden. Täuscht das?

Es gibt so viele Ebenen, die passen müssen bei einer Band. Und da ist gerade ziemlich viel gut. Aber ich glaube nicht, dass das jetzt alles immer so bleibt. Es gibt auch noch eine andere Seite, wo ich gerne mehr Musik und weniger Text machen will. Ich merke gerade, dass ich anfangen will, Lake Felix dafür zu benutzen. Seit Kurzem gibt es ein Trio, und wir proben, da öffnet sich gerade einiges.

Ich frag auch, weil die Band auf dem neuen Album so klingt wie eine Band, die wo angekommen ist. Das war auf „Kommunistenlibido“ anders, da hat sich das gerade erst entwickelt. Das war zumindest meine Assoziation. Ist Kunst ein Ort oder auch ein Haus, das man sich selber bauen kann?

Auf eine Art auf jeden Fall. Sehr sogar. Für mich war Kunst immer ein sicherer Ort, an dem ich machen kann, was ich will. Musik ist eine tolle Weise, um mit anderen zusammen zu sein. Ich leite einen Nachbarschaftschor hier in der Halle. Da kommen ganz unterschiedliche Menschen. Es ist krass, wie einfach man zusammen sein und wie sehr man sich verbinden kann, nur wenn man gemeinsam singt. Mit Sprechen ist das viel schwieriger. Aber es geht auch – wenn man zusammen gesungen hat zum Beispiel.

Das Interview führte: Benjamin Moldenhauer

 

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