Roger van Lunteren

“Rosa Dos Ventos” und das Wehen des Retrofuturismus

“Rosa Dos Ventos” heißt die neue EP von Roger van Lunteren, die unlängst auf dem niederländischen Label So Ha So (Something Happening Somewhere) veröffentlicht worden ist. Der Titel erscheint bestens gewählt, klingt für sich genommen wie pure Poesie, und bedeutet, aus dem Portugiesischen übersetzt, Windrose. Beim alternativ grün oder rot eingefärbten Cover sind ebenfalls Bezüge auf jene fernen, windumwehten Gestade im Südwesten und die Weiten des Ozeans erkennbar, und ein Video zum Opener „Vanish“ wurde, wohl auch dementsprechend, mit Bildern der Insel Madeira unterlegt, die einst wichtige Zwischenstation der portugiesischen Entdeckungsreisenden gewesen war.

In wie weit auch die Musik von jenem erhaben Naturschönen inspiriert worden ist, sei dahingestellt oder auch ganz einfach den Vorstellungen der Zuhörer_innen überlassen. Auf jeden Fall wird schon mit den ersten Sekunden von „Vanish“ deutlich, dass der Kölner Produzent van Lunteren ein Faible und Talent für wunderschöne und höchst assoziative Keyboardparts besitzt. Deren Charakter ist auf der EP durchgängig eher wehmütig und sehnsuchtsvoll, was in potentieller Spannung zu stilistisch treffsicher gesetzten und arrangierten Rhythmen und Acid-Basslines steht. Und überhaupt zeichnet sich die gesamte Veröffentlichung durch eine Dramaturgie von einer zunächst eher getragenen, dann angenehm verspielten A-Seite, die insgesamt immer wieder subtile Pop-Qualitäten à la Legowelt anklingen lässt, zu einer wesentlich tanzbareren zweiten Seite aus. Diese Entwicklung ist vielleicht, bewusst oder auch unbewusst, an den Verlauf eines DJ-Sets angelehnt und mündet nach einem straighteren Remix von „Vanish“ des niederländischen Produzenten Aroy Dee schließlich in „Sleepless“, einem harten Acid-House-Track von der Sorte ’Brett’. Hierbei wird dann ganz auf Keyboardflächen verzichtet und dieses Stück gewinnt seine Intensität, ganz konventionell, vor allem durch die Repetitionen und Variationen der Bassfigur, so dass der für das Genre Acid konstitutive Sound der Roland TB 303 im Mittelpunkt steht.

In den Liner Notes des Vertriebes Clone Records heißt es äußerst zutreffend, dass Rosa Dos Ventos eine Vergangenheit heraufzubeschwören vermag, die es so eigentlich nie gegeben hat, was bekanntlich ein allgemeines Charakteristikum des mal strikt nostalgischen, aber eben zumindest auch potentiell zukunftsgewandten Retrofuturismus darstellt. Die EP erscheint denn auch gerade noch rechtzeitig zum ausklingenden 30-jährigen Geburtstag des zweiten Summer Of Love der Jahre 1987/ 88. Die damaligen Akteure sahen sich dabei gerade in ihrem Hedonismus und auch damit einhergehenden Herausforderung der bürgerlich-kapitalistischen Leistungsgesellschaft durchaus gerne in der Tradition der Hippies, deren Sommer der Liebe noch weitere zwanzig Jahre zuvor stattgefunden hatte. Heutzutage allerdings scheinen die Ären der musikalisch und politischen großen Würfe und Entwürfe schon lange endgültig Geschichte geworden zu sein. Was bleibt, ist das zurückblickende oder auch immer wieder aufs Neue re-aktualisierende Genießen in der subkulturell orientierten Nische, aber eben auch das selbstbewusste Beharren auf ein Anderssein.

Der Acid-House, einst musikalisch radikal neu die nachfolgende Dekade des Techno ankündigend, ist mittlerweile in seiner ’klassischen’ Phase angelangt und zeichnet sich durch eine höchst spannende Binnendifferenzierung aus, die unter anderem auch durch Adaptionen von Elementen anderer Genres aus dem Kanon der elektronischen Populärmusik erreicht wird. Als DJ hatte Roger van Lunteren diese Bandbreite erst unlängst in einem sehr hörenswerten Radio-Mix für den Kölner Sender 674 FM anlässlich des Jubiläums der Ankunft von Acid in Europa präsentiert.

Mit seiner aktuellen Produktion stellt der Producer van Lunteren nun sehr gelungene persönliche Variationen mit den genannten musikalisch-künstlerischen Qualitäten vor, für welche die etwas altmodisch klingende Bezeichnung Kleinod durchaus passend erscheint: Rosa Dos Ventos ein retrofuturistisches und imaginatives Kleinod in Sachen Acid und Electro.

 

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