Interview

Rosa Anschütz: „Labels haben mich oft eingeschränkt“

Rosa Anschütz (Photo:Anna Breit; edited by Rosa Anschütz)

ROSA ANSCHÜTZ ZIEHT SEIT EIN PAAR JAHREN DIE ELEKTRONISCHE UNDERGROUND-SZENE IN IHREN BANN. DIE KOMPONISTIN UND PERFORMANCE-KÜNSTLERIN AUS BERLIN KREIERT EINEN SOUND AN DER SCHWELLE VON DARKWAVE, AMBIENT UND POETRY. IHR VIERTES ALBUM SABBATICAL ERSCHEINT NUN AUF DEM US-LABEL HEARTWORM PRESS.

IM INTERVIEW MIT VICKY HYTREK ERZÄHLT SIE, WARUM SIE KEINE LUST MEHR AUF DEN DEUTSCHEN MUSIKMARKT HAT – UND WAS WEIBLICHKEIT IM POP DAMIT ZU TUN HAT.

Dein neues Album Sabbatical erscheint am 26. September. Hast du dir dafür eine Auszeit genommen?

Rosa Anschütz: Sabbatical kann ja bedeuten, eine Pause zu machen, mit der Arbeit aufzuhören. Für mich ist es eher ein reflektierter Blick zurück – zu den Anfängen. Bei meiner ersten EP „Rigid“ war der Stil meiner Texte oft sehr explizit und düster. Später habe ich dann einen etwas metaphorischeren Schreibstil gewählt, auch aus Selbstschutz. Meine Lyrics gerieten durch einen Remix in Kontexte, die ich so nicht vorhergesehen hätte. Auf „Sabbatical“ ist dann wieder ein anderer Mut dazugekommen: Im Gegensatz zu den alten Texten aus der Rigid-Zeit, an denen ich wenig verändert habe, sind die neuen wieder klarer und thematisch direkter.

Wie ist es entstanden? Wie hast du die Tracks zusammengestellt?

Rosa Anschütz: Auf dem Album sind zum Teil sehr alte Tracks. Meine ersten Songs habe ich mit E-Gitarre, Looper und Stimme geschrieben. Später habe ich immer mehr mit Ableton gearbeitet, um mehr Möglichkeiten zu haben. Zwei Stücke – „Plastered Copy“ und „Watch Me Disappear“ – gehören zu den ersten Tracks, die ich damals auf Soundcloud hochgeladen habe. Für das Album habe ich sie neu aufgenommen.

Rosa Anschütz (Photo:Anna Breit; edited by Rosa Anschütz)

Lyrics sind ein zentrales Element deiner Arbeit. Um was geht es in deinen Texten?

Rosa Anschütz: Insgesamt geht es auf dem Album viel um Wandlung. Ein Bild, das ich einmal für das Cover im Kopf hatte, war ein seltsamer, temporärer Raum – vielleicht ein Hotelzimmer – voll gehangen mit Kokons. Das passte gut zu dieser Übergangs-Thematik. Das Album entwickelt beim Hören eine eigene Dynamik und Sprache der Veränderung. „Eva“ ist vielleicht ein bisschen pathetisch als Einstieg, aber es geht darin auch um Aufbruch, wie auf dem Rest des Albums. Manche Songs sind zwischen meinem 17. und 28. Lebensjahr entstanden und ich habe darin sehr persönliche Themen verarbeitet. Zum Beispiel die eigene Weiblichkeit, wie man sie definiert, und auch, wie man diese Definition in Frage stellt. Das spiegelt sich teilweise auch im Cover wider – nicht unbedingt explizit, aber wer möchte, kann darin einiges hineinlesen.

Dann ist es aber doch das Passbild geworden.

Rosa Anschütz: Ja, und der Inhalt einer Tasche, die mal kurz ausgeleert wurde. Das hat dann tatsächlich der Zufall entschieden. Nach dem offiziellen Fotoshooting für das Album habe ich gemerkt, dass einfach nichts dabei ist, das wirklich passt. Es gab zwar Fotos, die ästhetisch schön waren, bei denen ich aber wieder etwas hineingelesen habe, das ich eigentlich vermeiden wollte. In der Vergangenheit wurde mir oft eine bestimmte Weiblichkeit zugeschrieben und man versuchte, mich Richtung Pop zu lenken – das Cover sollte vor allem „schön“ aussehen.
Das jetzige-Cover ist aus einem spontanen Moment heraus entstanden, in dem ich wirklich dachte: „Mist, ich finde hier nichts, was die Vielfältigkeit des Albums einfängt.“ Das jetzige Bild macht die gesamte Arbeit viel authentischer. Und ich finde es ästhetisch schön, ganz ohne diese geplante Vorstellung von Schönheit.

Choker around Evas dearest desires
Thesis of dreams
And the nightmares around
Eva got lost in the woods
She spat
She tasted the leads of destruction
She saw the start of the fire
Evenly from a dark spot
She painted the abstraction
And fueled the lights
In the same clothes she will cry

Rosa Anschütz (Photo:Anna Breit; edited by Rosa Anschütz)

Du bist Künstlerin, Musikerin, Poetin und Host einer monatlichen Radioshow vom Hong Kong Community Radio (HKCR). Und wegen dieser Show kommt nun das Album raus. Wie hängt das zusammen?

Rosa Anschütz: In meiner Show lese ich auch immer wieder Gedichte vor. Ich spiele Musik, auf die ich gerade Lust habe, manchmal auch Songs, die noch gar nicht veröffentlicht sind. Die Sendung klingt jedes Mal ein bisschen anders.
Das Label Heartworm Press, bei dem das Album jetzt erscheint, gehört zu einer Dark Wave-Band namens Cold Cave. Die ist in den USA recht bekannt. Die Mitglieder der Band mögen meine Gedichte sehr, und irgendwann haben sie angefangen, die Sendung
regelmäßig zu hören, wenn sie auf Tour waren – ich glaube, über mehrere Jahre hinweg.
Wahrscheinlich ist es einfach schön, so eine Sendung zu haben, wenn man ständig unterwegs ist. Irgendwann hat mir dann der Drummer der Band geschrieben, er hatte mich nach einem meiner Tracks gefragt.

So kam dann der Kontakt zustande?

Rosa Anschütz:  Ja, genau. Ich habe ihnen dann erzählt, dass ich mit einem Booker sehr schlechte Erfahrungen gemacht habe und mit vielen Aufgaben allein gelassen wurde. Eigentlich wollten sie zunächst nur zwei oder drei Gedichte von mir – Hardworm Press veröffentlicht vor allem Bücher und Poetry. Das war im Januar. Ich habe ihnen dann auch mein Album geschickt und ziemlich schnell war klar: „Wir machen das!“ Ich habe kurz überlegt, ob ich es noch anderen Labels anbiete, aber mir war ohnehin wichtig, dass es nicht in Deutschland, Österreich oder der Schweiz erscheint, sondern eher in den USA oder generell woanders. Ich war nie so richtig im deutschen Musikmarkt unterwegs, kenne mich da auch kaum aus. Die meiste neue Musik, die ich höre, kommt aus anderen Ecken der Welt. Mir geht es nicht darum, Amerika als das große Ziel darzustellen, sondern eher darum, internationaler Konzerte spielen zu können. Da hilft es, wenn man eine Basis außerhalb der eigenen Region hat.

You’re my hunter
and I hear it in your move
You’re my hunter
and I see it in your eyes
Tell me
Why do I feel guilty
Tell me
Why do I feel guilty

Wie unterscheidet sich die Zusammenarbeit mit Heartworm Press von deinen bisherigen Label-Erfahrungen?

Rosa Anschütz: Die Erfahrung mit Heartworm Press war von Anfang an ganz anders. Sie waren sofort motiviert und haben wirklich wertgeschätzt, dass ich ihnen meine Musik anvertraue. Anstatt mir etwas vorzuschreiben, haben sie mich schon in den ersten Gesprächen nach meinen eigenen Ideen und Visionen gefragt. Zum Beispiel, ob ich mir vorstellen könnte, unterschiedliche Cover zu machen. Es war also von Anfang an ein offenes, kreatives Miteinander. Ich weiß nicht, ob das direkt mit Deutschland zu tun hat, aber dort habe ich oft erlebt, dass es bei den Labels die Haltung gibt, man wisse bereits, wie alles zu laufen hat. Das schränkt die eigene, künstlerische Entscheidungsfreiheit stark ein. In vielen Gesprächen mit früheren Labels ging es darum, wie man die Musik „im Ausland pushen“ könnte – aber die Vorstellungen waren oft seltsam und sehr auf den eigenen Markt fixiert, anstatt wirklich nach außen zu blicken. Auch die Risikobereitschaft war dort viel geringer.

Du hast also bisher nicht so gute Erfahrungen mit den Labels in Deutschland gemacht.

Rosa Anschütz: Bei meinem ersten Label war es schwierig. Es hat keine Kosten übernommen, aber überall reingeredet. Oft ging es darum, mich in Richtung Pop zu schieben und mich zu einer Pop- Künstlerin zu machen. Das Ironische ist: „Sabbatical“ ist wahrscheinlich mein poppigstes Album bisher – aber ich habe das selbst entschieden. Ich habe die Songs so geschrieben, weil ich Lust darauf hatte, und freue mich, sie zu performen. Es gab keine Situation, in der ich das Gefühl hatte, gegen etwas ankämpfen zu müssen. Das war davor anders. Man unterschreibt mit einigen Kompromissen.

Das klingt so, als wäre das auch ein Teil von deinem Prozess. Gab es da rückblickend wichtige Meilensteine?

Rosa Anschütz: Das Kleid, das ich beim Goldenen Strom getragen habe, war für mich ein wichtiger Schritt. Gerade im Techno- und Industrial-Umfeld dominiert oft Härte und das Kleid brachte etwas Liebliches hinein. Ich habe es sogar bei Club-Auftritten getragen. Das war Teil meiner eigenen Inszenierung – ein Ausdruck von etwas, das mit Queerness und Identität zu tun hat. Damals war ich aber nicht bereit, das mit den Labels zu teilen. Ich hatte Angst, dass es instrumentalisiert würde, als Branding, bevor ich selbst bereit war, es künstlerisch zu thematisieren.
Auf „Sabbatical“ passiert das nun viel bewusster. Das Schöne ist: Auch bei den Pressefotos gibt es eine Vielfalt – verschiedene Outfits, unterschiedliche Stimmungen. Das alles zusammen eröffnet mehr Raum und spiegelt die Vielschichtigkeit wider, ohne dass es auf eine einzige Rolle reduziert wird.

Dein zweites Album „Goldener Strom“ ist auf Bpitch Control erschienen, auf dem Berliner Techno-Label von Ellen Alien. Wie passt deine Musik dahin?

Rosa Anschütz: Für mich hatte das damals noch eine zusätzliche Bedeutung, weil ich zu der Zeit in Wien studiert habe. Es fühlte sich ein bisschen wie ein Ruf zurück an – was allerdings im Widerspruch zu dem stand, was ich eigentlich wollte. Die Musik hatte zwar gewisse Techno-Elemente, aber ich wollte nicht im Club spielen. Schon lange habe ich den Clubraum nicht mehr als den Ort empfunden, an dem ich live auftreten möchte.

Wo siehst du dich stattdessen?

Rosa Anschütz: Wichtig ist, dass der Raum eine gewisse Größe hat und die Möglichkeit bietet, die Musik wirklich zu performen. In klassischen Club-Settings ist der Raum oft schon stark vorgegeben, und man hat weniger Möglichkeiten, ihn anders zu lesen. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich am liebsten in Theatern spielen, wegen der Lichtgestaltung und Inszenierung. So kann man den Raum wirklich zu seinem eigenen machen. In Clubs passiert es mir dagegen oft, dass sie noch ihre CDJs aufbauen. Wenn ich mich dann dahinter stelle, denken alle direkt, ich wäre eigentlich DJ.

Du sagst, in Sabbatical geht es vor allem um Reflexion, du betrachtest das Zurückschauen als Teil von einem Prozess der Neuausrichtung. Ich finde, das hört man auch auf dem Album. Am Ende lässt du das Düstere hinter dir und atmest auf.

Rosa Anschütz: Ja, ein paar Tracks sind ein bisschen heavy, aber viele sind auch sehr lustig. Zu fast allen Tracks habe ich auch ein Musikvideo gedreht, ein paar sind sehr humorvoll gedacht. Bei „Sabbatical“ geht es auch darum, dass man Dinge auch mal verarbeitet hat – es ist also nicht dieses ewige melancholische „Oh, alles ist so schwer und hart“, sondern eher: Die Themen sind da, man hat sie in einem Song verarbeitet, und jetzt kann es weitergehen. Das war die Idee hinter dem Album.

Rosa Anschütz performt ihr viertes Studioalbum „Sabbatical“ live am 26. September ab 20 Uhr im Rough Trade Store Berlin. Die Platte erscheint am selben Tag auf dem US-Label Heartworm Press.

 

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