Lennart Brauwers über das neue Album „Only God Was Above Us“ (Columbia) von Vampire Weekend / EM GUIDE

Vampire Weekend sagen: Fuck the world!


Zigmillionen Tiere kämpfen um die letzten Plätze im Zoo, das Krankenhaus hat keine Zeit mehr für dich, ich hol die Axt schonmal aus der Gartenhütte. Wir alle sind verflucht, womöglich für immer. 

Das ist – zumindest auf den ersten Blick – der Modus, in dem wir Vampire Weekend auf ihrem fünften Studioalbum “Only God Was Above Us” wiederfinden. Permanent tauchen sprachliche Bilder von mindestens Unbehagen, oder gar Krieg auf. Dazu passen auch die allerersten Lyrics, die auf der Platte erklingen: “Fuck the world.” Ziemliche Ansage also.

 

Doch ganz so einfach ist das natürlich nicht – wär’ ja auch komisch, bei einer so wohl überlegt agierenden Formation wie Vampire Weekend (gab es in den letzten 20 Jahren eine amerikanische Indie-Band, die erfolgreicher auf eine perfekte Diskographie abgezielt hat?). Schlichtweg zu sagen, dass die Welt einen mal kreuzweise kann, bringt schließlich keinem Menschen etwas, wenn man dabei ungehört bleibt. “The world don’t recognize a singer who won’t sing”, erklärt Frontmann Ezra Koenig also im weiteren Verlauf des großartigen Openers “Ice Cream Piano”. Nach einer fünfjährigen Veröffentlichungspause rauszuposaunen, wie sinnlos es ist, still zu bleiben: starkes Statement zu Beginn einer sehr guten Platte.

Brodeln und knistern tut der Song, bevor er nach 80 Sekunden los galoppiert und wie eine Fahrerlose U-Bahn an dir vorbei brettert. So punky, roh und aggressiv hat man Vampire Weekend nur auf ihrem Debütalbum gehört, wenn überhaupt. Ultra-verzerrte Instrumente knallen gegeneinander, prallen aneinander ab und kulminieren letztlich in einem dissonanten Klavier-Schlussakkord. Eins ist sicher: Dissonanz war zuvor nie etwas, was man mit Vampire Weekend assoziiert hätte. Vielmehr stand die Band bisher für glatte Perfektion, für eine adrette Weltoffenheit in Dur.

Das Klaviersolo im poppigen “Connect” – zusammengehalten werden alle Songs von Koenigs unglaublichem Talent für catchy Melodien – ist im ganz klassischen Sinne schön, nur dass gleichzeitig noch ein zweites Solo gespielt wird. Poppig ist das, ja, aber eben auch ungewöhnlich: Die phasenhaften Veränderungen, das wilde Kombinieren von Sounds machen diesen Track aus. So auch das Highlight “Mary Boon”, in dem die vielleicht wundervollste Melodie des Albums zügig in einen HipHop-Beat mündet, ehe eine Klavierpassage à la Bach auf Koks und, klar, ein prächtiger Kirchenchor dazukommen. Alles erlaubt. „There’s a youthful amateurishness along with some of our most ambitious swings ever“, erklärte Koenig in einem Interview mit The New York Times. Wenn ein Ton mal nicht in die Skala passt, dann wurde er dort bewusst eingestreut und funktioniert wie ein Riss in der Fassade.

Damit stellt “Only God Was Above Us” sich in eine Reihe mit herausragend-kaputten Alben wie “Yankee Hotel Foxtrot” (Wilco) oder “Loveless” (My Bloody Valentine), die ebenfalls eine unleugbare Schönheit mit einem Gefühl von ‘Irgendwas stimmt hier nicht’ kombinieren.

Mindestens genauso deutlich steht “Only God Was Above Us” in der Tradition eines Orts, mit dem Vampire Weekend vor allem zu Beginn ihrer Karriere eng verbunden waren: New York City.

Das Albumcover zeigt ein ebenso urbanes wie surreales Foto des New Yorker Künstlers Steven Siegel, gleichzeitig hat diese Musik die geisterhafte Dickfelligkeit der frühen Wu-Tang-Alben und inkorporiert jazzy Kontrabassläufe, die an “The Low End Theory” von A Tribe Called Quest erinnern. Punk ist das Album eh, wie schon beschrieben, und vereint also gleich mehre New-York-Stile. Dass Vampire Weekend sich daran zurückzuerinnern scheinen, wo sie herkommen, passt natürlich wieder perfekt zur übergeordneten Thematik des Albums. Denn immer wieder geht es darum, wo Dinge herkommen (“Somewhere in your family tree, there was someone just like me”) und was von ihnen übrig bleibt (“It’s clear something’s gonna change, and when it does, which classical remains?”). Bessere Tage werden kommen, singt Ezra Koenig in “Capricorn”, und auch im letzten Song geht’s um Hoffnung. Den längsten Song der bisherigen Karriere aufnehmen und ihn dann “Hope” nennen: starkes Statement zum Abschluss ihrer vielleicht besten Platte.

 

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