Wenn die Hunde-Sache eskaliert – Giulia Becker im Gespräch
Giulia Becker schenkte uns Menschen zum Beispiel den Scheiden-Song. Der kam auf im Rahmen ihrer manchmal eben auch gesungenen Autorinnen-Tätigkeit bei Böhmermanns “neo magazin royale”. Dieses Jahr hat die fröhliche Brillenträgerin zudem ihren Debüt-Roman veröffentlicht, “Das Leben ist eins der härtesten”, erschienen bei Ki-Wi. Mehr als Grund genug, mit unserem befreundeten Podcast “Mrs. Pepsteins Welt” ins Gespräch zu kommen. Pepstein und Becker unterhalten sich über Hunde, Humor und die Notbremse. Hört es euch an. Oder lest das Transkript. So oder so: Viel Spaß!
MRS. PEPSTEIN Dienstag 8.30 in Deutschland. Guten Morgen Giulia Becker! Bist du denn um die Uhrzeit schon lustig?
GIULIA BECKER Guten Morgen und nein. (lacht) Ich bin eher ein Morgenmuffel und mache auch nicht so viele Witze morgens. Ich bin da eher ein Spätzünder.
Wie findest du eigentlich das Label „die lustige Frau“?
Es geht so. „Die lustige Frau“ klingt immer gleich wie eine Ausnahmeerscheinung. „Lustiger Mensch“ oder „lustige Person“ finde ich besser.
Sollte es trotzdem hervorgehoben werden, weil es so wenige Autorinnen oder weibliche Comedians im Humorfach als gibt? Oder empfindest du es gar nicht so?
Ich glaube, so wenige sind das gar nicht, aber es sind nur sehr wenige sichtbar und deswegen sehen sich wahrscheinlich viele in der Pflicht, immer wieder zu betonen, dass das eine Frau ist. Was ja auch insofern gut ist, weil man sie so sichtbar macht. Doch für die betreffenden Frauen, die einen ganz normalen Job machen und sich nicht anders fühlen als ihre männlichen Kollegen, hat es jedes Mal einen unangenehmen Beigeschmack.
Wir kommen gleich zu dem nächsten Ding, wofür du immer vereinnahmt wirst. Du giltst als eine Vorzeigefeministin, was dich auch nervt. Das verstehe ich, geht mir ähnlich. Ist es dir trotzdem wichtig, feministische Themen nach vorne zu bringen?
Ja, total. Aber es nervt irgendwann, weil es nicht das Einzige ist, was mich ausmacht oder wofür ich kämpfe. Ich will auch nicht immer kämpfen, sondern auch mal meine Ruhe, arbeiten und ganz normale Sachen machen wie meine männlichen Kollegen auch. Es ist manchmal sehr mühsam, als die Stimme einer feministischen Generation zu gelten. Ich will einfach normal leben und der Feminismus ist das notwendige Übel dafür. Es ist nicht so, dass ich mega Spaß daran habe, den ganzen Tag zu zeigen, was falsch läuft in der Gesellschaft. Es ist eigentlich auch ein Knochenjob und ich mache das, damit wir irgendwann nicht mehr darüber reden müssen, das vergessen viele. Ich bin nicht hauptberuflich Feministin.
Wie bist du dazu gekommen? Bist du da zwangsläufig reingewachsen?
Ich hatte immer schon einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, deshalb bin ich wahrscheinlich schneller empfänglich als andere Leute, aber ich glaube, wenn man viel Zeit im Internet verbringt und sich Dinge von Leuten anhört, die benachteiligt sind oder Diskriminierung erfahren, dann hat man zwangsläufig das Gefühl, dass man was verändern muss. Bei mir ist das auf jeden Fall so. Ich habe das ja dann selbst im Arbeitsleben gemerkt, dass es diese Diskriminierung gibt und wir nicht ausreichend repräsentiert werden und dann habe ich das ganz schnell gemerkt, dass ich da irgendetwas tun, irgendetwas verändern muss.
Du bist vom Poetry Slam über Twitter jetzt zur Autorin für das Neo Magzin Royal geworden und bist da aktuell auch die einzige Autorin. Wie ist das eigentlich? Ich stelle mir das voll krass vor.
Inzwischen gibt es noch eine zweite Autorin. Darüber bin ich sehr froh. Es sind natürlich immer noch weitaus mehr Männer, aber nach und nach wollen wir das ändern. Es ist krass, aber ich bin es inzwischen gewohnt, weil ich fast vier Jahre im Autorenraum sitze. Ich habe das Gefühl, der Unterschied ist, wenn hauptsächlich Männer an einem Tisch sitzen, dass es in der Regel sehr laut zugeht bei Konferenzen. Dem kann man bisschen entgegenwirken, indem man eine gesunde Mischung reinbringt und nicht der nur der Stärkste und Lauteste gewinnt.
Denkst du, dass sich die Männer geändert haben, seitdem du da bist?
Auf jeden Fall! Vor drei Jahren wurde da teilweise noch ganz anders gedacht und man hatte einiges nicht auf dem Schirm. Da ist in den Köpfen schon viel passiert, auch im Bezug auf eine gewisse Awareness, dass man in Sachen Feminismus etwas tun muss, das war am Anfang noch gar nicht da, weil ja auch keine Frau da war und sich niemand über irgendetwas beschwert hatte. Mittlerweile hat es sich auf jeden Fall in eine positive Richtung entwickelt. So ist zumindest mein Gefühl.
Ich finde, das kann man als Zuschauerin auf jeden Fall merken. Nicht nur in den Formaten, in denen du sichtbar bist, sondern auch in den Texten, die Herr Böhmermann präsentiert.
Das freut mich!
Dein größter Hit ist ja die Scheide. Ich habe mir neulich den Kölner Treff angeguckt und Micky Beisenherz hat das dein „Fiesta Mexicana“ genannt. Ich wünsche mir für dich, dass sich das auch finanziell so wie „Fiesta Mexicana“ niederschlägt. Wie ist das eigentlich passiert – der Song über ein Geschlechtsorgan verknüpft mit einer ganz klaren Message?
Das kam einfach. Zu der Zeit war ich noch die einzige Frau im Autorenraum und habe irgendwann gedacht, ich könnte mal einen Song machen, hatte aber zunächst keine richtige Idee. Eines Tages kam sie dann aber doch. Ich fand dieses Wort „Scheide“ einfach total bescheuert und lustig. Das ist irgendwie ein Begriff aus dem Sexualkundeunterricht oder von Eltern, die über 40 sind, und das immer so mit vorgehaltener Hand gesagt haben. Ich fand das immer so scheiße. Deshalb habe ich es einfach als Songthema genommen und mit etwas verknüpft, was mich in meinem Alltag und vor allem auf Arbeit jeden Tag beschäftigt. Ich habe es zusammengeschrieben und es wurde erschreckend lustig. Dann haben wir noch Musik dazu komponiert, eine Video gemacht und irgendwie hat das alle Erwartungen übertroffen. Das war ein Glücksgriff.
Absolut. Da ich selbst auch dick bin, finde ich „Monstertruck“ zudem mega gut. Wie bist du denn darauf gekommen? Ich kenne auf jeden Fall Sätze wie „Das umspielt Ihre Rundungen.“ Und von denen wird mir regelmäßig schlecht.
„Monstertruck“ ist das unliebsame Kind in meiner Song-Familie, weil es nach der „Scheide“ kam und der Druck und die Erwartungen total groß waren. Es ist ein dagegen bisschen abgekackt, dabei ist es ein total cooler Song und ich mag den nach wie vor. Ich bin darauf gekommen, weil wenn ich mal in Geschäfte gegangen bin – was gar nicht mehr so oft vorkommt, weil ich inzwischen alles online bestelle – stets Damen und Herren kamen, die mich beraten wollten. Und mir immer an Herz gelegt, etwas Großes zu nehmen, was möglichst viel versteckt. Ich bräuchte große Ohrringe, weil ich eine große und starke Frau bin und große Taschen sind ganz wichtig, weil kleine an großen Frauen ganz schlimm sind. Das hat mich einfach irgendwann so abgefuckt. Ich dachte so „Leute, lasst mich doch bitte meine Miniaturhandtasche tragen. Es ist mir scheißegal, ob ich dann optisch noch dicker wirke. Ich will einfach nur ein T-Shirt kaufen!“ Dann habe ich eine Text darüber geschrieben und hab es einfach weiter gesponnen, wie es ist, wenn ich alles immer größer kaufe, einfach nur, damit ich kleiner und schlanker wirke und ein bisschen mehr unsichtbar werde und das hat dann mit der Monstertruck-Utopie und dem Video geendet.
Es ist 2019, aber ich kann immer noch nicht zum Shoppen in die Stadt gehen und sagen, ich bummel mal von einem Geschäft zum nächsten, weil es nirgendwo modische Klamotten in meiner Größe gibt. Ich bin zum Onlineshopping gezwungen.
Also ‚einfach so‘ geht es mit dem Einkaufen nicht – super Überleitung zu Mine, mit der du den ebenfalls tollen Song „Einfach so“ gemacht hast, der gerade bei mir in heavy rotation läuft. Wie kam es denn zu der Zusammenarbeit?
Tatsächlich über Instagram. Mine hatte irgendwann mal eine Story gepostet, in der sie meinen Song „Verdammte Scheide“ im Auto hört. Ich dachte so, WTF – ich bin doch voll der Mine-Fan und dann bin ich komplett ausgerastet habe ihr geschrieben: „Es kann doch nicht sein, dass du meinen Song hörst, ich höre doch sonst immer deine“. Dann sind wir ins Gespräch gekommen und sie meinte, dass sie mich voll gern auf ihrer neuen Platte dabei haben möchte. Da war ich natürlich voll begeistert. Den Text für meinen Part habe ich im Urlaub auf Kreta am Meer auf einem Plastikstuhl geschrieben und dann waren wir zusammen im Studio und das war total cool.
Dann kommen wir jetzt mal zu deinem Buch, weswegen wir eigentlich sprechen. „Das Leben ist eins der härtesten“ ist ein Buch über Freundschaft, Einsamkeit und Geld. Vielleicht kannst du kurz beschreiben, wer die Charaktere sind, und wer von denen zuerst da war.
Erstmal muss ich sagen, alle Protagonisten sind über 40. Silke Möhlenstedt ist Ende 40 und eine unaufgeregt Person, die vor ungefähr 27 Jahren die Notbremse in einem Zug gezogen hat, um ihrer Ehe zu entfliehen. Das war eine toxische Ehe mit einem sehr herrischen Ehemann. Der Zug ist entgleist, der Zugführer hat seine Schneidezähne verloren und sie muss für die Schadensersatzsumme aufkommen. Sie ist aber nicht versichert, hat kein Geld und lässt sich deswegen die Summe in Sozialstunden umwandeln und arbeitet deshalb seit 27 Jahren in der Bahnhofsmission. Dann gibt es noch ihre Freundin Renate, eine sehr extrovertierte Person, die offenherzig ist und das macht, worauf sie Bock hat. Sie hat einen kleinen Hund, der leider am Anfang des Buches verstirbt. Danach gerät ihr Leben ein bisschen aus den Fugen, weil das ihr Kindersatz war all und die versucht die Lücke durch Homeshopping-Impulskäufen zu stopfen. Dann gibt es noch Willy-Martin, auch ein Freund von Silke. Er ist Pfleger in einem Taubenschlag. Er ist ein bisschen kauzig und sein größtes Hobby ist Online-Kniffel.
War Silke als Figurenidee zuerst da?
Was ich auf jeden Fall wollte, war, von einer Frau erzählen, die ein bisschen unter die Gleise gerät und vor allem jemand ist, den man überall sieht, keine total besondere Person. Ich erkenne Silke überall in der Gesellschaft und meinem Umfeld: Sie geben ganz viel selbstlos von sich und fordern ganz wenig ein, vergessen sich darüber ein bisschen und stecken immer zurück, weil sie denken, dass muss man so machen als Frau und Mutter. Das war auf jeden Falls der Plan, dass ich von so einer Frau erzähle, die andere vielleicht nicht als erzählenswert empfinden.
Trotzdem haben ja gerade die Frauenfiguren super empowerndes Potential, ohne dass du sie als Heldinnen stilisierst. Frau Göbel sagt einfach „Das will ich jetzt und das machen wir jetzt!“ Und dann gibt es irgendwie auch überhaupt keine Diskussion.
Frau Göbel hat auch diese Sturheit, die viele Menschen im Alter haben. Da lassen sie sich gar nichts mehr sagen. Das wird dann einfach so gemacht.
Aber auch Silke nimmt ihr Leben selbst in die Hand – im wahrsten Sinn des Wortes, indem sie die Notbremse zieht.
Ja, ich habe das beobachtet, dass Frauen, wenn sie einmal aus eine Ehe oder wie auch immer toxischen Beziehung raus sind, und eine zeit lang für sich sind, merken, dass es gar nicht so übel ist, alleine zu sein. All die Jahre dachten sie, das Leben ist nur erfüllend, wenn ich ein Gegenstück habe, aber eigentlich funktioniere ich auch alleine. Silke hat das für sich entdeckt, und dass sie auch gar nicht auf der Suche nach der großen Liebe ist. Mir war es wichtig, dass sie niemanden braucht, um zu funktionieren und nicht erst glücklich ist, wenn ein Mann in ihr Leben tritt, sondern sie macht sich ihr eigenes Glück. Solche Rollen fehlen mir ganz oft in Büchern, Geschichten, Filmen. Da sind Frauen immer auf der Suche nach einem Mann. Das ist Quatsch. Man kann als Frau auch ohne Mann ganz gut Spaß im Leben haben. Man ist dann gar nicht so traurig wie es immer dargestellt wird. Im Gegenteil – viele genießen das total. Das wollte ich bei Silke auf jeden Fall erzählen.
Die Akzeptanz der Gesellschaft dafür, dass man als Frau auch allein leben kann, nimmt aber zu. Wenn ich so in meine Jugend zurückblicke, gab es da vielleicht irgendwo so eine einsame Tante, dieses Ewige-Jungfer-Ding. Ganz schrecklich eigentlich. Während sich eigentlich viele Frauen eingerichtet hatten in Zweckgemeinschaften mit Typen.
Ein Großteil des Buches spielt ja in Tropical Island und manchmal kann man förmlich riechen, wie es dort riecht, nach Frittenfett, Chlor – und ich habe gedacht, dass ich dort niemals hin möchte. Hast du denn selbst Recherche im Tropical Island betrieben?
Leider nicht. Ich hätte es sehr gern gemacht, aber leider ist Brandenburg sehr weit weg. Ich habe zwar immer mal wieder nach Zugtickets gegoogelt, aber das waren dann so zwölf Stunden Fahrt – total utopisch. Ich habe mich dann online erkundigt und sehr viele Dokus darüber geguckt und immer mitgeschrieben. Außerdem habe ich mir den Lageplan sehr gut eingeprägt. Zur Buchpremiere hat mir jedoch meiner Lektorin einen Gutschein für Tropical Island geschenkt. Den werde ich auf jeden Fall im November einlösen, wenn es draußen grau und nass ist.
Was ich auch während des Lesens gedacht habe: Mag Giulia Becker keine Hunde. Ist das richtig?
(lacht) Ich habe das tatsächlich erst ganz am Ende vom Schreiben realisiert, dass wahnsinnig viele Hunde in dem Buch stattfinden. Anscheinend habe ich da unterbewusst eine Hund-Sache am Laufen, das ist schnell eskaliert. Ich weiß noch nicht so richtig, was es ist, denn eigentlich finde ich Hunde voll ok. Wenn ich auf dem Land leben würde, würde ich mir wahrscheinlich irgendwann einen zulegen.
Wie stellst du dir denn dein Leben mit so Mitte 40 vor?
Sehr langweilig. Ich bin privat jetzt schon sehr langweilig. Ich denke mir immer, ich kann das gar nicht mehr steigern. Mit 40 wird das dann so seinen Zenit erreicht haben und ich werde absolut langweilig irgendwo auf dem Land leben mit einem kleinen Gemüsegarten und Stricken oder so.
Und einem Hund!
Und einen Hund, ja, aber der wird auch megalangweilig sein. Wir werden alle vor uns hin langweilig sein, aber das wir wird mega! Ich freue mich total darauf, weil je älter man wird als Frau, desto mehr ist einem alles ein bisschen egal. Mit 20 habe ich mich immer so verrückt gemacht wegen allem, wollte unbedingt gefallen, musste schön sein und abnehmen und die ganze Zeit Diät und so. Und jetzt so langsam merke ich, je älter man wird, umso uninteressanter ist man für die Gesellschaft, was natürlich auch traurig ist, aber auch irgendwie cool, weil man dann endlich seine Ruhe hat.
Das kann ich nur bestätigen. Übrigens wünsche ich mir, dass du mit jemandem, der genauso alt ist wie ich, ein Duett machst.
Oha.
Das habe ich auch mal ins Internet geschrieben, nämlich Dendemann. Wann passiert das endlich?
Ich wäre natürlich direkt dabei. Aber man kann natürlich nicht erwarten, dass ein großartiger, langjähriger Musiker mit einer Amateurin wie mir einen Song macht. Aber ich wäre sofort dabei, weil Diggedidendemann ist natürlich bester Mann!
Ok, liebe Giulia, dank dir sehr für das Interview.
Sehr gerne, danke dir.
Das Interview führte: Mrs. Pepstein / Transkription: Sandy Feldbacher
Ebenfalls erschienen in dieser Kaput/Pepstein-Reihe:
– Pepstein trifft Klitclique
– Pepstein trifft Bernadette La Hengst