2024 – das Jahr in Insolvenz & Pop I TV Edition

Falling Together mit Thomas Venker & Friends durch 2024

Claire Rousay “Sentiment” (Thrill Jockey)

Jamie xx „Falling Together“ (ft. Oona Doherty)

„…That dancer / There’s a whole world in that dancer / A microcosm of everyone you love / Everyone you know / Every human being who ever was / When he turns his head / It’s not his head turning / But all the heads / turning / When she raises her hand / It’s not her hand rising / But all the hands rising / Look again / This is a very small stage / In a vast cosmic arena / A little pile of dust suspended in a light beam / Struggling for significance / But what’s it about? / Look again at that dancer / What the fuck? / That’s it / That’s all there is / Us / A lonely speck / In the great enveloping cosmic dark / In all this vastness / There is no hint that / Help will come from elsewhere to save us from ourselves / So alright / Yeah
/ I will have a double / Yes, I will fall / Open arms into and out of my own ego / Let go, let go, let go / The great let go / Look again at that dancer / That’s you / You’re here / That’s us …“

Lustigerweise war „Falling Together“ nicht sofort mein Lieblingsstück auf dem neuen Jamie Album „In Waves“. Natürlich, ein super Stück, aber irgendwie war da auch dieses too much Gefühl, das die süsse Klebrigkeit der Akkorde und Flächen auslöst. Aber wie das so ist, wenn die einzelnen Elemente eines Stücks sich gegenseitig immer höher schieben, es ließ mich solange nicht mehr los bis ich lost in music war. Der Text, vorgetragen mit der wunderbar schnoddrigen Stimme von Oona Doherty, mäandert um die ewigen Fragen des Lebens und die Leichtigkeit der Nacht – der Clip von Tom Edwards versucht dann nicht prätentiös ein komplexes Narrativ der Nacht zu verdichten, sondern dropt uns einfach auf dem Dance Floor. Irgendwann schließt man eh die Augen und lässt den eigenen Film zu „Falling Together“ ablaufen, einen in dem man sich happy durch Clubs laufen oder glücklich mit fremden Menschen in einer Toilettenschlange tanzen sieht.

 

„Evil Does Not Exist“

„Evil Does Not Exist“ („悪は存在しない“ / „Aku wa sonzai shinai“) schließt  sowohl ästhetisch als auch was die Inszenierung angeht direkt an „Drive My Car“ („ドライブ・マイ・カ“sー Doraibu mai kā“) an. Auch diesmal gewährt Regisseur Hamaguchi Ryusuke seinen Protagonist:innen die Luft, die sie brauchen, um zu sich zu finden. Und auch diesmal steuerte Ishibashi Eiko den Soundtrack bei.
„Evil Does Not Exist“ ist ein bitter böser Kommentar auf die seit der Pandemie so boomende Wild-Life- / Camping-Industrie, die sich den Anstrich von Naturverbundenheit gibt, jedoch bis in den letzten Cent zynisch durch kalkuliert agiert.

 

Jessica Pratt „Here in the Pitch“

Der längst überfällige Durchbruch für Jessica Pratt. Ein fantastisches Album, das zugleich das Portal in den Laurel Canyon der 1970er Jahre aufmacht und im LA des Jahres 2024 verortet ist – wozu auch die kongeniale Zusammenarbeit mit A$ap Rocky passt.

Charli XCX „BRAT“

Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll bei diesem Gesamtkunstwerk. Vom Artwork über die Release-Ergänzungen (von „Brat“ bis hin zum Remix-Masterprojekt „Brat and It’s Completely Different but Also Still Brat“) bis hin zu den epochalen Liveshows (entworfen von Imogene Strauss und unter anderen mit  Troye Sivan).
Über Jahre hatte ich so meine Probleme mit den den Releases von Charlotte Emma Aitchison, die für mich nie dieselbe Faszination wie die Konzerte auszulösen vermochten – das hat sich mit „Brat“ definitiv geändert. Modisch bleibe ich zwar meinem gedeckteren Gründton treu, ansonsten aber begleitete mich brat wie eigentlich alle Pop infizierten Menschen durch das Jahr – ich zähle bereits die Tage runter bis zu ihrem Primavera 2025 Auftritt.

Warschau: „Sanatoria marzeń“  / „Sanatorium Dreams“

Mein erstes Mal in der Polnischen Hauptstadt und es hätte nicht schöner ausfallen können. Eigentlich in Warschau für die Gruppenausstellung „Sanatoria marzeń“  / „Sanatorium Dreams“ von Sarah Szczesny, Sophia Domagala und Katharina Marszewski verzauberten mich Stadt und Leute von der ersten Sekunde an.
Dass Kim Gordon uns netterweise noch kurzfristig zu ihrer Show im Rahmen der Wiedereröffnung des Muzeum Sztuki Nowoczesnej einlud passte natürlich hervorragend.
Erwähnt sei auch die Ausstellung zum Lebenswerk von Sergei (Sergo, Serhij) Parajanov. „PARAJANOV. I WANT TO OUTRUN MY SHADOW“ ist um eine Präsentation wichtiger Sequenzen aus seinem Film „Sayat-Nova“ („ Die Farbe der Granatäpfel“) herum aufgebaut. Der Titel der Ausstellung verweist übrigens auf ein Gedicht eines armenischen Dichters aus dem 18. Jahrhundert

Istanbul

Eine weitere Stadt, die ich 2024 für immer ins Herz geschlossen habe. An dieser Stelle sei aber auf 2024 – Das Jahr in Insolvenz & Pop II verwiesen, das in den kommenden Tagen online gehen wird, wo ich meine in Istanbul entstandenen Interviews nochmals in Erinnerung rufen werde.

Festivals

Zu Intro Magazin Zeiten hatte ich für das wichtigste on the road die Reise-Email-Adresse „travelvenker@intro.de”. Bei Kaput ist die Trennung zwischen Redaktionsräumen und dem Erleben von Kultur auf den Straßen der Welt sowieso vollständig aufgelöst worden. Die Konsequenz: In diesem Jahr war ich selbst für mich unglaubliche 141 Tage nicht in Köln. Ich empfinde große Dankbarkeit so leben zu können.

Viele der Reisen führten auch 2024 wieder zu Festivals. Ganze zwölf waren es, wenn ich keines vergessen habe: CTM, Rewire, Moers, ℅ pop, Primavera Sound, Monheim Triennale, Dekmantel, A´larme Festival, Pop-Kultur, Meakusma, Making Time und last but not least Week-End Festival.
So gut alle von ihnen waren, möchte ich aber doch das Week-End, das Meakusma und das Making Time besonders hervorheben, und zwar da es sich bei allen drei um von den Veranstalter:innen mit sehr großen Einsatz veranstalteten Community-Festivals handelt, bei denen die Besucher:innen als integraler Bestandteil des Festivals empfunden werden. Das erscheint mir 2024 wichtiger denn je.
Mein Dank gilt darüber hinaus aber allen Festivalteams und Besucher:innen für die gemeinsamen Tage mit Musik., an denen man all den Scheiß um uns herum zumindest teilweise mal ausblenden konnte.

Phantom Kino Ballett

Mein liebstes Performance-Kunst-Musik-Projekt Phantom Kino Ballett beendete 2024 seinen Winterschlaf (der im April 2020 mit der Pandemie eingesetzt hatte) mit der beeindruckenden Ausstellung „Angry Mim“ in Münster bei Floating States, Studio 155 sowie einem Hexen-Audio-Walk für das Droste Festival (ebenfalls in Münster).

Terre Thaemlitz

2003 veröffentlichte ich gemeinsam mit meinem onitor Partner Jörg Koch die Compilation “Politronics”, den leider größter Flop unserer Labelgeschichte. Die elektronische Musikwelt war noch nicht bereit für den politischen Diskurs zum Sound – trotz Musiker:innen wie Scanner, Gudrun Gut / Thomas Fehlmann, agf, Scanner, Lawrence, Matthew Herbert, Mouse on Mars, V/VM, Schorsch Kamerun, Stella, Milch, Pawel, Schneider ™ und Terre Thaemlitz sowie begleitenden Essays von Martin Büsser und Philip Sherburne (sowie der US-Promo durch meinen Freund Jon Berry). Das Stück von Terre Thaemlitz trägt den Titel “Inelegant Implementations” und ist natürlich grandios. Hier bei Terre direkt erhältlich.

Terre ist über die Jahre zu einer engen Freundin von mir geworden, was mir sehr viel bedeutet. Im Rahmen der Monheim Triennale, die ich mit kuratiere, habe ich seit 2020 die Gelegenheit mit Terre für Performances zusammen zu arbeiten, in diesem Jahr spiele er zwei noch immer in mir nachhallende Sets, ein Klavierkonzert und ein dreistündiges Electro-akustisches Set (in 2025 wird sie übrigens wiederum an der Monheim Triennale teilnehmen, also bitte Dates blocken).

Vier Wochen später durfte ich im Rahmen des ebenfalls sehr zu empfehlenden Dekmantel Festivals ein wunderschönes DJ Sprinkles Set von Terre erleben, das mir jetzt noch Gänsehaut beim Schreiben bereitet.

Music

Ich habe schon alle Vorgaben, die ich den Kaput Autor:innen mit auf den Weg gegeben habe, ignoriert und wieder mal viel zu viel geschrieben. Deswegen hier nur noch als Liste ein paar Alben, die 2024 für mich zu einem besseren Jahr gemacht haben:

Oren Ambarchi, Johan Berthling, Andreas Werliin „Ghosted II“ (Drag City)

Beth Gibbons „Lives Outgrown“ (Domino)

Nala Sinephros „Endlessness“ (Warp)

HJirok „HJirok“ (Altin Village & Mine)

Donnato Dozzy „Magda“ (Spazio Disponibile)

Andrea Belfi & Jules Reidy „dessus oben alto up“(Marionette)

Chrisma „Chinese Restaurant“ (entdeckt über den Istanbuler Plattenladen Deform Muzik)

 

2024 – das Jahr in Insolvenz & Pop II TV Edition folgt bald. 

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