Pop-Kultur Berlin Festival – Digitale Edition

Pop-Kultur: “Wir haben wirklich extrem viel mit den Künstler*innen gesprochen”

Martin Hossbach, Katja Lucker, Christian Morin (v. li. nach re.) – Photo: Patrick Desbrosses

2020 wird als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem Corona unser aller Leben ordentlich durchgewirbelt hat. Während sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen aktuell erst einmal Normalitäten wieder einstellen, ist für die Live-Branche auf absehbare Zeit noch kein Rückkehr zum Alltag zu erwarten. Die Folge: viele Absagen, aber eben auch der Mut sich den digitalen Herausforderungen zu stellen und an Ersatz-Happenings zu arbeiten, um so Künstler_innen in der Krise zu stützen und zugleich gemeinschaftliche Erlebniswelten zu konstruieren, die uns emotional und ästhetisch-intellektuell auffangen.

Wir haben die  drei Haupt-Kurator_innen des Pop-Kultur Festivals Katja Lucker, Martin Hossbach und Christian Morin zur diesjährigen digitalen Edition befragt.
 

Katja, Christian, Martin – zunächst: Super spannendes Lineup. Deswegen will ich auch erst Mal bei euch nachfragen: Wie habt ihr denn die neue, Corona-bedingte Ausrichtung des Festivals für euch im kuratorischen Prozess empfunden? Wo lagen die besonderen Herausforderungen? Und welche neuen Möglichkeitsräume ergaben sich?

Christian: Die erste Frage, die sich stellte, war die nach dem eigenen Umgang mit der Situation. Mich zum Beispiel hat die drohende Absage des Festivals in eine tiefe Krise gestürzt. Wir waren ja Anfang März schon so gut wie fertig mit dem Programm. Es standen bereits cairca 110 Programmpunkte fest. Ich konnte nicht loslassen, und der Gedanke an eine digitale Edition schien mir wenig attraktiv.

Martin: Mir wiederum war schnell klar, dass wir an einer digitalen Ausgabe arbeiten müssten. Nur wie?

Christian: Dazu kam, dass wir uns im Team nur noch virtuell getroffen haben. Es ist toll, dass es diese Möglichkeiten gibt, aber für eine tiefere Auseinandersetzung, fehlt dann doch der persönliche Kontakt. In langen Gesprächen haben wir dann eine gute Idee entwickelt.

Martin: Die Entwicklung unserer Idee, über Videokonferenzen, ohne den direkten Austausch, die wiederum hat mich dann irgendwann verrückt gemacht! Aber jetzt haben wir alle ein gutes Gefühl und freuen uns, endlich das Programm bekannt geben zu können.

Christian: Der Kern ist ein eher klassisches Format. Eine Art Show für jeden der drei Festivaltage, angelehnt an die Machart von Fernseh-Magazinen, inhaltlich hochwertig und gut produziert, umlagert von einer Wolke aus Digital-Arbeiten, die in der “Show” nur in kurzen Versionen zu sehen sein werden.

Katja: Bereits jetzt befinden sich die Beteiligten auf den zahlreichen Bühnen der Kulturbrauerei oder international verstreut mit lokalen Video-Teams in der Vorbereitung ihrer Produktionen. Auf unserer neuen Website zeigen wir dann an den drei Tagen im August audiovisuelle Beiträge jeglicher Art, die pro Tag in jeweils einer großen Show zusammengeführt werden. Nach der Erstausstrahlung sind auch die einzelnen künstlerische Beiträge in voller Länge in der Mediathek abrufbar. Der Zugang ist kostenlos und barrierearm. Zum Glück konnten wir die Geldgeber von diesem Konzept überzeugen, und haben nun das Privileg mit einem natürlich sehr stark verkleinerten künstlerischen Budget das Festival als virtuelle Ausgabe zu realisieren.

Christian: Der nächste Schritt war ein sehr schmerzhafter. Wir mussten das Programm auf circa 30 Programmpunkte runter kürzen.

Martin: Das war wirklich nicht einfach. Wir haben dann versucht, dort sehr konzeptionell heranzugehen, und sicherzustellen, dass uns alle Themen auch in der abgespeckten Version erhalten bleiben.

Katja: Jetzt, wo wir schon bereits gedrehtes Material anschauen konnten, macht das sehr glücklich. Denn es ist tatsächlich so, dass es sehr tolle künstlerische Perspektiven zu sehen gibt, die Live so nicht bieten kann. Wir mussten natürlich erheblich einsparen, denn wir haben null Euro Ticketeinnahmen in diesem Jahr.

Photo: Patrick Desbrosses

Nun ist es ja für die Künstler_innen schön, dass das Festival nicht ausfällt und damit eventuell auch ökonomische Verluste für sie entstehen (zumindest im Moment), sondern eben neue künstlerischen Perspektive aufgemacht werden und sie so finanziell und emotional gestützt werden. Allerdings fordern diese ja auch Flexibilität und Spontanität von ihnen ein. Fiel das denn allen sofort leicht, oder war das ein Prozess, den ihr sensibel begleiten musstet, da eben nicht alle gleichermaßen mit den neuen Realitäten durch Corona zurecht kommen?

Katja: Aus Arbeitgeberinnen-Sicht ist mir noch wichtig zu betonen, dass ich natürlich auch den Menschen, die für mich arbeiten, nicht die Jobs auch noch wegnehmen wollte. Die meisten, die frei in der Kulturbranche arbeiten haben eh zu kämpfen gerade und stehen am Existenzminimum. Natürlich sind das immer nur Tropfen auf den heißen Stein, aber ein bisschen Geld fließt dann schon an Venues, Musiker*innen, Techniker*innen und Security. All diese Leute kommen in den Debatten immer zu kurz, sie leiden extrem unter der Krise. Wir können nur hoffen, dass sich das alles erholen kann und vor allem auch, dass uns die Orte nicht wegbrechen, die alle noch für längere Zeit kein zurück zum “normal” haben werden. Wir widmen diesem Thema einen eigenen Talk bei uns!

Martin: Wir haben wirklich extrem viel mit den Künstler*innen gesprochen.

Christian: So viel, wie in noch keinem Jahr. Es gab eine Woche – da hatten wir fünfzehn Zoom Konferenzen mit Künstler*innen überall auf der Welt. Das war sehr anstrengend, aber auch unglaublich produktiv.

Martin: Ausnahmslos alle waren von unseren Ideen begeistert. Wir haben sehr viel darüber gesprochen, dass wir ja für ein anderes Medium produzieren. Nämlich einen Bildschirm und einen Lautsprecher – und dass deshalb auch die Produktionsmethoden andere sein müssten.

Christian: Es ergibt für mich wenig Sinn, eine Konzert-Situation, wie sie für uns alle in der Vergangenheit selbstverständlich gewesen ist, zu imitieren. Das wirkt dann schnell eher traurig. Die Künstler*innen, mit denen wir gesprochen haben, waren froh, diese Möglichkeiten des kreativen Arbeitens, wie Pop-Kultur sie nun ermöglichen kann, zu haben – und es hat viele Ideen und kreative Energie freigesetzt.

 

Ihr betont in der Presseerklärung, dass die Künstler_innen “nahezu vollkommene künstlerische Freiheit erhalten und nehmen teilweise für sie neue expressive Werkzeuge zur Hand“ nahmen – könnt ihr diese Werkzeuge ein bisschen ausführen?

Christian: Es gibt zum Beispiel Werke, in denen mit Virtualität gearbeitet wird oder mit den Möglichkeiten der Verfremdung von Bildwelten. Auch Dokumentation und Collagenhaftes sind mit im Programm.

Martin: Ungefähr die Hälfte des Programms produzieren wir selbst in Berlin. Dafür haben wir uns professionelle Hilfe geholt. Die andere Hälfte wird autonom in Accra, in Los Angeles oder in Calgary produziert. Wir haben zwar die Konzepte besprochen, aber das Ergebnis wird auch für uns eine Überraschung. Das birgt natürlich ein gewisses Risiko, aber ja – wir vertrauen den Künstler*innen.

Ich weiß, es ist sowas wie eine Frage non grata, aber vielleicht kann ja doch jede/r von Euch einen Geheimtipp für das Festival verraten – dass ihr alles super findet, ist eh klar, aber worauf freut ihr euch denn besonders?

Christian: Ich freue mich ganz besonders auf die Arbeit von Catnapp. Ampi lebt und arbeitet in Berlin, und wird sich selbst in ihrer Arbeit in einen Avatar verwandeln. Auch auf das Werk der Ghanaischen Künstlerin Jojo Abot bin ich sehr gespannt.

Pop-Kultur Kuratorin Pamela Owusu-Brenyah (Photo: Frank Joung)

Katja: Ich freue mich sehr auf die Arbeit von Preach, 21 Downbeat und die Talks unserer Kuratorinnen Pamela Owusu-Brenyah, Leyla Yenirce und Yeşim Duman.

Martin: Ich bin von der Rapperin Eden Derso begeistert! Auch die Zusammenarbeit zwischen Echo, ebenfalls eine Rapperin, und der in Berlin lebenden Tellavision ist vielversprechend – ein digitaler Austausch, den wir so zum ersten Mal im Programm haben.

Ihr sprecht es in der Pressemitteilung ebenfalls an, als Folge der neuen digitalen Ausrichtung des Festivals werden wir Besucher_innen mitgenommen in die Lebenswelten der Künstler_innen – ist das denn insofern wörtlich zu verstehen, als dass wir neben den Performances / Arbeiten auch die Orte tatsächlich konkret näher gebracht bekommen? Also etwas in Form von Editorials?

Christian: Die Werke sind umrahmt von vielen Interviews. Es gibt Dokumentarisches und auch “Behind the scenes” Elemente zu sehen.

Martin: Bei Pop-Kultur wird Wanlov the Kubolor sein Publikum auf den etwas anderen Stadtspaziergang quer durch Accra mitnehmen – um nur ein Beispiel zu nennen! Hinter unseren Künstler*Innen stecken ja oft Multitalente und ganz individuelle Biografien, deshalb sind wir sehr gespannt auf ihre Geschichten und ihre Sicht der Dinge.

Katja: Viele Beiträge werden international mit den Netzwerken der Künstler*innen vor Ort produziert. Wir bewegen uns damit erstmalig raus aus Berlin.

Pop-Kultur Kuratorin Yeşim Duman (Photo: Lisanne Schulze)

Mit Pamela Owusu-Brenyah, Leyla Yenirce und Yeşim Duman gibt es gleich drei Gastkuratorinnen – könnt ihr deren Rolle kurz erläutern und mit Beispielen, wo ihre Arbeit im Programm erfahrbar wird, konkretisieren?

Katja: Pamela Owusu-Brenyah hat zuletzt im Rahmen von Pop-Kultur lokal ihre Community-Plattform AFRO x POP in der Berghain Kantine präsentiert. Nun lädt die Musikberaterin, Festivalorganisatorin und DJ bei uns zu einem Talk über das Do-It-Yourself-Prinzip von Festivals mit afrikanischer Musik. Gemeinsam mit der Bookerin Elena Schulz-Görner, der DJ, Journalistin und Gründerin der Berliner »Poetry Meets«-Serie Olajumoke Adeyanju sowie Wale Davies vom nigerianischen Rap-Duo Show Dem Camp, diskutiert Pamela Fragen zum Einfluss und der Rolle von Festivals bezüglich der Verbreitung und Anerkennung von afrikanischer Musikkultur, zu der Wahrnehmung und dem Bewusstsein für Afro-Pop sowie dem Zusammenhalt innerhalb der Community.

Christian: Analog zu allem anderen sind leider auch die Programme der Gastkuratorinnen stark geschrumpft. Yeşim Duman hat letztes Jahr zum Beispiel mit ihrer Çaystube nochmal einen eigenen Ort mit speziellem Programm geschaffen – daran sollte eigentlich dieses Jahr noch viel stärker angeknüpft werden. Wir haben diesen begehbaren Raum ja wirklich konstruiert und auf dem Festivalgelände aufgebaut. Das ist so in diesem Jahr natürlich nicht möglich. Aber wir sind trotzdem froh, dass sie weiterhin mit einem abgewandelten Programm dabei sein kann.

Katja: Ja, ein sehr schönes Format wird es mit ihr geben: Gemeinsam mit der Choreografin und Performerin Joana Tischkau, der Konzeptkünstlerin und Linguistin Reyhan Şahin und der Schriftstellerin und Journalistin Ronya Othmann spielt sich Yeşim Duman in diesem Jahr zum Begriff »Zugang« die Bälle zu, und das buchstäblich: Die Diskussion findet in bewegter Runde an einer Tischtennisplatte statt und dreht sich Schlag auf Schlag um die Verbindungslinien zwischen Popkultur, Literatur und Wissenschaft, um Machtverhältnisse und um Ikonen der Popgeschichte. Im Zentrum stehen Fragen nach Solidarität und neuen kollektiven Praktiken. Mit einer im wahrsten Sinne des Wortes spielerischen Herangehensweise, die ein queeres Verständnis von Ping Pong an den Tag legt und einen Sport ohne direkten körperlichen Kontakt miteinschließt, zeigt Yeşim in ihrem Programm – trotz der diesjährigen Einschränkungen – wohin es gehen kann.

Pop-Kultur Kuratorin Leyla Yenirce (Photo: Kuno Seltmann)

Martin: Genau, wie man sieht – trotz Reduktion sind viele inhaltliche Schwerpunkte geblieben. Das spiegelt sich in den kuratierten Gesprächen, Workshops und auch in den “Commissioned Works” wieder. In dem von Leyla Yenirce kuratierten Talk »Speaking of Sampling« spricht sie selbst mit der Journalistin und Spoken-Word-Künstlerin Azadê Peşmen, der Autorin und Essayistin Enis Maci sowie der bei Pop-Kultur mit ihrem Commissioned Work »Fathoeburger« vertretenen Jesseline Preach über das Sampling quer durch alle Medien, das Problem der Autor*innenschaft und die verflixte Frage nach dem Original.

Katja: In der Hoffnung, dass wir im nächsten Jahr wieder uneingeschränkter arbeiten können, kann ich versprechen, dass man dann noch viel mehr von den dreien sehen können wird.

Alle Informationen zum Pop-Kultur Festival und dem Programm der diesjährigen Edition finden sich auf der Website. 

 

 

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