25 aus 2000-2025

Zeugnis einer Selbsterschaffung: Lana Del Ray „Lana Del Ray A.K.A. Lizzy Grant“

Lana Del Ray
“Lana Del Ray A.K.A. Lizzy Grant (Lana Del Ray)”
(5 Points Records)

Als mir im Herbst 2011 ein Kommilitone Lana Del Rey zeigte, war mir, als sei ich Zeugin einer neuen Ära: Diese Art zu singen, diese Elegie, diese Originalität – so etwas hatte ich bis dahin noch nicht gehört. „Video Games“ kam gerade heraus, und bis auf verschwommene alte Clips und ein paar Munkeleien in US-Musikblogs gab es noch keine Informationen über sie.

Während „Born to Die“ immer sehnlicher erwartet wurde, brannte (jaja) mir ein Arbeitskollege ihr eigentliches Debütalbum „Lana Del Ray A.K.A. Lizzy Grant“ (sie schrieb sich zu diesem Zeitpunkt noch als Ray statt Rey) von 2010, das bereits damals vom Markt genommen war. Ihr Debüt ist ein Zeugnis einer Selbsterschaffung. Ich war fasziniert von der Reife ihrer Ästhetik – zugleich dicht und bedeutungsoffen.

Die Diskussion darüber, ob und wie fake Lana Del Rey sei, empfand ich als ärgerlich unterkomplex: Man warf Kunst vor, Kunst zu sein, während man sie gleichzeitig wie Realität bewertete. Die Frage bei Pop ist doch nicht „Ist das echt oder nicht?“, sondern: „Warum inszeniert man es auf diese Weise?“

Während dieses Boheis versank ich lieber in ihrem Kosmos voller Querverweise, Anspielungen und doppelter Böden. Schon in den ersten Sekunden des Openers „Kill, Kill“ singt sie davon, wie sie unter der Dusche steht und plant, ihren Liebhaber zu verlassen.
Bemerkenswert ist der Song „Put Me In a Movie“ mit Zeilen wie „If he likes me, takes me home / … / Come on, you know you like little girls / You can be my daddy“: In ihrem (immer wieder missinterpretierten) Erzählen von Unterwürfigkeit gegenüber älteren Männern entlarvt sie bei genauerer Betrachtung deren Machtmissbrauch. Humor beweist Lana wiederum mit „Brite Lites“, einem hibbeligen Techno-Track (!) mit Bollywood-Sample, auf dem sie wie in Trance Sätze säuselt – etwa „I look for you in magazines / I’m taking off my wedding ring“.

Auf “Lana Del Ray A.K.A. Lizzy Grant (Lana Del Ray)” ist bereits ihr Glamour angelegt, der jedoch noch von ihrer Nerdigkeit und Weirdness konterkariert wird – eine Verschrobenheit, die danach bei „Born to Die“ leider an einigen Stellen auf Hochglanz poliert wurde. Das Stück „Yayo“ etwa hat sie für die „Paradise Edition“ neu aufgenommen – doch die Version auf „Lana Del Ray A.K.A. Lizzy Grant“ hat etwas so Rohes, Eindringliches, dass sie bis heute eines meiner Lieblingslieder von ihr ist. Auf YouTube findet man ein paar Videos um das Jahr 2008, in denen sie den Song live spielt, einmal sogar selbst an der E-Gitarre – ich liebe jeden dieser Auftritte.

Überwältigend – vielleicht das Herzstück ihres Debütalbums – ist die elegante Ballade „Oh Say Can You See“, eine Art nachtwandlerische Dekonstruktion der US-Nationalhymne, in der sie – ihre Helden Nirvana zitierend – einsame Seelen besingt. Dieser Song ist as Lana as Lana can get. Bereits damals war sie eine sensationelle Songwriterin – und eine produktive: Allein mit ihren unveröffentlichten Liedern könnte man mindestens fünf Hit-Alben füllen. Alte Schätze wie „Children Of The Bad Revolution“, „Disco“ oder „Get Drunk“ findet man noch immer auf YouTube, ebenso die abgrundtiefen Stücke in klassischer Liedermacherkunst über Drogensucht und Obdachlosigkeit, die sie (mit noch glockenheller Sirenenstimme) unter ihrem früheren Alter Ego May Jailer sang.

Aber ach, kaum schreibe ich über Lana Del Rey, schon schwelge ich selbst in der Vergangenheit. Denn warum ich sie ausgewählt habe als meine Platte des Pop-Quartals: Seit Lana klangen gefühlt alle großen Künstler:innen früher oder später einmal wie Lana. Ihr Sound prägt(e) eine Ära – bis heute.

Ariana Zustra im Happy-Lana-State-of-Mind-and-Body

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