Ein freier Raum für angry woman
Könnt ihr Euch zu Beginn bitte jeweils kurz beschreiben?
Hazel Iris
Ich stelle mir Joanna Gemma Auguri oft als Priesterin vor, die erhaben mit dunklen und eleganten Riten, die Zuhörer in Ihren Bann zieht.
Anchoress hat eine geheimnisvolle Kraft; die Klänge schaffen einen besonderen Raum des Bewusstseins und bewegen sich irgendwie jenseits der Zeit.
Aniqo bündelt die Energie des Lichtes, dass durch die dunkelsten Wolken strahlt, um uns daran zu erinnern, dass es Hoffnung auf Veränderung gibt.
Joanna Gemma Auguri
Aniqo – eine kraftvolle, zärtliche und musikalisch vielseitige Auseinandersetzung mit der Welt. Fast ein bisschen wie Zaubersprüche, die diesen Planeten zu einem besseren Ort machen möchten.
Hazel Iris – eine tolle Musikerin, die unglaublich was auf dem Kasten hat. Musikalisch empfinde ich ihre Stücke als tröstlich, sanft und sehr lyrisch.
Anchoress – sind eine tief gehende, geballte Kraft, die einen in den Bann zieht. Die Musik bewegt sich zwischen avantgardistischen und ätherischen Klängen und den kraftvollen Lyrics von Anna Lucia.
Aniqo
Hazel Iris ist für mich eine äußert faszinierende und sehr facettenreiche Musikerin, die wie eine Magierin unsichtbare Räume und verschlossene Türen öffnet. Ich möchte ihren Geschichten und ihrer fantastischen Stimme folgen, wo auch immer sie hin uns führen mag…
Joanna Gemma Auguri: Tiefe Melancholie vereint mit ursprünglichem Wissen um des Menschenwesen – sie spielt und singt sich mit einer unbeschreiblichen Kraft durch den Schmerz und berührt auch den dunkelsten Fleck–Joanna ist für mich wie Jeanne d’Arc – eine Ritterin im Gefecht gegen jede Ungerechtigkeit…
Anchores: Anna Lucia’s Stimme und ihren kunstvollen Texte berauschen mich – wie ein Mantra saugen mich die mystischen und sphärischen Klänge immer tiefer in das unterbewusste Fass gefüllt mit Erinnerungen unserer Ahnen.
Anna Lucia Nissen (Anchoress)
Aniqo: Obwohl ihre geheimnisvollen Songs die dunklen Ecken der Seele erforschen, wohnt ihrer Musik eine klare Energie inne, die einen immer zurück ans Licht führt und an das Positive erinnert, das allem innewohnt.
Hazel Iris: Hazel Iris beschwört durch ihre Musik Geschichten herauf, die weit weg oder schon sehr lange her zu sein scheinen. Ihre Musik schafft poetisch-surreale Momente, die sich um Zeit und Raum nicht scheren.
Joanna Gemma Auguri: Ihre berührenden Vokal-Melodien bauen sofort eine intime Beziehung zu unseren oft viel zu schnell schlagenden Herzen auf. Alles erscheint wie in einer Art magischen Zeitlupe, was ich als eine Art Schutzraum empfinde, von der digitalen Oberflächlichkeit, der wir ausgesetzt sind.
In Eurem Ankündigungstext erwähnt ihr, dass der Name der Veranstaltung, „Angry Women“, von dem 1996 erschienen Buch “Angry Women in Rock” von Andrea Juno inspiriert wurde. Inwieweit genau?
Hazel Iris: Wie so viele vor ihnen haben auch die von Andrea Juno interviewten Frauen Grenzen durchbrochen und vielen jungen Menschen eine neue Art von Vorbild geboten. Die Grenzen, die sie durchbrochen haben, wurden von einem patriarchalischen System errichtet, und allein dieser Erkenntnis ist für mich eine unglaubliche Inspiration.
Joanna Gemma Auguri: Vor 26 Jahren Jahren schenkte mir meine damalige Mitbewohnerin und Kunststudentin das “Angry Women” Buch, welches für mich wegweisend war. Ich war fasziniert darüber, dass weiblicher künstlerischer Ausdruck unangepasst, laut oder krass sein konnte. Frauen, die laut sind und ungemütlich werden gesellschaftlich ja eher als schwierig oder zickig oder noch eine Stufe weiter, as Borderlinerinnen wahrgenommen. Die Kunst als eine der wenigen Bastionen, sich frei und authentisch ausdrücken zu können.
Als wir mit dem Female Creator Space einen Rahmen für unsere musikalischen Projekte gesucht haben, ist mir dieses Buch und Titel wieder eingefallen. Denn was uns eint im künstlerischen Ausdruck, ist die Intensität und Tiefe als auch der Wille,echt und frei zu sein.
Aniqo: Bei einem Female Creators Space Abend in einer Bar beschlossen wir vier einen gemeinsamen Konzertabend zu kreieren… Joanna erzählte dann später von dem Buch – alle fanden „Angry Women“ als Aufhänger für den Abend super – außer ich, da ich gerade voll auf Peace und Harmony war und mich gar nicht so wütend fühlte. Mittlerweile fließt auch in mir wieder rebellisches Blut – und weibliche Ursprungskraft und Female Empowerment liegen mir sowieso und immer am Herzen.
Anna Lucia Nissen: Ich lese “Angry Women” nicht explizit nur weiblich, sondern als Allegorie für ungleiche Machtverhältnisse, auf denen unser System abgebaut ist. Seit 1996 hat sich der Diskurs ja weiterentwickelt und umfasst alle generell marginalisierten Gruppen, die nicht der Norm entsprechen. Die Medusa auf dem Cover des Buches und unserem Poster ist ein Verweis darauf, wie weit dies schon zurückzuverfolgen ist.
Das „Angry Woman“ Buch versammelt zwölf Gespräche mit unter anderen Kathleen Hanna (Bikini Kill), Valerie Agnew (7 Year Bitch) und Diamanda Galás. Könnt ihr jeweils eine Musikerin nennen, die Euch selbst besonders inspiriert hat und warum dem so ist?
Hazel Iris: Da gibt es so viele, aber wenn ich nur eine auswählen müsste: Hildegard von Bingen war eine erstaunliche Komponistin/Schriftstellerin/Heilerin/Diplomatin (Nonne), der es gelang, das Patriarchat ihrer Zeit zu zähmen, ohne dass dieses es merkte. Sie hat mehr oder weniger 1000 Jahre lang inspiriert, und ich hoffe, dass weitere Generationen von Ihre Geschichte sich inspirieren lassen.
Joanna Gemma Auguri: Für mich ist es allen voran Diamanda Galás, die mich mit ihren theatralischen Performances und ihrer wahnsinnigen Stimme absolut gefesselt hat. Für ihre brachialen und tiefgründigen Arbeiten und ihren Weg der totalen Unagepasstheit bewundere ich sie sehr.
Aniqo: Ich habe lange über die Frage nachgedacht – kann mich aber für keine entscheiden. Nina Simone für ihre unerbittliche Kraft und die Fähigkeit jede Emotion – auch ihre Wut – unverfälscht in Musik zu transformieren. Joni Mitchell für ihre sagenhaften Songs und Melodie-Strukturen; ich finde sie ist die beste Songwriterin überhaupt. Aber da gibt es auch noch Patti Smith, PJ Harvey, Janis Joplin, Lana del Ray, Kae Tempest und so viele mehr die mich inspirieren – es gibt nicht die eine für mich.
Anna Lucia Nissen: Bei mir ist das auf jeden Fall Hildegard von Bingen, explizit ihr Werk Canticles of Ecstasy. Beim Hören wird einem klar, dass diese Musik kein Ausdruck eines Individuums ist, sondern dieses transzendiert. Die Stimmen dienen etwas Höherem und verlieren deshalb nichts von ihrer Strahlkraft. Vor ein paar Jahren im Februar habe ich das Kloster in Bingen besucht und während den Gesängen der Vespa fiel auf einmal der Strom aus. Nur noch das Licht der Kerzen erhellte den Gesang der Nonnen. Als wir dann aus der Kirche heraustraten, lag auf einmal alles unter einer weißen Schneedecke, auch eine kleine Statue von Hildegard, die mich ansah. Das war ein magischer Tag, ich werde ihn nie vergessen.
Angry Woman“ geht es nicht nur darum, die eigene Unzufriedenheit über die noch immer von (oft weißen und alten) Männern dominierten Gesellschaften und explizit auch den Kulturbetrieb zu thematisieren, sondern auch den Zusammenhalt unter Euch Frauen hervorzustellen. Würdet Ihr sagen, dass ihr diesen generell verspührt oder ist das doch eher auf den engeren Kreis befreundeter Künstler:innen konzentriert?
Hazel Iris: Genau wie bei anderen gesellschaftlichen Themen, vereint dieses Thema eine Gruppe von Menschen (nicht nur Frauen). Für mich persönlich wird der Zusammenhalt in dieser Bewegung erfahrbar.
Joanna Gemma Auguri: Wir bewegen uns da noch am Anfang, wobei ich durchaus finde, dass es in meinem Umfeld einen Zusammenhalt gibt. Grundsätzlich würde ich sagen, dass die Förderung von weiblichen Acts im öffentlichen Raum generell stärker geworden ist. Ich denke aber, dass wir mit lernen könnten uns untereinander noch mehr zu vernetzen anstatt sich als weibliche Einzelkämpferinnen durchzuschlagen.
Aniqo: Ich denke es ist eine Bewegung – ich sehe und höre immer mehr von Frauenverbindungen und finde das auch total wichtig.
Anna Lucia Nissen: Es gibt langsam mehr Bewusstsein für dieses Thema und auch Programme, die explizit Frauen fördern. Strukturell muss sich aber noch vieles tun.
Ihr seid alle teil des 2022 gegründeten Berliner Frauen-Kollektivs Female Creators Space. Was hat es damit genau auf sich? Wer sind die Mitglieder:innen? Was sind die zentralen Anliegen?
Joanna Gemma Auguri: Unsere Anita von Aniqo hat den Female Creator Space ins Leben gerufen, um sich praktisch und mental gegenseitig zu unterstützen und auszutauschen in all den Fragen, die Frau hat im Musik Business.
Aniqo: Mir kam 2022 die Idee – wahrscheinlich in einen Moment, indem ich mit dem Musikbusiness, mit der Social Media Blase und den eigenen Erwartungen an mich selbst überfordert war. Und da dachte ich wohl „Hey, da geht’s doch bestimmt auch anderen so wie mir“. So wurde die Idee geboren und reifte ziemlich fix. Ich wollte eine echte, wertungs- und vor allem auch konkurrenzfreie Austauschplattform für Musikerinnen schaffen – einen sicheren Space, in dem wir uns zuhören, Energien bündeln, uns gegenseitig unterstützen und uns auch locker Dinge fragen können, einfach auch um etwas weniger allein zu sein mit all den Fragen, die Musikerin so hat. Über Empfehlungen intern aus der Gruppe vergrößert sich der Space mit neuen Künstlerinnen, die dabei sein möchten – eine WhatsApp Gruppe hält uns zusammen. Momentan sind wir dreizehn im Kollektiv, wobei bisher noch nicht alle an einem Treffen teilnehmen konnten. Diese finden in unregelmäßigen Abständen mal irgendwo zu Hause, mal im Kaffee, mal in einer Bar statt. Es ist ein freier Raum – das ist uns glaub ich auch wichtig. Schön wenn daraus so etwas entsteht wie „Angry Women“!
Der Abend findet in der “Zwölf Apostel Kirche Schöneberg“ statt. Wie empfindet ihr es in einem christlich konnotierten Rahmen (Im Ankündigungstext ist von dem größten patriarchalen Ordnungssysteme der Welt die Rede) mit Eurer explizit feministischen Position (die Veranstaltung findet zudem ja auch am internationalen Frauentag statt) zu agieren?
Hazel Iris: Viele Kirchen wurden an Stätten gebaut, die bereits in der vorherigen Kultur heilig oder religiös bedeutsam waren und in denen Frauen als geistliche Führerinnen eine zentrale Rolle spielten. Soweit ich informiert bin, waren auch Frauen in den frühesten Tagen der christlichen Kirche Kirchenvorsteherinnen. Obwohl dies offensichtlich nicht lange anhielt und das patriarchalische Ordnungssystem bald Einzug hielt, betrachte ich dieses Konzert an diesem Ort als eine Gelegenheit, einen rechtmäßigen Platz auf einer gleichberechtigten Plattform zurückzufordern.
Joanna Gemma Auguri: Die Zwölf Apostel Kirche steht für eine anders gelebte Christlichkeit. Hier ist Platz für alle Menschen, ob weiblich, queer oder non-binär. Wir haben bereits in unserer Presseerklärung ein wenig über die tolle Gemeinde berichtet. Es ist Zeit, dass Religion, die eigentlich Trost, Zuflucht und Hoffnung für alle Menschen sein sollte, anders gelebt wird. Nächstenliebe schließt für mich alle Menschen ein, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit oder sexueller Orientierung.
Aniqo: Ich finde jede*r sollte FeministIn sein – alle Kirchen und ihre AnhängerInnen eingeschlossen. Und die Zwölf Apostel Kirche ist da eine schöne Vorreiterin – ein toller offener und geistreicher Ort, der uns einlädt, dort stattzufinden.
Anna Lucia Nissen: Bei genauerem Hinsehen gibt es sehr viele “female power houses” im Umfeld der christlichen Geschichte. Anchoress (der Name meines Musikprojektes, zu dem auch Alex Rathbone und Tobias Textor gehören) ist inspiriert von Julian of Norwich, einer christlichen Mystikerin, die im Mittelalter als erste Frau ein Buch auf Englisch schrieb.
Bei den Häretikerinnen gab es zum Beispiel Priesterinnen und ohne Maria, der Jesus als erstes erschienen ist, wäre die Geschichte der Auferstehung nie auch nur erzählt worden. Die Zwölf Apostel Kirche selber ist sehr progressiv, auch in ihrer Gemeindearbeit und bietet Raum für eine weitgefasste Form von Glauben.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit amSTARt, der von Ran Huber betriebenen Veranstaltungsagentur? Ich nehme mal an, er ist ein angry woman für Euch?
Joanna Gemma Auguri: Ja, Ran ist klasse, weil er die spannende, musikalische Vielfalt in dieser Stadt vertritt und viele aussergewöhnliche, weibliche Acts veranstaltet. Hier geht es nicht um Mainstream sondern um künstlerische Freiheit.
Aniqo: Er ist voll angry – auf jede Form von Diskriminierung. Wir wollten Unterstützung von jemanden der sich mit Veranstaltungen auskennt und auch zum Konzept passt. Ran ist ein Menschenliebhaber und veranstaltet ziemlich cooles Zeug in Berlin. Da dachten wir das passt und haben ihn gefragt, ob er mit uns angry sein möchte. Er sagte Ja!
Wenn ihr Euch für einen Song entscheiden müsstet, den die Kaput-Leser:innen hören sollten, dann wäre es?
Hazel Iris: The Nymph, da es einen spezifischen Bezug zu Berlin hat.
Joanna Gemma Auguri: Die frische erste Single meines kommenden Albums: https://outnow.io/t/jgabreakout
Aniqo: Wegen patriarchalen Hamsterrädern wohl dieser hier.
Anna Lucia Nissen: Das Lied „Song Of The City of Women” habe ich im Haus meiner Mutter direkt in den Laptop eingesungen. Es ist ein noch inoffizielles Demo auf SoundCloud aber bedeutet mir sehr viel.
mit: Joanna Gemma Auguri, Anchoress, Hazel Iris, Aniqo