Aérea Negrot (9 Oktober 1980 – 11 Oktober 2023)
Am 13.10.2023 gab das Berliner Label BPitch Control den Tod ihrer Künstlerin Aérea Negrot bekannt: “We are beyond heartbroken over the passing last Wednesday [11.10.2023] of our treasured and brilliant Danielle, artistically known as Aérea Negrot.”
Heartbroken.
Der Tod von Aérea Negrot schmerzt. Familie, Freund:innen und Kolleg:innen aus Tanz, Musik, Theater und Menschen aus dem Kulturbereich trauern um einen lieben, einen berührenden und faszinierenden Menschen, um eine vielseitige Künstlerin, ein Allround-Talent mit beeindruckender Stimme und unverwechselbarer Präsenz.
“Aérea Negrot ist eine Berliner Ikone. Die traurige Nachricht von ihrem Tod, die uns am Donnerstag erreichte, wird daran nichts ändern. Sie war weit über Berlins queeres Nachtleben, die Theaterszene und Kunstwelt hinaus beliebt. Sie war eine brillante Künstlerin, Performerin, DJ. Sie war Mother, sie war Diva, sie war Queen, sie war alles und mehr.”
( https://www.iheartberlin.de/de/a-heartfelt-farewell-to-the-marvellous-aerea-negrot/ )
Fans, Bekannte und Wahlverwandte aus der Queer Community und der elektronischen Musikszene trauern um die Produzentin und Performerin, eine echte House-Diva und eine verdammt gute DJ, Idol und Role Model.
Im Mai war Aérea Negrot noch für einen DJ-Slot auf das Mund zu Mund Festival in Köln gebucht. Binnen weniger Tracks holte sie das Publikum aus der Wohlfühl-Tanzmusik-Ecke heraus und leitete zu einer classy House-Selection über, die gespickt war mit legendären Sample-Fetzen, ein technisch wie musikalisch anspruchsvoller Mix aus unterschiedlichen Rhythmen, kleinteiligen Percussionpatterns und jazzigen Melodieläufen. Der vordergründig freudvolle und unterhaltsame Mix war von einer subtilen Moodyness getragen, wie ich sie von alten US Houseplatten kenne.
Der Sound, der Mix, das Set — die Musik machte deutlich: Aérea Negrot knows shit. Auch Outfit, Styling, Körpersprache, Ausstrahlung und Mimik waren so aus einem Guss, als würden sie zusammen mit der Musik aus ihr herausfließen, und das ist selten: das Set war untrennbar vom DJ, von ihr, Aérea Negrot. Ihre Appearance und Präsenz war besonders. Der Raum gehörte ihr. Doch nahm sie ihn nicht für sich alleine in Anspruch, sondern wusste ihn aufzumachen, das Set war er eine Einladung, der an jenem Abend in Köln viele nachkamen, es wurden reichlich symbolische Liebesbekundungen und Luftküsse ausgetauscht.
Mit gerade mal 43 Jahren wurde Aérea Negrot buchstäblich aus der Mitte des Lebens gerissen, eines bewegten und inspirierten Lebens, dessen zweite Hälfte unbedingt noch hätte erzählt werden müssen.
Der Tod von Aérea Negrot schmerzt, weil er menschlich und gesellschaftlich eine Tragödie ist. Wir haben sie in einem Alter verloren, in dem man am wenigsten damit rechnet, die besonders aufreibenden Lebensphasen sind überstanden, sollte jetzt nicht der bessere, entspanntere Part kommen?
Nicht für Aérea Negrot, ausgebildete Tänzerin, Künstlerin, Transfrau, Wahlberlinerin, gebürtig aus Venezuela, wo ihr schon als Teenager klar wurde, dass sie nicht in ein konservatives Umfeld passt, weshalb sie mit nur 13 Jahren ausgezogen ist, um bei ihrem Vater in Portugal zu leben.
“Musik machen mit über 40 ist so toll, es geht endlich nicht mehr um Identität”, meinte sie nach ihrem DJ-Slot auf dem Festival in Köln noch zu mir, und es fühlte sich so an, als könnte der bessere, entspanntere Teil gerade losgehen. Sie erzählte, dass sie Theaterjobs und Filmmusik macht, gerade ein neues Album fertig hat, und wie zufrieden sie bei ihrem Label BPitch Control ist: “Ellen Alien macht das so gut, es ist so entspannt, und sie lässt mich machen, was ich will.” Einige Wochen später freut sie sich in einer Nachricht an mich: “Ich hab bald eine ganz schöne Performance im Hamburger Bahnhof, da hab ich schon Ideen, das wird schön.”
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Ob die Bedingungen jemals gegeben sein werden, damit für Menschen wie Aérea, Menschen mit bewegten, anspruchsvollen und mutig gestalteten Lebensgeschichten irgendwann im Leben der bessere, entspanntere Teil kommen kann? Daß sich diese Frage stellen lässt, ist Teil der Tragödie. Weshalb der Tod von Aérea Negrot besonders schmerzt. Wir haben sie zu einer Zeit und in einer Welt verloren, die Menschen wie sie dringend braucht.