Es leuchten viele Sterne, wenn die Erde stirbt
David Bowie hat mich nie interessiert. Zu viel Kunstfigur, zu viel Glam, zu viel Konzept – er hat wohl zu viele Individuen dargestellt und mich schlichtweg überfordert. Die Platte „The Rise and Fall Of Ziggy Stardust and The Spiders from Mars“ steht trotzdem im Regal (keine besondere Pressung, aber mit einer Widmung von ehemals Liebenden), und es sind auch immer wieder einzelne Titel der Platte auf Mixtapes für diverse Menschen gelandet.
Das Konzept der Kunstfigur Ziggy Stardust verhalf David Bowie zu seinem rasanten Aufstieg in der Popwelt. Insofern verwundert es nicht, dass sich Zeichner Mike Allred und Schriftsteller Steve Horton genau auf diese Epoche seines Lebens für „Bowie – Sternenstaub, Strahlenkanonen und Tagträume“, ihre posthume Liebeserklärung als Graphic Novel an David Bowie, konzentrieren. Wobei die beiden dabei zumeist chronologisch vorgehen; allerdings verzichten sie auf das lineare, was beim Lesen manchmal zu Irritationen führt, so beispielsweise wenn Bowie auf der einen Seite noch Jones heißt und blond geföhnt erscheint, auf der nächsten aber bereits ein kurz- und rothaariger Ziggy Stardust ohne weitere Erklärung auftaucht, um danach sofort wieder zu Mr. Jones zu werden.
Den Bildern von Allred merkt man die Bowie-Besessenheit ihres Erschaffers an. Sie wirken als sei er bei all den Ereignissen sehr nah dabei gewesen. Jedes einzelne Panel ist detailverliebt, mit kleinen Anspielungen und voller Referenzen. Seine in “Bowie” gezeichneten Menschen sind nie einfache, sondern “überlebensgroße Ikonen voller Resonanz”, so Autor Neil Gaiman im Vorwort. Die Detailliebe hört aber nicht beim Hauptprotagonisten auf, auch Wegbegleiter wie Manager Ken Pitt, Produzent und Musiker Tony Visconti und Fotograf Mick Rock erhalten den ihnen zustehenden Raum und werden liebevoll gezeichnet.
Und auch die Sprache von Steve Horton zeugt von einem sensiblen Verständnis für Bowie. So legt er ihm beispielsweise in einer Szene, in der er sich von der Schauspielerin und Sängerin Hermione Farthingale trennt, die Worte „Die Liebe meines damaligen Lebens“ in den Mund. Überhaupt weiß Horton mit wenigen markanten Worten große Wirkung zu hinterlassen. Bei Andy Warhol reichen drei in der Sprechblase: „Bekomme ich Tantiemen?“.
Von der ersten Seite von „Bowie – Sternenstaub, Strahlenkanonen und Tagträume“ an trifft man immer wieder Künstler_innen, die Bowie inspirierten: The Who, Bob Dylan oder und allen voran Elvis, mit dem Bowie sich den Geburtstag teilt, den 8. Januar. Horton weiß solche Fakten sensibel einzubinden und so Allred für seine Bilder zu inspirieren. In den Seitensträngen ist man beispielsweise dabei, wenn Lou Reed die Velvet Underground verlässt, oder wenn T-Rex ihren Namen so kürzen, dass er den nötigen signifikanten Popappeal ausstrahlt. Allred schöpft vor allem aus seinem eigenen Fundus an Anekdoten, etwa wenn er die Entstehung vom legendären Ziggy-Haarschnitt nachzeichnet oder wenn er uns an jenem Kampf um ein Mädchen teilhaben lässt, dem Bowie seine gemieteten Pupillen zu verdanken hat.
Laura Allred gibt diesen Szenen mit ihrer Technicolor die nötigen Emotionen, taucht die Epoche nicht nur in die richtigen Farben, sondern unterstreicht die Zerrissenheit, die all die Wesen aus dem Jones-Bowie-Major-Tom-Ziggy Stardust-Aladdin Zane-Universum auszeichnet, ihr hadern mit der Welt aus Glam und Abgründen.
So zentral die Ziggy Stardust Epoche für „Bowie – Sternenstaub, Strahlenkanonen und Tagträume“ ist, so sehr wissen Allred und Horton um die Bedeutung der Bruchstellen um diese herum. Auf sechs Panels breiten sie mit viel Pathos die sich anbahnenden größeren Veränderungen aus, die “Hunky Dory” mit sich bringen wird, das Album, mit dem sich Bowie an der Seite von Iggy Pop, von dessen Band The Stooges er ein großer Bewunderer war, vom Glam weg zum Rock bewegen sollte: „Der Himmel ist offen. Das Meer teilt sich. Die Erde bebt. Uhren stehen still”.
Trotz der stets spürbaren Zuneigung für Bowie werden in „Bowie – Sternenstaub, Strahlenkanonen und Tagträume“ dessen negative Seiten nicht ausgeblendet. Ein wenig unsympathisch ist er beispielsweise, wenn er den Riley dem Bandbus vorzieht und sich als Präsidenten gibt. Und auch die inneren Konflikte, die, angetriggert durch neue Identitäten und Soundexperimente bis in die späten 80er Jahre Bowies Leben und Karriere prägten, werden aufgegriffen.
Der erweiterte Epilog fasst auf mehreren Doppelseiten Bowies weitere Identitäts- und Maskenreigen zusammen. Die abschließende Layout-Galerie sowie die von Michael Allred verfassten Schlussworte verorten den Band sehr persönlich im Gesamtwerk des Künstlers und der ihn Portraitierenden. Viel zu selten erfährt man etwas von den Kreativen hinter einer Arbeit, durch diese Ausführungen würdigt Allred nicht nur Bowie nochmals, sondern weiß seine Mitstreiter_innen Laura Allred, Steve Horton und sich angenehm zu positionieren. Die drei haben mir David Bowie und all das, was ihm Kunstfigur, Glam, Konzept und allem voran Musik anhaftet nochmals so viel näher und greifbarer gebracht. Ob es Zufall ist, dass ich beim Schreiben eine Glitzerhose trage?
Michael Allred, Steve Horton, Laura Allred: Bowie. Cross Cult, 160 Seiten, 35 Euro