Ein unmoralischer Selbstversuch

“Ich habe für meine Facebook-Seite Fans gekauft – bloß wie werde ich sie wieder los?”

Sponsored Posts? Das war gestern. Unser Autor Fabian Soethof erzählt von einem unmoralischen Selbstversuch in den Social-Media-Abgründen: “Für mein kleines Väterblog habe ich mir Facebook-Fans gekauft. Bloß wie ich sie wieder loswerde, das weiß ich nicht.”

 

Würdet Ihr bei derart seriösen Angeboten etwa nicht zuschlagen?
Würdet Ihr bei derart seriösen Angeboten etwa nicht zuschlagen?

Das Angebot klang einfach zu verlockend: „100 % Echte Weltweite Fans, Zufriedenheit garantiert!“, hieß es in bestem Spam-Duktus in einer E-Mail und auf einer darin beworbenen Webseite namens quality-fans.com. Der Preis: „50 % Discount! Nur 9,90 Euro für 1000 Fans! 17,90 Euro für 2000 Fans!“ Und während der Engel auf der einen Schulter über diesen Müll lachte, schmiedete der Teufel gegenüber schon Pläne zur Umsetzung. Kann man doch mal ausprobieren, oder?

Ja, kann man. Aber von vorne.

Seit Dezember 2013 schmeisse ich dieses Blog. Meine Motivation erklärte ich damals so, grundlegend hat sich daran bis heute nichts geändert. Natürlich habe ich als wieder Vollzeit arbeitender Vater viel zu wenig Zeit, so oft, so gut und so ausführlich zu bloggen, wie ich gerne würde. Obwohl ich aus Testzwecken, Spielerei und leiser Hoffnung Google Ad Sense implementiert habe, ist mir die Reichweite relativ egal. Ja, ich will gelesen werden, so wie ich selbst andere Blogs lese, aber Geld verdienen muss ich woanders – die 25 Euro, die ich über Google-Anzeigen in einem Jahr verdient habe, reichen nicht mal für einen Monatseinkauf beim Drogeriemarkt um die Ecke. Große Lüge (und anderes Thema) nämlich, dass Babys und Kleinkinder anfangs nicht viel kosten würden.

Bei Facebook läuft es ebenfalls so gut wie unauffällig. Ich poste meine Artikel, teile sie hin und wieder über meinen Privataccount, außerdem teile ich Inhalte anderer Blogs, Nachrichtenseiten und Co., die ich lesenswert oder lustig oder beides finde. Manchmal kommentiere ich sogar. Was man bei Facebook eben so macht. Nicht viel, aber für Elternblogs in Deutschland nicht ungewöhnlich: In den ersten Monaten hat es New Kid And The Blog auf Facebook so auf rund 300 „Gefällt mir“-Angaben geschafft. Hin und wieder habe ich auch mal für ein paar Euro Werbeanzeigen bei Facebook geschaltet. Meist solche, die meine Seite neuen Usern mit ähnlichen Interessen vorstellen. Selten solche, die ein bestimmtes Posting hervorheben. Ich will gelesen werden, aber ich will auch bis heute nicht einsehen, warum ich Geld dafür zahlen soll, dass meine Inhalte mehr als nur rund 16 Prozent all der User angezeigt werden, die meine Seite tatsächlich „geliked“ haben und somit ja interessiert sein müssten (Facebook macht das, natürlich, aus anderen Gründen als nur finanziellen). Ob man nun 400 oder 400.000 Fans hat: Wer mit mehr als „nur“ möglichst guten Inhalten wachsen will, muss das Spiel trotzdem mitspielen. Reichweitensteigerung einer Website ohne Facebook und Google ist, Stand 2015 und ob mit oder ohne Budget, nahezu undenkbar.

Wie man Facebook-Fans kauft – oder es besser lässt

Plötzlich, Ende November 2014, flatterte diese Mail ins Redaktionspostfach des Kollegen. „Wollen sie mehr Likes auf XXX (Name von mir gelöscht)?“, fragte darin der Absender mit E-Mail-Adresse mail@samui005.us rhetorisch. Denn welcher Seitenbetreiber will das nicht? Weiter hieß es unter anderem über die Dienstleistung von quality-fans.com: „Wahrend das ideal zum Auftakt Ihrer Facebook-Seite mit einer hohen Anzahl von Fans ist, liefern wir auch auf bestehende Seiten, um ihre Sichtbarkeit zu erhöhen.“ Der Kollege zitierte diesen automatisch übersetzten Schwachsinn und lachte laut. Ich lachte auch und bat um Weiterleitung.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nie einen Gedanken daran verschwendet, Facebook-Fans zu kaufen. Da könnte ich ja im nächsten Schritt gleich einem nigerianischem Prinzen 1000 Dollar überweisen. Oder beim Hütchenspiel am Ku’damm mitfiebern. Plötzlich aber erschienen mögliche Vorteile denkbar: Klar, mehr Fans sehen erstmal besser aus. Das senkt bestimmt die Hemmschwelle anderer User, ebenfalls auf „Gefällt mir“ zu klicken. Zweitens aber, und das schließt an den ersten Gedanken an, hatte ich in einem ehemaligen Job aus eigener Erfahrung gelernt, dass die Facebook-Fans tatsächlich schneller wachsen, wenn einmal eine kritische Masse erreicht ist. Klingt doch logisch: Ein Posting sehen dann – absolut, nicht relativ – mehr User, und sobald Interaktionen (Likes, Shares, Kommentare) stattfinden, werden die wiederum von mehreren Freundesfreunden gesehen. Ein Schneeball-Effekt, sozusagen.

Ich könnte an dieser Stelle noch weiter darüber fachsimpeln, was ich in Theorie und Praxis über Facebook weiß oder nicht weiß. Fakt aber ist, dass ich zum Zeitpunkt, als mich jene ominöse Mail erreichte, nicht mehr oder weniger empfänglich für ihr unschlagbares Angebot war als jeder andere Horst mit Internetzugang es auch gewesen wäre und bisweilen ist. Einfach mal machen, wie Hartmut in Oliver Uschmanns „Hartmut und ich“ oder wie Peter Wittkamp! Kurzum: Ich kaufte mir Fans. 2000 Stück, das fand ich gerade im Vergleich zu anderen deutschsprachigen Elternblogs eine noch glaubwürdige Menge. Eine kritische Masse wäre erreicht, schließlich handelt es sich laut Zusicherung des Anbieters Ninja Network LLC mit Sitz im bulgarischen Sofia um „echte Fans“, also nicht um Bots mit Fake-Accounts.

Moment mal: Wie das denn funktioniere mit den echten Fans, wollte ich im Kunden-Chat vorab wissen. Schließlich könne man ja niemanden zu seinem „Like“ zwingen – sind meine kommenden Leser am Ende womöglich doch gar keine echten Facebook-Nutzer? Doch doch, natürlich. Man stoße in kurzer Zeit in so hoher Frequenz und Penetranz Werbung für mein Blog auf Facebook aus, dass die bestellte Menge an neuen Fans schnell erreicht sei. Oder so. Nur ein Geo-Targeting, nein, das könne man leider nicht anbieten. Und das ist das eigentliche Problem.

Eine Rechnung bekam ich nicht, da müsse ich eine separate E-Mail schicken, erklärte man in gar nicht mal so schlechtem Deutsch im Chat. Mein Vertragspartner hielt sich trotzdem an unser Geschäft. Einen Tag, nachdem ich per PayPal 17,90 Euro gezahlt hatte, trudelte die Ware ein. Die „Gefällt mir“-Angaben kletterten erst von knapp über 400 auf über 2400, ein paar Tage und einige Höhen und Tiefen später hatte sich der Zähler bei ziemlich genau 2000 Likes mehr als vor meinem unmoralischen Selbstversuch eingependelt. Sachdeep aus Neu-Delhi, Jesus aus Machiques in Venezuela, Faruk aus dem türkischen Batman (!), Uroš aus Kragojewak in Serbien, sie alle mochten plötzlich New Kid And The Blog. Ob sie verstanden, was sie da lasen? Postings mit Titeln wie „Dr. Mark Benecke über Impfgegner“, „Babys die auf Bärte stehen“ und „Mein Kind ist geiler als dein Kind“? Egal, redete ich mir ein, solange es immerhin einige von ihnen taten, auf mein Blog direkt surften und den Schneeball ins Rollen bringen. Was mir zu denken hätte geben müssen: In Mumbai schneit es im Vergleich zu Berlin ziemlich selten. In São Paulo und Rio De Janeiro praktisch gar nicht.

Zur Veranschaulichung der Transaktion zeige ich ein paar selbsterklärende Ausschnitte aus den Facebook-Statistiken:

Personen, denen meine Seite gefällt

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Nach Deutschland kommen die meisten meiner „neuen Fans“ – überwiegend Männer – aus Brasilien und Indonesien. Vielleicht sollte ich fortan mehrsprachig posten?

Verlauf der „Gefällt mir“-Angaben für meine Seite insgesamt

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Läuft doch: Innerhalb eines Tages traten die 2000 neuen Fans ihren Dienst an. Zeitweise waren es sogar rund 2300 Fans mehr, danach pendelte es sich ein.

„Gefällt mir“-Angaben im Vergleich zu „Gefällt mir nicht mehr“-Angaben

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Scheinbar viele Likes gegen scheinbar wenig Dislikes. Das Verhältnis ist trotzdem, nun ja, komisch.

Die Netto-„Gefällt mir“-Angaben, herangezoomt für den Zeitraum von Ninja Networks Dienstleistung

1496 neue Fans am 3. Dezember 2014, 21 davon gingen am gleichen Tag wieder.
1496 neue Fans am 3. Dezember 2014, 21 davon gingen am gleichen Tag wieder. Danach waren es minus 2-5 Fans pro Tag, am 18. schoss Ninja Network nochmal 131 nach. Seitdem pendelt es im immer gleichen Bereich – obwohl faktisch neue, wirklich echte Fans dazukommen.

 Beitragsreichweite auf Facebook von Anfang November 2014 bis Ende Januar 2015

Alles wie immer? Offensichtlich hat die Reichweite meiner Postings trotz 2000 plötzlicher Fans nicht zugelegt.
Alles wie immer? Offensichtlich hat die Reichweite meiner Postings trotz 2000 plötzlicher Fans nicht zugelegt.

Ich spare mir hier weitere Auszüge aus Google Analytics, die Reichweite hat auf dem Blog selbst wie auch auf Facebook seit Anfang Dezember nicht zugelegt. Man könnte also schlussfolgern: Gewonnen habe ich durch die gekauften Fans nichts (außer 2000 Fans mehr auf den ersten Blick), verloren aber auch nicht. Oder?

Nach wie vor habe ich rund 2000 Fans mehr als vorher. Ein paar Mal hat einer von ihnen einen Beitrag von mir geliked, sonst passiert nicht viel mit den Jungs und Mädchen. Kein Share, kein Kommentar, kein Schneeball. Meine dort geteilten Blogposts wurden nicht auffällig öfter gelesen, das sehe ich neben den eindeutigen Seitenaufrufen in Google Analytics auch über die Referrals. Alles geschenkt, wenn ich nicht aber noch einen anderen Eindruck hätte: Mir kommt es vor, als würde irgendeine dunkle Macht die „Gefällt mir“-Angaben meiner Seite konstant bei 2000 mehr als noch Ende November 2014 halten. Die Statistik belegt das nicht eindeutig. Klar, dass die gekauften echten User auch wieder gehen können, durchschnittlich sind es zwei pro Tag. Aber ich weiß, dass ich in den letzten Wochen und Monaten auch ein paar Dutzend wirklich echte User dazugewonnen habe. Menschen aus dem deutschen Sprachraum, mit lebendigen Profilen und teilweise ähnlichen Interessen. Menschen, die New Kid And The Blog offenbar wirklich gerne lesen wollen.

Zusammengefasst: Es dürfte mir langfristig schaden, wenn all das so bliebe. Es würde mir aber nicht schaden, all die der 2000 Fans, die mein Blog aus Sprachgründen schon nicht verstehen und es wahrscheinlich nie angesehen haben, keine Fans mehr wären. Auf Chat-Nachfrage bei quality-fans.com erfahre ich, dass ich die gekaufte Ware leider nicht zurückgeben kann: „our price table change since then. we cant provide reinstatement. but we can give you a bonus in case of new order.“ Nein, danke, kein weiterer Einkauf. Bleibt mir wohl nur noch ein Aufruf auf Facebook selbst. Ein Appell an die Jesus’s, Faruks und Sachdeeps in ihrer Sprache, bitte auf „Dislike“ zu klicken, wenn sie nicht wissen, was sie da lesen.

Oder hat jemand eine andere Idee? Und was ist mit anderen Erfahrungswerten? Like mich am Arsch?

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Warum ich die Geschichte hier nun aufgeschrieben habe, anstatt die digitale Welt im Glauben zu lassen, mein Blog würde nun mal besonders in Brasilien, Indonesien, Indien und der Türkei gerne gelesen werden? Nun, lasst es mich so sagen: Erstens sage ich diversen PR-Agenturen ihre „Kooperationsvorschläge“ in der Regel mit der Begründung ab, dass Glaubwürdigkeit nun mal das höchste Gut eines Bloggers sei. Außerdem rangiere ich in der Top Ten der 10 ehrlichsten Menschen der Welt gefühlt nur knapp hinter Ned Flanders. Mein Gewissen hat da nicht länger mitgemacht. Aber das ist ein anderes Problem.

 

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