Das Imperium der Internet-Promis – und wie sie den Leisen Show und Jobs stehlen
Carla ist Influencerin und bekommt im Mai ihre erste große Fotoausstellung in einem Berliner Museum gesponsert, Stefanie ist DIY-Podcasterin und steht kurz vor ihrem ersten Buchvertrag, und wieso zur Hölle wurde ausgerechnet Johannes schon wieder als Diskussionsteilnehmer zum Radiointerview eingeladen, um über die 15-Stunden-Woche zu diskutieren, wo es doch kompetentere Gesprächspartner_innen gibt als ihn?
Gedanken, die sich Josefine K. regelmäßig beim Scrollen durch Instagram stellt. Sie ist 28 Jahre alt, studierte Politikwissenschaft in Hamburg, war danach in einer Content-Agentur tätig und ist aktuell auf Jobsuche. Seit followerstarke Social-Media-Kanäle für das berufliche Fortkommen unabdingbar geworden sind, hat sich ein rückgratloser Kampf um Aufmerksamkeit entwickelt. Große Followerzahlen gelten in manchen Bereichen bereits mehr als akademische Abschlüsse und schaffen Hierarchien. Wer einen Masterabschluss in Kulturwissenschaften, dafür keine Agenda auf seinem twitter-Profil vorzuweisen hat, geht in der Masse unter.
Das Phänomen ist nicht neu. Schon seit Jahren dreht sich das Game vor allem darum, von möglichst vielen Menschen gesehen, gehört, und gebucht zu werden. Grafiker_innen, Illustrator_innen, Moderator_innen, Journalist_innen und Autor_innen sind ebenso betroffen wie Kleinunternehmer_innen in verwandten Bereichen der Kulturindustrie, die von ihrer Kreativität leben wollen. Heute reicht ein Netzwerk nicht mehr, es muss auch nach außen sichtbar sein, um die eigenen Fähigkeiten zu untermauern.
Klick- und quotenhungrige Medienmacher sind sich bei der Wahl ihrer Talkshow-Gäste oft erstaunlich einig. In den gängigen Formaten kursieren ähnliche Protagonist_innen, die eins schon von Twitter oder auch Instagram kennt. Ein Beispiel: Pamela Reif – ihres Zeichens Deutschlands bekannteste Influencerin, die nicht nur bei Marcus Lanz saß, sondern auch in allen Onlinemedien Deutschlands besprochen wurde, hat seit Neuestem eine Kolumne beim Handelsblatt. Follower sei Dank. Oder etwa nicht? „Ihre Hobbys Fitness, Mode und Beauty hat sie zum Beruf gemacht“ steht auf der Seite. Schreiben gehört da mit dazu.
Kristin Sendler, Social-Media-Marketingexpertin sieht die Sache entspannter: „Vielleicht lockert es die deutsche Einstellung mal etwas auf, dass man beruflich nur etwas erreichen kann, wenn man mehrere Abschlüsse, Zertifikate und Auszeichnungen hat. Die Einstellung ‚einfach machen und konsequent daran arbeiten’, wie sie vor allem in Nordamerika viel verbreiteter ist, finde ich super. Von diesem Blick über den Tellerrand kann auch die Leserschaft des Handelsblattes profitieren – solange es also bei einer Kolumne bleibt, in der ja eine persönliche Meinung dargelegt wird.“
Sven Afhüppe, Chefredakteur des Handelsblatt hat auf die Nachfrage, warum eine 2 Millionen Follower starke Influencerin statt einer „herkömmlichen“ Selbstständigen als Kolumnistin angetreten ist, wie folgt reagiert: „Wir haben bewusst Kolumnisten mit unterschiedlichen Schwerpunkten und hoher Bekanntheit/ Relevanz in ihrem jeweiligen Bereich gewählt, um ein breites Themenspektrum abzudecken, neue Denkanstöße für politische, unternehmerische sowie persönliche Entscheidungen zu geben.“
Das Schema lässt sich auch anderswo beobachten: reichweitenstarke Fashionblogger bekommen anstelle von fertigstudierten Design-Absolvent_innen nachhaltige Modelinien, laute YouTuber Radioshows. Success sells lautet das Motto.
Alles natürlich eine Frage des Talents!
Die Regel ist einfach: wer viele Follower hat, bekommt noch mehr Follower und hat irgendwann eine Fanbase, die auch für Unternehmen interessant wird. Das Ding ist: „Mit organischen, also unbezahlten, Posts kommt man heute kaum noch an die Zielgruppe ran“, sagt Sendler. „Nun könnte man sagen: wer das meiste Geld in Facebook, Instagram & Co. steckt, hat am Ende auch die meisten Fans. Die Zahl, die dann hinter ‚Follower:’ steht, beeindruckt Chefs und Entscheider_innen. Oder eben nicht.“
Dabei wird eine aufwärtsgerichtete Aufmerksamkeitsspirale in Gang gesetzt, die für einige wenige Personen immer mehr Anfragen und Sendeplatz nach sich zieht und andere Protagonist_innen nur wenig Raum gewährt, weil diese entweder gar nicht oder zu wenig in sozialen Netzwerken aktiv sind, oder nicht in eine berufliche Position gelangt sind, die gewisse repräsentative Funktionen mit sich bringt.
Josefine schreibt seit sie sich erinnern kann – das Praktikum bei einer großen Tageszeitung hat sie während ihres Studiums nicht bekommen. „Die großen, auflagestarken Unternehmen wollen jemanden mit einschlägiger Berufserfahrung.“ Komisch, dass die Erfahrung ab einer gewissen Followerzahl plötzlich nicht mehr zu zählen scheint. Wie lange soll Josefine strampeln, um gehört zu werden? Wie viele Monate noch an der 500-Follower-Grenze kratzen, wo heute doch gefühlt alle ihre Bekannten dasselbe („Autorin. Regisseurin. Social Media“) machen und sich um die wenige Aufmerksamkeit streiten, die den unteren Social-Media-Schichten zukommt?
Und so scheint es nicht nur Josefine aufzufallen, dass sich jene, die einmal hochgekommen sind, auch im Wissen um die abgewiesenen Träumer_innen an ihren hart erarbeiteten Positionen festkrallen.
Chefredakteur_in pusht Agenturchef_in und Insta-Starlet Insta-Starlet
So schön sich Solidarität in der Theorie anhört – sie wird im Spätkapitalismus meist jenen gewährt, die sich bereits auf Augenhöhe befinden und somit vielleicht sogar im eigenen Freundeskreis. Immer wieder kann auf Twitter nachgelesen werden, dass man Accounts unter 2000 Followern gar nicht „zuhören bräuchte“. Denn, „wer seien die schon.“ So etabliert sich eine elitäre Kultur der Pseudo-Prominenz, die sich vor allem durch Zustimmung im eigenen Zirkel speist und Widerspruch von außen in unterstellter Lächerlichkeit verpuffen lässt.
Die Frage, die sich Journalist_innen stellen sollten, ist folgende: Fördere ich neben meinen bereits bekannten beruflichen Kontakten auch Menschen, die weniger Privilegien als ich genießen? Die vielleicht nicht festangestellt, weiß und bereits etabliert sind? Suche ich aktiv nach ihnen? Oder bleibe ich lieber in meiner bekannten Bubble und lasse mich von gehypten Personen blenden, weil sie viel Aufmerksamkeit bringen?
Christina Wunder ist Gründerin des Chapter One Mags, arbeitet in der Europäischen Kommission und ist Expertin für politische Kommunikation. Sie sagt, dass eine gut geführte persönliche Digitalpräsenz, inklusive Social Media, ein guter Indikator für digitale Medienkompetenz sein kann. „Doch ich glaube, dass wir hier von recht moderaten Zahlen sprechen, denn es müsste jedem klar sein, dass 6- oder 7-stellige Followerzahlen für ‚Normalos’, die nicht gerade Bundeskanzlerin sind oder ganzes Team von Marketingexperten im Rücken haben, vollkommen abwegig sind.“ Für eine perfekte Content-Distribution zu sorgen, kann sich nicht jeder leisten. Besonders nicht zeitlich. „Sobald ein perfekter Online-Auftritt und die Vermarktung des Selbst wichtiger wird, als das Können als solches, haben wir als Gesellschaft ein Problem“ schreibt beispielsweise „The Little Black Book“-Autorin Otegha Uwagba.
Schwierig wird es, wenn sich Instanzen wie öffentlich-rechtliche Medien nicht die Mühe machen, auch mal weiterzurecherchieren als bis Theresa Bücker (Thema: Feminismus – no offense) oder Peter Filzmaier (Thema: österreichische Innenpolitik), um neue Perspektiven sichtbar zu machen und nicht zum 100. Mal dieselbe Person zum selben Thema sprechen zu hören. So, als ob Internet-Promis mit 50.000 Followern die einzigen Menschen auf dieser Erde wären, die Kompetenz besäßen. Ähnlich passiert es auch im Musikjournalismus: „Viele Redaktionen erhoffen sich durch die Bekanntheit der Musiker_innen (sei es als Gegenstand oder gerne auch in der Rolle als Gastautor_innen) auf einfachen Wege mehr Leser_innen für das Feature und vergessen dass spannender Journalismus an sich ja auch das Anlockmomentum für Leser_innen sein könnte, ja sogar sollte“, sagt Kaput-Herausgeber Thomas Venker.
Kristin Sendler findet, wir sollten ein Experiment wagen: „unbekannte Menschen zitieren, die in dem Gebiet aktiv sind, darunterschreiben, dass sie Experte sind und sehen, was passiert. Ich wage zu bezweifeln, dass ein Shitstorm losbrechen würde.“
Nicht alle schaffen es, sich mit Hartnäckigkeit und Selbstausbeutung auf dem Markt durchzusetzen. „Früher konnte man sich noch einreden, dass mit dem universitären Abschluss die Aufgaben spannender, die Wertschätzung höher und der eigene Stolz für den geleisteten Beitrag in dieser Welt größer wird“, sagt Josefine. „Irgendwann resigniert man. Die Miete muss bezahlt werden. Man geht Kompromisse ein. Vor allem beruflich.“
Macht zu erhalten und gleichzeitig Macht an andere abzugeben, scheint für viele ein schmaler Grat zu sein
Hiermit wären wir wieder beim Ausgangspunkt: dem unbefriedigten Wunsch nach internetbasierter Wertschätzung und Aufmerksamkeit der eigenen Arbeit gegenüber, die nur den wenigsten zukommt. Es hilft nicht, Josefines Gefühle kleinzureden. Warum wird sie zu keinem Panel eingeladen? Warum muss sie Tag für Tag dabei zusehen, wie jene an ihr vorbeiziehen, die besser darin sind, sich zu verkaufen?Solange wir Menschen mit mehr Followern mehr Aufmerksamkeit schenken, als jenen mit weniger, arbeiten wir dem spätkapitalistischen Machtdiskurs zu und suggerieren unterbewusst: schrei so laut du kannst, sonst wirst du vergessen.
Die Medienbranche sollten ihre Sendeplätze nicht nur danach vergeben, wie gut sich jemand die letzten Jahre in den eigenen Dunstkreis geschlichen hat und kreative Arbeit unabhängig von Social-Media-Indikatoren bewerten. Wer nur auf die Reichweite schielt, vergisst, Kulturschaffenden das zu geben, was sie verdienen: Wertschätzung, Förderung und Anerkennung – unabhängig von irgendwelchen Likes und Sternchen.