Trümmer / Paul Pötsch

„Ich finde diese Selbstvermarktung einfach nur unangenehm.”

Kaput-Trmmer-AufmacherSeit Tagen spreche ich schon mit Paul Pötsch darüber, dass jetzt dieses Interview geführt werden muss. Stattdessen waren wir in Hamburg in ein Lokal gegangen und haben Bier und Whisky getrunken (ich) beziehungsweise ein richtig leckeres Wasser (Paul).

Dass man miteinander befreundet ist, macht die Interview-Situation nicht einfacher. Man könnte auch sagen, es macht sie sehr viel schwieriger. „Du stellst mir dann so persönliche Fragen und darauf habe ich keine Lust. Immer dieses Striptease“, so Paul beim ersten Interview-Versuch in Hamburg.

Nun hat er mit seinen drei Kumpels – Bassist Tammo Kasper, Schlagzeuger Maximilian Fenski und Gitarrist Helge Hasselberg – mit denen er die Band Trümmer bildet, den Soundcheck in Köln hinter sich gebracht und somit zwar weiterhin Zeit, aber keinen Ort, um das Interview zu verhindern. Auch wenn er es nochmals versucht: „Warum überhaupt?“

Wenn es nach mir geht, dann vor allen Dingen wegen dieser Geschichte mit Hamburg Marketing. Diese Agentur, deren Existenzauftrag es ist, die Stadt Hamburg und ihre Kulturszene in einen Zusammenhang zu setzen und diesen in die Welt zu tragen, hatte bei der Band Trümmer angefragt, ob man Musik und/oder Bilder von ihnen zu diesem Zwecke benutzen dürfe.
Die Band Trümmer entschied sich dazu, einen offenen Brief als Antwort bei Facebook zu veröffentlichen. Woraufhin sich Hamburg Marketing bemüßigt sah, Paul als Sänger der Gruppe persönlich anzugreifen.
Warum überhaupt?

„Dazu ist alles gesagt“, merkt Paul an; wir sitzen mittlerweile im Hinterhof eines Cafés, das in Köln als Speerspitze des Baristatums gilt.

Man spürt bei Trümmer immer, wenn ihr auf Tour seid, und zwar weil dann die Anzahl der Posts krass anzieht.
Ich finde dieses ganze selbstpromoterische Postingverhalten ätzend.

Deine kurze, unerfolgreiche private Instagram Zeit, die hat…
.. ja, die hat gut angefangen. Mit einer Einladung zu einem geheimen Konzert. Das war nicht so geschickt.

Bei dem Anlass haben wir uns das erste Mal privat getroffen.
Nee, wir hatten uns schon vorher getroffen. Du hast mich bei der Arbeit angerufen und besucht.

Ja, ich weiß. Ich habe dich schon zwei, dreimal vorher angesabbelt.
Ich finde diese Selbstvermarktung einfach nur unangenehm.

Du versuchst gerade das Interview voranzutreiben.
Hahaha, ja. Ich will das jetzt ja eigentlich nicht.

Der Kaffee ist gut. Da gehen auch die ganzen Dozenten von der Uni hin, um ihren geilen Kaffee abzuholen und zu schlürfen.
Mega angenehm an diesem Ort zu sein mit dir.

Und das trotz Interviewsituation.
Ja, trotz Interview.

Lass mal über was Privates reden.
Das darf aber nicht ins Interview.

Fünf Minuten Pause.

Das wird das persönlichste Interview aller Zeiten! Ich nehme das alles rein!
Nein! NEIN!

Doch, doch…
Nein! Interessiert doch auch keinen mit wem ich zum Beispiel liiert bin.

Stimmt, das ist total egal. Es geht nur darum, dass es “DAS PERSÖNLICHSTE INTERVIEW ALLER ZEITEN” wird. Das ist ne Headline, die zieht.
Nee, das klicken dann nur unsere Freunde an. Und die sagen dann sowas wie “Boah Alter, haben die das wirklich gesagt?” und “Warum haben die das veröffentlicht?”
Aber was ist denn jetzt? Bis jetzt haben wir ja noch gar nichts gesagt. Soll das so wie im Interview Magazin werden, oder was? Die haben doch auch so Gespräche?

Oder wir gehen Back to the 90ies und proben nochmal den Aufstand. und machen es so wie Marc Fischer, also ein Interview, bei dem es um dich und mich geht, gleichberechtigt.
Popjournalisten waren nie meine Helden.

Aber meine. Ich liebe das halt, über Musik zu reden. Deswegen arbeite ich auch viel mit Fake-Zitaten.
Wir haben die letzte Euphorie-Veranstaltung mit einem Olaf Scholz Zitat beworben: “Hamburg, wie es wäre, wenn ich nicht wäre.”

Ja, das war gut.
Er war dann in echt da – und hat das danach gesagt. Das ist das Geile, er kann die Lage so realistisch einschätzen.

Der war wohl auf der Suche nach der Euphorie.
Musst du eigentlich bei Kaput wirklich was abgeben?

Ich habe bis jetzt gesagt, dass du dich dem Interview gegenüber verschlossen hast …
… stimmt ja auch. Ich fand das Interview mit Frank Spilker ja auch super. Aber das war schon sehr persönlich. Das möchte ich auch nicht. Wenn ich jetzt in einer Interviewsiuation wär, würde ich mich auch anders verhalten.

Bislang hatte ich ja immer bei Anfragen gesagt, dass ich keine Interviews mit dir oder euch führen möchte, weil ich dann dazu neige, meine persönlichen Vorkenntnisse auszuspielen. Das wäre mir zu “tough love”-mäßig. Das wird dann schnell unangenehm. Man kennt man sich ja schon so genau… wir haben uns ja schon in den unmöglichsten Zuständen gesehen.
Da wollen wir aber nun auch nicht drüber reden. Bis jetzt kannste alles löschen.
Wir können ja auch über was Interessantes reden! Das passt ja vielleicht sogar. Über den Offenbarungszwang, den Authentizitätszwang, diese Erwartung, man selbst sein zu müssen, also deckungsgleich mit sich selbst.

Du meinst, dass wir immer zu Eingestehen müssen, was wir sind und was wir machen? Das wäre dann ultra verkürzt etwas, was man bei Foucault finden kann.
Ich habe Foucault ja nie gelesen. Ich bin aber auch nicht hinter jeder Sache hinterher. Auch wenn es sicherlich gut wäre, Foucault gelesen zu haben. Ich muss nicht alles immer mitbekommen. Mir geht’s ganz oft um das Gegenteil – dass ich erstmal bei mir bin und versuche meine Gedanken zusammen zu bekommen. Wenn das gelingt, bin ich schon froh genug. Man muss halt auch absichtlich Sachen ausblenden.

Aber sich mit Sachen auseinander setzen …
Ja, aber ich kann mir das nicht alles reinziehen. Manchmal muss man auch einfach mit dem Vertrauensvorschuss arbeiten. Oder mit Aufschieben. Wollen wir eigentlich mal mit dem Interview anfangen?

Läuft doch schon die ganze Zeit.
Ich habe doch noch gar nichts gesagt. Ich höre dir gerade viel lieber zu.

Dann lege ich dir halt Worte von mir in den Mund. So, Thema: Authentizität. Man kann ja auch einfach eine Figur Paul und eine Figur Lars erfinden und die dann unser Gespräch führen lassen.
Hauptsache die reden dann nicht über unsere Partner oder Freunde. Die dürfen dann nicht zu persönlich werden. Man ist ja eh nicht authentisch, verdammt! Man ist auch nicht authentisch auf der Bühne. Das ist doch Quatsch. Jeder, der das behauptet, ist einfach total …

Aber wir sind doch gerade authentisch, oder?
Nöö. Also ich schon. Ich genieße es gerade einfach Tee zu trinken – und du stresst mich die ganze Zeit, weil du was über die Band und die Musik und die “Karriere” hören möchtest.

Will ich doch gar nicht. Das hast du noch nicht begriffen. Der Hebel hier kann doch nicht die Band sein. Sonst wär das doch einfach. Der Hebel bist DU. Also nur DU.
Ich bin doch nur ne Person, die zufällig Aufmerksamkeit bekommt.

Zufällig?
Ja. Ich hatte vorher auch schon Bands. Da habe ich auch Musik gemacht. Dabei wollte ich viel lieber Schauspieler werden. Finde ich immer noch viel reizvoller als das Musik-Ding.

Du willst doch nur das Statement hier raushauen.
Ach Quatsch! Ich habe während du über was ganz anderes geredet hast, da nochmal drüber nachgedacht. Gestern beim Konzert kam mir auch schon der Gedanke, dass die Band wie ein Stück ist und meine Rolle ist eben die des “Paul von der Band Trümmer” – und das hat extrem gut funktioniert.

Das Konzert als (schauspielerische) Performance, das machen ja auch die Goldenen Zitronen. Wobei ich immer noch nicht weiß, ob das dann als Musiker oder als Performer abläuft. Müsste man die auch mal fragen. Ist aber vielleicht auch gar nicht mehr so interessant. Ich finde es ja viel interessanter – und auch näher an mir selbst dran -, wenn man zu hundert Prozent als man selbst Musik macht. Wenn man das eins zu eins spürt. Wenn das dann wieder kongruent mit dem Selbst ist …
Du redest wieder mehr als ich.

Und?
Weiß nicht. Habe nur gesehen, dass ich hier, an der Stirn mega die Falten bekommen habe.

Und ich habe hier `nen Pickel bekommen.
Ja, bin auch gerade total auf Detox. Solltest du vielleicht auch? Habe gerade das Gefühl, dass man ja auch Verantwortung auf einmal für andere hat. Ich muss meine Stimme schonen, und kann ja auch nicht auf die Bühne gehen, wie ich mag. Da sind noch andere. Spätestens da wird ja die Authentizität auch gebrochen.

Ich habe das nur einmal gemacht, also Detox. Da habe ich dann Mate statt Kaffee getrunken.
Ich trinke schon seit sechs Wochen keinen Kaffee mehr. Dieses Kaffeegesaufe macht einen fertig. Total hohl.

Befinden wir uns ja gerade am besten Ort, um darüber zu reden. Aber mir macht Kaffee auch Angst. Ich kann das Koffein-High nicht genießen.
Ist mir noch nie so aufgefallen.

Wir haben bis jetzt immer nur zusammen Bier getrunken. Oder Limo. Egal. Ich muss gleich noch eine Videofrage stellen. Das sieht im Beitrag gut aus.
Meine Traumvorstellung ist ja, dass man gar nicht mehr schnallt, wer mit wem warum redet. So müssen Interviews wirklich ablaufen. Unterhaltsame Unterhaltungen unter Freunden. Oder nicht unter Freunden – “Wird Privatheit gefaked?”, hahaha, ja!

Und dann sagst du was in die Kamera von meinem Handy und dann hat das Kind wieder ein Gesicht.
Ich sollte letztens bei einem Interview im Radio die Leute zu dem Konzert in der Stadt einladen, aber ich habe es nicht hinbekommen, zu sagen “Ich bin Paul von Trümmer und wir sehen uns heute Abend”. Ohne Scheiß, ich habe zwanzig Versuche gebraucht, bis ich das ohne Lachen eingesprochen hatte. Es war so viel einfacher mit einer Roboterstimme “Hier ist Paul – bringt mich zu eurem Anführer” zu sagen.

Aber das ist auch diese Radiosituation. Ich kann auch nicht auf Anrufbeantworter sprechen. Da gibt’s kein Gegenüber.
Hier gibt’s auch kein Gegenüber, oder? Du erfindest doch alles. Und das ist doch auch besser so.

Truemmer-EndePaul, danke für dieses offene und ehrliche Gespräch. Lass uns das bald mal fortsetzen, ja vielleicht als regelmäßige Rubrik bei Kaput etablieren. Die Crowd hat das verdient.

 

 

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