Lauter Bäumen – Interview

Lauter Bäumen – Unter dem Radar


Lauter Bäumen sind eine der drei besten Bands Kölns – wenn man nicht sogar einen größeren Rahmen abstecken muss, um der Qualität der Band gerecht zu werden. Wer Nadine David, Michael Kolepke, Luca und Carlo Palazzari je live gesehen hat, weiß, dass es der Band unter den richtigen Bedingungen gelingt, mittels ihres um Postpunk und New-Wave-Spielarten der düstereren Sorte zentrierten Sounds eine enorme Präsenz zu erzeugen – siehe auch ihren Auftritt bei “Köln ist kaput”.

Ähnliches gilt für die Tonträger der Band. Hier verbinden sich Rat- und Rastlosigkeit zu einer aufrührenden Musik voller unkitschiger Empfindsamkeit. Ihre aus der Innenansicht gesungenen Lieder über Lebenswidersprüche und neurotische Tendenzen werden seit der im Dezember erschienenen EP „Wer Sind Wir Jetzt?“ erweitert um den Blick aufs Außen in Gestalt einer krisengeschüttelten Kulturlandschaft.

Genug Gründe also, Lauter Bäumen die Gelegenheit zu bieten, im kaput-Interview Auskunft zu geben über Corona, Einflüsse, Erfolg, Pläne, Konzerte und einiges mehr.

Wie erlebt ihr als Band die Pandemie? Konzerte sind nicht möglich, ich vermute selbst Proben dürfte problematisch sein. Empfindet ihr die Situation als lähmend?

Michael: Wir haben unseren letzten Gig am 01.09.2019 zusammen mit Mutter auf dem Platzhirsch Festival in Duisburg gespielt und danach bandintern beschlossen, bis Anfang 2020 eine Pause einzulegen, um dann anzufangen, neues Material zu schreiben bzw. fertigzustellen. Ich habe dann im Februar eine krasse Lungenentzündung gehabt, kam aus dem Krankenhaus und der erste Lockdown ging los. Wir haben auch tatsächlich seit dem Konzert im Djäzz nicht mehr zusammen gespielt oder uns getroffen. Carlo und ich hatten bei der Produktion der neuen EP kurz Kontakt, aber das war es auch. Keiner von uns hatte bisher Corona, trotzdem war die Angst vor Ansteckung und der Krankheit an sich der bestimmende Faktor, uns gar nicht mehr zu sehen. Für Lauter Bäumen bedeutet dies konkret, wenn die Interaktion im Proberaum wegfällt, bleibt nicht viel übrig von der Band. Wir probieren beim Songschreiben immer aus und das passiert eben gemeinsam im Proberaum. Inwieweit wir es schaffen, hier für uns alternative Strukturen zu schaffen, wird die Zukunft zeigen. Ansonsten müssen wir das eben aussitzen und warten, bis es sich wieder gut anfühlt, sich zu treffen bzw. sich überhaupt in der Öffentlichkeit zu bewegen.

Carlo: Längere Pausen sind nichts Neues für Lauter Bäumen, jedoch das erste Mal nicht selbst verschuldet. Bisher folgte auf eine Pause immer eine sehr produktive Phase, hoffentlich auch diesmal. Ich nutze die Zeit zwar, um an neuen Ideen zu arbeiten, kann es aber nicht erwarten, wieder im Proberaum zu sitzen und mit den anderen aus den Ideen neue Stücke zu machen.

Luca: Durch die Pandemie ist die Band ja in einem lange währenden Winterschlaf. Ich würde die Situation aus meiner Sicht noch mehr als lähmend bezeichnen, sie ist trostlos, nicht nur auf musikalischer Ebene, die nicht stattfinden kann, sondern auch die direkte, persönliche Ebene leidet schwer darunter. Die Situation befeuert meine Defizite. Das belastet schon sehr.

Nadine: Lähmend trifft es. Obwohl ich mir extra wegen Corona einen Kombi angeschafft habe, war ich bis heute nicht im Proberaum, hab mir meinen Kram nach Hause geholt und mich hier mal drangesetzt. Ist dann auch eigentlich mein einziger Vorsatz für dieses Jahr: Den Bäumen meine Parts für mindestens eine neue Songidee schicken. Und dann hoffentlich bald wieder Proben, vielleicht auch erstmal zu zweit, mit Maske. Oder wie das bis dahin halt so geht.

„Wer Sind Wir Jetzt?“, das Titelstück der neuen EP, thematisiert die Pandemie unter dem Aspekt der Verteilung öffentlicher Gelder – Stichwort Kulturförderung, sofern ich den Text richtig deute. Michael, kannst du ein bisschen dazu erzählen?

Michael: Es verstört mich seit Beginn der Pandemie, wie ein ganzes Netzwerk von kleinen Firmen, Soloselbständigen, Veranstaltungsorten und sonstigen kulturellen Wirkstätten finanziell kaltgestellt wird, weil die zuständigen Institutionen entweder nur sehr langsam oder gar nicht reagieren. Die größtenteils nicht der Lebenswirklichkeit der Betroffenen entsprechenden Vorgaben und Regeln für die Verteilung der Gelder tun ihr Übriges, einem das Gefühl zu geben, dass sich nicht wirklich jemand für alternative Kulturentwürfe und Kunst abseits des Mainstreams interessiert. Solidarität ist mittlerweile vor allem die Solidarität der gut vernetzten und/oder bereits etablierten Akteure. Man muss sich jetzt in der Krise auch verkaufen können, wer das nicht kann, fällt einfach hin und bleibt liegen.

Musikalisch geht der Song ja in eine Richtung, die mich ein bisschen an DAF erinnert, wenn auch nicht so martialisch.

Michael: Interessant. Das ist eine Referenz, auf die ich nicht gekommen wäre. Ich denke, es liegt an den Synthesizern von Gastmusiker Moritz Heimes und dem rollenden Beat aus der Smartphone-App. Ich würde nicht behaupten, dass DAF für mich ein spezieller Einfluss gewesen ist.

Dennoch scheinen die frühen bis mittleren 80er musikalisch eine wichtige Referenz für dich zu sein, Michael?

Michael: Auf jeden Fall. In dieser Zeit bin ich musikalisch sozialisiert worden. Ich habe 1981 damit angefangen, so oft wie möglich John Peel aufzunehmen und die Kassetten ständig zu hören. Ich war 13 / 14 Jahre und komplett überfordert, aber auch fasziniert von der Welt, die da aus dem Radio kroch. Bands und Künstler wie z. B. The Sound, The Chameleons, Sisters Of Mercy, Echo & The Bunnymen und Gary Numan habe ich damals zum ersten Mal gehört und höre sie noch heute. Dann war auch NDW und diese pinkfarbene Sonderausgabe vom Musikexpress zu dem Thema. Das war meine Bibel. Aufgrund meines Alters hat natürlich damals der musiktheoretische Tiefgang gefehlt, ich hab das alles so durcheinander konsumiert. Ganz unschuldig nebenbei dann noch Kiss und AC/DC.

Auf der EP befindet sich eine neue Version von „Holzbein“, einem Stück, das ursprünglich auf dem Album „Mieser in den Miesen“ erschienen war. Gibt es das häufiger, dass man denkt, ein Song sei noch verbesserungsfähig?

Michael: Nein, in der Regel nicht. Der Song ist eine Ausnahme. Meist kann ich mir die Sachen nach Fertigstellung lange Zeit nicht mehr anhören. Wenn etwas einmal veröffentlicht wurde, gibt es für mich relativ wenig Grund, sich noch damit zu beschäftigen. In diesem Fall war es aber so, dass ich unbedingt in 2020 noch ein Lebenszeichen der Bäume raushauen wollte. Viel Material hatten wir nicht und „Holzbein“ war mir immer schon viel zu lang geraten. Ich habe dann Carlo vorgeschlagen, die EP mit einer gekürzten Version des Songs zu starten, und er fand das auch gut.

Carlo: Immer. Irgendwann muss man aber halt mal aufhören an etwas zu arbeiten. Man kann, denke ich, gar nicht von einem „fertigen“ Song sprechen, eher von einem „eingefrorenen“.

Luca: Häufiger ist vielleicht falsch gesagt, aber beizeiten finden sich immer wieder kleinere oder größere Möglichkeiten der Veränderung. Das kann mal eine Betonung oder eine andere Art des Anschlags sein, eine Variation einer Melodie, oder auch mal ein anderes Arrangement. Die meisten Änderungen finden dann im Detail statt, werden auch live ausprobiert und manchmal auch wieder verworfen. Manchmal schwebt aber in der Tat was über einem Lied, was nicht so richtig passt, nur fassen kann man das manchmal nicht.

Michael, in besagtem Song zitierst du Fox Mulder, der in der Axte-X-Folge „Der See“ zu Protokoll gibt: „Hätte ich ein Holzbein, wäre ich glücklicher“ – die Aussage scheint dir ja gefallen zu haben?

Michael: Fox Mulder und die ganze Akte-X-Serie haben mich lange Zeit begleitet. Ich habe jede Folge und jede Staffel gekauft und mir exzessiv immer und immer wieder angeschaut. Das lief jahrelang wie Radio im Hintergrund, während ich mich in meiner Wohnung aufhielt. Mir hat die ganze Zerrissenheit der Figur gefallen, dass er immer weiter gegangen ist und trotzdem mit sich und seiner Weltsicht immer im Reinen war. Ich habe da damals unglaublich viel reingelesen und die besagte Folge ist, wie ich finde, ein Meisterstück zwischen Slapstick und Tragik.

Ist das allgemein ein Vorgehen, das du kultiviert hast – Texte auf der Grundlage von vorgefundenem Material zu schreiben?

Michael: Auf jeden Fall. Zuerst gilt aber immer Klang vor Inhalt. Wenn sich etwas gut anfühlt, also es Vergnügen bereitet, es zu lesen oder auszusprechen, dann behalte ich das oft und eventuell passt es dann später irgendwo rein. Häufig sind es Dialoge aus Filmen. Das muss ich dann immer sofort aufschreiben, sonst ist es weg. Trotz Smartphone gibt es da auch immer noch eine Pinnwand und eine Schublade mit Zetteln.

„We Hate It When Our Friends Become Successful” heißt ein Stück auf der EP, wobei es sich nicht um eine Coverversion des gleichnamigen Morrissey-Stücks handelt. Auch hier wieder die Tendenz zum Zitat, aber ich wollte eher darauf hinaus, dass das Stück in Zusammenarbeit mit Bum Khun Cha Youth entstanden ist. Ich habe mich gefragt, wie es dazu kam und wie die Arbeit am Stück sich verteilt.

Michael: Das Stück ist fast 20 Jahre alt, genauer gesagt ist es 2002 entstanden. Damals hatte ich eine Weile keine eigene Wohnung und habe ständig bei Freunden und Bekannten gewohnt. So auch einmal zwei Tage bei Uli von BKCY. Die Musik und den Gesang haben wir dann an einem Tag gebaut, der Text stammt von Linus. Uli hatte immer einen Fundus an potentiellen Texten für BKCY rumliegen. Da habe ich mich damals einfach bedient. Das haben wir dann runtergemischt und auf CD gebrannt. Die lag bis jetzt bei mir im Karton. Die Version von damals ist auch auf der EP.

Ist denn an dem Titel was dran: We hate it when our friends become successful? Empfindet ihr Neid, wenn befreundete Bands Erfolg haben? Oder verdient heute eh niemand mehr Geld mit Musik?

Michael: Neid ist echt ein blödes Gefühl, dann ärgert man sich ja auch irgendwie, weil man selber etwas nicht hat. Das ist so unnötig und führt dich geradewegs in die Verbitterung. Für mich sind Erfolge von anderen Bands oft eher Ansporn, selber wieder etwas aktiver zu werden. Ganz davon abgesehen sind wir mit Lauter Bäumen ja auch auf einem ganz niedrigen professionellen Level. Wir finden ja als Band in jeder Hinsicht komplett unter dem Radar statt, da ist gar kein Raum für eine Kategorie wie „Erfolg“. Unabhängig davon, ob mir das nun musikalisch gefällt oder nicht, freue ich mich daher meist über die „Erfolge“ von befreundeten Acts. Man arbeitet doch heutzutage auch eher vorrangig an seiner Relevanz statt an einer irgendwie gearteten Karriere zu basteln. Dazu gehört eben auch, dass man an seinen eigenen Kram glaubt und gar nicht auf die Idee kommt, sich hier vergleichen zu müssen.

Carlo: Hm. Erfolg ist nicht gleich Geld verdienen und Neid ist sowieso Quatsch. Würde ich danach gehen, könnte ich in meinem jetzigen Beruf gar nicht arbeiten bzw. würde ich dabei nicht glücklich werden. Ich versuche immer eine intrinsische Motivation zu entfalten. Das gilt sowohl für die Musik als auch für meine anderweitigen künstlerischen Bestrebungen.

Luca: Ehrlichgesagt halte ich von dem Titel überhaupt nix. Wenn Freunde Erfolg haben, freut mich das ungemein. Ich bin da komplett gegenteilig gepolt: Auch wenn ich stilistisch nicht übereinstimmen sollte, die Loyalität und der Respekt zu der Freundschaft lässt mich auch kein schlechtes Wort verlieren, egal was andere sagen. Wenn ich stilistisch zudem halbwegs auf einer Wellenlänge stehe, dann versuche ich die Bands zu unterstützen, wo immer es auch geht. Neid und echte Freundschaft passen da für mich einfach nicht zusammen.

Alle an Lauter Bäumen Beteiligten arbeiten zum Geldverdienen in Berufen, die mit Musik nichts zu tun haben. Ist das ein Problem für euch? Würdet ihr gern nur Musik und Songtexte machen?

Michael: Hängt mit der vorherigen Frage zusammen. Sicherlich, vor Urzeiten gab es mal den Wunsch von seiner Kunst leben zu können, aber ich denke, es ist eine natürliche Entwicklung, zu erkennen was für einen wirklich möglich ist. Erfolg (s. o.) ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig und nicht jeder Band, die relevanten Kram abliefert, wird auch das Glück zuteil, eine breitere Masse zu erreichen. Damit habe ich abgeschlossen und widme mich nun in meinem Feierabend dem, was mir wirklich Vergnügen bereitet.

Carlo: Hab ich mir – außer vielleicht mit 17 – keine Gedanken drüber gemacht. Musik machen war halt immer da, ohne aber den Druck zu verspüren, damit deinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das wäre mir, wenn ich da jetzt so drüber nachdenke, auch zu eng gefasst und von zu vielen Faktoren abhängig, mit denen ich nicht klarkommen würde.

Lässt sich die Diskrepanz zwischen Leidenschaft und pragmatischem Zwang zum Geldverdienen vielleicht auch kreativ nutzen, im Sinne von Reibung, die Energie freisetzt? Oder ist das Quatsch?

Michael: Die Reibung kommt daher, dass durch die normalen Jobs natürlich eine Zeitverknappung stattfindet, die ich persönlich als enorm anstrengend empfinde. Das tägliche Zeitfenster, um kreative Dinge zu tun, ist klein und da muss man dann immer reinspringen und eben nicht erschöpft in den Feierabend gleiten. Der Nachteil ist natürlich, dass sich Abläufe manchmal ewig hinziehen, weil halt jeden Tag nur drei, vier Stunden zur Verfügung stehen.

Luca: Für mich ist der Beruf neben der Band schon sehr wichtig, weil sich beides gegenseitig voneinander ablenkt und er neue Gedanken und Ideen freimacht.

Auf „Raus“, dem Comeback-Album von Die Regierung, gibt es diese Zeilen „Ja, irgendwie haben wir alle gedacht / da draußen ist viel mehr Kundschaft / mit einem Interesse an der eigenen Geschichte“ (aus „Bemerkenswerte Menschen“) – teilst du diese Sichtweise, Michael? Du bist ja eh Riesenfan von Tilman Rossmy, oder?

Michael: Ja, bin Fan. Wenige haben mich so glücklich gemacht. Rossmy ist auch in den letzten Jahren so geil unterwegs. Er wirkt wie aus der Zeit gefallen und scheint dabei sehr ausgeglichen zu sein. Diese Erwartungshaltung von allen Seiten, dass jetzt karrieretechnisch etwas passiert und man als Künstler bekannter wird, hat er bestimmt genauso durchgemacht. Er war ja auch schon relevant in einer Zeit, in der noch Vorschüsse gezahlt wurden und man Popstar werden wollte. Dieses Musikgeschäft in der Form gibt es ja gar nicht mehr. Zumindest schon mal gar nicht für so schmissige Nuschelrockbands wie Die Regierung. Ich vermute mal, dass er bei Staatsakt jetzt einen festen Hafen bis an sein Lebensende gefunden hat. Das ist schon schön zu sehen.

Der Song handelt ja von dem Gefühl, etwas nicht so geschafft zu haben, wie man es ursprünglich wollte. Es haben sich eben weniger Menschen für die Musik interessiert als ursprünglich von allen Beteiligten erwartet. Das kann man halt auch schwer auf so eine kleine Band wie Lauter Bäumen übertragen. Hier gab und gibt es dahingehend kaum eine Erwartungshaltung diesbezüglich. Wir freuen uns über jedes Konzert und jeden Besucher und dass wir nun schon so lange zusammenspielen und seit 2014 regelmäßig Tonträger veröffentlichen. Das ist ehrlich gesagt schon mehr, als ich erwartet habe, als wir damals mit den Bäumen gestartet sind.

Ich finde, bei Rossmy verbindet sich Verstocktheit mit einer defensiven Lust an Selbstdarstellung. Als ich Lauter Bäumen das erste Mal live gesehen habe, im Sommer 2016, meinte ich etwas Ähnliches bei dir ausmachen zu können, Michael. Du scheinst schon Energie draus zu beziehen, auf der Bühne zu stehen, obwohl du nicht unbedingt ein sozialer Typ bist, oder? Wie gehst du damit um?

Michael: LOL. Ja, du hast schon recht. Ich gehe in den letzten Jahren immer weniger aus und bin grundsätzlich lieber allein. Ich habe gelernt, dass mir so eine selbstauferlegte Reizarmut guttut und mir hilft, die Batterien für den Restalltag aufzuladen. Riesige Konzerthallen und Festivals waren aber noch nie mein Ding. Zumindest als Besucher fühle ich mich dort schnell unwohl. Selber ein Konzert zu spielen ist aber etwas anderes. Da darf man seine Musik präsentieren, das woran das Herz hängt. Da bin ich dann eher wie ein Zirkuspferd und wenn es gut läuft, läuft es wie von selber. Konzerte spielen ist toll, neben Musik auf Tonträger zu bringen, die beiden schönsten Dinge rund ums Musikmachen.

Auf euren Konzerten wurden immer auch einige Stücke gespielt, die bislang unveröffentlicht sind, obwohl sie nach echten Hits klingen. Warum haltet ihr diese Songs zurück?

Michael: Die werden nicht zurückgehalten, wir sind einfach noch nicht dazu gekommen, genug neues Material zu schreiben, um über neue Aufnahmen nachzudenken. Wir müssen dafür auch in ein Studio gehen. Das können wir nicht selber machen. Ich bekomme ja meine eigenen Aufnahmen, also ohne Band, zu Hause kaum vernünftig produziert. Alleine die Abnahme des Schlagzeugs würde mich überfordern. Guido Lucas war ja lange Jahre wie ein fünftes Bandmitglied. In seinem Studio haben wir bisher alles aufgenommen. Er ist ja leider mittlerweile viel zu früh verstorben und diese Möglichkeiten haben wir nun nicht mehr. Perspektivisch müssen wir uns also ein neues kleines Studio suchen, mit dem wir zukünftig zusammenarbeiten.

Spielt dein Alter eine Rolle für dich, Michael? Also in Bezug aufs Musikmachen. Ich hab‘ fast den Eindruck, deine „Getriebenheit“ nimmt zu, kann das sein?

Michael: In 15 Jahren gehe ich in Rente und es gibt den Gedanken, nicht mehr unendlich viel Zeit für alles zu haben. Ich habe immer unglaublich langsam und kleinteilig gearbeitet und mir mit selbst auferlegtem Perfektionismus oft im Weg gestanden. Das habe ich in den letzten Jahren etwas abschütteln können und langsam gelingt es mir, den musikalischen Output zu erhöhen und einfach etwas schneller zu arbeiten.
Die „Getriebenheit“ hat auch zugenommen, weil es immer weniger Gründe gibt, etwas auf die lange Bank zu schieben. Ich habe Jahre vor dem Fernseher gesessen und wirklich viel Zeit mit Nichtstun verbracht. Das kann ich nicht mehr. Die eigene Endlichkeit wird spürbarer und ich habe einfach Bock, noch ein paar Veröffentlichungen rauszuhauen, solange es noch geht.

Ende 2019 ist die 7“-EP „Im Kreis“ erschienen, die du allein aufgenommen hast, die aber dennoch unter dem Bandnamen Lauter Bäumen veröffentlicht wurde. Die Lauter-Bäumen-Songs sind ja in meiner Wahrnehmung immer sehr „persönlich“, aber diese Stücke kommen fast wie des Kaisers neue Kleider rüber, wenn du verstehst. Also ausgesprochen intim, wobei das für die Texte und die minimal gehaltene Instrumentierung gilt. Waren das Sachen, die raus mussten?

Michael:Der Titelsong der EP „Im Kreis“ war ja noch von den Aufnahmen des Albums „Mieser in den Miesen“ übrig, der letzte unveröffentlichte Studiotrack, den wir noch hatten. Neue Aufnahmen mit den Bäumen gab es nicht, aber ich wollte unbedingt einen neuen Release in dem Jahr rausbringen. Daher dann die Idee, zusätzlich alleine etwas aufzunehmen. Ich habe dann „80 Tropfen“ und „Ihr Hund“ an zwei Tagen mit Ralf Rock im ehemaligen BluBox-Studio aufgenommen, kurz bevor die Räumlichkeiten abgewickelt wurden. Meinen Lieblingstrack „Raufaserhände“ habe ich dann noch kurzentschlossen mit Audacity und dem Tascam DP-006 aufgenommen. Ich habe hier also nicht wie sonst im Vorfeld alles vorbereitet. Die drei Titel gab es quasi vor der Aufnahme gar nicht. Das war schön zu sehen, dass dies funktioniert hat.
Das musste insofern raus, weil ich damit meine grundsätzliche Arbeitsweise geändert hatte und die Veröffentlichung als 7“-EP diesen Prozess abgeschlossen hat. Es ist halt wahnsinnig schwer, in einer Band immer alle unter einen Hut zu bekommen, zeitlich und inhaltlich. Da sind kurzfristige Aufnahmen zum Beispiel nicht denkbar. Als Band wird meist alles bis ins Detail ausgearbeitet, bevor man daran denkt, es an die Öffentlichkeit zu bringen.

Worauf unbedingt hingewiesen werden muss, ist die liebevolle Gestaltung eurer Tonträger. Die Vinylveröffentlichungen stecken in stabilen, gefütterten Innenhüllen, der Traum aller VinylsammlerInnen! Und was die Ästhetik angeht, liegt über allem ein toller DIY-Charme, der sofort an die Selbstbestimmtheit denken lässt, mit der heute die frühe Independent-Szene assoziiert wird.

Michael: Die letzten drei EPs „Herz nach vorn“, „Im Kreis“ und „Wer sind wir jetzt?“ sind ja jeweils nur in einer Auflage von 100 Stück erschienen und das ist auch die Idee dahinter. Sobald zwei, drei neue Sachen am Start sind, diese dann sofort zu veröffentlichen und sich auch vom Albumformat zu lösen. Da der Herstellungspreis relativ teuer ist bei so ganz kleinen Auflagen, haben wir uns bisher bemüht, preiswerte Lösungen für die Herstellung des Covers zu finden. Sprich Copyshop und Flyeralarm. Die gefütterten Innenhüllen bekommen wir ab Werk mitgeliefert. Dass das Endprodukt dann so wertig rüberkommt, freut mich. Der Verkaufspreis der EPs liegt auch nur knapp über dem Herstellungspreis. Nur so ist es möglich, die Platten auch zu einem attraktiven Preis anzubieten. Gerne möchte ich an dieser Stelle auf das Presswerk Flight 13 Duplication hinweisen, die machen die Kleinstauflagen erst möglich.

Kannst du etwas über die Wahl der Covermotive sagen, Michael? Wer gestaltet die? Sind das zum Teil gefundene Objekte?

Michael: Da machen wir uns in der Tat immer eine Menge Gedanken. Meist gibt es vorher keine Ideen und wir fangen an, nach Motiven zu suchen. Die Cover mache ich entweder alleine, mit Carlo oder mit einem Freund, der auf diesem Gebiet bewandert ist. Da geht viel Zeit für Abstimmungen drauf. Es dauert immer etwas, bis wir uns einigen können. Ich kann mit den nötigen Programmen nicht gut umgehen und baue die Cover, die ich alleine mache, meist in Word zusammen und leg die dann auf den Kopierer. Ich habe ein Faible für alte Bücher und alte Zeitschriften, die Covermotive für „Herz nach vorn“ und „Im Kreis“ stammen z. B. aus einem alten Medizin-Lexikon.

Gibt es irgendwelche Pläne für dieses Jahr? Kann man überhaupt Pläne machen?

Michael: Ich würde gerne im Sommer 2021 neue Songs mit den Bäumen aufnehmen, weiß aber nicht, ob das dann wieder möglich ist oder ob wir dann immer noch mit der Pandemie derart beschäftigt sind, dass niemand in abgeschotteten Räumen rumstehen möchte.

Carlo: Pläne noch nicht, eher die Hoffnung, bald wieder loslegen zu können. Außerdem wollen wir versuchen, anstatt im Proberaum zusammenzusitzen, die Stücke auf digitalem Wege zu entwickeln. Auch spannend.

Luca: Aktuell sehe ich keine realistische Möglichkeit, irgendwelche Pläne aufstellen zu können.

Unabhängig von der Band – ist es nicht auch manchmal ganz schön, berechtigt zu sein, keine Pläne zu machen?

Michael: Ich empfinde es so, dass durch die Pandemie die Illusion von Kontrolle und Planbarkeit des eigenen Lebens angegriffen wird. Nichts ist mehr, wie es war. Alleine die Tatsache, dass ich längerfristiger einer Lebenssituation ausgesetzt bin, für die ich kein erlerntes Verhaltensrepertoire habe, verursacht bei mir tiefsitzende Unsicherheiten. Das habe ich zu Beginn des ersten Lockdowns gar nicht so empfunden, aber den Kontrollverlust muss man erst mal aushalten können.

Carlo: Ja. Pläne funktionieren eh nur beim A-Team.

Luca: Überhaupt nicht. Pläne zu machen ist doch etwas Großartiges. Ein Ziel, auf das man hinarbeiten kann, über das man sich freuen kann. Keine Pläne machen zu können, bedeutet gleichzeitig auch, nicht spontan sein können. Wenn beides als Triebfedern entfällt, dann ist da nur ein gleichförmiger Brei. Das mag für eine Zeit funktionieren, mein Ding ist es aber nicht.

Michael, mit Tumbleweed Records betreibst du auch dein eigenes Label, wird es dieses Jahr neue Veröffentlichungen geben?

Michael: Die letzte Veröffentlichung stammt aus dem April 2019 und zwar das Album „Nerven geschädigt“ von Brausepöter. Danach habe ich begonnen, mit dem Label eine Pause einzulegen mit der Absicht, mich mehr um meine eigene Musik und mein Privatleben zu kümmern. Die Pause sollte ursprünglich nur bis Ende 2020 gehen, aber ich kann mir vorstellen, dass ich auch in diesem Jahr nichts großartig veröffentlichen werde. Was mir gut gefällt, ist die Produktion von kleinen Vinylauflagen im Eigenvertrieb. Das ist eine Richtung, in die ich gerne gehen möchte. Ich vermute aber, dass es vor 2022 keine neuen Releases geben wird. Aber das kann sich auch schnell wieder ändern, ich will mich da nicht festlegen.

Lauter Bäumen „Wer Sind Wir Jetzt? ist auf  Tumbleweed Records erschienen

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