Peter Kremeier– 20 Jahre „Belong"

Losoul: „Ich habe mich kontinuierlich mit Musik und Gesellschaft eingelassen“

Auf Diggers Factory erscheint dieser Tage die Wiederveröffentlichung des Debut-Albums von Peter Kremeier, besser bekannt als Losoul. Die neun Songs des ursprünglich 2000 veröffentlichten Albums haben keinerlei Staub angesetzt und verblüffen auch heute und trotz des häufigen Hörens noch immer mit ihrer federnd leicht performten Deepness.

Peter Kremeier im Dialog mit Thomas Venker.
Alle Bilder zum Interview stammen aus dem Archiv von Peter Kremeier. 

Peter, wie fühlt es sich für dich an, das 20jährige Jubiläum von „Belong“ zu begehen?
Heute fühlt es sich sehr gut an! Aber die Dinge sind einen weiten Weg gegangen. „Belong’ besteht ja aus Stücken, die ich in der Zeit gemacht habe, in der auch einige der frühen bekannten Maxis auf Playhouse entstanden sind. Sie stellen eine Seite von Losoul jenseits clubbigerer Grooves dar – eine andere Perspektive, bei logischerweise ähnlichem Hintergrund und Erfahrungsschatz. Das Interessante für mich ist, daß sich „Belong“ bis heute – oder vielleicht auch: heute wieder – ziemlich gut in die aktuelle Entwicklung einzufügen scheint.
Von seiner Zeit unabhängig erzählt es eine Geschichte, die vielen in ihrer reduzierten Form sicher nicht unbekannt ist, vielleicht oft aber etwas undercover stattfindet. Gerade das Album-Format bietet ja mehr als die 12-Inches die Möglichkeit musikalisch etwas weiter auszuholen, formell wie inhaltlich. Damals waren elektronische Independent-Alben keine Seltenheit.
Dass die originale Veröffentlichung schon 20 Jahre her ist, finde ich gerade spannend. Ich habe mich kontinuierlich mit Musik und Gesellschaft eingelassen, es ist darüberhinaus schlichtweg mein erstes Album und diesen Stellenwert kann ihm natürlich keiner nehmen. Ich hoffe, es trägt zur Entwicklung des individuell-kulturellen Bewusstseins des ein oder anderen bei.

Hattest du damals im Studio das Gefühl derart zeitlose Musik zu schaffen?
Zeitlos. Immer wenn meine Musik mit diesem Begriff in Verbindung gebracht wird, frage ich mich, was genau damit wohl gemeint ist: entweder ob sich die Musik von der Zeit seiner Entstehung oder Veröffentlichung unabhängig verhält, also nicht der einen oder anderen Mode zugeordnet wird, oder andererseits, ob sich die Musik in ihrem Verlauf nicht an oft üblichen Zeitvorstellungen orientiert und dass dies gerade attraktiv ist.
Beides ist natürlich ein Kompliment und es ist immer etwas Besonderes, wenn Musik über unterschiedliche Zeitalter hinweg verstanden und gemocht wird. Außerdem ist es für mich ja eine Bestätigung, dass ich mich nicht von temporären Strömungen oder Umfeldern einer Zeit zu sehr hab beeinflussen lassen, um dann möglicherweise gemeinsam mit ihnen an Reiz zu verlieren.
Die Komposition entsteht in der Regel schon aus der musikalischen Entwicklung des Moments, gleichzeitig aber vor einem inhaltlichen wie technischen Hintergrund. Mir war schon klar, dass eine bestimmte Ausbalancierung der Grooves die vergehende Zeit relativ unbedeutend erscheinen lassen kann. Das hatte ich aber zunächst als eher individuellen Eindruck eingeordnet. 
Also: ich stehe unter dem Einfluss dessen, womit ich zu einer bestimmten Zeit beschäftigt bin – und das fließt in das ein, was ich dann letztlich aus einer eher abstrakten Erfahrung im Ergebnis als gut erachte. Auch finde ich in den Stücken im Rückblick bisweilen langsame Entwicklungen, Unterströmungen etwa, die wieder im Zusammenhang mit einer ganzheitlichen Betrachtung der ursprünglichen Situation stehen mussten. 
Um auf deine Frage zurückzukommen: ich hatte mir nicht vorgestellt, dass Musik, die ich vor zwanzig oder mehr Jahren aufgenommen habe, heute noch interessant sein würde, weder für mich, noch für andere. Ich glaube allerdings, dass das damals kaum jemand überblickt hat.

Köln, Breakbeats Party (Videostill, ca. 1992)

Fühlt sich für dich die Musik denn überhaupt zeitlos an?
Genau, es war eben kein Konzept, etwas in welcher Form auch immer Zeitloses zu machen. Dieses Attribut wurde der Musik ja eher im Nachhinein von anderen gegeben. Wie gesagt, es geht um das Gefühl dabei, und das hat sich insgesamt für mich als richtig herausgestellt. Es ging mir immer auch darum etwas zu machen, was ich auch so gut wie möglich allgemein repräsentieren konnte und das war dann eben dahingehend befriedigend – auch im Hinblick darauf, dass ich damit interaktive künstlerische Weiterentwicklung betrieben habe. 
Es war wichtig, sich im Umfeld mit sich selbst zu konfrontieren und zu entwickeln. Das ist für viele so sicher kein zentrales Thema gewesen, manche haben lieber auf bestehende formale Strömungen reagiert, oder damit gearbeitet und diese als Vehikel für andere Strategien benutzt. Andere orientierten sich stark an besonderen Referenzen innerhalb oder außerhalb ihres Genres und entwickelten, rechtfertigten und repräsentierten sich vornehmlich auf dieser eher rationalen Ebene. Da gibt es viele Wege. Meiner war eben eine zunächst aktuell glaubhafte wie realistische Quintessenz meines Backgrounds anzubieten und damit zu interagieren. So habe ich Zuspruch wie auch Ablehnung erfahren, ich habe es immer vermieden, mich stilistisch zu assimilieren, oder übermäßig auf spektakuläre Reaktionen hinzuarbeiten. Kritik, Parodie, Rollen, oder ähnliches, das hört man oft in Musik – so ideal wie das jetzt klingt, bekommt man es dann wieder auch nicht immer hin – work in progess.
Was ich in all dem als gefühlte Zeitlosigkeit sehen kann, ist die Dedication an ein Medium und eine Kultur, mit der man einen befriedigenden Austausch findet und erlebt. Das war bei allem Auf und Ab über die Jahre immer motivierend. Es geht ja nicht allein um House, Minimal oder Elektronische Musik als Form, Technik oder Ware, sondern um das Medium als Sprache für ein soziales und kulturelles Wesen. Diesem, wohl zeitlosen Weg sind wir aber im Prinzip alle ausgesetzt und ich hoffe, jeder stellt sich dem – realistischerweise zumindest temporär.

Und wie bist du an das Mastering für das Re-Issue rangegangen?
Du meinst Mastering als Repräsentation seiner Werke oder die technische Optimierung des Sounds für die Herstellung auf Tonträger? 
Ersteres habe ich ich ja schon oben angesprochen, das geht mit der Komposition und Produktion meistens einher.
Das technische Mastering haben wir in die Hände von Stefan Betke alias Pole gegeben. Er hat viel Erfahrung mit Musik, die stilistisch und auch im technischen Ausdruck bewusst eher abseits vom Mainstream unterwegs ist. Wir hatten uns für ein neues Mastering entschieden, da das originale zwar von einem alten, sehr erfahrenen Toningenieur durchgeführt wurde, dafür jedoch wohl mit den damals neuen digitalen, eher neutral klingenden PlugIns gearbeitet wurde und auch nicht die Lebendigkeit und Edge herausgearbeitet wurde, die mit ausgesuchtem analogem Equipment in den Händen eines entsprechend motivierten Technikers möglich ist. Die Musik ist damals fast komplett mit klassischer Hardware produziert worden (wir sprechen etwa von den Jahren 1996 bis 1999), da war eine adäquate Weiterbearbeitung sinnvoll. Damals hatte man darauf im ersten Digital-Hype aber noch nicht so geachtet – und viele der frühen digitalen Werkzeuge waren noch nicht so weit entwickelt.

Plattenladen ‚Superior Elevation‘, Brooklyn – und anderswo.

Du hast, bevor du selbst zu produzieren begonnen hast, deine musikalische Sozialisation in Clubs wie dem Omen und dem Dorian Gray erfahren. Wäre der Produzent und DJ Losoul ohne den Tänzer Peter Kremeier denkbar gewesen?
Ja, tanzen und körperliche Erfahrung sind für elektronische Tanzmusik, die auch noch neuartig sein will, natürlich key. Ich bin allerdings kaum wirklich ein Kind des Omen oder ein ausschließlicher Dorian Gray-Dancer gewesen, obwohl ich seit Ende der 80er öfter da war und im Dorian Gray später sogar ein paarmal gespielt habe.
Ich bin ja ursprünglich aus Köln und erst 1989 ins Rhein-Main-Gebiet gekommen. In Köln war ich, was Musik angeht, mehr into Black Music, also Funk, Soul, Disco, etwas Jazz, dann natürlich HipHop, der sich Sound- und Samplemäßig ja stark an den vorgenannten Genres orientiert hatte und eben House und Acid House. Ich kannte auch Leute, die mehr mit Indierock, Punk, Wave/Industrial, Britpop oder auch Metal zu tun hatten, aber in den 80ern waren die Subkulturen noch eher getrennt, lange hatte man sich untereinander oft nicht respektiert und erst in den späten 80ern haben sich die Szenen unter anderen ausgehend vom zeitgenössischen Summer of Love in der englischen Rave- und Acidhouse-Szene angenähert.
Mir ging es immer eher um den Groove und die Edge von Funk, die emotionale Progression des Soul und die Entgrenzung des Jazz, wenn man das bei einem Teenager überhaupt schon sagen konnte. Heute weiß ich aber, dass es schon so war, nur dass ich es vielleicht noch nicht so in Worte gefasst habe – man ist in dem Alter ja auch mit vielem anderen beschäftigt.
 In Köln war ich Ende der 80er meistens im Rave Club unterwegs, wo für die damalige Zeit bemerkenswert coole und spezielle Musik gespielt wurde, es lief ausgesuchter House, Techno, Acid, EBM, bisweilen auch HipHop und Soul. Dann gabs ja die üblichen Clubs wie Neuschwanstein, Wartesaal und Tor3. Da war die Musik mainstreamiger, getanzt haben wir aber auf jeden Fall, hehe..

Kannst du ausmachen, was in dir den Wunsch geweckt hat, selbst Musik für die Dance floors zu produzieren?
Naja, es war eben im erweiterten Freundeskreis so, dass viele von uns Platten gekauft und wir Mixtapes aus den Clubs getauscht haben, dazu kamen erste Auflege-Aktivitäten auf lokalen Parties. Ich habe mich auch immer für die Technik interessiert und besass schon Mitte / Ende der 80er einen Vierspur-Recorder und ein kleines Mischpult, womit ich erste Megamixe aufgenommen habe. Ich habe auch mal einen Synthesizer ausgeliehen und mit Tracker-Software auf meinen Commodore Computer dann gesampelt und arrangiert. Das Technische habe ich mir damals relativ easy angeeignet und Kontakt zu Leuten mit ähnlichen Ideen hatte ich auch, es gab ja noch nicht so viele davon wie heute – es war Pionierarbeit, eben auf einem gewissen DIY-Level.
Das Ausschlaggebende war aber die Verbindung zwischen den damals für uns neuartigen Skills und der sich allgemein entwickelnden Szene der elektronischen Musik mit Clubs, Parties und den dazugehörigen Leuten. Es entwickelte sich eine lebendige Community zwischen Style, abstrakter Energie und Idealismus. Klassische Raver waren wir eher nicht, aber wir kannten uns schon ganz gut aus. Das Gefühl des körperlichen Ausdrucks, so basic es auch war, war neben der sich langsam entwickelnden künstlerischen Ambition, sicher eine der Hauptmotivationen.

Und siehst du bei der Selbstanalyse des Produzenten Losoul gewisse typische Soundmerkmale und Abläufe im Studio?
Naja, es wurden ja immer mehr Skills erarbeitet, andere wieder verworfen – das hängt mit Vielem zusammen. Was über die Jahre beibehalten wurde, ist sicher die Orientierung am Jam. Entweder wurden Stücke tatsächlich in einem Take aufgenommen oder in dem Vibe produziert. Das ist eine Produktionsweise und auch eine Perspektive, die man pflegen kann. Ich hab früh in den 90ern meinen ersten Sampler und einen Atari Computer angeschafft und seitdem immer wieder neues interessantes, oft spezielles Equipment gefunden, um die Möglichkeiten zu erweitern. Abgesehen vom erwähnten Vierspur-Recorder und Mischpult hab ich lange nie etwas verkauft. Inzwischen weiß ich schon, was ich eher brauche und habe auch mal etwas abgestoßen, dann auch aus Platzgründen. 
Ich habe kaum bestehende Musik zum Vorbild genommen, eher ein direktes Gefühl für den Moment entwickelt bzw. Input zumindest durch eine eher ganzheitliche Erfahrung katalysiert, danach eben Sounds programmiert oder gesamplet, Rhythmen eingespielt etc. Manche haben ja geübt, indem sie den Sound oder das Arrangement anderer nachgebaut haben – sicher geht es auch um bestehende Strukturen, aber da Musik, besonders elektronische oft eine sehr direkte Erfahrung ist, die vom Moment lebt, hat es für mich immer am meisten Sinn gemacht, dies auch beim Produzieren zu praktizieren.
Selbstanalyse ist immer so eine Sache. Man arbeitet ja viel aus der Intuition heraus und reflektiert dann bestenfalls im Nachhinein. Es gibt sicher gewisse Sounds, bestimmte Filterungen, typisches Sampling, harmonische Besonderheiten, eine Dynamik im Rhythmus, die ich über die Jahre entwickelt habe.. so denke ich, dass jeder Produzent, der authentisch bleibt, da persönliche Merkmale hat, das macht sie oder ihn ja aus: ein Gesamtbild.

Losoul ist ja nur eine – wenn auch die bekannteste – deiner künstlerischen Identitäten. Wie grenzt du das Projekt denn von Silhouétte Eléctronique, Don Disco, LoMotion, Nuclear, Projam und Project Remark ab?
Die Pseudonyme muss man jeweils unterschiedlich sehen. Silhouétte Eléctronique war ja kein Pseudonym, sondern der Name der EP, die Ricardo und der Labelbetreiber damals mit mir geteilt hatten. Wir standen da glaub ich klein mit unseren bürgerlichen Namen drunter – das war eine spezielle Zeit. Die Zeit der Rave-Exzesse war kaum vorbei und die Musik wurde diverser. Mein Stück war 18 Minuten lang – ein psychedelischer Techno-Jam, Ricardo’s Stück wurde in der Frontpage-Review damals als lustiges Techhouse Stück beschrieben, obwohl es wohl ernstere Erfahrungen zum Thema hatte.

Plattenregal, Ikea Expedit (frühe Version, modifiziert), Offenbach

Die LoMotion ist kurz vor der ersten Platte auf Playhouse erschienen. Ich hatte damals erkannt, dass eine gewisse Lowness, also eine besondere Einfachheit oder auch Grassroots-Attitude in Produktion und Musik zu mir passt und der Teil des Namens, eben in Verbindung mit –motion oder –soul erschien mir als gute Basis für weitere Ideen. Inzwischen haben sich Skills und auch die technische Ausstattung natürlich deutlich entwickelt – die Einstellung, sich Projekten immer wieder neu zu nähern, ist aber nach wie vor geblieben.
Nuclear, Projam und Project Remark kamen etwas später ins Spiel. Da ging es tatsächlich um stilistische Abgrenzung oder auch inhaltliche Richtung. Außerdem hatten wir bei Playhouse zuerst Exklusivität vereinbart, was dann allerdings später anders verhandelt wurde. 
Don Disco schließlich war mein früherer DJ-Name innerhalb unseres Superbleep 3000 Soundsystems, das wir seit Anfang der 90er hatten. Es war damals eher üblich, dass an einem Abend oder sogar innerhalb eines DJ-Sets verschiedene Styles liefen – wir waren um die Zeit zum Beispiel mal bei einem Jeff Mills Gig und er hat in einem Techno Set dann irgendwann Stücke mit Piano-Hooklines gespielt, natürlich funky und fast bildhaft abstrakt. Oder Super DJ Dmitri von Deeelite spielte alles zwischen House, Breakbeats und Drum’n’Bass. Auch bei uns hatte jeder DJ ein weiteres Repertoire an Styles – ich war eben am ehesten auch House und Disco, während die anderen mehr in Richtung Detroit Techno, Chicago Tracks oder Acid gespielt haben. Da hatte ich dann irgendwann für mich Don Disco gefunden. Später hatte ich dann auch einige Veröffentlichungen unter diesem Namen, die psychedelisch und abstrakt waren aber in sich ein gewisses Discofeeling mit sich brachten. Es waren andere Zeiten..

Du hast zwischen 1994 (als deine erste Maxi „Affected“ auf Placid Flavour erschienen ist) und 2009 (als die beiden Maxis „Slightly / Gridlock“, „Up the Beach“ und das Album „Care“ auf Playhouse erschienen) sehr kontinuierlich Musik unter dem Signet losoul heraus gebracht.
Was passierte damals, dass danach erstmal bis 2014 Stille herrschte – dem Jahr in dem du dein Label Another Picture gestartet hast? Spielte die Labelpleite von deiner Homebase Playhouse eine entscheidende Rolle?
Für mich gab es die von dir erwähnte Stille nicht. Es gab zwischen 1994 und heute kein Jahr, in dem ich nichts veröffentlicht habe – und wenn man Remixes mitzählt, war 2010 das Jahr, in dem ich die meisten Releases überhaupt hatte. Außerdem bin ich ja seit Mitte, Ende der 90er auch regelmäßig zum Spielen unterwegs. Auch das hatte sich ziemlich entwickelt, mein letzter Reisepass war fast komplett voll..
Playhouse war natürlich eine wichtige Zeit für mich und ich erinnere mich gut und gerne an die Situation mit Ata, Heiko, Jörn und Roman – ein Spannungsfeld, in dem sich viel entwickelt hat. Ich bin ja seit dem sechsten Release des Labels dabei gewesen und wir sind dann gemeinsam gewachsen. Das hat definitiv verschiedene Phasen durchlaufen und wir haben über die Zeit ziemlich viel erreicht, was wohl auch dieser internen Diversität zu verdanken war.

Studioakustik, Offenbach, Jahr unbedeutend

Leider war ab ca. 2004-06 der Laden abgefrühstückt, die Spannungen waren unüberbrückbar geworden beziehungsweise haben sich einige dort untereinander kaum noch ernst genommen – so verändern sich Selbst-Wahrnehmung und geschäftliche Prioritäten mit dem Speiseplan und gesellschaftlichem Feedback. 
Es ging dann eher um hedonistische wie populistische Carelessness. Das kann im Prinzip ja geil sein und eine gewisse Wegwerfmentalität war auch der Style der Stunde mitten im gut laufenden 80er Revival. Da konnte man irgendwann eben nur die frühen spezielleren Produktionen auf Klang Elektronik nicht mehr als feinsinnige Referenz hinzuziehen – das war bisweilen dann auch kaum einem wichtig. Einige Protagonisten haben das sinkende Schiff dann verlassen und es seinem kaum mehr abwendbaren Schicksal überlassen. Ich hatte mich auch ab dieser Zeit schon neutral der Sache gegenüber verhalten und inhaltlich relativ unabhängig weiterveröffentlicht und getourt. Ich war auch wirklich froh über das neu erwachende allgemeine Interesse an klassischer House Music zur gleichen Zeit und habe mich speziell als DJ entsprechend meiner Wurzeln auf das konzentriert, womit ich mich gut auskannte. Das eigene Label kam dann ja erst Jahre später und war eigentlich keine Notwendigkeit, da es durchaus genug Möglichkeiten gab, auf anderen Labels zu veröffentlichen, wovon ich zunächst wahrscheinlich sogar mehr gehabt hätte. Another Picture habe ich tatsächlich aus reinem Interesse und ja, Neugier an Labelarbeit gegründet. Ich habe damit praktisch bei Null angefangen und auch erst alles vorfinanziert. Mir war auch bewusst, dass 2014 sicher nicht der beste Zeitpunkt war, ein neues Label zu gründen. Trotzdem kann ich aber sagen, dass es für die heutigen Verhältnisse gut läuft und ich zufrieden bin damit, wo es hingekommen ist. Ein Dank an dieser Stelle an alle Unterstützer und die, die unseren Sound weiterverfolgen oder neu entdeckt haben!

Live Act, Nitsa Club, Barcelona, ca.2002

Ich mag an „Belong“ sehr, dass das Auftaktstück den bestimmenden Titel „Taste Not Waste“ trägt. War das eine Ansage an jemand spezielles damals oder eher ein Mantra an dich selbst?
Normalerweise mache ich Musik aus einer Situation heraus, und die Titel werden dann dazu in Worte gefasst. ‚Taste Not Waste‘ hatte sich als passende Beschreibung einer vorherrschenden, auch temporären Situation herausgestellt, mit der die Geschichte des Albums gut beginnen und sich weiterentwickeln konnte. Mantra wäre zuviel gesagt, aber es war eine Idee, die im Nachhinein als Reflektion des Moments als geeignet erschien.
Es gibt ja, wenn man sich mit seiner Musik, oder Kunst entwickelt, zum Beispiel die Möglichkeit Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft zu beschreiben, beziehungsweise als Ausdruck dessen zuzulassen. Manche schauen auch nur, was andere machen und beschreiben dies von außen und essen mit den Hörern Popcorn. Damit bliebe man bei den geschäftlichen Parametern und es fehlt dann die Erfahrung der eigenen Involvierung. Betrachtung allein kann das kaum ersetzen und bleibt oft stereotyp. Damit nimmt man als Künstler kaum ernsthaft an der Kultur teil und bleibt eher bei einer Referenzensammlung.
Der Titel meint auch, dass man sich wohl nicht permanent intensiven Erfahrungen aussetzen muß und so eine gewisse Kultiviertheit mit sich selbst finden kann – zugunsten einer authentischen Lebenshygiene. Stay healthy!

Das Album endet mit „Trust“, was mich nochmals zu Playhouse und den Betreibern Ata, Heiko, Roman und Jörn bringt. Wie wichtig war für die Entfaltung von Losoul denn das Wissen um die vier als vertrauende Personen im Hintergrund, nicht zuletzt da sie ja auch selbst Produzenten und DJs im eigenen Recht waren.
Gut, der anfängliche Grund, weswegen ich mich auf eine Zusammenarbeit mit Playhouse eingelassen hatte, war, dass wir uns aus dem Plattenladen Delirium wie auch von den frühen Parties von zum Beispiel Ricardo kannten, Außerdem waren Ata und Heiko fast die einzigen DJs in Frankfurt, die überzeugend gute House Music gespielt hatten. Das hatte mir gereicht, um ihnen Demo-Tapes zu geben. Die folgende Zusammenarbeit hat sich ja bekanntermaßen als insgesamt sehr gut herausgestellt. Es gab sicher unterschiedliche Interessen, aber ich denke, jeder hat für sich da das Passende gehabt, und ich kann sagen, dass man sich über weite Strecken auf der musikalischen Ebene gut verstanden hat. ch fand es an einem gewissen Punkt uninteressant, dass die Firma inhaltlich wie geschäftlich stark veränderte Prioritäten entwickelt hatte und dann zunehmend an Moden und Retro-Referenzen orientiert gearbeitet hat, um so eine bestimmte Zielgruppe zu bedienen. Man hätte sich im weiteren Verlauf auch gemeinsam authentisch weiterentwickeln können und auf der Basis eine Community pflegen können, die weniger auf Abgrenzung basiert. Vielleicht ist in Frankfurt dafür aber auch einfach nicht genug Platz.

Sleeve Spines

Soweit, so strukturell gefragt. Hört man „Trust“ muss man aber natürlich sofort an Us-amerikanische Soul-, Funk- und Disco-Musik denken, wie oft bei dir. Wieviel verdankt Losoul denn den Einflüssen afroamerikanischer Musik der 1970er und 1980er Jahre?
Solange ich denken kann, fand ich – vereinfacht gesagt – Musik immer interessant, wenn der Rhythmus funky und die harmonische Entwicklung soulful und dabei glaubwürdig war. Sicher bin auch ich mal Kitsch aufgesessen, aber mit der Zeit wurde man da sicherer. Schon in Kindertagen gab es bei uns Zuhause auch öfter Black Music, es gab Platten von meinen Eltern oder Verwandten, die eben Soul oder Jazz waren. Dann lief auch viel Radio und das war im Kölner Raum ja kulturell durchaus vielseitig. Ich habe auch Verwandte in Ostafrika – mein Onkel ist in den 70er Jahren als technischer Entwicklungshelfer dorthin und hatte lokal eine Familie gegründet, spricht Swaheli etc.; sie sind bis heute da und ich war auch ein paarmal zu Besuch. Dann gab es in meinem schulischen Umfeld auch immer Familien mit unterschiedlichen Hintergründen und auch in dem Zusammenhang haben wir einiges an Funk, Soul und Jazz und eben später Electro und Hiphop gehört.

Interessanterweise haben die Leute in den 80ern noch House und frühen Techno eher abgelehnt, aber wir wissen ja, dass zu der Zeit die Subkulturen sich untereinander nicht immer einig waren. 
Was ich zweifellos sagen kann, ist, dass klassischer Soul und Funk eben bezüglich Rhythmus, Emotion und auch Sound für mich eine gefühlte Referenz waren und bis heute zum Teil noch sind. Wenn ich ehrlich bin, kann ich natürlich ethnisch nur begrenzt mitreden, da ich zum Beispiel Rassismus nie selbst kennenlernen musste, auch wenn ich ihn schon recht früh woanders sehen konnte. Ich sagte schon, dass für mich die Musik durch ein authentisches Moment katalysiert funktioniert – und so war und ist auch der Soul Aspekt für mich auch durch die eigene kulturelle wie auch emotionale Erfahrung motiviert. Das war dann in der Regel unabhängig von einem ethnischen Hintergrund.

Ich glaube, jeder hat seinen sozialen oder persönlichen Weg, und darin sind wir zunächst alle zunächst bei uns selbst, das eint die Menschen auf einem sehr grundlegenden Level. Auch wenn ich in den 80ern viel HipHop gehört habe und darin zum Teil viel auf dicke Hose gemacht wurde, war es nicht meine Absicht den 70er Pimp oder 80s Ghettogangster zu spielen, auch wenn das ein Spiel mit Potenzial sein kann. Es ging mir immer um eine bestehende Situation, die ich selbst kannte oder als allgemein real empfinden konnte. 
Losoul verdankt dem Soul sicher a whole lotta inspiration and some soundwise and emotional directions, aber das aktuelle Leben ist voll von lokaler Realität und unsere Kultur braucht Ideen und Bewusstsein zur Weiterentwicklung. Wieso soll man da den Affen machen, der man nicht ist? Aber sich von anderen Kulturen auf Ideen bringen zu lassen kann nie schaden – es ist Austausch.

Ich frage das auch im Kontext von „Black Lives Matter“ und den daran anschließenden Diskussionen in der Elektronischen Musikszene zuletzt, bei denen es darum ging, ob man als Gemeinschaft den originären Innovatoren immer den notwendigen Respekt und die notwendige Anerkennung hat zukommen lassen. Wie hast du diese Diskussionen wahrgenommen?
Wie bereits angesprochen, ist die Debatte oder der Umgang mit dem Thema allgemein für mich nicht ganz neu und als (vor Corona) bisweilen weltweit reisender Künstler kommt man oft mit sehr unterschiedlichen Menschen zusammen. Das ist eins der Dinge, die mich an meiner Arbeit immer besonders gereizt haben. Ich frage mich, wieso so viele Leute die Missstände und Vorurteile nicht einfach dadurch hinter sich lassen können, dass sie von sich aus eine Denkweise und eine Praxis leben, die sich von zum Beispiel rassistischen Strukturen komplett unabhängig macht. Warum können sie in einer Begegnung nicht auf den Menschen selbst eingehen – for a start? 
Wie ich es zur Musik schon sagte, es gibt menschliche und kulturelle Grundlagen, die jeden betreffen können. Da spielen unterschiedliche Herkünfte eine nur nachgeordnete Rolle. Mir ist klar, dass ich als tourender Künstler immer nur ein paar Tage, bestenfalls Wochen an einem Ort war und die Menschen kaum sehr lange in ihren alltäglichen Leben treffe, aber es geht ja im Einzelnen um Impulse, die jeder geben kann und die die Situation stückweise insgesamt verbessern können. Leider gibt es ja aktuell wieder Rückschritte, besonders in unserer relativ gesättigten Erstwelt, und viele gehen dazu über, bei Wegfall von für selbstverständlich gehaltenen Bequemlichkeiten andere, oft an Äußerlichkeiten erkannte Minderheiten und ‚Fremde‘ als Schuldige hinzustellen. Das hat wohl oft wiederum mit fehlender Bildung und Erfahrung zu tun, wodurch diese Menschen einerseits selbst keine befriedigende Lebenssituation für sich erarbeiten können und daher zunehmend empfänglich sind für fremdenfeindliche Parolen von Populisten. Das passiert in der Politik wie auch in der Meinungsbildung allgemein. Ich bin sicher, das brauche ich hier kaum jemandem zu erklären, aber ich glaube, man muss es sich in seiner Einfachheit immer wieder vor Augen halten.

Keep your Champagne and Synths fresh (Auckland 2018)

Man kann sagen, dass du von Mitte der 1990er Jahre an ziemlich schell ein integraler Teil der Geschichte der elektronischen Musik geworden bist, nicht nur wegen der großen Hits wie „Open Door“, sondern primär wegen deines signifikanten Sounds und der hohen Dichte an Releases über einen langen Zeitraum, die dich haben herausstehen lassen. Inwieweit nimmt man selbst als Künstler seine Rolle in dem größeren Koordinatensystem war?
Danke für das Kompliment, aber ich glaube, das muss man weiter differenzieren. Sicher habe ich mit ein paar mitgebrachten Aspekten in meiner Musik einiges erreicht und auch den ein oder anderen Einfluss auf andere ausgeübt. Das ist aber natürlich nicht die ganze Geschichte.
Als Protagonist habe ich wohl einen ziemlich eigenständigen Stil gefunden und diesen mit der Zeit in der Musik, in der Produktion wie auch in der Erscheinung und Einbindung entwickelt. Dabei sind definitiv verschiedene Phasen durchlaufen worden – es wurde ja schon über frühe Sozialisation und die Entwicklung mit Playhouse und Another Picture gesprochen. Beibehalten wurde offensichtlich eben ein grundlegender Soul-Bezug wie eine gewisse Reduktion auf das Wesentliche. Andere Zusammenhänge haben sich entwickelt, auch zum Zeitgeist.
Schaut man genauer hin, habe ich zum Beispiel ja ziemlich früh recht individuell loopbasierte Musik gemacht und, obwohl das lange nicht sehr hoch angesehen war im weiteren musikalischen Umfeld, ist sie doch auf ihre Art speziell. In meinen Stücken kamen immer Feinheiten und Entwicklungen vor, die aber von einigen Leuten im Alltag kaum wahrgenommen wurden, da sie sich sonst wohl eher mit klassisch arrangierter Popmusik und entsprechendem Sozialverhalten umgeben haben und dadurch für diese Feinheiten desensibilisiert waren. Die Musik hat sich dann für viele eher im Club entfaltet, wo sich die Leute entspannter auf die Musik eingelassen haben, die sie umgeben hat. Da im Musikgeschäft einiges an Konkurrenz besteht, war es dann früher auch schnell so, dass einige Leute dann tatsächlich einfache loopbasierte Stücke abgeliefert haben, weil das ja wie Losoul oder andere ähnliche Künstler sei und dann ja im Club genauso funktionieren müsse. Man hat auch in anderen künstlerischen Genres öfter gesehen, dass die speziell einfache Form von einigen erfolgreichen Werken kopiert wurde, es dann aber gescheitert ist – entweder, weil eben beim Kopieren viele Feinheiten nicht wahrgenommen wurden oder – noch einleuchtender – es bei der Kopie eben keinen authentischen Hintergrund gab, da ja nur ein Teil der Form übernommen wurde. Andere haben genau das wiederum zur Kunstform erhoben und es zum Beispiel als ‚Super‘, also quasi als Parodie oder auch als wertfreies bzw. anwendbares Muster verkauft. Das hat dann über die Humor-, Service oder auch Neidschiene funktioniert, wie vieles in der Unterhaltung.
Why not?

Tatsächlich wurde aber auch durch die breitere Akzeptanz von loopbasierter Musik zum Beispiel auch denen eine Tür zur Musikproduktion geöffnet, die sich tatsächlich bei klassisch nach Songschema arrangierter Musik nicht wiedergefunden hatten. Elektronische Musik war ja auch lange eine Alternativkultur zur regulär produzierten und präsentierten Pop- und Rockmusik und es gab ja auch schon lange vorher alternative wie innovative Bewegungen in verschiedenen Musikrichtungen. Das wird inzwischen fast klassischerweise als gute Sache gesehen, jedoch bringt dies auch immer eine qualitative Inflation mit sich, wenn hier nur die potenzielle Arbeitserleichterung gesehen wird – oder wenn der Schritt zum bisher nicht akzeptierten die alleinige Attraktion ist.
„Belong“ war dann trotz – oder vielleicht auch wegen – seiner Eigenständigkeit und unprätentiösen Konsequenz bemerkenswert erfolgreich. Ich glaube, es war sogar überraschenderweise Spitzenreiter in den damaligen Album-Charts im Groove-Magazin und ein bekannter Kölner Musikjournalist schrieb, so ein Album würde wohl ‚von der Konkurrenz nur schwer zu emulieren sein‘. Im Nachhinein eine dankbare Erinnerung – oder tatsächlich auch Satire.

So sehr es natürlich individuelle Veröffentlichungen sind, die die Positionierung bestimmen, so wichtig ist auch der Zeitgeist um einen herum. Wie geht es dir persönlich denn mit Begrifflichkeiten wie Minimal und Microhouse, die unmittelbar und im Fall von Microhouse später mit deiner Musik verbunden wurden? Magst du solche Zuschreibungen?
Ich kann nicht unbedingt sagen, dass zum Beispiel meine ersten Veröffentlichungen, die man dann später als Microhouse bezeichnen sollte, seinerzeit nicht dem Zeitgeist entsprochen hätten. Ich war vielleicht in meinem musikalischen Background recht gemischt sozialisiert und das findet sich sicher in der Musik wieder – von daher war das bei einigen Stücken vielleicht eine Besonderheit. Zur zeitgenössischen Musik hatte das meiste aber schon gepasst und ich habe meine Stücke auch immer wieder in Clubs gehört.
Der Begriff Microhouse ist okay für die Musik, es ist nur manchmal erstaunlich, welch unterschiedliche Musik unter einem solchen Begriff zusammengefaßt wird. Das ist heutzutage aber auch eine positive kulturelle Entwicklung: Musik ist weniger an Orte oder kulturelle Hintergründe gebunden, sondern daran, was jemand individuell machen und repräsentieren kann. In Zeiten von Identitärer Bewegung und wiederaufkommendem völkischem Bewusstsein halte ich das für einen guten Beitrag zur Verständigung. Es ist auch immer eine echte Qualität der Musikszene gewesen, dass man sich über Grenzen vieler Art hinweg auf die Musik und ihre Ausdrucksformen einigen konnte.
Nach „Belong“ habe ich übrigens auch Musik gemacht, die Einflüsse von 80er New Wave hatte – viele werden sicher sagen, auch diese Musik war immer ‚Losoul‘, aber ich hatte mich auch für die Pop und Wave-Kultur, die ab circa 2000 vermehrt revivalt wurde interessiert beziehungsweise habe sie ja zum Teil selbst miterlebt und konnte davon zehren. A Aber ich bin dann wie gesagt später auch wieder mehr zurück zu meinen House-, Funk- und Soul-Wurzeln gekommen.

Raum 303

Ich frage, da man einerseits versteht, wieso sie derart kontextualisiert wurde, andererseits habe ich in der Musik immer eine große Tiefe gefunden, ja fast schon das Versprechen eines endlosen Klangraums, gerade wegen der Wärme und des kreisend-zughaften Charakter der Sounds. Also einerseits minimale Produktion, andererseits aber maximale Wirkung. Gibt es denn spezifische Produzent_innen, zu denen du selbst eine musikalische Nähe empfindest? Und was denkst du warum das dir bei diesen so geht?
Ich weiß gerade leider nicht, was du hier als Kontext heranziehst und worin ein Gegensatz zur Tiefe bestehen soll. Ich glaube, Begriffe wie Minimal sind ziemlich dehnbar oder zumindest kaum an konkreten Sounds oder Strukturen festzumachen, sondern ein der Musik zugeschriebener Vibe, der genau wie du sagst, eben über weite Strecken eine für alle Beteiligten offen gestaltbare Atmosphäre bietet, die den gemeinsam erlebten Raum zum Thema hat. Sicher haben in der ein oder anderen Saison bestimmte Sounds oder Assoziationen besonderen Erfolg gehabt, aber die Entzerrung und auch die Abstraktheit hat hier auch eine so grundlegend menschliche Qualität, dass das Genre in seinem im Vergleich zurückhaltenden Ausdruck sehr weite, aber subtile Entwicklungsmöglichkeiten hat – innerhalb eines Sets wie auch über die Jahre hinweg. Wahrscheinlich meinst du das mit ‚Maximaler Wirkung‘.
Unabhängig davon schätze ich, dass sich das vor zwei oder mehr Jahrzehnten so niemand ausgemalt hatte und man sieht, wie sich eine Kultur bei gewissenhafter Pflege fast unbemerkt verselbständigen kann. Das ist schon bemerkenswert – auch die Tatsache, dass gerade Microhouse relativ wenig retro ist, wenn man von etwa 25 Jahren kontinuierlicher Entwicklung ausgeht. Soul lebt auch von Utopie. Die Verfügbarkeit von sehr viel geschichtlicher Information im Internet hat ja zu einer Übersättigung an Inspiration aus der Vergangenheit geführt und so ist sehr viel Musik entstanden, die retro ist. Auch hier ist die sogenannte Minimalkultur im Vergleich wohltuend, aber gleichzeitig auch oft aufreizend progressiv und wenn nicht zukunftsweisend, dann doch zumindest, ja: zeitlos. ☺ Wärme ist allerdings sicher eine Frage der Produktion und hier haben inzwischen viele Produzenten tatsächlich einiges an technischen Skills aus der Geschichte gelernt. Außerdem bauen auch viele Hersteller von Studioequipment zunehmend Schaltungskonzepte aus den letzten 50 Jahren in neue Geräte ein – das führt zu wieder weiteren Verbindungen zwischen neu und alt, hier eben auf der Soundebene.

Hong Kong Seitenstrasse

Wie siehst du denn den Status Quo der Elektronischen Musik heute im Abgleich zu den Tagen als du angefangen hast?
Als wir angefangen haben, war ja vieles ziemlich neu und als Tätigkeit noch weniger bekannt. Vergleichsweise wenige haben sich auf die Arbeit als Künstler eingelassen. Das Musikgeschäft war noch zu einem bedeutenderen Teil traditionell von der Arbeitsweise größerer Firmen geprägt und die Musik selbst war oft noch sehr aufwendig in auf Zeit gemieteten Studios produziert. Da waren unsere kleinen, immer noch hardware-basierten Studios zuhause schon fast revolutionär, vor allem, weil wir damit auch mal Produktionen hinbekommen haben, die dann zum Teil vor Hunderten oder gar Tausenden von Leuten gespielt wurden.
Anfang bis Mitte der 90er war vieles in der elektronischen Musik für uns noch Pionierarbeit und so hat es sich auch angefühlt. Vieles war neu, sollte ja aber erst der Anfang sein. Ich erinnere mich daran, dass ich 1997 meine erste Veröffentlichung auf einem amerikanischen Label hatte und man das Projekt noch per Telefon, Fax und Briefpost organisiert hatte. Man brauchte für alles mehr Zeit. 
Das „Belong“ Album entstand in einer Zeit, als es auch viel interessante, nicht sehr kommerzielle Popmusik gab. Ich sehe das Album auch in diesem experimentierfreudigen Independent-Pop- Elektronik Feld, nicht nur bezogen auf die Musik selbst, sondern auch auf die Repräsentation. Das vermisse ich heute schon. Man hatte weniger Referenzen, an denen man sich orientieren konnte und musste so mehr selbst zu etwas stehen.

Chinesische Hühnerfuß-Snacks, Supermarkt Chengdu, China (2018)

Um diese Zeit herum bekamen wir dann alle Internet und die digitale Technik machte sehr vieles, was an Instrumenten und sonstigem Equipment für die meisten lange Zeit unerschwinglich war, auf einem offenbar befriedigenden Qualitätslevel in emulierter Form zugänglich. Bei der sich daraus ergebenden Retro-Mode konnten nun mehr Produzenten die favorisierte Musik mit noch weniger Aufwand herstellen, vor allem auch, weil im Internet fast unendliche Inspiration aus der Geschichte der Musik zu finden war, während man zuvor ältere Musik in Plattenläden und Plattenbörsen suchen musste. Später hatte der digitale Musikmarkt die Preise für Musik stark gesenkt. Viele haben darauf ein eigenes Vinyl-Label gegründet, da sich das vielen Leuten zeitweise auch als überschaubares und dankbares Projekt offenbarte und die bestehenden Labels nicht die immer mehr werdenden Künstler aufnehmen konnten oder wollten.
Das Ergebnis ist eine gefühlte Entwertung von Musik an mehreren Stellen gleichzeitig und es wurde sich zunehmend auf Vermarktung und die Erscheinung des Künstlers als Person konzentriert, unter anderem deswegen, weil mit den Veröffentlichungen kaum noch verdient wurde und man das mit Auftritten aufholen musste, die eben im Aufmerksamkeitswettbewerb angebahnt werden mussten. So konzentriert passiert das allerdings nur in einem Teilbereich der Szene und man kann mit etwas fundiertem Background und spezielleren Ideen oder Dienstleistungen durchaus etwas erreichen. Das hat sich über die Jahre tatsächlich kaum geändert. Trotzdem ist die aktuelle Struktur kaum mit dem Umfeld von vor 20 oder fast 30 Jahren vergleichbar. Es wird in der Musik wie auch im Geschäft genauso nach neuen Wegen gesucht und man kann bis heute seine Aktionen nicht komplett im Voraus überblicken. Es gab früher wie heute Leute, die etwas bewegen wollten und andere, die eher mitgesegelt sind. Größere Firmen scheinen es auch vor Corona eher leichter gehabt zu haben, waren aber auch oft weniger beweglich. Allgemein ist das Umfeld aktuell schon ziemlich stark beansprucht und müsste wohl gesundschrumpfen. Vielleicht passiert das ja durch Corona. So sehr die Szene langfristig unter den Wegfall der meisten Veranstaltungen leidet und zum Teil schlichtweg wegstirbt, so sehr kann es am Ende – oder sagen wir – in einer neuen Situation in anderer Form vielleicht gut weitergehen. Dranbleiben.

Club (Mitte 1990er)

Da du ja auch schon vor Corona nicht so häufig aufgetreten bist, würde mich interessieren, ob du eigentlich von der Musik lebst oder gehst du noch einer anderer Beschäftigung nach?
Ich bin zwar nicht dreimal in der Woche gebucht gewesen, aber wie gesagt schon regelmäßig unterwegs, auch weltweit. Bei mir ist es allerdings so, dass nicht alle Veranstaltungen bei zum Beispiel Resident Advisor zu sehen sind. Deswegen mag das eher mager aussehen. Genauso habe ich auch bei meinen Stücken online zum Teil wenige Klicks, während sich die Platten meistens überdurchschnittlich gut verkaufen. Auch wenn recht viel von meiner Musik digital verfügbar ist, wird sie doch hauptsächlich auf Vinyl verkauft. Es findet eben doch nicht alles online statt.
Ich habe tatsächlich bis dato von Musik gelebt, also bin als DJ und Liveact getourt und habe im Studio an Produktionen und Remixes gearbeitet. Dazu kamen wie gesagt ein paar verwandte Tätigkeiten im Sound- und Technikbereich und natürlich Labelarbeit, die für sich heutzutage allerdings bekanntermaßen kein großes Einkommen darstellt. urch die aktuell weggefallenen Veranstaltungen habe ich entsprechend diverse Förderungen beantragt und arbeite jetzt soweit unabhängig von Corona auch an neuen Projekten.

Und wo das Stichwort Corona schon gefallen ist, wie hast du das Jahr bislang wahrgenommen?
Naja, ich halte mich an die Vorsichtsmaßnahmen und bei der Studioarbeit und im Umgang mit meiner Familie hat sich deswegen nicht sehr viel verändert, außer dass unser Großer im Frühjahr eben im Homeschooling war und wir uns entsprechend extra damit beschäftigen mußten. Aber das haben wir auch hinbekommen. Ich bin auch eigentlich nicht sehr verwundert über die Auswüchse und Ausbrüche in manchen Bereichen der Bevölkerung wegen zum Teil unbedeutender Einschränkungen zum Wohl aller. Dass ein so großer Teil der Menschen doch oft ziemlich kruden Verschwörungstheorien aufsitzt, hätte ich allerdings so nicht erwartet. Auch hier fehlt an manchen Stellen wohl noch einiges an wissenschaftlicher sowie politischer Bildung.
Und ja, das Spielen und Reisen fehlt mir sehr ☺
Neulich habe ich zumindest mal wieder auf einer Privatparty gespielt.

Hotel, Frankreich (2008)

Gibt es ein spezielles Musikstück, zu dem du immer wieder kehrst in diesem Jahr?
Wenn ich ehrlich bin, fällt mir da kaum etwas ein. Ich arbeite an eigenen Stücken und habe in der Zwischenzeit auch natürlich einiges an Musik gehört, habe aber keine aktuell rotierenden Favorites. 
Ich habe neulich mal in das Battles Album vom letzten Jahr reingehört, da fand ich ganz cool, wie die sich entwickelt haben. Das eine Video ist auch nice. 
Dann gibt es zum Beispiel Stücke, die ich seit langem immer wieder hören kann von einem Mitt-90er Arto Lindsay-Album oder so ein Dub-Stück von Bill Laswell auch aus der Zeit. Es sind allerdings eher Stücke, die tatsächlich von anderen Situationen beeinflusst sind als Corona. Mit meinem Sohn hör ich manchmal 5Sterne Deluxe oder Das Bo. Das hat aber noch nicht viel zu bedeuten ☺

Du bist in Köln geboren, lebst aber seit längerem in Frankfurt, einer Stadt, deren Musikszene dich mit den Labels Playhouse  (auf dem du primär veröffentlicht hast), Ongaku und Klang Elektronik und dem im benachbarten Offenbach liegenden Robert Johnson stark geprägt hat. Und doch habe ich deinen Sound auch immer als sehr affin zu Köln wahrgenommen. Wie empfindest du – zeithistorisch auf den Zeitraum des Erscheinens deiner drei Losoul Alben „Belong“, „Getting Even“ und „Care“ – die Beziehung der Städte?
Schwer zu sagen. Ich habe aber mit einigen von den Kölner Leuten, die ich früher auch über die Musik kannte, über die Jahre immer noch Kontakt und da besteht noch ein gemeinsamer Spirit in Richtung Funk, Soul, Jazz, House. Dadurch war sicher auch ein Rest von meinem ursprünglichen Köln in der Musik von Losoul. 
In der Clublandschaft des Rhein-Main-Gebiets war die Musik insgesamt lange weniger vom Soul geprägt, obwohl es auch hier ja zum Beispiel lange stationierte G.I.s und auch ein entsprechend funky Nachtleben gab. Später hatte ich hier dann auch Leute mit entsprechendem Background kennengelernt. Trotzdem ging es hier immer eher gleich elektronisch zu. Der sich in den 90ern entwickelnde Kölner Minimalsound war dann auf andere Weise emotional. Sicher hat das aber alles zusammengespielt und am Ende des Tages hat sich der oft etwas kantige frühe deutsche Minimalsound für sehr viele von uns als authentisch herausgestellt. Da kam ich dann auch mit den neuen Kölnern gut zurecht. Stichwort ‚Köln groovt anders!‘ 😉 Die waren dann ja auch regelmäßig zum Beispiel im Robert Johnson und wir im Gegenzug im Studio 672.
Zur Zeit von „Belong“ sehe ich parallel zu einigen Kölner Produktionen die erwähnte Indie-Elektronik Stimmung, auch wenn ich mir wohl bisweilen etwas mehr Funk in der Hüfte erlaubt hatte. „Getting Even“ erlaubt sich ja auch etwas von der angesprochenen Wave-Affinität, bleibt aber größtenteils tracky, kommt aber wiederum mit ein paar Vocalstücken um die Ecke. Das wiederum war in Köln ja auch ganz gern gesehen.
Zur Zeit von „Care“ hatte sich in Frankfurt wie in Köln ja vieles geändert. Der Elektroclash war nicht mehr zu hören und auch die Total Confusion Parties im Studio672 hatten ihre Türen geschlossen beziehungsweise fanden nur noch unregelmäßig statt. Ich hatte mich zu der Zeit wieder mehr dem House zugewandt, das Album war aber ein ziemlicher Mix aus verschiedenen Dance-Styles und Experimenten, die auch die jüngere Playhouse-Vergangenheit repräsentiert hatten. In Köln hatte ich zu der Zeit kaum gespielt und war eher privat mal da. Auftritte hatte ich in den letzten Jahren eher im Ausland oder in Berlin.

Peter, danke für deine Zeit. 

 

 

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