Vier für Köln: Jondo, Marie Montexier, Bas Grossfeldt & MK Braun

Die Lust an der Sound-Freiheit

Jondo, performing bei “Talking Kaput”, Stadtgarten, Köln (Photo: Thomas Venker)

Ein Samstag Abend im Spätsommer 2020 im Green Room des Kölner Clubs Stadtgarten, Corona hat die ehemalige Restaurant-Terrasse zu einem der wenigen auch aktuell bespielbaren Orte für elektronische Musik in der Stadt umfunktioniert. Heute auf der Bühne: Phillip Jondo.

Der Endzwanziger betreibt mit seinen Freunden Friedemann Dupelius (der als Friday Dunard auf dem Kölner Magazin Label veröffentlicht) und Kieran Kaul (aka Dj Brom) das noch recht frische SPA Records Label. Mit gerade mal fünf Releases und der an das Label angegliederten NTS Radio-Show hat sich das Trio international bereits als undogmatisch-offenes Kollektiv etabliert, das sich entgegen früherer Generationen nicht von Soundbrüchen und Genregrenzen abschrecken lässt. Sowohl sein Live-Set als auch das DJ-Set zeugen an diesem Abend von diesem freieren Zugang und fusionieren gepitchte R´n`B-Samples mit euphorischen Klangflächen und Beats in undogmartisch-multiplen Tempi – ganz so wie es sich für jemand gehört, der sich als großer Fan von HipHop der Nullerjahre outet, als Teenager von anzüglichem Deutsch-Rap und seiner DIY-Kultur zu eigenen Produktionen motiviert wurde und trotzdem stilsicher das Can Album „Tago Mago“ als Kölner Lieblingsplatte nennt.

Die Corona-Zeit hat Jondo bislang produktiv zu nutzen gewusst. So hat er unter anderem mit dem Londoner Komponisten Maxwell Sterling und Jarred Beeler (aka DJ Plead) an einer Kollaborations-EP gearbeitet, die bald erscheinen soll. Die Zusammenarbeit beschreibt er als Lernprozess, da es für ihn mal nicht darum ging, „fixe Stücke zu produzieren, sondern flexibel zu sein und sich auf einander einzulassen.“ Dazu, verrät er, habe er im Vorfeld eine Liste mit Tipps an sich selbst angelegt: Überraschungen zulassen; im Studio füreinander Verantwortung übernehmen; nicht immer nur die eine Stimmung in der Musik zu suchen.
Diese neuen Erfahrungen kann er nun an der Seite des Glasgower Produzenten Simon Weins umgehend anwenden, wenn die beiden den Herbst über an neuem Material für ihr Garland Projekt arbeiten. Ihr letztes Album haben Garland im Mai 2019 auf dem australischen Label Lullabies for Insominiacs veröffentlicht.

Zudem erscheint dieser Tage auf SPA mit „This 2 shall pass“ von Ivy ebenfalls eine neue Platte, deren sechs Stücke wunderbar unberechenbar ausfallen: Hyper-Pop im Spannungsfeld aus J-Trance-Pop und Ghetto-Glam.
Auf die Frage, ob er selbst denn eine Dj-Philosophie habe, die ihn stilistisch auf den Punkt bringt, antwortet Jondo angenehm unprätentiös: „Vermutlich würde ich mein Lieblingslied auch dann spielen, wenn es komplett fehlt am Platz ist, ganz einfach, weil es mir viel bedeutet und es gerade etwas in mir auslöst, dass ich gerne teilen möchte und das andere Lieder in meiner Playlist (zumindest gerade) nicht können. Also nicht, dass ich die Leute vergraulen will, aber Musik aufzulegen ist für mich immer ein Versuch, dem Publikum etwas von dem mitzugeben, was ich persönlich schätze und keine Hitparade.“

Marie Montexier (Photo: Mathilda Noelia)

Einen Tag später legt an gleicher Stelle im Green Room Marie Montexier gemeinsam mit Denis Stockhausen im Rahmen der alljährlichen „Total“-Party des Kompakt-Labels auf. Montexier benutzt für ihre Beziehung zur Kölner Vorzeige Techno-Institution den Begriff „Familie“, betont aber im gleichen Satz, dass sie musikalisch wo anders angesiedelt ist. 
Montexier, die sich das Auflegen vor zweieinhalb Jahren Zuhause bei ihrem damaligen Freund Vincent Grabowski (Pas de Futur, Topic Drift) selbst beigebracht hat, positioniert sich im Spannungsfeld von Amsterdamer (Red Light Radio, Bordello Bookings, Garage Noord) und Berliner (Warning Crew) Szenezusammenhänge. “Ich komme ursprünglich aus der Drum´n´Bass- und HipHop-Szene, deswegen mag ich Electro Sachen und Breaks sehr gerne. Ich habe mich durch die Genres durchgewurschtelt und so meine eigene Nische gefunden“, beschreibt die 22jährige ihre stilistische Genese.

Nach ihrem Auftritt zieht es Marie Montexier schnell nach Hause. Schließlich hat sie nach einer langen, Corona bedingten Phase mit weniger Auftritten mal wieder ein echtes Wochenende absolviert. Zum Set bei der „Total“ ist sie direkt aus Leipzig angereist, wo sie beim Tarmac Festival“ in der Freitagnacht ein Headliner Set spielen durfte, eine speziell in den aktuellen Zeit „krasse Erfahrung“ und Ehre“. Und da es schon so lange her war, dass sie selbst wo tanzen konnte, blieb sie auch noch den Samstag vor Ort. Nicht zuletzt, da sich das Festival trotz der fünf Bühnen absolut sicher angefühlt habe, berichtet Montexier: Die Leute haben sich an alle Vorgaben gehalten, niemand wurde umarmt, keine Flaschen wurden geteilt und es wurde respektvoll mit Abstand und Maske getanzt. Insofern sei zwar alles auch ein bisschen „komisch“ und „abgefahren“ gewesen – eben Tanzen unter neuen Bedingungen.

Auf die Frage, wie sie als junge Künstlerin, die quasi an der Schwelle zum größeren Durchbruch steht, Corona und die Folgen empfunden habe, antwortet Marie Montexier sehr ehrlich: „Mir ging es echt nicht gut damit. Man hatte ein Ziel, man wusste, was dieses Jahr kommt und dann war das auf einmal weg. Ein sehr bestürzendes Gefühl. Eine Woche nach dem Shutdown hätte ich meinen ersten Boiler Room gehabt und danach meinen ersten Säule Gig im Berghain in Berlin. Es war direkt vor meiner Nase und dann…“
Angst und Frust prägten für eine Zeit den emotionalen Haushalt von Marie Montexier, die „Frage nach dem danach“ war präsent. Dass es dir dann doch relativ schnell gelang die Schalter umzulegen und kreativ zu werden, dabei half, dass sie glücklicherweise in einem CBD Laden jobben konnte und so zumindest ökonomisch erstmal sicher ist.
Zum Grübeln bleibt aber auch gar nicht so viel Zeit, neben Mixen für diverse Outlets pflegt sie mit „Pistache FM“ eine eigene Radioshow beim Münchner Sender Radio 8000 und plant den Launch ihres eigenes Labels – das Debut wird von ihrem besten Freund, dem Kölner Produzenten Johnny (Escape from Babylon) kommen, ein „echtes Herzensprojekt“, wie Marie betont.

Bas Grossfeldt (Photo: Mathias Schmitt)

Den Name Sören Siebel kann man in letzter Zeit immer öfters in der internationalen Presse lesen, was daran liegt, dass er gleich zwei vielbeachtete Platten herausgebracht hat. Zum einen gemeinsam mit Jas Shaw von Simian Mobile Disco unter dem Projektnamen Shaw & Grossfeldt das Album „Klavier“, und solo unter seinem Imprint Bas Grossfeldt die EP „Lost in Sensation“ auf Metroplex, dem Label des Detroit-Techno-Urgesteins Juan Atkins.

„Klavier“ ist aus einer gemeinsamen Jam-Session heraus entstanden, bei der die beiden im Kölner Studio von Siebel die üblichen Synthesizer zur Seite geschoben haben und sich auf das Yamaha Disklavier konzentrierten. Beim Abmischen fügten sie teilweise den Tracks noch Beats hinzu, beließen aber einen Teil der Aufnahmen auch unbearbeitet im originären Zustand – mit dem Ergebnis, dass das Album eine ganz eigene Aura ausstrahlt, sehr verletzlich und zerbrechlich wirkt.

Der Kontakt zu Juan Atkins kam über den Düsseldorfer Künstler und KHM Professor Mischa Kuball zu Stande, der ohne das Wissen von Siebel Demoaufnahmen weitergeleitet hatte. Ein Postbotengefallen, der sich nachhaltig auswirken sollte, denn Atkins schrieb zurück. Und er ist nicht der einzige, der sich begeistert zeigt: der Berghain Resident Marcel Dettmann hat die EP bereits in seine Monatscharts aufgenommen. Siebel kann immer noch nicht glauben, wie ihm geschehen ist: „Ich bin erstmal aus allen Wolken gefallen. Dass ich als kleiner Kölner Künstler auf dem Detroiter Techno Label überhaupt eine EP veröffentliche, das ist irgendwie surreal.“
Dass beide Releases just in der Corona Zeit erscheinen, empfindet Siebel zunächst nicht als tragisch. Seine positive Lesart: „Ich glaube die Leute nehmen sich etwas mehr Zeit, um Musik zu entdecken.“ Wobei, fügt er an, natürlich schon „die Atmosphäre in den Clubs fehle, damit sich die Platten richtig einschreiben können.“ Persönlich empfindet Siebel Corona als eine Zeit mit „Licht und Schatten“, „die einem einerseits mit der Ruhe gut tut, aber gleichzeitig auch bedrückend ist.“

Um erst gar nicht in Corona-Resignation zu verfallen, begegnet Sören Siebel der Situation mit Aktionismus und arbeitet derzeit nicht nur an neuen eigenen Tracks und einer Folge-Ep mit Jas Shaw, sondern auch an dem Soundtrack zu seiner Performance-Installation „Die Architektur des Unbewussten“, die er als Teil seiner Diplomarbeit an der KHM noch kurz vor dem Corona Lockdown im Jaki aufgeführt hat und für die er Club und Kunst-Performance zusammen dachte. „Mich interessieren die Schnittstellen und die Zwischenräume verschiedener Kontexte und Systeme“, führt Siebel aus. „Für mich liegt in diesem „Dazwischen“ eine Spannung, die sonst nicht zustande kommt. Dabei geht es auch viel darum, welche Kräfte wann wie auf wen wirken und was das mit dem Raum und den Menschen macht. Dabei spielt vor allem die körperliche Erfahrung immer wieder eine zentrale Rolle.“

Laura Schleder & Michael Kastens

Michael Kastens empfindet sich „als Chamäleon mit vielen Gesichtern“ – und spielt damit auf sein Portfolio zwischen Mainstream und Subkultur an. Neben dem Vorzeige-Rave-Flagschiff Pollerwiesen, wo er als Mitbetreiber u.a. für das Marketing, Programm und Creative zuständig ist, gehört er zu den Köpfen hinter den Labels Ki Records und Henk Records, veranstaltet gemeinsam mit Magnus von Welck die „Cologne Sessions“ im Jaki, vermarktet die Touren von Christian Löffler und ist als DJ und Produzent MK Braun selbst musikalisch aktiv.

Während die meisten anderen noch ratlos in die Welt schauten und auf eine Corona-Entwarnung hofften, blieb Kastens seinem handelnden Wesen treu und definierte für sich schnell einen Weg B und startete mit der befreundeten Photographin Laura Schleder die Modelagentur Fifteen Minutes Agency. „Alles, was ich beruflich mache und worauf ich lange hingearbeitet habe, brach innerhalb weniger Tage zusammen“, erinnert er sich an die einschneidenden Ereignisse im März diesen Jahres. „Es hat alles mit Musik und vor allem mit Veranstaltungen zu tun. Da der weitere Verlauf der Pandemie ungewiss war und ist, stellte sich nach der anfänglichen Schockstarre schnell eine Leere ein, die es für mich schleunigst zu füllen galt.
Die Idee zur Modelagentur bot sich an, da Kastens in den Nullerjahren selbst als Model gearbeitet hat und somit Vorwissen in der Branche besitzt – und auch bereits vor Corona mit dem Gedanken spielte. Dass die Agentur nicht mal eben von null auf hundert die Musik auffangen kann, ist ihm bewusst, seine Partnerin und er agieren mit Bedacht und nutzen die Corona-Zeit für Office-Set-up, Castings und Akquise – und um Energie zu schöpfen. „Inzwischen kommen die ersten Jobs rein“, berichtet Kastens, „bezahlt und unbezahlt – was uns natürlich sehr freut.“
Das Vorgehen bei der Agentur ist dem im musikalischen Bereich gar nicht so unähnlich. Analog zur Musik interessiert ihn bei Models ein „progressiver, edgy look“. „Wir möchten diese Nische besetzen“, erklärt er, „haben uns entschieden einen eher idiosynkratischen Ansatz zu verfolgen und spezielle Looks zu vertreten.“

Wobei die Musik natürlich nicht aus dem Leben von Kastens verschwunden ist. Aktuell erscheint auf seinem Label HENK eine Maxi von Stikdorn, an der er selbst als Musiker auf einem Track beteiligt ist. Passend zum aktuellen Zustand zwischen den Clubnächten befinden sich auf der Maxi nicht nur euphorische Rave-Tracks, sondern auch sphärische Stücke zum Zuhause hören. „Natürlich ist es etwas schade, dass das Feedback auf die Promos eher auf digitalem Wege erfolgt und wir nicht – wie gewohnt – die Resonanz der Crowd auf dem Dancefloor erleben können“, kommentiert Michael Kastens den ungünstig anmutenden Moment der Veröffentlichung, merkt aber sofort optimistisch an:
„Umso schöner wird der Moment, wenn wir die Tracks endlich wieder dort hören können wo sie hingehören: im Club!“

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