Record of the Week – Friday Special Edition

ROWLAND S. HOWARD „TEENAGE SNUFF FILM“ / „POP CRIMES”

ROWLAND S. HOWARD
„TEENAGE SNUFF FILM“ / „POP CRIMES”
REMASTERED REISSUES
(MUTE/PIAS/ROUGH TRADE)

„Sometimes I find it hard to get things straight,“ singt Rowland S. Howard dunkel murmelnd auf dem zäh sich schleppenden und in Zeitlupe um sich schlagenden und sanft kreischenden Song „Breakdown (And then…)”. Und scheint sein Leben zu beschreiben, wie er es in allen seinen wegweisenden musikalischen Projekten getan hat: Young Charlatans, The Boys Next Door, The Birthday Party, Crime & The City Solution und vor allem dann seine höchsteigene Band These Immortal Souls inklusive des Spätachtziger-Indie-Hits „Marry Me (Lie! Lie!)“.

Das Loch in der anthrazitfarbenen Bettwäsche ist immer noch da. Es ist größer geworden. Die Bettwäsche ist immer noch da. Sie ist weicher geworden. Die morgendliche Zigarette, die es einst brannte, während Rowlands erstes Solo-Album in seiner fortgeschrittenen Karriere erschien und zum verstrahlten Spätstück lief, ist lange vergangen. Die fulminante unvergessliche Liebe und das ‚Big in Berlin‘-Sein auch. Die Begegnungen mit dem hageren, stets lächelnden und schlecht gelaunten Australier sind noch länger her und bleiben doch. Ich wollte ihn wiedersehen. Unbedingt. Es nochmal mit einem Gespräch versuchen. Das einzige kurze persönliche Zusammentreffen backstage nach einem Konzert seiner phantastischen These Immortal Souls war einfach unglücklich verlaufen. Es sollte nicht mehr dazu kommen. Howard verstarb Ende 2009 an seiner schwer erkrankten Leber und weil im australischen Gesundheitssystem offenbar Ex-Junkies sich eher hinten in der Reihe potentieller Transplantationskandidierenden anstellen müssen.

Anyway, Rowlands solitäre Solo-Alben „Teenage Snuff Film“ von 1999 und „Pop Crimes“ von 2009 werden nun in Gänze neu veröffentlicht. Zwischendurch gab es zum einen die 2014 veröffentlichte Compilation „Six Strings That Drew Blood“ und zum anderen die beeindruckende Filmdokumentation „Autoluminescent“ aus 2011, die diesem Super-Antistar aus nur scheinbar der zweiten Reihe der postpunkigen ersten Generation unprätentiös ein Denkmal setzten, nicht im Sinne von zweitgereiht, sondern weil er als Gitarrist und Produzent oftmals eher neben Großcharakteren wie Nick Cave, Simon Bonney, Jeffrey Lee Pierce, Lydia Lunch oder in Kollaborationen auf Augenhöhe wie mit Nikki Sudden, Anita Lane oder Jeremy Gluck stand.

Auch für mich transformierte Howard spätestens in den neunziger Jahren vom faszinierenden Gitarren-Gespenst und nicht nur geschminkt elenden Partner (Shotgun Wedding mit Lunch und Jim Sclavunos) zum wackeligen, launischen und absoluten Bandleader von These Immortal Souls, wo er ja wiederum in den verschiedenen Versionen nicht eben gerade schwache Mitspielende um sich scharte wie seine langjährige Partnerin Genevieve McGuckin, seinen Bruder Harry Howard, Epic Soundtracks oder Chris Hughes; später dann (wieder) Mick Harvey, Brian Hooper (Beasts of Bourbon), JP Shilo und Jonnine Standish.
Bitte nicht missverstehen, Rowland war stark und singt „I was a nightmare… But I’m not going to go there again“ auf „Autoluminescent” oder „Stop me if you can. My love, I’ll show you nothing. I’m a misanthropic man“ auf „Sleep Alone“, er war dennoch laut Nick Cave zu schwach im Sinne von nicht Arschloch genug, um harte Drogen und Krankheiten zu überleben. Aber er war stark genug, dass seine Songs identisch mit seinem Leben wirkten. Schonungslos. Brutal. Eine luzide Lawine. Wie das Ende voller Feedbackwellen von „Sleep Alone“. Es lässt sich darin schmerzvoll kathartisch baden. Beide Alben reißen einen voll und ganz mit, etwas Mediokres gibt es hier nicht, auch die wunderbar kraftvoll-tristen Coverversionen von „White Wedding“ von Billy Idol auf „Teenage Snuff Film“ und „Life’s what You Make It” von Talk Talk auf „Pop Crimes“ lassen immersiv ein- und abtauchen: „Out of the black and into the ether“ („Exit Everything”). Was für eine Kraft hier wirkt, selbst auf dem nackten und quasi im Sterben erschienenen „Pop Crimes“ im Angesicht des Todes und gewollt offenherzig, so wie Rowland sich etwa die Cover-Fotografie gewünscht hatte. Nun sah er nicht mehr geschminkt elend, sondern irgendwie palliativ aus. Gänsehaut.

Als nächstes sollten zwingend die absoluten Insel-Alben von These Immortal Souls „Get Lost (Don’t Lie!)“ von 1987 und „I’m Never Gonna Die Again“ von 1992 sowie „Kiss You Kidnapped Charabanc“ mit Nikki Sudden von 1987, das schon mehrfach rereleast wurde, nochmals aufgelegt werden – in welcher Hinsicht auch immer und nicht nur, weil Howard und seine Projekte so viele jüngere Bands wie die Yeah Yeah Yeahs, HTRK oder die Devastations maßgeblich beeinflusst hat. Sondern weil seine Songs, sein Gitarrenspiel – Henry Rollins bezeichnet es als verrückt gewordene Surfgitarre – seine Stimme und auch seine Attitude, der Gesamtkomplex Rowland S. Howard, in seiner fulminanten gloomy-glamourösen, swampy Post-Bluesness eben einmalig und unvergesslich bleiben – meine Mutter würde sagen, „der ist eine Marke“, und sie würde es nicht als Marketingsprech meinen. Und sie hätte es auch Rowland direkt gesagt, da bin ich mir sicher.

Sterben ist doch scheiße, selbst als unsterbliche Seele. Jedenfalls für die anderen. Dies hier ist der Glam und die Kraft der trostlosen Hoffnung oder der hoffnungsvollen Trostlosigkeit. Heutzutage nicht eben gerade wenig, um nicht zu sagen spektakulär, was Rowland S. Howard uns da immer noch bietet. R.I.P.

 

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