Jörg Heiser

Wie kann man diesen albernen Gegensatz von Elitismus und Populismus aufbrechen? Wie kann man Dinge tun, die das Spektrum der Wahrnehmungsmöglichkeiten offen halten?

Joerg_Heiser„Ich hatte mich wie immer völlig überschätzt – und das Thema unterschätzt“, kommentiert Jörg Heiser meine Einstiegsfrage, warum er sich denn einen 15jährigen Nebenjob zugemutet habe? Die Rede ist von „Doppelleben – Kunst und Popmusik“ (Fundus Bücher), der Doktorarbeit, die das ehemalige Mitglied der Bands Svevo, Lassie Singers und La Stampa neben seinem hauptberuflichen Engagement als Redakteur der englischen Ausgabe der Kunstzeitschrift frieze und Mitherausgeber ihres deutschen Ablegers frieze d/e in einem regelmäßigen Prozess von Unterbrechungen über andershalb Jahrzehnte verfolgt hat.

Man mag dies als uneffektive Arbeitsweise klassifizieren, aber letztlich hat die Zeit der Publikation zugearbeitet, denn so entstand eine spannende Langzeitbetrachtung, die eine wirkliche Genealogie des Phänomens schreibt. Nicht zuletzt, da die 15 Entstehungsjahre insofern mit eingeschrieben sind, als dass die Manuskripte immer wieder auf Basis der angepassten Perspektive betrachtet und modifiziert wurden. So erst konnte Heiser ein Phänomen bändigen, das in den 60ern seinen Ursprung hatte, aber gerade in den letzten 20 Jahren besonders „virulent“ in der Gesellschaft angekommen ist, in dem es das Feld „der avangardistischen Zirkel verlassen hat und sich als Paradigma für einen ganzen Zweig der Kulturindustrie etablierte.“

Thomas Venker: Jörg, lass uns das Gespräch mit Kai Althoff beginnen, mit dem du dich in „Doppelleben“ intensiv beschäftigst. Er repräsentiert sehr gut, was sich in den 15 Jahren verändert hat, da sich die Rolle, die er als Musiker einnimmt über die Jahre gewandelt hat.
Jörg Heiser: Als ich anfing an meiner Doktorarbeit zu schreiben, wurde seine Band Workshop gerade erst so richtig bekannt in der Musikszene. Mitte der 90er haben sie 2,3 richtungsweisende Platten vorgelegt, „Talent“ zum Beispiel, oder auch „The goings of an offer“, die Platte, die er als Subtle Tease gemeinsam mit Justus Köhncke aufgenommen hat. Das sind Werke, die unglaublich nach dem Jetzt klingen, wenn man sie auflegt, was beeindruckend ist. Während andere Workshop Veröffentlichungen, die ich auch schätze, eine Zeit atmen, sagen wir den Krautrock der 70er und New Wave der 80er Jahre.
Und ja, die Band Workshop gibt es nicht mehr, obwohl sie nie offiziell aufgelöst wurden, Kai Althoff hat dann vier Soloalben als Fanal veröffentlicht, die das Gefühl vermitteln, dass er sich ein bisschen solitärer definiert, während Workshop als Kollektiv angelegt war.

Hinzu kommt, zumindest nehme ich das so wahr, dass er mit Workshop und Subtle Tease auch noch strategisch seine Ambitionen als Bildender Künstler unterfüttert hat, während er mit Fanal in einem Stadium angekommen ist, wo er als Künstler so etabliert ist, dass die Musik einfach nur als Musik gelesen werden kann und eben nicht mehr diesen Bezug braucht, ja fast schon von ihm gegenteilig beschützt wird vor dem Kunstbetrieb.
Ja und nein. Ja, weil sie in der Tat geschützert ist, da es gar nicht mehr die Ambition gibt, im Popbusiness zu funktionieren: sie erscheint bei Sonig Records in einer kleinen Vinylauflage, nicht mehr wie bei Workshop auf L´age d´or und eingebunden in Tourzusammenhänge – wobei das hat natürlich auch mit der Entwicklung der Musikindustrie zu tun, damals gab es noch die Hoffnung vom Indie Label, das was rocken kann.

Jörg, glaubst du, dass Kai damals den Traum von einer Musikerkarriere hegte?
Absolut. Das Musikerdasein war bei ihm mindestens zeitgleich da mit seiner Professionalisierung als Künstler. Er ist einer der Künstler seiner Generation, der am frühesten darüber nachgedacht hat, wo und wie man die Dinge verbindet und wie und wo man sie trennt. Dass man eben zum Beispiel nicht zusagt, wenn Museum X eine coole Künstlerband zur Eröffnung für 1000 DM buchen will, im Sinne von man bespielt die Vernissage mit ein bisschen Undergroundflair und bekommt im Return nur ne Abnutzung dessen. Kai Althoff hingegen wollte da stattfinden, wo er sich mit dem messen musste, was andere in dem Bereich tun: in einem ganz normalen Musikclub und Plattenladen und eben nicht in Kunsträumen. Das hat nichts mit Dünkel und Abgrenzung zu tun, das ist ein Sportsmanship: „Ich will nicht nur über den Bonus Künstler hier passieren, sondern in dem Bereich, der seine eigenen Untiefen hat, wahrgenommen werden.“ Wenn es Leute gibt, die sich in beiden Milieus bewegen, umso besser, aber man zwingt es den jeweiligen anderen nicht auf. Von wegen: „Du musst jetzt aber auch meine Ausstellung besuchen!“

In deinem Buch unterscheidest du ja, den Selbstbezug, den Kunstsystemimmanenten Bezug und eben diesen Prozess des sich Messens an den Maßstäben des anderen Parcours – in Abgrenzung zum reinen Ausleben von Sehnsüchten. Es gibt ja viele Musiker, die gerne Künstler wären, und Künstler, die gerne Musiker wären, oder auch Schauspieler, die gerne Musiker oder Künstler wären. Diese Sehnsuchtsebene, die rein dekorative Referenz, die interessiert dich aber nicht, die kommt ja lediglich in der ökonomischen Referenzkultur am Beispiel von Leuten wie Jay-Z und Marina Abramovic vor.
Es gibt diesen Sehnsuchtsmoment in verschiedenen Ausformungen. Am wenigsten interessiert mich jene des Rennaissance Menschen. Jemand wie Julian Schnabel, der jetzt auch noch eine Platte machen muss, und dann noch einen Film (wobei er zugegebenermaßen am Ende als Regisseur doch besser war als als Maler), ist so ein Bespiel für ein big ego, das sich aufbläht – unspannend.
Selbst beim von mir sehr hoch geschätzten David Bowie konnte ich die Malerei nie so ganz verwinden. Alles andere fand ich großartig. Im Buch kommt er aber nicht vor, da ich ihn als Bildenden Künstler nie ernst nehmen konnte. Mein Frieze Kollege Dan Fox hat das sehr treffend ausgedrückt: Bowie as Art School. Er selber als Popstarpersona war die Art School für jeden, der das hört, als eine Institution, die sich selber erschaffen hat, nicht der Affekt, ich mache jetzt selbst Kunst.

Ich muss gestehen, dass ich von Bowie als Maler nur die Bilder von Iggy Pop kenne.
Es gibt Aufnahmen, wo er gemeinsam mit Damien Hirst diese Spin Paintings schüttet – da hat es mich natürlich geschüttelt. Wie konnte er das nicht selbst merken? Er hatte ja schlimme Phasen ab Mitte der 80er bis weit in die 90er Jahre.

Bis „Heathen“.
Als ob er dazwischen so eine Art Gedächnisverlust hatte. Ich habe nie verstanden, was der Knackpunkt bei ihm war? Für das Buch habe ich mich aber auf Personen konzentriert, die eine Kontinuität und eine Ernsthaftigkeit in dem anderen Bereich aufweisen können. Es ging um die Sehnsucht, sich in den Parametern selber zu entwicklen und entfalten. Yoko Ono ist so eine Person, bei der ich das als gegeben sehe, sie hat bis in die Gegenwart ernstzunehmende musikalische Geschichten verwirklicht. Wobei es bei ihr mit der Kunst in den letzten Jahren nicht mehr so toll gewesen ist. Schlechtes Beispiel insofern. Aber es gibt Beispiele, wo Leute sich über Jahrzehnte lang in beiden Bereichen entwickelt haben, da würde ich Kai Althoff dazuzählen – und das sind die Fälle, auf die ich mich konzentriere. Sonst würde es auch uferlos, mir ging es ja nicht um ein Lexikon des Crossovers zwischen Kunst und Popusik, sondern eine Genealogie, die sich an bestimmten Phänomenen und Ideen abarbeitet.

Crossover ist ja nun auch nicht die Begrifflichkeit, die im Buch bedeutend ist.
Nein, das ist ein Zeitphänomen aus den 90er Jahren. Der Begriff hat eine Färbung, die ethnomologisch zurück geht auf Rasse, in dem Sinne, dass jemand aus dem schwarzen Musikmarkt in den weißen übergreift. Es wurde aber immer nur peripher mitreflektiert, was das überhaupt heißt, diese Zuschreibung. Stattdessen wurde der Begriff adaptiert für alle möglichen Dinge, die ich lieber mit dem technischen Begriff Kontextwechsel benannt habe oder metaphorisch-allegorisch aufgeladen mit dem des Doppellebens – wobei Doppelleben nicht bedeutet, dass man das eine vor dem anderen geheimhält, sondern dass man sich der Tatsache bewusst ist, dass man sich in einem anderen Milieu bewegt.

In dem Doppelleben stecken ja Emphatie und Challenge mit drin: ich will Teil des anderen Milieus sein, und ich will das adäquat spannend machen, eben so wie in meinem bisherigen Bereich. Crossover hingegen transportiert für mich immer vor allem den Marketinggedanken: was können wir denn jetzt machen, damit die Dinge gegenseitig voneinander profitieren?
Aerosmith und Run DMC klingt wie am Reißbrett entworfen – was nicht schlecht sein muss, da kann ja auch gerade der Charme drin liegen. Es wäre ja verwegen zu behaupten, Pop habe nichts mit ökonomischen Strategien zu tun.

Ernsthaftigkeit spielt eine Rolle. Den Sachen, die du ausblendest, beispielsweise die Kooperation von Jay Z und Marina Abramovic, oder auch die Auftritte von Kraftwerk im MoMA in New York…
… die blende ich nicht aus, ich spreche sie in der Einleitung an, um zu erklären, warum ich mich am Ende intensiver und länger mit jenen beschäftige, deren Ausflüge in einen anderen Bereich über ein Ausborgen von Aura hinausgeht. Wenn Marina Abramovic und Jay Z sich zusammen tun, dann borgen sie sich gegenseitig Aura – das tun sie in dem Video ja auch noch kund, in dem sie ihre Stirn aneinander reiben. Bei Kraftwerk ist es so, dass man das Gefühl hat, dass sich das MoMA die Aura von Kraftwerk leiht und nicht dass Kraftwerk als Legende davon profitieren, dass sie nun auch im Museum ankommen.

Wobei der Begriff Crossover hier schon ganz gut passt, da die Galerie dahinter, Sprüth Magers da ja primär einen guten Positionierungsjob gemacht hat.
Das Footage von Kraftwerk, das ohne Auftritt in der Galerie lief, fühlte sich wie ein Rumpf, ein abgetrenntes Bein von dem Gesamtkonzept Konzert an, das mich nach wie vor überzeugt. Es wird nur dann problematisch, wenn man es wie im MoMA als Retrospektive mit Ausstellungscharakter ankündigt und nicht als Konzert. Da prangerte mein Kollege Dan Fox zu Recht an, dass man, wenn man nur eins von acht Konzerttickets bekommt, und man dementsprechend dann nur ein Achtel der Ausstellung sehen kann, den kompletten Zugang ja verwehrt bekommt. Was ist das für ein komisches Konzept!

Nun, die Konzerte wurden ja letztlich als Ausstellung tituliert, um danach die Verwertungskette anzuwerfen.
Ich sehe das als teures Merchandise.

Wir kommen ja in der Diskussion daher, dass du das aus diesem Grund nicht weiter verfolgt hast.
Genau. Es ist am langweiligsten, wenn man das, was man sowieso schon macht, in den anderen Bereich transferiert. Interessant wird es, wenn jemand mit eigenen Taktiken und anderen Sujets in die jeweiligen Milieus reinstößt. Warhol hat das Mustergültig vorgeführt. Er hat eben nicht seine Pop-Art-Bilder gemalt und brav in Hollywood angefragt, ob sie nicht einen Pop-Art-Film mit ihm produzieren wollen, sondern er hat seine eigene Factory dafür aufgemacht. Von Hollywood hat er dafür die kalte Schulter gezeigt bekommen, und auch Velvet Underground waren als Band ein Misserfolg gemessen an seinen Ambitionen. Als sie in Kalifornien mit Zappa auftraten, wurden sie regelrecht gehasst und wieder nach Hause geschickt. Aber das sind Misserfolge, die ich Warhol nicht ankreiden will, da sie die Folge seines kompromisslosen Vorgehens waren. Er wollte sich im anderen Bereich nach seinen selbst definierten Bedingungen bewegen und sich nicht ranschmeißen an die Bedingungen des anderen Kontextes.

Es ging Warhol ja nicht darum, die Leute lediglich zu benutzen, er war ja durchaus offen und interessiert an dem, was sie einbringen konnten.
Genau. Er arbeitet mit Künstlern wie Lou Reed, John Cale und Nico zusammen, an denen er sich reiben konnte – und die untereinander auch Spannungen austrugen. Um diese Sehnsüchte, die da aufeinander trafen, geht es mir:
Was nährte in ihnen den Wunsch, aus dem einen Bereich, den sie gerade erst eingenommen hatten, wieder herauszutreten? Einfach nur aus Langeweile geschieht das meistens nicht. Meine Ausgangsthese: Es geht um einen produktiver Umgang mit all den Widersprüchen, die man sich in jedem Bereich jeweils auf unterschiedliche Art einhandelt.

Ich finde besonders das Kapitel über Yoko Ono und John Lennon besonders spannend, da den meisten anderen KünstlerInnen im Buch ja eine Souveränität anhaftet, ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, hier aber treffen wir auf Lennon in einer Phase der Krise und Yoko Ono, die bei der Überschreitung der Genregrenzen auf große Akzeptanzprobleme stieß, einerseits als Frau…
.. als Asiatin…
… und dann ist da noch die Paarkonstellation. Ist das Kapitel auch für dich ein zentrales im Buch, da hier all deine Überlegungen auf eine sehr in sich kreisende Art greifen?
Es ist so, dass man nur über die beiden schreiben kann, wenn man es nicht ignoriert, dass es sich dabei um eine ganz bestimmte Paarproduktion handelt. Theweleit, den ich da als Leitmodell mit drin habe, da er im „Buch der Könige“ solche Konstellationen behandelt hat. Komischerweise nie die Konstellationen Lennon / Ono. Ich nehme mal an, dass er auch diese typische Skepsis gegen über Ono einnahm, aber dann lieber die Klappe hielt, da er sonst nur über sie abkotzen würde. Den Affekt kenne ich von Leuten, die mit den Beatles aufgewachsen sind, und die, wenn sie so reflektiert sind wie Theweleit, in der Lage sind, diesen handzuhaben.
Ich hatte den Affekt nie, Yoko Ono hassen zu müssen. Aber er hat generell dazu geführt, dass sie, ohne Übertreibung, die meist gehasste Frau der 70er Jahre weltweit war. Sie verkörperte für viele diese prätentiöse Kunstkacke, die hassenswert ist. Dazu war sie noch die asiatische Hexe mit den langen Haaren, die zuerst die Familie zerstört hat und dann noch die Band dazu. An ihrer Stelle hätte man verrückt werden können.
Einer meiner Ausgangspunkte war, dass ich mir anschaute, was über Lennon und Ono geschrieben worden ist – und da findet man richtige Tabuzonen. Diejenigen, die Yoko Ono wieder als ernstzunehmende kanonische Figur im Kunstkontext aus feministischer Perspektive aufrichten wollten, haben John Lennon zu ignorieren versucht. Und umgekehrt wurde im Rahmen der Ausstellungen zu John Lennons zeichnerischem Werk Yoko Ono nur mit spitzen Fingern angefasst. Mir ging es darum, die beiden Dinge zusammen zu diskutieren.

Genau auf diesen Aspekt wollte ich hinaus. Bei den beiden spielt das Scheitern, die Krise, die Unsouveränität eine bedeutende Rolle, was sonst im Buch nicht so sehr der Fall ist.
Da würde ich ein bisschen widersprechen wollen. Sowohl Brian Eno als auch Laurie Anderson kriegen ja mein Fett weg aufgrund ihrer phasenweisen Ambitionen zu Groß-Spektakeln – die oft genug gescheitert sind.

Das meint aber ein Scheitern als Bewertung von dir, ich meine aber den Gesichtspunkt des immanenten Scheiterns.
Das ist richtig. Das sind alles Momente, die Teil der Überlegung waren. Letzlich ging es mir vor allem aber darum, nicht das persönlich-intime Verhältnisse der beiden Personen zu beobachten, sondern deren Übertragung in ein öffentliches Bild. Platt gesagt: das Persönliche ist politisch. Das wurde von ihnen mit den Bed Ins wörtlich genommen – die mich aber weniger interessieren als die fast so berümten Aktion, wo sie sich in Wien im Sacher Hotel in den weißen Sack reingesetzt haben. Sie haben ihr Publikum dazu gezwungen, sich mit Dingen zu beschäftigen, die Avangarde waren: Fluxus, John Cage, auch die gemeinsamen Filme wie „Rape“ oder „Cry“, aufgeführt im Spotlight der Popöffenlichkeit.

Warum haben sie das ganz bewusst gemacht? Sie sahen eine Möglichkeit darin, mit streng avantgardistisch durchgezogenen Konzepten eine breitere Popöffentlichkeit zu konfrontieren. Das interssiert mich auf eine ähnliche Art und Weise wie bei Roxy Music oder Bowie: etwas vermeintlich prätentiöses, etwas vermeintlich für eine kleine Elite von genügend gebildeteten, sophisticateden Leuten gedachtes kann plötzlich ein Sujet werden, das Leute mit working class Hintergrund, die eben nicht diese Bildung mitbringen, trotzdem irgendwie bereichern könnte in ihrer Wahrnehmung. Die Frage dahinter: Wie kann man diesen albernen Gegensatz von Elitismus und Populismus aufbrechen? Wie kann man Dinge tun, die das Spektrum der Wahrnehmungsmöglichkeiten offen halten?
Warhol ist ein tolles Beispiel für einen Künstler, der Dinge gemacht hat, die bis heute die Akademiker und Kunsthistoriker beschäftigen und die sofort mit dem instant effect viele Leute geflasht haben.

Bist du denn selbst ein Sammler von Künstler-Schallplatten? Spielte das eine Rolle?
Nein, gar nicht. Ich habe natürlich mittlerweile einen Haufen Zeug, weil es Forschungsgegenstand war, aber ich brauche nicht jeden Furz, den sagen wir Albert Oehlen auf Vinyl gepresst hat, zu besitzen. Je obskurer desto weniger interessiert es mich eigentlich, denn mir geht es um die Wirkung auf Mileus.

Da sind wir wieder bei dem Gegensatz zwischen Milieubestätigenden und Milieuübergreifenden Vorgehen.
Richtig. Insofern interessieren mich die Momente des Hinüberschwappens über einen Bereich mehr, wenn das Medium über sich hinausgreift, wie es bei Adorno im Vortrag „Die Kunst und die Künste“ heißt. Er meint das natürlich mehr im Sinne von Medienspezifität, also wenn sich die eigene Formsprache nicht mehr genug ist und über sich hinausgreifen muss, um sich frisch zu halten. Das ist der formale, der ästhetische Aspekt, aber das gleiche kannst du im Grunde auch über ein Milieu sagen. Es kann einen ankotzen, wenn sich das Milieu ständig selbst bestätigt. So jemand wie Martin Kippenberger hatte einen untrüglichen Kompass dafür festzustellen, wenn sich das Milieu nur noch selbst bestätigen – er fing dann an, spießige Familien-Dia-Vorträge im SO36 zu halten ,und am Ende, wenn es sein muss, ging er dafür ins Krankenhaus. Sein berühmtes Bild „Dialog mit der Jugend“ dokumentiert ja, wie er von einer Punk-Lady die Fresse poliert bekommen hat, weil sie die Schnauze voll hatte, dass er sich im Spießerlook da hinstellte und den Punks sagte, wo es lang geht. Ihm ging es um genau diesen Effekt, er wollte den Leuten auf die Eier gehen. Denn er wollte nicht das Milieu affirmativ begegnen, sondern es frotzeln und provozieren. Man muss natürlich ergänzen, dass es auch von Kippenberger Systemstabilisierende Impulse gab, besonders später als sich in Köln ein eigenes Milieu um ihn herum gebildet hat.

Was mich zu Sonic Youth bringt. Die hätte man in deinem Buch auch zentral erwarten können. Sie kommen aber nicht vor, da die Art, wie sie Kunst in ihr Werk integrieren, relativ langweilig ist?
Genau, das hast du schön gesagt. So empfand ich das auch, als ich mir damals die Ausstellung in Düsseldorf angeschaut habe. Das war im Grunde eine Souveniersammlung und das kann ich nicht ernstnehmen. Natürlich waren da tolle Leute dabei, William S. Burroughs zum Beispiel – ich erinnere mich an ein Foto in einer Vitrine, wo man sieht, wie Thurston Moore mit Burroughs auf dessen Häuschen in Kansas zugeht, da denkt man sich doch: Musst du jetzt noch deine Urlaubsfotos ausstellen? Was soll das? Wie erklärt mir dieser Bezug zu Burroughs, was Sonic Youth heutzutage sind? Eigentlich nichts, außer dass sie ein Wichtigkeitskonsortium erzeugen, wie es meine Frau Sarah Khan ausdrückt: Ich und meine wichtigen, einflussreichen, pionierhaften Freunde. Dabei haben Sonic Youth dieses gegenseitige Stabilisieren doch gar nicht nötig, sie haben doch tolle Sachen gemacht. Ein bisschen mehr den Ball flachen zu halten, fände ich in dem Fall ganz gut.

Auch bei Kim Gordon, die ich als Musikerin sehr schätze, muss man sagen, dass sie leider nicht so tolle Kunst macht; wobei sie zu einem Teil deswegen so eine großartige Musikerin geworden ist, weil sie diesen Kunsthintergrund besitzt und mit dem Denken von Leuten wie Dan Graham und Mike Kelley in Kontakt gekommen war. Das problematische ist nun ein Effekt, der immer ins Spiel kommt, wenn jemand erfolgreich wurde, plötzlich soll das rückversetzt werden in eine Art zweite Kunstkarriere. Dass es dann oft dürftig wird, liegt daran, dass der kritische Zusammenhang, der einem auch sagt, wenn etwas scheiße ist, in der Zwischenzeit weggefallen ist. Ab einem gewissen Berühmtheitsgrad traut sich kaum einer noch dir zu sagen, wenn du scheiße bist. Das Schulterklopfphänomen.
Yoko Ono beispielsweise hatte ab einen gewissen Zeitpunkt einen Kreis von Mandarinen im chinesischen Sinne um sich herum, die den Zugang regulieren und nach Innen immer „ja“ sagen und nach Außen immer „nein“. Also „ja“, du biste die Tollste – und „nein“, Frau Ono kann ihnen die Frage jetzt nicht beantworten. Das ist ein Phänomen, das man an vielen Orten beobachten kann, und es ist vielleicht auch verständlich, wenn man das bedenkt, was wir vorhin im Fall von Yoko Ono besprochen hatten: es ist ja nicht immer leicht mit der Öffentlichen Meinung umzugehen, oder auch sich gegen das parasitäre Heranschmiegen zu sichern.

Ich will aber noch einmal kurz auf Sonic Youth zurück kommen. Ist es nicht so, dass das, was sie aus anderen Bereichen wie der Kunst hinzugeben, zum Beispiel durch Coverartworks von Raymond Pettibon, Mike Kelley oder Gerhard Richter, relativ deckungsgleich mit dem ist, was eh schon vorhanden ist. Sprich: es war für mich als 16jährigen spannend über sie Pettibon zu entdecken, aber später taucht dann eben nichts mehr auf, was einem nicht sowieso schon begegnet wäre. Es gibt keinen Überraschungseffekt beim Andocken, alles ist naheliegend.
Ich will ihnen nicht Erbsenzählerisch vorrechnen, was sie machen dürfen und was nicht. Es ist das Recht von Künstlern, die wie sie eine große Leistung erbracht haben, mal einen Gang runter zu schalten. Aber es wird dann problematisch, wenn darüber so eine bestimmte Art von Konventionen bedient wird, die besonders im Kunstbereich virulent ist, diese Art von pompöse Auraerzeugung gegen sich bestimmte wichtige Kunstbewegungen zu Recht immer gewandt haben.
Was war Dada anderes als Schlussmachen mit den akademischen Großleinwänden und Großprotzdenkmälern, die Europa damals bestückten? Was war Fluxus anderes als die Schnauze voll haben von dieser sich selbst bestätigenden internationelen Abstraktion, die sich in eine komische Sphäre der Unangreifbarkeit entfernt hatte?
Und was waren Punk und New Wave anderes als ein Aufbegehren gegen Art- Rock-Monster-Phänomene und gegen sich elitär als besonders eingeweiht definierende Post-Minimal-Art?

Jörg, dein gesamtes Instrumentarium: Adaption, Referenz, Auftragsarbeit, Doppelleben, Kopplung beschäftigt sich ja mit dem Spannungsfeld der Milieus Kunst und Musik. Was sind denn für dich die Hauptunterschiede zwischen den beiden Milieus?
Die Unterschiede sind zu zahlreich für einen Satz. Der Kern liegt sicherlich darin, dass Kunst sehr viel stärker über eine institutionalisierte Absicherung funktioniert – im Guten wie im Schlechten. In dem Sinne, dass sie historisch ein längeres Gedächnis hat. Es kann jemand 30 Jahre komplett unter dem Radar laufen und dann eine späte Karriere haben, in der auch das, was er zuvor geleistet hat, plötzlich honoriert wird. Dass Popmusik das macht, ist ein neues Phänomen, das man sich von der Kunst abgeguckt hat. Ich habe an Kunst immer geschätzt, dass sie nicht diesen kurzatmigen Marktrhythmen, die es natürlich in der Kunst auch gibt, folgt, sondern eben einer Spekulation auf den längeren Atem. Der Kunstmarkt der Gegenwart ist ja nichts anders als eine Wette auf die Zukunft der musealen Weihen. Nehmen wir das Beispiel Damien Hirst: irgendwann entsteht eine Nervosität, wenn das Zeug immer noch nicht in den großen Sammlungen gelandet ist, das geht dann soweit, dass man es den Museen schenken will – und machmal wollen sie es selbst dann nicht. So sollte ja beispielsweise sein Hai ins MoMA gehen, doch das MoMA sagte zu Recht nein. Wobei es dann andere Arbeiten gibt, wo sie das nicht gesagt hätten.
In der Popmusik herrscht diese gnadenlose Kurzatmigkeit. Aber genau das zeichnet Pop ja aus, die Dinge passieren im Jetzt. Das hat sich die Kunst auch mal für bestimmte Momente ausgeborgt, aber Pop hat das entwickelt.
Wenn Kraftwerk im MoMA spielen, dann ist das ein sich gegenseitiges Geben von der Pop-Jetzthaftigkeit: die Legende lebt vor mir, und das Museum, das sagt: „Ihr gehört in die Ewigkeit, in 100 Jahren wird man über euch noch sprechen wie jetzt über Dada und Duchamp“. Es ist eine Weihe, die ihnen verliehen wird. Dieser symbolische Tausch, der da stattfindet, der kann den Charakter eines Faustschen Paketes annehmen, muss es aber nicht. Das ist es, was mich interessiert.

Zum Abschluss möchte ich noch die Rolle von Zufall und einem Faktor wie dem soziopolitischen Klima ansprechen. Und zwar kommend von der Bedeutung der ersten persönlichen Begegnung von Lennon und Ono, deiner Lesart von Westdeutschland und der dortigen Ungleichzeitigkeit von Pop, Politik und Kunst – mit der eingeworfenen Frage: war es ein bewusster Akt, dass Beuys sich nicht auf Pop einließ? – und hinsichtlich des Aspekts Körperlichkeit und neue Technologien in dem Sinne, dass sie als externe Einflüsse für neue Möglichkeitsräume sorgen. In deinem Buch kommt das ja nicht wirklich vor, dass die Dinge einen Twist bekommen, der abseits der Steuerungsgewalt der KünstlerInnen liegt.
Ich glaube da weder an Zufall noch an Fügung, sondern an Wahrscheinlichkeit. In bestimmten Konstellationen, die was mit Großstadt und intelektuellen Traditonen und sozioökonomischen Faktoren wie Einwanderung zu tun haben, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte ästhetische Innovationen stattfinden. Die Factory als Ort und die Lebensgeschichten von Nico, Lou Reed und anderen führen an diesen Punkt zu… natürlich kann man da von Zufall sprechen, aber genauso gut von der Wahrscheinlichkeit, dass es in New York Leute gab, die bestimmte Absichten und Sehnsüchte in sich trugen, die sie an diesen Ort gebracht haben. In London ist es ganz ähnlich gewesen, da hatte Marianne Faithfull beispielsweise eine ganz wichtige Rolle, weil sie Leute aus dem Kunstbereich, den Londoner Dandyzirkeln und ungehobelte Rockertypen zusammen brachte, die sich vorher nicht kannten. Das sind Zusammenkünfte, die für mich nicht rein über Zufall zu definieren wären.
Eine meiner Ausgangsthesen war ja, dass eigentlich die Ausgangsbedingungen in London, New York und Düsseldorf Mitte der 60er Jahre erstaunlich ähnlich waren. An allen drei Orten gab es eine gewisse Milieunähe, einen gewissen Reflektionsstandard der Avantgarde und musikalisch avisierte Leute, die einen Drang zur Populärmusik haben, aber, und das führte mich zur These mit der Unglichzeitigkeit , dass es eben in Düsseldorf Abstoßeffekte gab, die in England und den USA derartig stark nicht aufzufinden waren — und so ergab es sich in Düsseldorf eben nicht, dass Sigmar Polke und Can ein Riesending zusammen machten. Obwohl man sich das gerne ausmalen würde, was es genau gewesen wäre. Ich verstehe das Werk von Kai Althoff in Zügen als genau dieses Ausmalen dessen, also ein retro-aktives in die Geschichte einschreiben. Ganz so, als hätte es wirklich stattgefunden, ein in alle Richtungen queer offenes Milieu, das sich einfach nicht mehr schert um diese Milieustabilisierung, die einerseits in der Pop- und Rockmusik und auch in der musealen Kunst andererseits stattfand.
Ich weiß nicht, ob das deine Frage beantwort hat.

Ja. Und es ist schön, dass wir das Gespräch mit Kai Althoff beenden, nachdem wir es schon mit ihm begonnen hatten.

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