Jessica Pratt – Interview

Jessica Pratt: “Ich vermeide es, über meine Grenzen hinauszugehen


Jessica Pratt eilt der Ruf voraus, eine ein bisschen entrückte Folkelfe zu sein – und ja, stimmt schon, die ersten beiden Platten der 1987 in San Francisco geborenen Musikerin sind fragile, zarte Kunstwerke, bei denen man selbst ganz still wird, um die Songs nicht zu (zer-) stören. Aber nichts ist lästiger als ein klischeehaftes Etikett, und Jessica Pratt steht überhaupt nicht auf enggefasste Kategorien, doch dazu später. Denn ihr neues Album “Quiet Signs” schwelgt – siehe Titel – zwar auch in eher ruhigen Gefilden, aber bei Pratt hat sich einiges getan in punkto Produktion und Erweiterung des eigenen Spektrums. Zum ersten Mal überhaupt ging Jessica in ein “richtiges” Studio, nachdem sie ihr Debüt und das zweite Album “On Your Own Love Again” allein zuhause aufgenommen hatte: Die Songs auf “Quiet Signs” entstanden überwiegend in Los Angeles, aufgenommen wurden sie in Gary’s Electric Studio in Brooklyn, NYC. Co-Producer Al Carlson und Freund Matt McDermott begleiteten die Stücke beispielsweise mit Flöte, Orgel, Synthesizer und Piano, was den Sound bereichert und Pratts Faible für luftige, aber detailreiche Sixties-Arrangements genug Spielraum bietet. “Quiet Signs” ist, klar, kein lautes, knalliges Album – eher eine sanfte Revolution, ein zeitloses (auch dazu später mehr), kreatives Wunderwerk, das mit Folk kaum etwas zu tun hat.

Ich liebe das Sixties-Feeling in deinen neuen Songs – hattest du dir vorgenommen, so zu klingen?
Jessica Pratt: Üblicherweise fange ich nie mit einer festen Vorstellung an zu schreiben, so als ob ich genau wüsste, wie etwas klingen soll. Selbst wenn ich nach einem bestimmten Klang suche: Es kommt immer etwas komplett anderes heraus. Außerdem war diesmal die Arbeit in einem Studio wirklich neu für mich. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie sich die Dinge entwickeln würden. Aber wie auch immer: Ich mag Musik aus den 1960ern und ’70ern sehr, und ich bin sicher, dass ich davon sehr beeinflusst bin.

Hast du ausgesprochene Lieblingsbands und -künstlerInnen aus dieser Zeit?
Eine ganze Menge. Ich habe mir viele Platten von damals angehört, als ich an „Quiet Signs“ gearbeitet habe: Zum Beispiel Laura Nyro, Burt Bacharach/Dionne Warwick, Scott Walker, Todd Rundgren, Love, Robert Wyatt, Nina Simone. Und auch viele obskure Fundstücke, esoterisches Zeugs, One-offs von längst vergessenen KünstlerInnen…

Und deine Lieblingsmusik heute?
Leider bin ich bei aktuellen Sachen nicht so dabei wie ich sollte… ich bin Fan von Destroyer, und ich mag „My Dark Side“, das neue Album von einem Typen namens Jackson MacIntosh.

Was hat sich in den vergangenen vier Jahren seit deiner letzten Platte „On Your Own Love“ verändert, also wie du arbeitest, komponierst, Texte schreibst?
Da bin ich mir nicht wirklich sicher. Natürlich bin ich älter, erwachsener geworden – als Person und in meinem Zugang zum Schreiben. Mein mentaler Zustand war nicht der beste, als ich OYOLA (JP kürzt den Albumtitel selbst so ab; Anm.) aufgenommen habe. Ich war ziemlich isoliert und musste mit einigen schwerwiegenden Veränderungen in meinem Leben klarkommen, deshalb habe ich manche Dinge automatisch, wie nebenbei erledigt. Tatsächlich kann ich mich kaum an besondere Momente beim Schreiben und Aufnehmen der letzten Platte erinnern. Sie kam mit einem Paukenschlag aus mir heraus. Nach einer ganz schön kurzen Zeitspanne, wenn ich mich recht erinnere.
Die Arbeit am neuen Album war schon mal deshalb ganz anders, weil ich buchstäblich viel präsenter war. Ich denke schon, dass es wichtig ist, mit einem Bein in einer anderen Welt zu stehen, während man Musik macht – nach dem Schreiben setzt eine Art von Amnesie ein. Du versuchst, deine Schritte exakt nachzuvollziehen, herauszufinden, an welchem Punkt genau die Melodie zu reifen begann… aber meistens ist da nur Nebel. Aber ich würde sagen, dass es bei „Quiet Signs“ eine bessere Balance zwischen meiner reflexiven, intuitiven Seite und einem bewussten, systematischen Ansatz gab.

Denkst du, dass die Umgebung / eine Stadt / ein Ort einen bestimmten Sound hervorrufen kann? (Beispiel: Kürzlich durfte ich die New Yorker Band Public Practice interviewen, deren eckiger Post-Punk scheinbar nirgendwo anders herkommen kann als aus Manhattan):
Darüber habe ich im letzten Jahr tatsächlich oft nachgedacht. Ich glaube, es ist unmöglich, dass die Umgebung gar keinen Einfluss auf die Musik nimmt. Aber ich kann nicht herausfinden – beziehungsweise würde ich mich scheuen, definitiv zu benennen -, wie genau sich dieser Einfluss auswirkt. Ich hatte schon immer das besondere Talent, mich für kreative Prozesse auszuklinken, mein Hirn quasi „auf Null“ zu justieren, ganz egal wo ich war – Hauptsache, ich fühlte mich wohl und gefestigt für eine bestimmte Zeit. Ich glaube nicht, dass die Musik, die ich mache, direkt von meiner materiellen Umgebung beeinflusst ist. Manchmal denke ich, dass meine Arbeit gegen (räumliche) Veränderungen immun ist.

Ein aktuelles Interview mit dir im amerikanischen Rolling Stone trägt die Überschrift „Jessica Pratt lässt die Welt herein“: Gefällt dir die Zeile? Und wie war es denn früher?
Die Zeile passt sehr gut zu dem, was ich mit dem Journalisten besprochen habe. Der Titel spielt auf meine Veränderung von der total einsamen, eigenbrötlerischen Figur zu eher kollaborativen Arbeiten – bis hin zu Aufnahmen mit einem Producer im selben Raum! Ich denke, dass die Erfahrung, mit mehreren Leuten gearbeitet zu haben es mir auch künftig leichter machen wird, mit anderen zusammen zu spielen.

Deine Musik ist „unmodisch“ im besten Sinne – oder sollte ich lieber „zeitlos“ sagen? Was gefällt dir besser?
Zeitlosigkeit zu erreichen ist in meinen Augen eine echte Leistung und ich fühle mich jedesmal wahnsinnig geschmeichelt, wenn jemand meine Musik so beschreibt. Viele derjenigen, die ich als die größten SongschreiberInnen oder KomponistInnen betrachte, machen Musik mit zeitloser Anmutung, aber da gibt es kein schwarz oder weiß. Ein Song oder Sound kann sich aus ganz unterschiedlichen Gründen aus der Zeit / der Realität gefallen anfühlen.

Auf der neuen Platte ist ein Song namens „Opening Night“ – hast du dabei an den Film von John Cassavetes gedacht?
Ich glaube, das war der letzte Song des Albums, der noch einen Titel brauchte. Als ich mit der Arbeit an der Platte anfing, habe ich mir den Film mehrmals im Kino angesehen, und er rumorte in einer hinteren Ecke meines Hirns viele Monate lang herum. „Opening Night“ war sowieso schon immer einer meiner Lieblingsfilme, aber manchmal verändert der Eindruck der großen Leinwand alles nochmal: Als Matt (McDermott, mein Freund, der das Stück komponiert hat) mir auf dem Piano ein paar Takte vorspielte, die die Melodie von „As the World Turns“ variierten (dem zweiten Song auf „Quiet Signs“), kam mir ein großer Proberaum in den Sinn, oder überhaupt ein Raum in einem Theater, und ich fühlte mich an einige Einstellungen aus dem Film erinnert. Ich hatte gerade eine schwierige Phase voller Konflikte hinter mir, als ich den Film sah und fühlte eine gewisse Verbindung zur Hauptfigur Myrtle (gespielt von Gena Rowlands, Anm.), die ja auch mit persönlichen Konflikten kämpft.

Gibt es noch weitere Film- oder Literaturreferenzen in den Songs, die ich vielleicht übersehen habe? Ok, das musst du nicht beantworten – das sollen die HörerInnen ja selbst herausfinden.
Kann schon sein! Manchmal schleicht sich etwas ein… Mir fällt jetzt kein konkretes Beispiel ein, Vieles zeigt sich ja erst in der Retrospektive.

Du hast mal gesagt, dass du nicht so gerne Folk-Musikerin genannt werden möchtest. Warum?
Ich glaube, dass ich so etwas in meinem zweiten Interview überhaupt gesagt habe: Das war 2012 oder ’13, und hauptsächlich eine Reaktion auf die vielen Vergleiche mit sehr traditionellen Folk-KünstlerInnen. Es stört mich nicht, wenn ich mit Folkmusic in Verbindung gebracht werde, aber dennoch glaube ich nicht, dass meine Musik auf ein einziges Genre festgelegt ist. Das strebe ich wirklich nicht an.

Du hast es vorhin schon erwähnt: „Quiet Signs“ ist dein erstes Album, das in einem „richtigen“ Studio entstand. Hat die Art der Produktion dein Schreiben beeinflusst?
Die Aufnahmen und das Schreiben der Songs fanden an unterschiedlichen Orten statt – zum Beispiel in Los Angeles. Aber mein Kompositionsprozess war mehr oder weniger derselbe wie immer: zuhause, ganz für mich. Es gab im Studio nur wenige Korrekturen an den Songstrukturen, aber ich bin mir sicher, dass die Möglichkeit, mich selbst so gut und ohne Störungen und Unterbrechungen hören zu können, mehr Freiräume zum Experimentieren mit Stimme und Gitarre eröffnet hat. Subtilere und komplexere Texturen auszuprobieren, beispielsweise.

Du warst kürzlich mit Kurt Vile auf Tour – bist du gern unterwegs, trittst du gerne auf?
Performen ist total wichtig. Durch die Wiederholung finde ich zu einem ganz neuen Verständnis der Songs. Du kannst die Dynamik eines Songs ausprobieren, wirklich in der Musik drin sein und sie von verschiedenen Winkeln aus erfahren. Das wiederum verfeinert dieTechnik und Musikalität. Es kann natürlich sehr herausfordernd sein, besonders wenn deine Musik eine bestimmte emotionale Tiefe hat und du Abend für Abend darin eintauchst… Wenn ich damit nicht verantwortungsvoll umgehe, kann es mich psychisch ganz schön umhauen. Aber inzwischen bin ich vorsichtiger und vermeide es, über meine Grenzen hinauszugehen. Und außerdem lohnt es sich sehr, den eigenen „heiligen“ musikalischen Bereich mit anderen zu teilen.

Schaust du dir die andere Band – also zum Beispiel Kurt – an, wenn ihr zusammen unterwegs seid? Oder ziehst du dich lieber zurück, bis du an der Reihe bist?
Das ist ganz unterschiedlich. Es kommt selten genug vor, dass man das komplette Set der anderen anschauen kann, egal ob man Headliner oder Opener ist. Aber am Ende hat man dieses Set verinnerlicht, Abend für Abend regelrecht absorbiert!

Hast du jemals diskriminierende Erfahrungen gemacht? Ich meine beispielsweise abwertendes Gerede wie „oh, sie ist wirklich gut an der Gitarre – für ein Mädchen!“
In dieser Hinsicht hatte ich bisher wirklich Glück, so etwas ist mir noch nicht passiert – oder ich hab’s einfach nicht bemerkt angesichts der typischen, alltäglichen Misogynie.

Jessica Pratt
“Quiet Signs”
(CitySlang)

live: 
31.03.2019 Köln, Artheater
01.04.2019 Hamburg, Nochtspeicher
02.04.2019 Berlin, Heimathafen

 

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